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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 126 - 149 (1. Juni 1901 - 29. Juni 1901)
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GrKes Blsrtt

43. Jahrgang. — 8r. 130.

Freitag, 7.Jnm IM.


Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. frei in'S HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 2V Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum- Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate aus den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Auschluß Nr. 82.

Vom Gewerbegerichtsgesetz.
Offiziös wird geschrieben:Erst seit sich dieBeschlüsse des
Reichstages über die Reform des Gcwerbegcrichts-
Srsetzes in den Händen des Bundesrates befinden und
bon diesem einer besonderen Kommission überwiesen
Worden sind, treten allmählich die grundsätzlichen Be-
denken scharf hervor, welche gegen diesen weiteren Ein-
Dnff in die wirtschaftliche Freiheit zu erheben sind. Der
Reichstag hat die Beschlüsse seiner Kommission mit sol-
cher Eile im Plenum durchgepeitscht, daß der eigent-
"ch springende Punkt der ganzen Vorlage überhaupt nicht
SUr Erörterung gekommen ist und erst im Bundesrat
HU selbständiger gründlicher Durchberatung hoffentlich
wrnmen wird. Es handelt sich um die Thätigkeit des
Gewerbegerichts als Einigungsamt. Das Schiedsge-
hchtswesen hat bisher in zivilisierten Staaten nur An-
wendung gefunden auf dieAuslegung bestehe n-
der Verträge. Wo ein Vertrag abgeschlossen war,
Und die beider: Kontrahenten verschiedener Meinung
darüber waren, wie er in einem bestimmten Falle aus-
Hulegen und auzuwenden fei, da hat von jeher das
Schiedsgericht sein Recht und seinen Bereich ^gehabt,
stn der ganzen Handelswelt spielt diese Art des Schieds-
Zerichtes eine bedeutsame Rolle. Diesem Zwecke dient
auch die ordentliche Thätigkeit des Gewerbegerichtes,
die sich im wesentlichen auf die Feststellung der recht-
uchen Folgen aus geschlossenen Verträgen erstreckt.
Demgegenüber hat nun der Reichstag eine völlig neue
urr Schiedsgerichtsthätigkeit zu schaffen versucht, durch
die in die Hand desGewerbegerichtes als Einigungsamt
die Befugnis gelegt werden soll, einenDruck auf den
Abschluß von Neuverträgen auszuüben,
Und nicht etwa bloß einen moralischen Druck, sondern
einen Druck, hinter dem Geldstrafen von einhundert
Atark stehen. Denn dies bedeutet der Erscheinungszwang
der beteiligten Parteien vor dem Einigungsamte, der
ichon vom Reichstage mehrfach als Verhandlungszwang
aufgefaßt worden ist. Steht es doch im Belieben des
^ewerbegerichtsvorsitzenden. Streitende so oft unter
Androhung einer Strafe von hundert Mark zu laden,
dis sie sich zur Verhandlung bereit finden lassen. Gäbe
der Bundesrat der G e s e tz e sv o r l a g e seine
Zustimmung, so wäre es mit der Ver-
dragsfrei heit im Deutschen Reiche vor-
bei. (!) Der Abschluß des Arbeitsvertrages wü'rde
ach von allen anderen Vertragsabschlüssen dadurch un-
terscheiden, daß auf ihn ein Druck von außen möglich
iväre. Bei Streitigkeiten, die aus einem solchen Ver-
tragsabschlüsse entspringen, würde von der beeinflußten
Seite geltend gemacht werden, daß der Vertrag nicht
dindend sein könne, da er nicht der freien Willens-
futschließung entsprungen sei, sondern willkürlicher
äußerer Einwirkung seinen Ursprung verdanke. Auch
Hver angesichts eines Notstandes und einer Gefahr für
^eib und Leben von Menschen die Berechtigung des Ge-
setzes anerkennt, durch seine Autorität einen Vertrags-
abschluß über zu leistende Rettungsarbeit zustande zu
Dringen, wird sich doch der Erwägung nicht verschließen
töstnen, daß ein Ausstand oder eine sonstige Streitig-
keit zwischen Unternehmer und Arbeiter über die Ar-
beitsbedingungen kein Notstand ist, der einen Einigungs-
^achtspruch rechtfertigte. Da außerdem jede rechtliche
Möglichkeit fehlt, die Durchführung und Jnnehaltung
bsr so unter Druck zu Stande gebrachten Vereinbarungen

zu erzwingen, weil eine Einstellung des Betriebes oder
die Kündigung der betreffenden Arbeitsverträge jeder-
zeit in der Hand des Unternehmers liegt, so ist klar,
daß die Gewerbegerichtsvorlage nur erbitternd wirken
muß, ohne den arbeitenden Klassen einen sachlichen
Gewinn zu bringen.

Deutsches N e i ch.
— Der Kaiser empfing Dienstag Mittag die Mut-
ter und die Witwe des in Peking ermordeten Ge-
sandten Frhrn. v. Ketteler. (Die Mutter des Er-
mordeten, Freifrau v. Ketteler, steht im 79. Jahre; die
Witwe des Gesandten ist bekanntlich Amerikanerin. D.
Red.) Zur Frühstückstafel war Direktor Ballin von
der Hamburg-Amerika-Linie geladen. Am Nachmittag
empfing der Kaiser den Gesandtschaftsdolmetscher
Cordes, der, wie erinnerlich, die Gefahren und Lei-
den der Belagerung der Gesandtschaften in Peking mit-
erlebt hat.
— Die Witwe des Grafen Wilhelm Bismarck
veröffentlicht eine aus Varzin datierte Danksagung
für die ihr beim Tode ihres Gatten zugegangenen zahl-
reichen Sympathiekundgebungen.
— Von der in einem Münchener Blatte gemeldeten
Absicht des Kaisers, in: Laufe des Sommers Rußland
in Begleitung des Reichskanzlers zu besuchen, ist in
Berliner wohlunterrichteten Kreisen nichts bekannt.
— Der Bund der Landwirte hat einen weiteren Ver-
such gemacht, in den Rheinlanden Fuß zu fassen.
Der Versammlung, die in Mainz und Düsseldorf statt-
fand, ließ er nun eine solche in Köln folgen. In der
fünfstündigen Versammlung kam es zu einer heftigen,
zeitweise sehr scharfen Auseinandersetzung
zwischen Abgeordneten des Zent rums und' den
Vertretern des Bundes, den Abgeordneten Plettenberg,
Hahn, Dr. Roesike und Wangenheim, welch Letztere ihr
Erscheinen am Rhein damit begründeten, daß sie ge-
meinsam mit den rheinischen Zentrumsagrariern be-
stimmte Zollsätze aufstellen wollten. Nach Informatio-
nen, die der Bund erhalten habe, seien die süddeutschen
Regierungen nicht geneigt, eine Erhöhung der Zölle auf
landwirtschaftliche Produkte zu gewähren. Unter t o -
sendem Beifall erklärte Hahn, der Bund wolle
den rheinischen Bauern helfen, möglichst viele landwirt-
schaftsfreundliche und mittelstandsfreundliche Herren in
das Zentrum hineiuzubringen. Wangenheim begründete
als Forderung des Bundes einen Mindestzoll von 7.50
Mk. Zu einer bestimmten Erklärung waren die an-
wesenden Zentrumsabgeordneten nach dem Bericht der
„Frkf. Ztg." nicht zu bewegen.
Baden.
8.0. Pforzheim, 6. Juni. Hier wurde ein nat.-
lib. Jugend verein gegründet.
Karlsruhe, 5. Juni. Prinz Max hält sich mit
seiner Gemahlin gegenwärtig in Capri auf.
Hessen.
— Im „Mainzer Journal" erscheinen eingehende
Betrachtungen zur h e s s i f ch e n W a h I r ef o r m, die
wohl den Zentrumsabgeordneten Molthan zum Ver-
fasser haben. Die Artikel empfehlen die Annahme des
von der Regierung und Landtag vorgelegten Gesetzent-
wurfs, weil darin das direkte Wahlverfahren gewährt

wird. „Allerdings", so heißt es bemerkenswerter Weise
weiter, „erachten wir es als dringend notwendig, als
Korrelat des Wahlrechtes auch die W a h l p f l i ch t ein-
zuführen." Da auch bei den Nationalliberalen für die
Wahlpflicht Stimmung ist, rückt diese Bedingung in den
Vordergrund.

Aus der Karlsruher Zeitung.
Karlsruhe, 5. Juni. Der Großherzog
empfing heute Vormittag in Baden-Baden den Königlich
Württembergischen Gesandten Frhrn. von Soden, wel-
cher sodann an der Mittagstafel teilnahm. Zu letzterer
waren noch mehrere Einladungen ergangen unter an-
deren an Freifrau von Breidenbach, den Amtsvorstand
Geheimen Regierungsrat Haape, Oberbürgermeister
Gönner und Hofrat Dr. Obkircher. Nachmittags machten
die höchsten Herrschaften Besuche und am AberH er-
warteten dieselben die Ankunft der Kronprinzessin von
Schweden und Norwegen._
Arrslan d
Italien.
R o n:, 5. Juni. Heute Vormittag fand im
Quiriual die standesamtliche Eintragung der Geburt
der Prinzessin Jolanda Margherita
Milena Elisabetha Romana Maria statt.
Anwesend waren der König, die Königin Margherita,
die Herzogin von Genua, die Fürstin von Montenegro,
Prinz Mirko von Montenegro, der Senatspräsident als
Standesbeamter, der Minister des Innern als Ver-
treter der Krone, der Bürgermeister von Rom und
andere.
Asien.
Tientsin, 5. Juni. Der Krawall in der
Takustraße entstand aus einem Wirtshausstreit, in
der: die englische Polizei eingriff. Der Streit wurde
auf der Straße mit Gewehren und blanker Waffe ge-
führt. Zwei Franzosen sind tot, vier Franzosen,
drei Deutsche und zwei Engländer sind verwun-
det. Die Wunden der Deutschen sind ungefährlich.
Der Vorfall hat keinerlei politische Bedeutung.
— Dem Begräbnis der bei dem Zusammenstoß
getöteten Franzosen wohnten Graf Waldersee und Zahl-
reiche deutsche Abordnungen bei. Es sind strenge Maß-
regeln getroffen, um weitere Reibungen zwischen den
Kontingenten zu vermeiden.
—- Die „Hertha" mit Graf Waldersee an Bord ist
am 4. Juni von Taku nach Cobe in See gegangen. Das
1. Seebataillon ist am 3. Juni von Taku abgegangen.
— Das Wolffbureau meldet aus Peking vom
4. Juni: In der verbotenen Stadt ist eine große
Fenersbrunst ausgebrochen. Die Japaner und
Amerikaner halten den betreffendet: Stadtteil streng
abgesperrt, daher ist vorläufig nichts Näheres zu er-
mitteln.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 7. Juni.
* Der Hofbericht in der „Karlsruher Zeitung" verzeichnet über
den Aufenthalt der Großherzoglicheu Herrschaften Hierselbst: Ihre
Königlichen Hoheiten wohnten dem Schlußkonzert der Tonkünstler-
versammlnng des Allgemeinen deutschen Musikvereins in der
Peterskirche an, welches bis nach 6 Uhr dauerte- Ihre König-
lichen Hoheiten waren von den vortrefflichen musikalischen Dar-

Kleine Zeitung.
, Hochschulnachrichtcn. Berlin, 5. Juni. Au der
Aarlottenburger technischen Hochschule fanden die ersten
Promotionen zum Doktor-Ingenieur statt. —
?Us Bonn wird geschrieben: Die Gesamtzahl
?er Studierenden an hiesiger Universität beträgt
M diesem Semester 2260 gegen 2162 im vorigen Som-
^rsemester. — In Göttingen beträgt die Gesamt-
lschl der immatrikulierten Studenten in diesem Se-
ester 1409 (gegen 1333 im letzten Winter und 1359
M vorigen Sommer). Außer diesen haben 96 die Er-
laubnis zum Hören der Vorlesungen erhalten (darunter
u Frauen.)
— Aschaffenburg, 4. Juni. Der Mord an der
Lrau des Forstassessors Hetzei hat in der
Uodt ungeheure Aufregung hervorgerufen, da die
Aordthat an: helllichten Tage in einer der belebtesten
fraßen verübt wurde. Der Mörder ist inzwischen,
Ästige Stunden nach der That, im Walde von Gailbach
Mitgenommen und ins Gefängnis gebracht wor-
Er war, den offenen Dolch in der Hand, durch die
Kratzen gerannt, dann durch die Kornfelder vor der
rstadt in den Wald entkommen. Alsbald eilten Schutz-
^e »u Fuß und zu Rad, Mannschaften des Jäger-
tzPaillons und viele Bürger dem Verbrecher nach. Im
^llbacher Walde, anderthalb Stunden von hier, fand
tzWu ihn völlig erschöpft liegen. Er heißt Nowicki, ist
hsr Zwanzigjähriger Arbeiter aus Posen, und gibt sich
"Anarchist" aus; er gesteht aber zu, einen Raub-
°rd geplant zu haben.
An ^ Marburg, 4.
Zanger hier, stuck.

Jum.

Der Sohn des Pfarrert
zur., der sich gestern das

Lebennahm, ist durch Zweifel an der Wahrheit der
Gottesidee zu dem traurigen Entschluß veranlaßt wor-
den. (Ein merkwürdiger Grund, sich umzubringen.)
— Eine fidclc Jnnnngsauflösnng hatten sich nach
der „Köln. Volksztg." die Klempner und Kupferschmiede
für den Kreis Siegen geleistet. Nachdem diese Innung
beschlossen hatte, sich aufzulösen, war man unschlüssig,
wie man den vorhandenen Kassenbestand verwenden solle;
ein Antrag, den Kassenbestand zu einem Festessen zu ver-
wenden, fand allgemeine Billigung, und eines Sonntags
fanden sich die ehemaligen Mitglieder der Innung in
großer Anzahl eir: und waren bei opulentem Mahl lustig
und guter Dinge. Das dicke Ende kam aber auch hier-
nach. Die Sache kam der Handwerkskammer zu Arns-
berg zu Ohren. Dieselbe wandte sich an die König!.
Regierung und diese verfügte, daß von sämtlichen Teil-
nehmern am Essen die verpulverten Jnnungsgelder im
Verwaltungswege wieder einzuziehen seien. Es soll bei
den lustigen Kupferschmieden und Klempnern lange Ge-
sichter gegeben haben.
— Paris, 3. Juni. Das Resultat der Pariser
Volkszählung vom 24. März d. I. Wird heute
veröffentlicht. Danach beträgt die Einwohnerzahl in
Paris 2 7l4 068'E i n w o h n er gegen 2 511 629 im
März 1896. Die Zunahme in diesem Zeiträume beträgt
ungefähr 175 000. Im ersten und zweiten Bezirk hat
die Bevölkerung abgenommen. Alle übrigen Bezirke
haben einen Zuwachs aufzuweisen, der 4., 7. und 17.
Bezirk gewinnen infolge der Bevölkerungszunahme je
ein Deputiertenmandat.
— Spinnen und Telegraphcndrähte. Merkwürdige
Beobachtungen über elektrische Leitungsstörungen durch

Spinnen hat man in Japan gemacht. Eine Nummer
des „Ostasiatischen Lloyd" berichtet darüber: Es ist in
Japan nicht möglich, den elektrischen Draht zur Beför-
derung von Depeschen zu benutzen, wenn die Spinne ihn
in das Bereich ihrer Thätigkeit gezogen hat. Diese in-
dustrieellen Tierchen benutzen zur Befestigung ihrer zar-
ten Gewebe nicht nur die Aeste der Bäume und Sträucher;
sie verwenden auch die verhältnismäßig kurzen Tele-
graphenstangen und Drähte, die Isolatoren und den
Erdboden als Stützpunkte. Sind die Netze nun vom
fallenden Thau befeuchtet so dienen sie als vortreffliche
Leiter, durch die der Strom aus dem Draht in die Erde
geht, wodurch die Linse vollständig außer Betrieb gesetzt
wird. Lange hat man sich in Japan die wiederholt vor-
kommenden Störungen nicht erklären können; als man
die Ursache endlich in den kleinen achtbeinigen Schirmen
entdeckte, wurden Arbeiter angestellt, die die einzelnen
Strecken revidieren und die Drähte mit Bambusbeien
rein fegen müssen, merkwürdigerweise zeigen sich die
Spinnen aber weit thätiger in der Reparatur ihrer Netze,
als die Besen in: Zerstören derselben.
— König Eduard, der Sparsame. König Eduard,
der sich als Prinz von Wales meisterhaft auf das Geld-
ausgeben verstanden hat, will als König sparen. Es
ist dies eine nicht ganz ungewöhnliche psychologische Ent-
wickelung. Der König will die Zahl seiner wohlbe-
stallten Geistlichen reduzieren. Bisher besoldete die Hof-
kasse sechsunddreißig Hofkaplane. Der König glaubt,
mit einem Dutzend auskommen zu können und will vom
nächsten Monat ab zwei Dutzend streichen lassen.
 
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