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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 77-100 (1. April 1901 - 30. April 1901)
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Mittwoch, 10. April 1901.

43. JahrgMg. — 83.



- «E



Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. frei in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 4V Pfg. Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 M. ausschließlich Zustellgebühr.
Anzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltigc Petitzeile oder deren Raum- Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Wer war Bismarck?
Von geschätzter Seite wird den „Berl. Neuest. Nachr."
geschrieben:
Die Mitteilungen eines französischen Kavallerieoffiziers
über die geschichtlichen Kenntnisse seiner Soldaten haben
jüngst verschiedene Pariser Zeitungen in nicht geringe Auf-
regung versetzt. Dieser Offizier pflegt alljährlich in seiner
Schwadron eine kleine Untersuchung über den Bildungsgrad
seiner Rekruten vorzunehmen, indem er ihnen bei ihrem
Eintritt folgende Fragen vorlegt: „Was ist der Krieg 1870 s
Was ist Elsaß-Lothringen? Wer ist Bismarck?- Die
Rekruten müssen hierauf schriftlich antworten. Das Resul-
tat war das letztemal folgendes: von den 50 Leuten
„wissen 30 auf diese Fragen garnichts zu antworten, 10
wissen sehr nebelhaft, daß Lothringen eine Provinz, Bis-
marck ein deutscher General oder Kaiser, der Krieg 1870
nicht glücklich verlaufen ist. Aber all dieses Wissen —
sagt der betreffende Offizier — ist so unbestimmt und ver-
chwommen, daß es in Herz und Gemüt keinen Eindruck
hervorbringt. Die übrigen zehn, besonders die Pariser,
haben wenigstens erfahren, was unsere Niederlagen ge-
wesen sind. Seit fünf Jahren hat meine Fragestellung
stets das gleiche Ergebnis, das ich ohne Erläuterung mit-
teile.-
Die Pariser Blätter regen sich über dieses nach ihrer
Ansicht einzig dastehende Ergebnis lebhaft auf, ohne zu
wissen, daß es mit der sogenannten Volksbildung in man-
chem anderen Lande auch nicht viel besser steht, wie in
dem ihrigen. Namentlich pflegen gerade patriotische Thaten,
große um das Vaterland verdiente Männer und Helden,
siegreiche Kriege in Frankreich in allen Schichten des
Volkes fester eingegrabeu zu sein, wie bei uns in Deutsch-
land. Was wissen unsere Soldaten heute von dem von
ihren Großvätern so bitter gehaßten Napoleon I. s Was
denkt sich der Mann aus dem Volke, wenn er von „Elsaß-
Lothringen" sprechen hört? Er weiß, daß die „Reichs-
lande" nach dem Kriege 1870/71 deutsch geworden sind,
Und das genügt ihm.
Um aber zu beweisen, daß das deutsche Volk von heute
ielbst von seinen größten deutschen Männern recht oft
herzlich wenig weiß, und daß man selbst den größten
deutschen Volkshelden, unseren Bismarck, in manchen
Kreisen unseres Vaterlandes leider recht wenig kennt, möchte
-ch hier als Gegenstück der oben genannten Angaben jenes
französischen Offiziers diejenigen eines deutschen R e-
Erutenleutnants der Infanterie in einer der westlichen
Hrrnzgarnisonen anführen.
Die Frage, welche dieser Offizier wenige Tage nach der
Einstellung der Rekruten an diese richtete, lautete: „Wer
d>ar Btsmarck?"
Von den 78 Leuten wußten 21 gar nichts zu ant-
worten; sie hatten — wie sie behaupteten — den Namen
Bismarck" überhaupt noch nicht gehört! 22 sagten, Bis-
marck sei ein großer General gewesey, k ein Kriegs-
Minister, 9 ein berühmter Feldherr. 5 Rekruten
gaben schon bessere Antworten und meinten: „Bismarck
War der erste Reichskanzler"; 9 sagten sogar:
»Bismarck hat das Deutsche Reich gegründet."

Was mögen sich aber die Leute unter unserem großen
Reichskanzler vorstellen» welche folgende Antworten gaben:
Einer behauptete, Bismarck sei „der erste deutsche
Kaiser" gewesen, ein Zweiter hielt ihn für einen „großen
Dichter", ein Dritter, der sich wohl zu den Schlauen
rechnete, wußte, daß Bismarck den Kulturkampf
geführt hat; ein Anderer verflieg sich so weit, zu sagen:
„Bismarck hat die Bibel übersetzt", und noch ein
Anderer hielt ihn für den „ersten Kompagniechef
im Kriege." Als schließlich ein besonders selbstbewußter
Rekrut, der sicher glaubte, eine recht gute Antwort zu
geben, mit lauter Stimme sagte: „Bismarck war der
größte Feind des Kaisers!" brach der Offizier, in
der Besorgnis, noch weiter ähnliche Antworten hören zu
müssen, die Unterhaltung ab.
Von diesen 78 Rekruten wußten also nur 14 wirklich,
wer Bismarck war, und 21 kannten ihn überhaupt nicht!
Von den gefragten Leuten stammten 35 aus Westfalen,
16 aus Ost- und 2 aus Westpreußen, 12 aus der Pro-
vinz Posen, 4 aus Hessen-Nassau, 1 aus Schlesien und 8
aus verschiedenen anderen deutschen Ländern, unter diesen
78 waren 21 polnisch sprechende Rekruten. 41 waren
katholisch und 37 evangelisch.
Als derselbe Offizier seine Rekruten eines Tages
fragte, wer von ihnen etwas von „Wiudthorst" wisse,
steckten Drei viertel von ihnen eifrig die Finger in die
Höhe, und Jeder derselben wollte gern der erste mit der
Antwort sein.
Wen die Schuld trifft, daß unsere deutsche Jugend
in so beschämender Weise schlecht- und falschunterrichtet
ist, soll hier nicht näher untersucht werden. Einen
deutlichen Fingerzeig giebt uns aber folgende kleine
Episode:
Ein Rekrut eines preußischen Regiments konnte weder
recht lesen noch schreiben und war überhaupt ein Original
an Dummheit und Beschränktheit. Eines Tages wurde
er von seinem Leutnant gefragt, ob er denn nicht wie
jeder Andere acht Jahre auf der Schulbank gesessen habe.
Der Mann wollte anfangs nicht mit der Antwort heraus;
erst nach mehrfachen Ermahnungen meinte er ganz
schüchtern: „Jawohl, ich habe aber den Schulunterricht
nicht zu besuchen brauchen, weil mich mein Pfarrer
acht Jahre lang bei sich zur Gartenarbeit
verwandt hat!"
Dieser arme Kerl wußte nicht einmal, wie sein
Kaiser hieß, geschweige denn, wer „Bismarck" war.
Er stammte aus einem Dorfe der Provinz Posen.
(Anmerkung der Redaktion: War der betreffende Pfarrer
vielleicht auch zugleich Kreisschulinspektor? Das würde
doch wohl den Kultusminister interessieren?) 8.

Die Lage in China.
Der gestern mitgeteilte Beschluß der ausländischen
Generale in China, den Gesandten eine sehr wesent-
liche Verminderung der Streitkriiste der Mächte zu em-
pfehlen, deutet darauf hin, daß die Lösung der chinesischen
Wirren für nahe bevorstehend angesehen wird. Ergänzend

wird hinzugefügt, daß die Verhandlungen der Gesandten
in glattem Laufe seien.
Wenn der chinesische Hof sich gegenwärtig entgegen-
kommend zeigt, so mag dies mit Mitteilungen zusammen-
hängen, welche Li-Hung-Tschang und Prinz Tsching kürz-
lich erhalten haben. Danach ist der Hof durch den Aus-
bruch des von Tungfuhsiang geleiteten Aufstandes
in den Provinzen der Mongolei und von Shenst ernst-
lich beunruhigt. Den letzten Nachrichten zufolge stehe
Tungfuhsiang an der Spitze von 11000 gut geschulte»
Truppen. Er befindet sich nur 150 Meilen von Sin-
ganfu. Möglicherweise wird der Hof sich genötigt sehen,
vor Tangfuhsiang nach Peking in die Arme der Mächte
zu flüchten. Das wäre keine üble Ironie der Geschichte!

Deutsches Reich.
— Dienstag Mittag empfing der Kaiser die außer-
ordentliche Mission unter Führung des Herzogs v.
Abercorn zur Notifizierung der Thronbesteigung König
Eduards.
— Ueber 30 Studenten der französischen landwirt-
schaftlichen Hochschule zu Grignon (Seine-et-Oise) kamen
Montag Abend mit ihren Lehrern in Frankfurt an, um
die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.
Heute Mittwoch Mittag geht die Reise weiter nach Rüdes-
heim. Dort soll das Nationaldenkmal besichtigt
werden. Dann geht es über Bonn nach Poppelsdorf und
Köln zurück nach Paris. (Dieser Besuch einer fran-
zösischen Schule in Deutschland ist ein erfreulicher Beweis
für das jetzt zwischen dem französischen und dem deutschen
Volk bestehende bessere Verhältnis.)
Baden.
L. 6. Todtnau, 7. April. Der „Freib. Bote-
hat die Verhöhnung der Palmweihe seitens einiger
Burschen der Sozialdemokratie in die Schuhe ge-
schoben. Nun geht dem Blatt eine Berichtigung zu,
wonach die betreffenden Burschen weder gewerkschaftlich,
noch politisch organisiert, noch sonstwie für die sozial-
demokratische Partei Ihätig^ sind. Auch seien nicht der
„Volksfreund" und der „Vorwärts", sondern der —
„Freiburger Bote" an der Stange befestigt ge-
wesen.
— Zu der Angelegenheit Iegel schreibt der
„Beobachter":
Thatsache ist, daß Herr Pfarrer Jegel von seinem Posten
entfernt wurde; doch dürfte der Grund seiner Entfernung ebenso
in seinen zerrütteten Gesimdhcitsverhältntssen — Herr Jegel ist
sehr nervös — wie in den, wie wir glauben, hierdurch bedingten
abweichenden kirchlichen Ansichten zu suchen sein. Soviel uns
bekannt ist, ist dies auch in der darüber ausgefertigten Urkunde
ausgesprochen.
Preußen.
— Nach den vorläufigen Ergebnissen der Vieh-
und Obstbaumzählung in Preußen läßt sich er-
kennen, daß, obwohl das bei der Viehzählung am
1. Dezember zu ermittelnde Lebendgewicht noch nicht
festgestellt werden konnte, doch die Entwicklung des Vieh-

Kleine Zeitung.
— Ein Schwabenstreich. In Neustadt war Rekruten-
^Usterung. Es hatte sich auch ein junger Schwabe zu
Men. Der aber erschien nicht; statt seiner aber kam von
Eitlem Vater folgender Brief: „Werter Stabsarzt! Sie
7ttde entschuldige, daß mei Bua nicht zur Musterung kommt,
es Hot gar koi Wert. — I Han ihn gemesse, daß er
M de Stiefle 1 Meter 54 mischt und, wenn er sei Stiefle
^ hat, mißt er nur noch 1 Meter 51. Vielleicht ischt'r
Ochste Johr besser. Achtungsvoll Ehr. B." — Der „Bua"
Müßte leider trotzdem kommen.
g — Die Einnahmen der großen Berliner Straßenbahn
E im ersten Vierteljahre des Jahres 1901 um 483132
i?E>rk oder um rund 8,5 "/, gestiegen. Die Gesamteinnahme
in!. Vorjahre war gegen 1899 um 1990 873,92 Mk. oder
!>, »/, gestiegen. Daraus ergiebt sich, daß bereits in
M ersten drei Monaten ein nahezu gleiches Resultat wie
^ Vorjahre gesichert ist. Das beweist aufs neue die an-
. "ernde Steigerung des Fahrbedürfrnsses und des Fahr-
»hrs, denn die ertragreichsten Monate kommen erst. Die
Eiche Einnahme i. I. 1900 beziffert sich auf 67 226,91
Dieser Durchschnitt ist in den ersten drei Monaten
überholt, sie zeigen eine tägliche Einnahme von
. 9.62 Mk. Die Wirkung des Zehnpfennig-
; .'«es ist danach eine enorme, denn die ersten zwei
onate bleiben in der Regel weit hinter anderen
zurück.


Elses
^hresrno

— Ein preußischer Schnlpalast. Das „B. T." bringt
folgendes hübsche Bild aus dem Volksschulwesen der Pro-
vinz Brandenburg: „In dem zur Parochie Gossow gehörigen
Dorfe Beigen ist nunmehr eingetreten, was man schon vor
Jahren fürchten mußte. An dem äußerst baufälligen Schul-
hause stürzten in einer stürmischen Nacht drei Fachwerke
aus der Giebelwand. Der ihnen zur Unterlage dienende
Kehlbalken ist schon jahrelang verfault. Im vorigen Jahre
suchte man ihn durch eine vorgenagelte Bohle zu ersetzen.
Die ausgefallenen Fächer sind jetzt mit Brettern vernagelt
worden. Im Gegensatz zu anderen Häusern schließen in
diesem Schulgebäude nicht die Thüren dicht, sondern die
Fenster; denn diese besitzen in der Wohnstube des Lehrers
keine Fensterflügel, sondern oben nur eine Luftklappe. Alle
Thüren dagegen gestatten der frischen Luft in reichstem
Maße ungehinderten Zutritt. Von einer Reparatur hat
man schon seit einem Jahrzehnt Abstand genommen,
weil man sie an diesem Gebäude nicht mehr für angebracht
hielt."
— Die neue Universitäts-Augenklinik in Würzbnrg,
eine der größten und wohl der schönsten in Deutschland,
wird am 1. Mai feierlich eröffnet. Der mächtige drei-
stöckige Bau ist von Herrn von Horstig-Aubigny, dem Er-
bauer der neuen Würzburger Universität, in gefälligem
Empirestil ausgeführt und entspricht in wissenschaftlicher
wie technischer Hinsicht allen Anforderungen der modernen
Heilkunde. Das Institut wurde auf energisches Betreiben
des jetzigen Berliner Professors Wirk!. Geheimen Medizinal-
rates Dr. v. Michel errichtet und nach dessen, sowie Herrn

Professor Dr. Heß Intentionen eingerichtet. Der hohe
lichte Hörsaal weist 140 amphitheatralisch ansteigende
Sitze auf.
— Ans dem Briefkasten des „Kladderadatsch". Sehn
hübsch wird in Hermann Heibergs Novelle „Der rote Ring"
(„Allgemeiner Anzeiger für Stadt und Kreis Erfurt" VE
30. März) gesagt: „Lange habe ich allerdings das Glück mit
ihr nicht genossen. Sie starb schon im ersten Jahre unserer
Ehe, indem sie einem toten Kinde das Leben gab." — Im
Witterungsbericht der Weimarer Zeitung „Deutschland" vom
27. März ist als Prognose für den folgenden Tag zu. lesen«
„Wenig Aenderung, vielfach heitere Niederschläge wahrschein-
lich." Was man unter „heiteren Niederschlägen" zu ver-
stehen hat, ist uns nicht ganz klar. — Die „Saale-Zeitung"
vom 27. März teilt unter „Personalien im IV. Armeekorps"
mit: „Graf v. Hertzberg, Leutnant L 1a suite des Anhalt. Jnf.-
Reg. Nr. 93, in dem Kommando bei der Marie bis Ende Sep-
tember ds. Js. belassen." Zur Marie kommandiert zu werden,
das wünscht sich Wohl Jeder.

Ziehst du zu früh die Angel an,
Kein Fischlein beißt sich fest daran.
Drum Hab' Geduld zu jeder Zeit,
Wer sicher geht, kommt sicher weit.

Littrrarisches.
—8 Wieder ein neuer Vrockhaus. Vor zwei Jahren erst
erschien die mit großem Beifall aufgenommene Revidierte Ausgabe
von Brockhaus' Konversations-Lexikon, 14. Auflage. Und nun
folgt ihr schon eine Neue revidierte Ausgabe jener Jubiläums»
Ausgabe. Beabsichtigt Brockhaus vielleicht, sich das Kursbuch
zum Vorbild zu nehmen und die politischen und wissenschaftlichen
Ereignisse des künftigen Jahres zu registrieren, wie jenes die
 
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