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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1901 - 31. Januar 1901)
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Donnerstag, 10. Januar 1901.

Grstes Blatt.

XXXXIII, Jahrgang. — Xr. 8.





Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg.
zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.
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und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr- 82.

Durch diel Post bc-
HeidelbergerjZeitung

Chronik.
(Vom 1. bis zum 5. Januar.)
Jan. 1.: Das neue Jahr siebt Burenscharen im eng-
lischen Kapland und zwingt den Engländern die
Erkenntnis auf, daß der Burenkrieg noch lange nicht
aus ist.
„ 1.: Der Mörder des Gesandten v. Ketteler ist noch
im vergangenen Jahre htngertchtet worden.
„ 2.: In Wilhelmshaven treffen die Geretteten vom
Gneisen au ein.
„ 2.: Der Burenpräsident Krüger ist an Bronchitis
erkrankt.
„ 3.: Es wird durch englische Blätter ein russisch-
chinesisches Uebereinkommen bekannt, durch
welches Rußland eine Art von Oberherrschaft über die
Mantschurei zufällt.
„ 5.: Der Grobherzog von Weimar stirbt.
„ 5.: Burenkommandos stehen nur noch vier Tage-
märsche von Kavstadt entfernt.
„ 5.: Die chinesischen Friedensbevollmächtigten haben
zwar die Note der Mächte im Allgemeinen angenommen,
aber in Einzelheiten machen sie Schwierigkeiten.
Die deutschen Soldaten in China.
Durch die Hunnenbriefe einzelner deutscher
Soldaten, in denen den Deutschen daheim viel kalter
Aufschnitt geboten wurde, ist vielfach die falsche Auffassung
entstanden, als ob unsere Krieger in China thatsächlich
wie die Hunnen wüten. Wer unser Heer und den in ihm
lebenden Geist kennt, wird sich nicht haben irre führen
lassen. Aber es ist doch sehr willkommen, daß ein deutscher
Offizier in Tientsin in der „Köln. Ztg." das thatsächliche
Auftreten unserer Soldaten, in Richtigstellung der Tartaren-
nachrichtcn, wie folgt darstellt:
Hier beginnen allerhand Nachrichten und Gerüchte auf-
zutauchen, daß man in der Heimat auf Grund von einge-
troffenen Privatbriefen einzelner Soldaten zu glauben be-
ginne, daß sich unsere Soldaten durch besondere Grausam-
keiten und barbarische Kriegführung hervorthäten. Sollten
wirklich solche Ausstreuungen zu Hause Glauben finden, so
wäre das ein bitteres Unrecht gegen die deutschen
Soldaten, die hier wirklich ein an Anstrengungen und
Aufregungen überaus reiches Leben zu führen haben. Es
soll gewiß nicht bestritten werden, daß unter der großen
Zahl der hierher gesandten Freiwilligen sich hier und da
ein räudiges Schaf befindet, das sich zu Grausam,
keilen und ungerechtfertigter Tötung eines Chinesen
hat hinreißcn lassen. Das wird in allen Kriegen
und bei allen kriegführenden Völkern Vorkommen.
Aber das eine ist gewiß, daß, wo solche Ausschrei-
tung e n bei den deutschen Truppen sta tt gefun den
haben, sie mit dem schärfsten Nachdruck verfolgt
und bestraft worden sind. Wer einen friedlichen
Chinesen niederschiebt, kann sicher sein, daß er von unfern
hiesigen Kriegsgerichten als ein gemeiner Mörder bestraft
wird. Vom Oberbefehlshaber herunter bis zum Kom-
pagniechef wird mit der größten Strenge auf Verhinderung
solcher Ausschreitungen und auf Durchführung der alt
gewohnten strammen Manneszucht gesehen, und ich kann
getrost sagen, daß gerade in dieser Hinsicht unsere ost-
asiatische Truppe vor keiner anderen Truppe der übrigen
Verbündeten zurückzustehen braucht. Gewiß fehlt es auch

in diesem Kriege wie in jedem andern nicht an recht
blutigen Ereignissen und an grausamer, wenn auch unver-
meidlicher Härte. Aber unsere Landsleute daheim können
vertrauen, daß gerade unfern Truppenführern am aller-
meisten am Herzen liegt, unnütze Grausamkeiten
zu vermeiden. Als unsere ersten deutschen Truppen
(die beiden Scebataillone unter Generalmajor v. Höpfner)
Mitte August auf der Reede von Taku eintrafen, da fanden
sie bereits auf der ganzen Strecke zwischen Tongku und
Peking eine vollständige Wüste vor. Die sämtlichen Städte
und Dörfer auf dieser Strecke waren zerstört, die Be-
völkerung war vertrieben, das Getreide verkam auf den
Feldern. Es war ein trostloser Anblick, und cs ist be-
greiflich, daß die Soldaten und die Berichterstatter, welche
seitdem diese Strecke durchziehen mußten, in ihren Briefen
in die Heimat recht oft ein trostloses Bild von dieser
Wüste entworfen haben werden. Aber gerade weil deutsche
Truppen nicht bei der Verwüstung dieser Etappenstraße
beteiligt gewesen sind, so möchte ich doch umsomehr hervor-
heben, daß die internationale Entsatzarmee, welche damals
mit größter Schnelligkeit nach Peking aufbrach, um das
diplomatische Korps zu entsetzen, vor einer der schwierigsten
Aufgaben stand. Die Truppe verfügte über etwa 20 000 bis
25 000 Mann, während ringsumher über 100 000
chinesische Soldaten das Land erfüllten, Es war aus-
geschlossen, auch nur einen Teil dieser Soldaten, die durch-
weg Boxer wäre», im Rücken der kleinen Entsatzarmee zu
belassen. Die Bewachung und Niederhaltung hätte Tau-
sende von Soldaten erfordert. Diese aber konnten von
der Entsatzarmee nicht abgezweigt und znrückgelassen wer-
den, sonst wäre der Entsatz der Diplomaten in Peking zum
zweitenmale und dann voraussichtlich für immer gescheitert.
So war es eine militärische Notwendigkeit.welche die damali-
gen internationalen Truppenführer zwang, ein solches grau-
sames Radikalmittel zu ergreifen und auch alle diejenigen
Missionare, die ich seit meinem Eintreffen in Tientsin ge-
sprochen habe, haben kein Bedenken getragen, mir zu er-
klären, daß sie an diesem Verfahren, so grausam es an
sich gewesen, im Interesse der Errettung der Fremden-
kolonie in Peking keinen Anstoß genommen hätten, und
daß sie der Ueberzeugung seien, daß die Chinesen nur durch
Furcht und Schrecken zur Unterwerfung und Wieder-
herstellung von Ruhe und Ordnung gebracht werden könnten.
Des weiteren führt der Berichterstatter aus, daß nach
Beendigung des eigentlichen Krieges sich ein bösartiges
Franktireurwesen breit mache, das natürlich scharf und
energisch als Räuberwesen bekämpft werde. Aber un-
nötige Grausamkeiten kämen nicht vor. So habe z. B.
der Kommandirende des Ostasiatischen Expeditionskorps,
Generalleutnant v. Lessel, schon vor Wochen kein Bedenken
getragen, sobald Meldungen über übereiltes Schießen
der Posten Vorlagen, strengen Befehl zu geben, daß- alle
Jnnenposten mit ungeladenem Gewehr stehen müssen.
Dieser Befehl habe schon jetzt die Zahl der Unglücksfälle
wesentlich vermindert und jedem übereilten Schießen gründ-
lich gesteuert.

Graf Bülows Programmrede im preußische»
Abgeordnetenhause.
Das preußische Abgeordnetenhaus hielt gestern,
Mittwoch, seine erste Sitzung ab. Es wählte den Abg.
v. Kröcher (cons.) zum Präsidenten wieder, ebenso wurden
wiedergewählt die Vizepräsidenten Dr. Frhr. v. Heerema»
und Dr. Krause (ntl.). Ministerpräs. Graf v. Bülow
stellte sich dem Hause als solcher vor. Er erklärte: Nach
seiner Gesamtauffassung betrachte er cs als vornehmste
Aufgabe der Regierung, in dem Kampfe der wirtschaft-
lichen Interessen die vorhandenen Gegensätze möglichst
zu versöhnen und auszugleichen (Lebhafter all-
seitiger Beifall) und diejenigen zu stützen, die sich aus
eigener Kraft nicht helfen könnten. Er werde festhalten an
der Ueberzeugung, daß, wenn ein Glied des sozialen
Körpers leide, alle anderen Glieder mitleiden und daß
namentlich, solange ein so wichtiges Glied wie die Land-
wirtschaft leide (lebhafter Beifall rechts), der Gesamt-
organismus sich nicht einer sicheren Gesundheit erfreue«
könne. (Stürmischer Beifall.) Er sei davon durchdrungen,
daß die großen Erwerbsstände gleichmäßigen An-
spruch haben auf den Schutz der Regierung und daß
unsere Landwirtschaft unbedingt einer kräftigen Unter-
stützung bedürfe. Der Ministerpräsident erklärt weiter, er
werde keine Tendenz begünstigen, die zur Entfremdung
zwischen Osten und Westen führen könnte. (Sehr
gut!) Zum Kanalprojekt übergehend erklärte Graf
Bülow, die direkte Verbindung des Rheins mit der Elbe
werde nicht nur der Industrie des Westens, sondern auch
der Landwirtschaft des Ostens Nutzen bringen. Das sei
seine wohlerwogene Ueberzeugung. (Beifall links.) Die
Verbindung würde den landwirtschaftlichen Produkten des
Ostens den reichen Westen erschließen und dem Osten die
Möglichkeit gewähren, mit seinen Produkten bei den un-
verhältnismäßig billigen Verfrachtungsgebühren und unter
gesichertem Zollschutz nach außen, für den wir sorgen
müssen (Beifall), für den wir sorgen werden (lebhafter
Beifall rechts), mit dem Westen zu konkurrieren. Die
Slaatsregierung hoffe um so mehr auf die Zustimmung
des Hauses zu der Vorlage, als eine verständige Rücksicht-
nahme auf die Finanzlage und die Steuerkraft des Landes
gewährt werden soll. Ich kann, erklärt Graf Bülow, als
Ministerpräsident die Pflicht, Preußen wirtschaftlich und
politisch auf der Höhe seiner ruhmvollen Geschichte zu er-
halten, nur mit Ihrer vertrauensvollen Unterstützung er-
füllen; ich bin gewiß, daß diese mir nicht fehlen wird.
(Beifall rechts.)
Finanzminister Dr. v. Miguel legte dann den Etat
vor. Aus seinen Darlegungen ergibt sich, daß das Jahr
1899 mit einem Ueberschuß von 87 Millionen abgeschlossen
hat und daß der Ueberschuß des laufenden Jahres
85 Millionen betragen werde.

Vom junge» Großherzog von Weimar.
Von dem jungen Großherzog Wilhelm Ernst ist bis-
her, nach der „Franks. Ztg.", nur bekannt, daß er bei
Wahrnehmung seiner Repräsentationspflichlen ein befangenes,
wortkarges Auftreten zeigte, innerhalb des Weimarer

Kleine Zeitung.
— Metz, 9. Jan. Heute Nachmittag um 3 Uhr 10
Minuten ist der Schnellzug von Coblenz über den
Prellbock gefahren und in den Wartesaal dritter
Klasse eingedrungen. Der Unfall dürfte infolge
Versagens der Bremse geschehen sein. Der Lokomotivführer
gab bereits vor der Einfahrt in den Bahnhof verzweifelte
Notsignale, sodaß die Aufmerksamkeit der Reisenden im
Wartesaal dritter Klasse erregt wurde und diese sich recht-
zeitig flüchten konnten. Die Lokomotive steht ihrer ganze
Länge nach im Wartesaal hart am Buffet. Verletzt wurde
der Postassistent Rösner am Kopf und Fuß durch herab-
fallenöes Gestein; leicht verletzt ist ein Italiener am Kopf
und an der linken Hand. Die Behörde war sofort zur
Stelle. Die Aufräumungsarbeiten sind im Gange. Der
Materialschaden ist erheblich. Der Waltsaal ist zum großen
Teile verwüstet. Der Unfall hat hier große Aufregung
hervorgerufen.
— Königsberg, 6. Jan. Ein geheimnisvoller
Vorgang — so schreibt die „Königsb. Hart. Ztg." —
beschäftigte heule abend Polizei und Feuerwehr. Während
des gestrigen Tages vernahm man im Hause Hintcrtrag-
hcim 52 ä Stöhnen und Wehklagen, das aber bald nach-
iieß und daher nicht sehr beachtet wurde. Heute jedoch
wiederholte sich das Geräusch, und zwar schien es aus
einer Wohnung des zweiten Stocks zu kommen, deren Be-
wohner seit einigen Tagen verreist sind. Der Vicewirt ließ
die Thüren erbrechen. Bei der Durchsuchung der Woh-
nung nun hörte man deutlich aus dem Ausguß- )

rohre eine menschliche Stimme, mit der man
schließlich zu einer regelrechten Verständigung kam. So-
viel bei diesem, später noch lange Zeit hindurch fortgesetz-
ten Zwiegespräch ermittelt ist, soll es sich um einen etwa
17jährigen Arbeitsburschen namens Sch meerbach han-
deln, der gestern früh von anderen Jungen (er sagte ein-
mal: Bäckerjungen) „durch ein Loch in den Kanal ge-
worfen" sein will, und zwar soll die That in einem
Hause des Nachligallensteig passiert sein. Die Stimme
des Jungen ist im ganzen Hause, sogar in einigen Nach-
barhäusern, deutlich aus den Ausgußröhien zu hören, aber
man weiß absolut nicht, wo sich der Verunglückte befindet,
ja nicht einmal, ob er in einem Kanalisations- oder in
einem Wasserleitungsrohr oder in irgend einem Schachte
eingeschlossen ist. Er selbst erzählt, zuletzt mit immer
schwächer werdender Stimme, er liege im Wasser und sei
dem Erfrieren und dem Verhungern nahe. Gegen 9 Uhr
abends wurde die Feuerwehr zu Hilfe gerufen, die bis
12 ^ Uhr nachts unter persönlicher Leitung des Brand-
direktors Bruhns und unter Hinzuziehung mehrerer In-
genieure und Kanaltechniker angestrengt arbeitete. Es
wurden alle benachbarten Kanalisationsschachte und Brunnen
geöffnet und untersucht, ohne jeden Erfolg. In der Abend-
ausgabe berichtet das Blatt weiter: Der Vorgang ist noch
immer nicht aufgeklärt. Seit heute früh beschäftigt sich die
Kriminalpolizei eingehend mit dem Vorfall. Daneben
werden von Beamten der Feuerwehr und des städtischen
Tiefbauamtes die technischen Untersuchungen fortgesetzt. In
der ganzen Nachbarschaft sind die Kanaldeckel geöffnet und
werden die verschiedenen Schachte und Rohrleitungen, so-

weit sie überhaupt für Menschen zugänglich sind, abgeleuch-
tet, alles mit negativem Resultat. Die Stimme des an-
geblich Verunglückten hat sich in der verwichenen Nacht
gegen 2 Uhr und heute vormittag 9 Uhr nochmals gemel-
det, irgendwelche Verständigung war jedoch nicht mehr
möglich, vielmehr nur Stöhnen und Hilferufe ver-
nehmbar. Gestern abend hat der angebliche Schmeerbach
seine Wohnung und zwar Sackheim 50 oder 55 angegeben,
ferner erklärt, daß er keine Eltern mehr habe; doch sind
auch die dahin gerichteten polizeilichen Nachforschungen ab-
solut ergebnislos geblieben. Die Stimme soll zwar in den
Wohnungen des ersten, zweiten und dritten Stockes des
genannten Hauses, ebenso auch in den einzelnen daran an-
grenzenden Wohnungen des Hauses 52s, ja selbst vom
Hofe der Häuser 52ä und 52o vernommen worden sein,
dagegen ist im Keller und im Dachgeschoß der Häuser
nichts zu hören.
— Ein eigenartiger Zwischenfall ereignete sich die'er
Tage auf dem Standesamt zu Königsberg bei der
Trauung eines jungen Ehepaares. Während der Standes-
beamte die ernste Handlung vornahm, zersprang wahr-
scheinlich infolge der starken Kälte das Glas des Bildes
der Kaiserin Augusta Viktoria, das als Schmuck im
Trauungszimmer hing, in tausend Stücke und übersäte das
junge Paar und die Trauzeugen mit zahlreichen Glas-
splittern. Der Trauungsakt mußte auf einige Zeit unter-
brochen werden. Nach Wiederaufnahme der Handlung be-
tonte der Standesbeamte in seiner Ansprache an das junge
Paar und die Trauzeugen, daß Glassplitter am Hoch-
zeitstage nur Glück für die Ehe bedeuten.
 
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