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Heidelberger Zeitung (43) — 1901 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Nr. 126 - 149 (1. Juni 1901 - 29. Juni 1901)
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Freitag, 7. Juni MI.

Zweites Blatt.

43. Jahrgang. — Ir. 130.



Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's HauS gebracht, bei der Expeditton und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg Durch die Post be-
zogen vierteljährlich 1.35 M. ausschließlich Zustellgebühr.
lnzeigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Für hiesige Geschäfts- und Prtvatanzeigen ermäßigt. - Anschlag der Inserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeltuua
und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschlnß Nr. 82.

Der Abschied des Grafen Waldersee.
Graf Waldcrske ist auf dem Wege nach Japan
in T ie u t s i u angelangt. Nach mehr als sieben-
monatlichem Verweilen im Kaiferpalaste zu Pdiing
hat für den Feldmarschatt die Stunde der Rückkehr in
die Heimat geschlagen. Den Gefühlen, die ihn in die-
sem Augenblick beseelen, hat er auf einer Festlichkeit
Ausdruck gegeben, deren Veranlassung und Verlauf dem
„Tag" in einem Telegramm wie folgt geschildert
werden:
Peking, 2. Juni. Feldmarschall Gras Walder-
see gab gestern Abend im Kaiserpalast ein Ab-
schied s d i n e r zu Ehren des deutschen Gesandten
Dr. Mumm von Schwartzenstein. Den ersten Toast
brachte der Feldmarschalt auf Kaiser Wilhelm und die
Souveräne der verbündeten Mächte aus. In seiner
Rede dankte er Dr. von Mumm für den unermüdlichen
Eifer, mit dem er ihn stets unterstützt habe und be-
tonte ausdrücklich ,daß ihre beiderseitigen Beziehungen,
sowohl die persönlichen, wie die amtlichen, nie auch
nur einen Augenblick getrübt gewesen wären. Der
Feldmarschall schloß mit dem Wunsche, daß Deutsch-
land in ähnlichen kritischen Lagen stets ebenso ausge-
zeichnet diplomatisch vertreten sein möchte, wie jetzt
in Peking. Hierauf rief Graf Waldersee den Major
Förster zu sich und gratulierte ihm zu dessen gro-
ßer und freudiger Ueberraschung zur Verleihung des
Ordens pour le mürite. In seiner Erwiderungs-
ansprache pries Dr. von Mumm den Oberkom-
mandierenden als Soldaten sowohl wie als Diploma-
ten und gedachte auch des tragischen Todes der Ge-
nerale Jork und Schwarzhoff. Später toastete
General Gayl auf die verbündeten Generale. Ge
neral von Trotha dankte dein Feldmarschall
namens des deutschen Expeditionskorps, dessen Of-
sizierkorps beschlossen habe, den 17. Oktober eines
jeden Jahres als Jahrestag der Ankunft Waldersees
in Peking festlich zu begehen. Graf Waldersee reist
morgen früh nach Japan ab und kehrt Ende des Mo-
nats an Bord der „Batavia" über Ostafrika nach
Deutschland zurück.
Die chinesischen Gouverneure beraten mit den euro-
päischen Verwaltungsorganen wegen der Uebergabe der
Verwaltung Pekings. Sie drücken den Wunsch aus,
fremde Soldaten als Polizeitruppen in Peking zu be-
halten, bis die chinesischen Truppen in die Stadt ein-
rücken.
Aus Peking wird weiter gemeldet, Graf Waldersee
läßt in Peking neun Skelettbataillone von
je 300 Mann zurück. Dieselben bilden fast die gleiche
Zahl, wie die der verbliebenen englischen Truppen.
Die Franzosen räumen Tschili, die Japaner reduzieren
ihre Truppen um 9000 und die Engländer um 3000
Mann. Ein englisches Regiment ist abmarschiert, der
Rest verbleibt bis zum Juli. Die chinesischen Behörden
wählten einen Platz und stellten die Pläne fest, für ein
chinesisches Denkmal für den ermordeten Frhrn. v. Kett-
ler, alle Details sollen Deutschland zur Billigung vor-
gelgt werden. Die chinesischen Inschriften werden von
einem früheren Mitglied des Tsungliyamen aufgesetzt.
Von seiten der chinesischen Gesandtschaft in London
wird erklärt, Kaiser Kwangsü werde nächstes Jahr Eu-
ropa besuchen.

Deutsches Reich.
— Wie auf dem Krefelder Kongreß der christlichen
Gewerkschaften die Frage der neutralen Gewerkschaften
erneut zur Erörterung gestellt wurde, so hat auch auf
dein zu Speper versammelten Kongreß der evangelischen
Arbeitervereine die Stellungnahme zu den Gewerk-
s ch a st en einen Hauptpunkt der Verhandlung gebildet.
Dabei ist es dort zu einer vollkommenen Spaltung
zwischen der sogenannten Bochumer, der Sozialdemokra-
tie feindlichen Richtung auf der einen, und der unter
nationalsozialer Führung (des Pastors a. D. Nau-
mann) der Verbrüderung mit den Sozialdemokraten zu-
lirebenden Richtung auf der anderen Seite gekommen.
Es wurde über die Stellung der evangelischen Arbeiter-
vereine zu den Gewerkschaften verhandelt. Der Haupt-
referent wandte sich vor allem, gegen eine Anlehnung an
sozialdemokratische Gewerkschaften. Wer von den Mit-
gliedern sich noch einer weiteren Organisation anschließen
wolle, möge das thun, doch müsse dabei zur Bedinguug
gemacht werden, daß eine Organisation gewählt werde,
deren Grundsätze mit den Prinzipien der königstreuen
evangelischen Arbeitervereine harmonieren. In diesem
Sinne war auch die von dem Redner vorgeschlagene Re-
solution gehalten. Einen entgegengesetzten Standpunkt
vertrat der Korreferent Vereinssekretär Franz Behrens-
Berlin. Er erachtete den Anschluß an gewerkschaftliche
Organisationen für unbedingt notwendig und empfahl
eine entsprechende Resolution, Diese zweite Resolution
wurde mit einigen Aenderungen angenommen. Dies
und noch ein anderer persönlicher Streitfall führte die
Spaltung herbei.DieVertreter derBochumerRichtung ver-
ließen demonstrativ den Saal, womit der Bruch einge-
treteu ist. Der Gesamtverband der evangelischen Ar-
beitervereine verliert nach dein „Ruck nach links", den
er in Speher im Sinne Naumanns vollzogen hat, etwa
30 000 und behält 40 000 Mitglieder._
Kleine Zeitung.
— Hochschulnachrichten. Für die Universität
Berlin ist vom Kultusminister eine neue Honorar-
Stundungsordnung erlassen worden. Durch dieselbe
soll die Lage der Honorarschuldner wesentlich günsti-
ger gestaltet werden.
— Ans Wiirzburg, 31. Mai schreibt man: Nach
der heute zu Ende gegangenen Einschreibung an der hie-
sigen Universität beträgt die Frequenz im Sommerse-
mester 1108, 66 weniger als im Wintersemester. Dazu
kommen noch 18 Hörer und 28 Hörerinnen. Das Minus
entfällt wieder auf die Mediziner, die gegen das Win-
tersemester einen Ausfall von 64 aufweisen.
— Christiania, 3. Juni. Ueber das Befinden
Ibsen's äußerte sich der behandelnde Arzt auf Be-
fragen, daß die Besserung beständig fortschreite.
— 73. Versammlung der Deutschen Naturforscher
und Aerztc. Die Vorarbeiten zu der vom 22. bis 28.
September dieses Jahres in Hamburg tagenden Natur-
forscherversammlung schreiten rüstig vorwärts. Die
vorläufige Tagesordnung für die Versammlung ist be-
reits festgesetzt. Am Sonntag, den 22. September, hyt
der Allgemeine Alster-Klub sich bereit erklärt, einen
Blumen-Korso zu Ehren der Versammlung abzuhalten.
Abends 8 Uhr findet dann die erste Begrüßung der be-
reits erschienenen Gäste im Konzerthaus Hamburg (St.

Pauli) statt, wo auch die allgemeinen Sitzungen und eine
Anzahl der Abteilungs-Sitzungen abgehalten werden.
Am Montag Morgen 10 Uhr findet im großen Saale
des Konzerthauses Hamburg die feierliche Eröffnung
der Versammlung durch den 1. Geschäftsführer statt,
woran sich sofort die 1. Allgemeine Sitzung anschließt,
in der mehrere wissenschaftliche Vorträge von mehr all-
gemeiner Bedeutung aus dem Gebiet der Naturwissen
schaft und Medizin gehalten werden. — Nachmittags 2
Uhr beginnen die Abteilungs-Sitzungen. Der Dienstag
wird ausschließlich durch Abteilungs-Sitzungen ausge-
füllt werden. — Am Mittwoch findet eine Gesamtsitzung
beider Hauptgruppen statt, in der die neuere Entwicke-
lung der Atomistik, eins der interessantesten naturwissen-
schaftlichen Probleme, behandelt werden soll. Ebenso
werden am Donnerstag zwei ähnliche Gesamtsitzungen
stattfinden, in denen die Schutzstoffe des Blutes bei der
medizinischen, der gegenwärtige Stand der Descedenz-
lehre bei der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe zur
Diskussion stehen. Am Freitag findet die zweite allge-
meine Sitzung und der offizielle Schluß der Versamm-
lung statt. Die Abende sollen der Erholung und dem
Vergnügen nach der vielfachen Arbeit des Tages ge-
weiht sein. Am Montag Abend öffnet der Zoologische
Garten bei festlicher Beleuchtung allen Mitgliedern und
Teilnehmern der Versammlung seine Pforten unent-
geltlich. Am Dienstag Abend ist Empfang in den Fest-
räumen des Rathauses durch den Senat. — Am Mitt-
woch Abend 7 Uhr findet ein Festessen im Zoologischen
Garten statt. Am Donnerstag Abend ist Konzert und
Ball im Sagebiel'schen Etablissement, am Freitag Abend
die Abschiedsfeier in Konzerthaus Hamburg.
— Alpines. Im vergangenen Jahre haben sich die
Unfälle in den Alpen erheblich gesteigert. Während im
Jahre 1899 ein Verlust von 63 Menschenleben zu be-
klagen war, stieg die Zahl der Verunglückten im vorigen
Jahre auf 79. Hierbei darf jedoch nicht vergessen wer-
den, daß die Touristenzahl auch letztes Jahr bedeutend
gewachsen ist.

Verantwortlich für den politischen und allgemeine» Teil F. «ontna.
für Vereinsangelegenheiten, Geschäftliches, Reklamen und Inserat,
_ F. E. Stück«, beide in Heidelberg._

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Ile Ilmneu- u. L«rren-tt»rck«robo, Llüdel- n. HestorMvusst«!«
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Rasobs Icksksruug. — Lilligs krsiso.
LnsrllLllllt tackollosö Xuskübrunx. .

aus einem anderen Grunde, die Äehnlichkeit mit seinem Sohne
hatte ihn dazu getrieben. War's nicht möglich, daß Reinhold
doch der Sohn seines Friedrich sei? Aber nein, nein, die
Äehnlichkeit war gewiß nur ein Spiel der Natur. Hatte doch
Reinhold selbst gesagt, daß er seine Jugend am Rhein ver-
lebt habe und seine Eltern beide tot seien; während Friedrich
von Hamburg aus nach Amerika gegangen war. Daher ließ
er seiner Zeit den Gedanken wieder fallen. Aber jetzt wollte
er Faber doch einmal über seine Familie fragen. Vielleicht
böte sich ihm heute noch Gelegenheit dazu.
Und in der That fand sich bei Tisch diese Gelegenheit.
In geschickter Weise wußte der Kommerzienrat das Gespräch
auf Reinholds persönliche Verhältnisse zu bringen, um dann
direkt auf sein Ziel loszugehen.
„Sie sagten seiner Zeit einmal, Sie seien am Rhein
erzogen und hätten Ihren Vater schon sehr frühe verloren.
Verzeihen Sie mir die Frage, wohnte Ihr Vater dort, oder
sind Sie erst mit der Mutter nach seinem Tode dorthin ge-
zogen?"
„Mein Vater war Kaufmann," antwortete Reinhold, „und
wir wohnten in Amerika, erst nach seinem Tode siedelte meine
Mutter nach Deutschland über und zwar hauptsächlich aus
dem Grunde, um mir eine gute Erziehung zu verschaffen.
Mein Vater entstammte einer deutschen Familie, die Eltern
müssen aber auch Wohl frühe gestorben sein, wenigstens habe
ich sie nie gesehen. Gleich bei Beginn des großen Krieges
zwischen de»' Nord- und Südstaaten fiel mein Vater und meine
Mutter zog wieder nach Deutschland. Freilich hatte sie hier
keine näheren Verwandten, denn sie war früh eine Waise
geworden. So lebten wir denn still und einsam, der jähe
Tod meines Vaters hatte ihr Leben an der Wurzel zerstört.
Vor vier Jahren starb sic."
„Wo Ihre Großeltern väterlicherseits wohnten, wissen
Sie nicht?" fragte gespannt der Kommerzienrat.
(Fortsetzung folgt.)

12>

Schwer geprüft.
Roman von Georg Gertz.
(Fortsetzung.)

Gegen elf Uhr wurde gespeist. Wegen des etwas be-
schränkten Raumes fand keine feste Tafel statt, sondern in
einem Nebenzimmer war das Buffet aufgestellt und nach
Neigung oder Zufall setzten sich die Gäste an kleinen Tische»
zusammen, um sich an den ausgesuchten Speisen und treff-
lichen Weinen zu erfrischen.
Reinhold durfte Martha zu Tisch führen. Sie suchten
sich ein ziemlich einsam stehendes Tischchen , aus und ließen
sich nieder.
Aber Martha vergaß in ihrer Freude auch den Onkel
nicht, sondern eilte noch einmal hinweg, um ihn, wenn er
noch nicht anderswo Platz genommen habe, an ihren Tisch
zu bitte». Sie traf ihn in der Thüre des Nebenzimmers
stehend, von wo aus er alle Räume überblicken konnte und
nun als sorgloser Gastgeber zusah, ob die Diener es auch
nirgends an etwas fehlen liehen.
„Nun, Onkelchen, denke auch an Dich selbst," sagte sie,
von hinten leise an ihn herantretend und ihre Hand auf seinen
Arm legend, „und wenn Du mir einen Gefallen thun willst,
so kommst Du mit an den Tisch an dem Leutnant Faber
und ich Platz genommen haben und schenkst auch uns ein
Weilchen Deine Gesellschaft."
„Den Wunsch will ich Dir gerne erfüllen, mein Kmd,
Du weist ja wie lieb ich Dich habe. Wie gefällt Dir heute die
Gesellschaft, bist Du recht vergnügt und hast Freude am Tanz,
mein Herzblättchen?"
„Ach, Onkelchen, ich bin so glücklich heute, daß ich es Dir
gar nicht sagen kann," antwortete sie erglühend und sah zärt-
lich zu ihm auf. „Doch nun komm, Leutnant Faber möchte
sonst die Zeit des Wartens lang werden." Damit zog sie ihn
mit sich fort und bald sahen die drei fröhlich beisammen.
Marth« wählte für den Onkel seine Leckerbissen aus und

Reinhold kredenzte ihm den alten Bordeauxwein, von dem'der
alte Herr scherzend zu sagen pflegte:
Rotwein ist für alte Knaben
Eine von den besten Gabelt.
Reinholds Nähe übte stets auf den Kommerzienrat einen
ganz besondereil Einfluß aus. War es die Äehnlichkeit mit
seinem verschollenen Sohne, war cs >das offene, herzge-
winnende Wesen Reinholds. das ihm so sympathisch berührte?
Cr wußte es selbst nicht und konnte sich keine Rechenschaft
darüber geben, genug, in Reinholds Nähe fühlte er sich so
leicht, so froh so glücklich. Es war ihm auch nicht ent-
gangen, daß Martha eilt ähnliches Gefühl beherrschte lind es
war wohl schon einmal der Gedanke in ihm aufgestiegen, ob
dieser junge Mann nicht am Ende seinen Lieblingsplan,
Martha als Hermanns Frau zu sehen, durchkreuze» könnte.
Er konnte es nicht verhehlen, daß auch ihm Reinhold weit
sympathischer war, als Hermann lind er hatte sich gefragt,
ob Martha mit ihm nicht viel glücklicher werden würde, als
mit Hermann. Auch heute, als er das schmucke Paar hatte
durch deii Saal schweben sehen, war ihm dieser Gedanke
wieder in den Sinn gekommen. Wie, wenn Faber eines Tages
vor ihn hinträte und um Marthas Hand bäte? Durfte er
ihn abweisen? Weshalb? Hatte er einen triftigen Grund
dazu? Und wenn Martha ihn liebte, hatte er überhaupt ein
Recht dazu? Nur um seine einmal gefaßte Idee durchzu-
setzen, wollte er ihr Glück zerstören? Nein, nein, so selbst-
süchtig war er nicht mehr, sein Herz war mit den Jahren
weicher geworden in dem Schmerz um deii eigenen Sohn,
den er nur aus demselben Grund verloren hatte. Reinhold
war allgemein als ein tüchtiger, strebsamer Offizier bekannt
und soweit er bisher seinen Charakter kenne» gelernt, ein
durch und durch braver Mann. Rur von seiner Familie
wußte er so gut wie garnichts. Daß er einer guten, ehren-
werten Familie angehören mußte, war sicher, da er ja preußi-
scher Offizier war. Außerdem konnte er ihn ja gelegentlich
einmal nach seiner Familie fragen. Schon gleich im Anfänge
ihrer Bekanntschaft hatte er dies thun wollen, freilich damals
 
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