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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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Einige Kaufleute, sowie zwei Frauen, die an dem Zuge
teilnahmen, werden vermißt und sind jedenfalls entführt
worden.

8 Paris, 6. Sept. Tem B i s ch o f A n d r i e n x
von Marseille, der sich gegen die französtsche Re-
gierung wandte, wurde wegen der Kundgebung in der
L?athedrale anläßlich der Anwesenheit des Bischofs Türi-
naz das Gehalt gesperrt.

Zum Streik bei Lanz.

Der Ausstand in der Lanzschen Maschinenfabrik
und seine Beilegung durch die Vermittlung des Fabrikinspek-
tors Ober-Reg.-Rat Bittmann geht in seiner Bedeutung
über den Einzelfall hinaus. Die sozialdemokratische Presse
hat eine Flut von Angriffen gegen den Fabrikinspektor ge-
richtct. Daß dieser aber weit davon entfernt ivar, sich cinsei-
tig auf den Standpunkt des Unternehmers zu stellen, vielmehr
durch seine eingehende Belehrung über die zweifellosen Fehler
der Arbeiterschaft dieser für die Zukunft zu nützen suchte, das
beweist das Schrerben, das er am 26. August an die
Zentralstreik - Kommission gerichtet hat. Das-
selbe ist so lchrreich, daß wir es in nachfolgendem im Wort-
laut zum Abdruck bringen.

„Jn der Anlage überscnde ich cine meinen Prüfungsbe-
fund enthaltende Erklarung sowie eine Erklärung der Firma
Heinrich Lanz. Zugleich halte ich es für meine Pflicht, Jhncn
meine Auffassung über den Ausstand hier nochmals zusam-
menfassend zu wiederholen.

Es sind bei dem Ausstande schwere Fehler von Sei-
tcn der Arbeiter begangen worden. Zunächst unterliegt
es keinem Zweifel, daß die Schmiedearbeiter der Fabrik Lin-
denhof am 17. Juli die Arbeit höchst voreilig, um nicht zu
sagen leichtfertig, niederlegten. Auf das Ausbleiben einer
mündlich erbetenen und mündlich erwarteten Nachricht hin Le-
gehen besonnene Männer eine so folgenschwere Handlung nicht.
Es wäre ein Leichtes gewesen, sich durch eine Anfrage zu ver-
gewissern und das Mihvcrständnis, welchcs das Ausbleibcn dcr
Antwort nach sich zog, wäre sofort als solches erkannt wordcn.
Sodann crgab sich aus deni Schreibcn der Direktion vom 18.
Juli ohne weiteres, daß sich die Schmiede geirrt hatten, als sie
in dem Ausbleiben der Aniwort eine sie kränkende Unfreund-
lichkeit des Herrn Lanz erblickten. Wenn ein besonnener und
rechtlich denkender Mensch infolge eines Mißverständnisses
eine Handlung begangen hat, deren Beranlassung durch Auf-
klärung des Mißverständnisses sich als eine nichtige erweist, so
macht er die Handlung ungeschehen, sofern ihm hierzu Gele-
genheit geboten wird. Diese Gelegenheit wurde den Schmiedcn
durch das Schreiben des Herrn Lanz vom 20. Juli und die
darauf folgende Unterredung geboten, von den Schmieden aber
nicht benützt. Soüann wurde den Schmieden zum dritten
Mal Gelegenheit zu einer Rückkehr zur Arbeit gebotcn durch
den Ausfall des Protokolls vom 31. Juli. Statt dessen ver- l
weigerten sie dem in diefem Protokoll niedergelegten Befunde
ihre Anerkennung.

Die Fiinfmänner-Kommission, welche das Protokoll geneh- I
migt und unterzeichnet hatte, war von der gesamten
Lanzschen Arbeiterschaft gewählt. Es mußtc an-
genommen werden, daß diese auserlesencn Vertrauensper-
sonen die von der Arbeiterschaft bei ihnen vorausgesetzten
Eigcnschaften der Charakterstärke, Jntelligenz, Nedlichkeit und
Sachkenntnis auch sich selber zutrauten, als sie in jedem ihnen
vorgelegten Einzelfall ohne Zuziehung anderer Personen zu
einem abschließenden Urteil gelangten. Es ist nicht üblich unü
gerecht und entspricht weder einem naiven noch einem hoch-
kultiviertcn Rechtsbcwußtscin, wenn das Ergebnis, zu wel-
chem Vertrauensmänner gelangt sind, von der eigenen Wäh-
lerschaft wegen ungenügender Zusammensetzung und mangeln-
der Sachkentnis der Gewählten als hinfüllig bczeichnet wird.
Die allgemeinere Einführung einer solchen Gepflogenheit
würde für die Arbeiterschaft selbst höchst verhängnisvoll wer-
den, da sie,die Gefahr mit sich brächte, daß einerseits tüchtige
und ehrenwerte Arbeitcr die Uebernahme derartiger Mandate
künftighin vcrweigcrn müßien, andererseits bei dcn Arbcit-
gcbern die berechtigte Gepflogenheit entstchen würde, Vcr-
handlungen und Abmachungcn mit Arbeiterkommissionen
glattwcg abzulchncn.

Demgemäß kann auch der Firma Lanz aus ihrer Weige-
rung, in der am 1. August beantragten Wcise eine crncute
Revision der Lohnbücher unter Zuziehung zweier ausständiger
Schmiede zuzulassen, ein Vorwurf nicht gemacht werden.
Ein solchcr Vorwurf erscheint mir auch aus einem anderen
Grunde nicht zulässig. Es ist mir aus dem Kreise der Zen-
tralkommission mitgcteilt worden, daß die Weigerung der Fir-
ma Lanz, ausständige Schmiede zur Verhandlung zu ziehen,
aus einer statutarisch bindendcn Bestimmung des Fabrikantcn-
verbandes entspringe. Wenn dies der Fall ist, fo haben die
Schmiede mit ihrer Forderung an Herrn Lanz die Zumutung
gestellt, sich seinem Kreise gegenüber derjenigen Solidarität
zu entschlagcn, welchc die Arbeiter in ihre m Krcise hochzu-
haltcn als ein erstes Gebot der Ehrenhaftigkeit erkennen. Die-
ses Messen mit zweierlei Maß ist unlogisch und unbillig. So
hat sich die Arbeiterschaft auch über die Herauszabe der soge-
I nannten „s ch w a r z e n L i st e" beschwert gefühlt, während
zugleich die Veröffentlichung einer Liste der Arbeitswilligen
^ in Aussicht gestellt wurde. Hierin liegt, gleichgiltig, ob diese

Liste veröffentlicht worden ist oder nicht, ein unlösbarer Wi-
derspruch. Wer einen Maßstab der Sittlichkeit aufstellen will,.
muß ihn zuerst an sich sclber anlegen.

So sind von Seiten der Arbeiter mancherlei Fehler ge-
macht worden, die auf den Verlauf und die Ergebnisse des
Ausstandes ungünstig einwirken mußtcn, zugleich aber — unö
dies ist das wichtigere — die allgemeinen Jnteres-
sen der Arbeiterschaft sehr schwer schädig-
t e n. So üedauerlich es auch ist, daß — wie meine Erklärung
zu erkennen zibt — zweifellos einzelne Beschwerden von
Schmieden wider besseres Wissen erhoben worden sind, so hat
dieser Umstand insofern auch sein Gutes, als er allcn denen,
Lie auf Treue und Glauben die Beschwerden in ihrer Gesamt-
hcit zu verfechten für ihre Pflicht hielten, eine Erklärung gibt
für den in Hinsicht auf die Hartnäckigkeit der Beschwerüen
überraschend erscheinenden Ausfall des objektiven Befundes.
Zugleich weist dieser Tatbestand aber auch auf die Not-
wendigkeit hin, in künftigen Fällen eine ein-
gehendste und gewissenhafteste Sichtung und
Prüfung bon Beschwerden vorzunehmen, ehej ein
Stein ins Rollen gebracht wird, der zur Lawine anschwellen
kann. Wird künftighin an dem Grundsatz der Besonnenheit
und Vorsicht festgehalten, so werden alle aus ehrenwertem
Solidaritätsgefühl der Arbeiter hervorgehenden, auf Hebung
der Lebensverhältnisse abzielenden gemeinsamcn Schritte der
Arbeiterschaft eine erhöhte innere Kraft erlangen und nach
außenhin eine größere Bedeutung gewinnen."

Aus Stadt rmd Land.

Karlsruhe, 6. Sept. (Der Karlsruher Fcuer-
bestattungsverein) zählt jetzt 328 Mitglieder. Er
nimmt unter den 76 Feuerbestattungsvereinen deutscher
Zunge die 18. Stelle ein. Die größte Mitgliederzahl weist
mit 2518 der Berliner Verein auf.

Theater- und Knnstttachrichten.

Großh. Bad. Hof- nnd National-Theater in Mannheim.

(Wochenspielplan.) Jm Hoftheater: Diens-
tag, 8. Sept., 7 Uhr: „Der Raub der Sabinerinnen". Mitt-
woch, 9. Sept., 6 Uhr: Festvorstellung zu Großherzogs Ge-
burtstag: „Tannhäuser". Donnerstag, 10. Sept., 7 Uhr: „Die-
lustigen Weiber". Hreitag, 11. Sept., 7 Uhr: „Monna
Vanna". Samstag, 12. Sept., 7 Uhr: Volksvorstellung Nr. 1:
„Jm Vorzimmer seiner Exzellenz", „Glück im Winkel".
Sonntag, 13. Sept., 5 Uhr: „Die Meistersinger". Jm neuen
Theater: Freitag, 11. Sept: 8 Uhr: „Das sütze Mädel".
Sonntag, 13. Sept., 148 Uhr, zum erstenmal: „Der Unter-
präfckt".

Großh. Hoftheater Darmstadt. (W o ch e n s p i e l p l a n.)
Dienstag, 8. Sept., 7 Uhr: „Der Hochtourist". Mittwoch,.
9. Sept., 7 Uhr: „Nacriß". Donnerstag, 10. Sept., 7 Uhr:
„Der Freischütz".

Frankfurter Schauspielhaus. (Wochen-Spielplan.)
Dienstag, 8. Sept., 7 Uhr: „Ein Lustspiel". Mittwoch, 9.
Sept., 7 Uhr: Zu Lco Tolstojs 75. Geburtstage „Die Macht
der Finsternis". Donncrstag, 10. Scpt., 7 Uhr: „Wilhelm
Tell". Freitag, 11. Sept., 7 Uhr: „Der Ta-lisman". Sams-
tag, 12. Sept., 7 Uhr: „Der Hochtourist". Sonntag, 13. Sept.,
3)4 Uhr: „Der blinde Passagier", 7 Uhr: „Der Hochtourist".
Montag, 14. Sept., 7 Uhr: Hamlet".

Frankfurter Opernhaus. (W o ch e n - S p i e l p l a n.)
Dienstag, 8. Sept., 7 Uhr: „Die beiden Schützen". Mittwoch,.
9. Sept., 6)4 Uhr, Wagnercyklus, 5. Abend: „Tristan und
Jsolde". Donnerstag, 10. Scpt., 7 Uhr: „Die Zauberflöte".
Freitag, 11. Sept., 148 Uhr: „Der Zigeunerbaron". Sams-
tag, 12. Sept., 6 Uhr, Wagnerchklus, 6. Abend: „Die Meistcr-
singer von Nürnberg". Sonntag, 13. Sept., 7 Uhr: „Vio-
letta". Montag, 14. Sept., 7 Uhr: „Die Fledermaus". Diens-
tag, 15. Sept., 7 Uhr, Wagnerchklus 7. Abend: „Der Ring:
des Nibelungen". Vorabend: „Das Rheingold".

Personalnachrichteri.

Aus dem Bcreiche deS Großh. Ministeriums der Justiz, deS
Kultus nnd Ilnterrichts.

Ernnnnt: Aktuar Wilh. Hofmann bcim Landgericht Walds-
hut zum etatmäßigen Aktuar beim Landgericht Freiburg,
Hilfsgerichtsvollzieher Wilh. Zollinger zum nichtetatmäßigen
Gerichtsvollzieher in Mannbeim.

Bestätigt: Kanzleigehilfe Benjamin Lubberger beim Nota-
riat I Offenburg.

Zugewiefen: Aktuar Alfred Herb beim Ministerium dem
Amtsgericht Ettenheim, Aktuar Eugen Müller bei der Staats-
anwaltschaft Mannheim dem Amtsgericht daselbst.

Versetzt: Aktuar Johann Dumont beim Landgericht Mos-
bach zum Landgericht Hcidelbcrg, Aktuar Karl Santo bcim
Amtsgericht Baden zum Amtsgericht Engen, Aktuar Maxi-
milian Stober beim Amtsgericht Karlsruhe zum Landgericht
Waldshut, Gerichtsvollzieher Johcmn Kehret in Pforzheim zum
Amtsgericht Baden.

Zur Ruhe gesetzt: Gerichtsvollzieher Philipp Rebholz Leim
Amtsgericht Baden seinem Ansuchen cntsprechend bis zur Wie-
derherstellung seiner Gesundheit.

Aus dem Bereiche des Großh. Ministeriums des Jnnern.

Nebertragen: dem Aktuar Emil Pfundstein, zur Zeit Ein-

gehende Fragebogen an die etwa 300 000 Mitglieder ver-
abfolgt werden. Es ist dringend zu wünschen, daß jeder
Privatangestellte (Handlungsgehilfe, Techniker, Werk-
meister, Landwirtschaftsbeamte, Lehrer an Privatanstalten
usw.) einen solchen Fragebogen ausfüllt. Erhältlich stnd
sie auch für Nichtmitglieder gegen Ende September von
den angeschlossenen Verbänden und dem Vorsitzenden des
Ausschusses, Th. vom Qrde, Bochum, Dorstener Straße 96.
Die Beantwortung der Fragebogen wird ohne Zweifel die
Notwendigkeit einer staatlichm Alters- und Witwen-
verst-cherung der Privatangestellten ergeben. Durch diese
vom Reichsamte des Jnnern vorgeschlagene und seit Früh-
jahr beschlosfene Befragung ist übrigens die jüngst vom
Deutschen Privatbeamtenversin gewünschte staatliche Er-
hebung, wie ihm bekannt, vorläufig erledigk.

— Die Wirt'ung in die Ferne geht bisweilen
erstaunlich weit. Als Luther im Jahre 1517. seine 95
Thesen gegen den Ablaß an die Tür der Wittenberger
Schloßkirche schlug, hat er sich schwerlich träumen lassen,
daß er damit dem deutschen Reichskanzler im
Jähre 1903 eine Verlegenheit bereiten würde. Trotzdem
ist es, wenn die „D. Ev. Korresp." recht berichtet ist, der
Fall gewesen. Nach der Darstellung dieser Quelle ist dem
bisherigen Leiter des preußischen historischen Fnsfituts in
Rom Professor Schulte, dur-ch den päpstlichen Archiv-
Leamten, Jesuitenpater Ehrle, ein Bündel Akten zum
Ablaßstreit vom Jahre 1617 zur Veröffentlichung vorge-
legt worden. Schulte, der als Katholik Bedenken trug,
die Veröffentlichung zu bewirken, habe dieserhalb beim
Reichskanzler angefragt und daraus den bezeichnen-
den Bescheid erhalten: „Jgno rieren!" Jn der
„Saale-Ztg." wivd- diese auffällige Mitteilung nach ver-
schiedenen Seiten ergänzt. Nachdem erzählt worden ist,
daß Professor Schulte bei seinen Forschnngsn über d'ie
Beziehungen der Fugger zur Knrie auf die Abrechnungen
über den päpstlichen Ablaß von 1517 gestoßen sei, heißt
es weiter:

„Professor Schulte ist überzeugter Katholik, aber auch ein
von wissenschaftlichem Wahrheitsdrang beseelter Gelehrter.
Für ihn konnte aber bei jener Entdeckung das Bedenken ent-
stehen, ob gerade er als Katholik und Direktor des auf ein
gutes Einvernehmen mit dem Vatikan angewiesenen preußi-
schen Jnstituts berufcn sei, diese Ablaßakten zu veröffentlichcn,
die sein Forschungsgebiet doch nur sehr mittelbar berührten.
Es kam hinzu, daß er wohl die Wichtigkeit der Akten, welche
nur Details längst bekannter Tatsachen enthalten, überschätzte.
Jn diesem Zweifel hat er allerdings die vorgesehte Behörde,
an dercn Spitze der Reichskanzler als prcußischer Ministerprä-
sident steht, angegangen, und diese hat, wohl von Schultes
übcrtriebener Bcdcnklichkcit angesteckt, soviel bekannt geworden
ist, entschieden, daß die Publikation der Forschungen (nicht
diese selbst) vorläufig unterbleiben solle. Daß eine solche
Aengstlichkeit dem Vatikcm gegenüber nicht am Platze war,
zeigte sich bald: der Jesuitenpater Ehrle, von Schulte selbst be-
fragt, wies jedes Bedenken gegen die Publikation jener Akten
weit ab und erklärte, daß nichts der römischen Kirchenleitung
ferner läge, als die dunklen Punkte ihrer Geschichte zu ver-
hüllen."

Wenn es sich wirklich so verhielt, wie diese Darstellung
bes-agt, so wäre also der deutsche Rei-chskcmzler im eigent-
lichen Wortsinne päpstlicher gewesen als der Papst. Wie
weit der Rücktritt Professor Schultes von der Leitung des
historischen Jnstituts in Rom mit d-iesem Ablaßhandel
zusammenhängt, ist nicht klar ersichtlich.

Ausland.

Schweiz.

Genf, 6. Sept. Der M a u r e r st r e i k, d-er seit
dem 19. Juli dauerte, etwa 3500 Arbeiter brotlos machte
und zu zahlreichen Verhaftungen und Ausweisungen An-
laß gab, kann alsbeendigt betrachtet werden. Jn der
heutigen Sitzung haben die Arbeiter die Vorschläge einer
Kommission der Meister angenommen, w-onach das Mini-
mum 64 Cent die Stunde anstatt 55 beträgt. Die Sitzung
wurde unter Gesang und Bkusik geschlossen.

Frankreich.

Paris, 6. Sept. Zu dem Ileberfall bei EI
Murgar erfährt das „Journal", daß der Convoy von
einer berittenen Kompagnie begleitet war. Der Kompag-
niesührer, serner ein Leutnant, mehrere Ilnteroffiziere
und Soldaten wurden getötet, mehrere wurden verwundet.

„O, ich wcrde achtsam sein"; klang es zurück. „Aber
glaubst du, daß alles gut gehen wird?" .

„Warum nicht? An mir soll's nicht liegen", lautete °8ie,
wie mich dünkte, ziemlich schroff klingende Antwort. Doch dem
Ohr der Dame mußte diese Schroffheit -wohl entgehen, denn
sie sagte mit einer Wärme, die mich seltsam berührte: „Wie
gut du bist! Sotch' ein Trost für mich!"

Ehe ich noch cin weitercs Wort vernahm, trat der Diener
wieder ein. Er hatte meine Karte in der Hand.

„Herr Benson wünscht den Zwcck Jhrer Angelegenheit zu
wissen", sagte er so laut, daß ich fürchtete, man habe es im
Nebenzimmer gehört.

„Geben Sie die Karte her", entgegnete ich, schrieb die An-
merkung darauf: „Jm Auftrag des Polizeidieners" — ich
hatte erfahren, daß der Bruder des -Postmeisters dieses Amt
bekleidete — und gab sie dem Bedienten zurück. Er warf einen
Blick auf die geschricbenen Worte, stutzte sichtlich und sagte dann
rasch: „Kommen Sie lieber gleich mit!"

Mir war das sehr willkommen, denn es wäre mir unange-
nehm gewesen, hätten die Personen nebenan meine Anwesen-
heit entdcckt und mich für einen Lauscher gehalten. Jm Mo-
ment jedoch, als ich das Zimmer verlassen wollte, trat eine
junge Dame ein, die mich erst überrascht anschaute, sich dann
aber, mich ignorierend, an den Diener wandte. „Wer ist der
Herr, Jonas?" fragte sie. „Und -wo wollen Sie ihn hinfüh-
ren?"

„Er kommt in Geschäften, gnädiges Fräulein", erwiderte
der Mann respektvoll. „Herr Benson will ihn empfangen."

Ein Schatten huschte über ihr hübsches Gesicht.

„Jch dachte", rief sie mit leichten Stirnrunzeln aus, „mein
Vater habe befohlen, heute Niemand in sein Kabinett einzu-
lassen?"

Sie blieb nachdenklich stehen, und ich benutzte dies, mich
mit turzer Verbeugung zu entfernen, das heißt, dem Diener zu
folgen.

„Um eine so geringsügige Sachc, wie mein Besuch ist, wird

zu viel Wesens gemacht", argumentierte ich im Stillen. „Je-
dermann hier scheint bestrebt zu sein, dem alten Benson heute
jede Störung fernzühalten."

Es überraschte mich auch durchaus nicht, daß wir die Tür
zü dem Kabinett des Hausherrn verschlossen fanden. Nach
einem kurzen Antlopfen und einigen geflüsterten Worten von
seiten des Dieners wurde sie jedoch geöffnet und Herr Ben-
son stand vor mir. Mit begreiflicher Neugier musterte ich
den mir als Sonderling geschilderten Mann. Er war grotz
und kräftig gebaut, säh aber vor der Zeit gealtert aus. Sein
Gesicht, von stark ergrautem Haupt- und Barthaar umgeben,
hatte etwas sehr Charakteristisches, doch bemertte ich einen
Ausdruck von Melancholie in seinen Augen, der wohl mit dem
Geheimnis in seiner Familie zusammenhing.

„Sie sind vom Konstabler geschickt?" redete er mich an.
„Darf ich wissen, aus welchem Grund?"

„Mcin Hcrr", erwiderte ich, allen Mut aufrasfcnd, „man
spricht davon, daß Sie heute Abend eitten Maskenball geben.
Solch' eine Vercmstaltung ist für diese Gegend etwas Unge-
wohntes nnd erweckt begreiflicherweise viel Neugier bei den
Einwohnern des Ortes. Nun sollen einige junge Burschen ge-
äußert haben, sie würden das Gitter Jhres Gartens überklet-
tern und sich oas Fest mit oder ohne Jhre Erlaubnis ansehen.
Herr White, der Konstabler, läßt deshalb anfragen, ob Sie
vielleicht polizeiliche Unterstützung gegen etwaige Eindringlingc
wünschen; er wäre gern bereit, Jhnen in jeder Weise Bei-
stand zu leisten."

„Sehr freundlich von ihm", entgegnete Benson kühl, aber
trotz seiner Selbstbeherrschung sah ich ihm an, daß ihn meine
Mitteilung beunruhigte. „An diese Möglichkeit hatte ich nicht
gedacht", murmelte cr halblaut, indcm er ans Fenster trar.
„Ein Ucberfall von Rowdies und Lärmmachern wäre mir höchst
unerwünscht. Sie könnten sich am Ende gar ins Haus ein-
drängen."

Und sich zu mir wendend, fragte er kurz: „Wer sind Sie?"

Die Frage überraschte mich zwar, aber ich cmtwortete mit

grotzer Keckheit und ohne Zögern: „Herr White nimmt mich
manchmal zur Aushilfe. Sollten Sie also jemand benötigen,
so stände ich zu Jhrer Verfügung. Wenn Sie über meine Per-
son vorher Austunft wünschen, schreiben Sie —"

Er unterbrach mich mit einer Hcmdbewegung. „Glauben
Sie, daß es Jhnen möglich wäre, heute Abend jeden ungebete-
ncn Gast fernhalten?" fragtc cr mich scharf musternd.

„Jch würde mich nach Kräften bemühen", versicherte ich
ihm.

„Die Eingeladenen haben alle Karten", fuhr er fort, „allein
wcnn die Leutc über den Zaun tlettern, hört die Kontrolle auf."

„Jch will dafür sorgen, daß das Gitter bewacht wird", er-
bot ich mich eifrig. „Auch werde ich jeden Unbefugten zurück-
weisen, wenn —" hier hiclt ich unwillkürlich innc, denn in-
stinktiv fühlte ich, ich müsse vorsichtig sein und meine Worte
genau abwägen. „Wenn Sie es wünschen", fügte ich deshalb
hinzu, und wenn Sie mich ermachtigen, für Sie zu hcmdeln."

„Jch wünsche eS", lautete seine kurze Antwort. Er nahm
eine Karte von seinem Schreibtisch. „Hier ist ein Eintritts-
karte für den Garten. Handeln Sie, ohne Aufsehen zu erre-
gen, es soll jede Störung vermicden werden. Sehen Sie aber
jemand, der um das Haus herumschleicht, durch die Fenster
spioniert, oder gar durch eine Seitentür einzudringen sucht,
so verhaften Sie ihn, einerlei, wer es sei. Jch habe besondere
Gründe dafür, daß diese Anordnung genau befolgt wird",
schloß er, „und wenn alles zu meiner Zufriedenheit abläuft,
werde ich mich Jhnen gebührend erkcnntlich zeigen."

„Sic können auf mich zählcn," erwidcrte ich mit Beto-
nung, denn ich hatte einen Augenblick zuvor im Spiegel ge-
genüber das Gesicht des jungen Benson durch eine Portiere lu-
gen sehen. Alsdann entfcrnte ich mich mit höflicher Verbeu-
gung.

(Fortsetzung folgt.)
 
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