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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 1 (Januar 1925)
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Schwarz, Emil: Grundgedanken zum selbstschöpferischen Gestalten im Zeichen- und Kunstunterricht
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Müller, F. A.: Kunst und Uebung
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0012

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AuSbildung ber menschlichen Krüfte und Fühig.
jietlen mubte nalürltch elnsellige Mensche» hervor-
bringen. Kopf und Herz sind zwei menschliche
Gegenpole als Verstandes- und Gematskrüfte, die
Lcr harmontschen Ausbildung brdllrfen, denn erst „wo
Slarkes sich und Mildes paaren, da gibk es einen
gulen Klang."

Unserr bisherige einseitige Erziehung zllchtete
ürden. und Herdennieiischen, ader ketne Vollmenschen
und vernachlässigte das Werkvollste tm Menschen: die
Herzens- und Gemlllsbildung, dle Ausbildung sener
Krüfle, di« wir als die weiblichen bezelchneken und
von denen Goethe den Chorus mysticus am Schlusse
-rs II- TeilS seines Faust sagen lätzt:

,DaS Lwig-Weibliche zleht uns hinan.*

Kunstund Wissenschast slnid zwei gleich- und voll-
«erlige Menschheikserzieher» und es ist eine absolute

Wahrheit, dasz die ömpulle der Kunst stärlier auf dle
Deredelung eines Menscyen wirken als die Gesehc
der Morak

Es müszte deshalb der Zeichen- und Kunstunterricht
ebenso bewerket und eingeschützt werden wie der rein
wissenschaftliche, abgesehen davon, datz gerade der
Unterricht tn künstlerischen Dingen an die Arbeits.
kraft und die Weiterbildung des Zelchenlehrers mln-
destens dieselben Anforderungen stellt wie dsr rein
wissenschaftliche Unterricht an seine Lehrer.

Solange aber die Schulbehörden den Zetchenunler-
richl nicht als vvllwertiges Unterrichtsfach und wich-
tigen Erzlehungsfaktor betrachken, solange werden
wir nicht zu jenem ersehnten Äollinenscheiikum kom-
men, das uns aus dieser trostlosen Zeit der 3rrung
und Wirrung heraus- und hinaufhebcn kann zu
iener geistigen Höhe, auf die wir uns und unser
Bolk gestellt sehen möchten.

Kunst und Aebung

Don F. Müller, Kolberg.

Man sagi, >das Wort Kunst konnne von „Können"
und bas Könneir erlange man hauptsSchlich durch
Uebung. Ls fragt sich, ob die bildende Kunst von >di>e-
ser ailgemeinen Erfahrungsregel sine Äusnahme
macht. 3ch höre: Natürliche Anlage, „Talent", außer-
gewöhnliche Begabung, Benie, idas sind die geheim-
nisvollen Krüfte der Kunst, vor denen eure schul-
meisterliche Weisheit halt machen mutz. Gewitz, die
tiefsten Quellen der Kunst lassen sich nicht demon-
strieren wie ein mathematischsr Lehrsatz, ebensowenig
wie wir das Geheimnis des Lebens aufzudecken ver-
mögen. Und doch, ohne Uobung verkümmern die
besten Talente. Wie >die Organe des Körpers ver-
liümmerii, wenn sie nicht gebrauchk werden, und zu
cudimentären Bebillden herabsinken, wenn ihr Nicht-
>ebrauch durch viele Generationen forkgeseht wird,
o auch die seekischen Anlagen und KrSfte. Und da-
>er gilt nicht nur fllr körperliche, sondern iin gleichen
Matz auch für seelische Leistungen der alte Sah:
Uebung macht den Meister.

Daran denken aber viele Menschen nicht, wenn sie
vor Werken der bildenden Kunst stehen. Sie haben
das unbestimmte EmpfiNden, da» das Werk, das sich
so mühelos betrachten lützt, auch mit einer gewissen
Mühelosigkeit dem Genie des Künstlers entsprun-
gen sei; sie können nicht Nachempfinden, wi>e der
Künstler um seine Kunst gerungen >hat und wievlel
seclische Arbeit in seinem Werk steckt. Sie bewun-
oern das Werk eines Michelangelo oder eineS Al-
brecht Dürer, aber der Dedanke, datz diese Münner
ihr ganzes Leben lang, von frühester Kmdhsit >an,
immcrsort um die Kunst gerungen und gearbeitet
haben, Ist Ihnen fremd und — unangenehm. Kunst isk
für ste eiwas FelttSgliches, vom mühevollen Werk des
Alltags abgerüait. Und >doch'U'dd"sö: Ohne fort-
währenüe Ardeit, ohne dauernde Uebung verkümmern
auch in der Kunst die besten Talente, und derjenige
hat gründlich Unrecht, der einmal behauptek hat,
Nasfael würe ein grotzer Künstler geworden, auch
wenn er ohne Arme geboren worden wSre.

Aber es isl nicht nur ein Erfahrungssah, sondern
tine physiologische Nvlwendlgkeit, ein Naturgesetz,
üatz zur Kunst Uebung gehört. 2ede Kraft verlangi

nach BetStlgung, ste lätzt nach, menn sie an diejer
Betütigung gehindert wird, sie wüchst, wenn ihr reich-
kich Gelegenheit dazu geboten ist, sri sie ursprünglich
auch noch so klein. Die Gehiiiizellen wachsen wie
die Muskeizellen durch Arbeit, durch Uebung.

Auch die Kunst deä Kindes, so viel oder !o wenig
sie Immer bedeuten möge, kann nicht wachsen ohne
Uebung. 2ede Behinderung oder lüngere Unter-
brechung der Kunsiübung des jugsndlichcn Men-
schen mutz seiner Destaliungskraft abträglich sein.
sie schwächen, lShmen, wohl gar töten. Es geht nicht
an, datz eiü Schüler, ohne Schaden an seiner ge-
staltenden Mhigkeit zu nehmen, längere Zeil den
Zeichenunlerrichl versüumt, etwa iveil er seine Siun-
>denzahl verkürzen will, um sich zu schonen, oder datz
er, ohne jemals Kunstübungen getrieben zu haben, in
eine höhere SchMlasfe einiritt >n der Meiiiung, es
sei gleichgültig, in welchem Alter und mit welchen
Aufgaben er seine Gsstallungsübungen beginne. Denn
das mutz hier deutlich gesagt werden: es gibt auch
!>n der Kunst ein- „kleines Einmaleins", und mer dieä
iricht zu- rechter Zeit lernt, der lernt es vielleicht
nie, und ferner: ohne das „kleine Einmalelns", d. h.
ohne die elementare Grundlage isi jeder höhere Fort-
schri-it -ausgeschlossen. Auch das ist Naturgeseh: die
Kunst macht hiervon keine Ausnahme

Gegen diefes Gesetz der allmählichen Entwicklung
der küiMerischen Kraft an Aufgaben, die den sswei-
ligen Ältersstufen -naturgemStz sind, vcrstotzen- wir
nur sch elnbar, wenn wir gelegenttich allen Allers-
stufen ,-dieselbe Aulgabe" vorsehen, wenn wir den
Ssrtaner mlt demselben „Stoff" beschäfligen wie
den Prtmaner. Es ist eben, genau gesehen, doch
nicht dieselbe Aufgabe, weil es ei» Unding wäre,
von dem Sextaner dieselbe Leistung vcrlangen zu
wollen wle von dem Prinianer. Der Sexlaner ist
Kind und schafft wie ein Kind und soll schaffen
als Kinid, weil es für ihn nalurgemätz >si. Der Pri-
maiier aber ist erwachsen und foll schnffen wie ein
Erwachsener, weil es unnatllrlich wSre, ivenn er
immer noch wie -eln Kind gestallen wollie. So müs-
sen wesenilich verschiedene Lelslungen herauskom-
men und verlangt werden, und wenn belde, der Sez-
 
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