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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 9 (September 1925)
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Müller, F.: Handschrift und Zeichnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0260

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253

tzandschrift und Zeichnung

Von F. M ülle r. Kolbsrg.

Ich l-abe einnral einen Schreiblebrer gekannt, der
an einer Baugewerkschule beschäftigt war und als
besonders Mchkig geschähk wurde. Er behaupkeke,
wenn er -die Schüler, Aiaiirer und Zimmerer, die aus
verschiedenen Orken und Landeskeilen gekommen wa-
re», nur vier Wochen in seinein Unkerrichk gehabk
habe, dann schrieben alle dieselbe Zanbschrift, so
-ah man ihre Handschrifken nicht mehr vonelnander
untecscheiden krönne. Ich meisz nicht, ob das der Fall
war, und wenn eS der Fall gewesen wäre, häkke ich
üarin keinen besonderen Nuhni für den Lehrer er-
blicken können. Denn Gleichmachen, Uniformieren,
Schemakisieren können kein Lob für die Schule be-
deuken. Auherdem bezweifle ich, dasz die Bshauptung
des Schreiblehrers, seine Schüler, die aus so verschie-
denen Berhälknissen gekommen waren, schrieben nach
einer gewissen Zeit die gieiche Handschrift, zukrifft,
vecm-nke vielinehr, dasz er slch käuschte und das fiir
gawdschcist nahm, was die Schüler in ihren Heften
lchemagerecht niederschrieben, ja, Lah er idte feinen
Unkerschiede, die selbik kn solchen Pacadeschriften vor-
komnien, libersehen hat.

Es ist nun einmal Taksache, daß jeder Mensch seine
eiaene Handschcift schreibk und daß sich die persön-
liche Eiaenark, welche sich in der Handschrift aus-
prägk, schlechterdlngs nichk unkerdrllcken läszt. Zwar
das Kind, welches erst schreiben lernk, hab zunächst
vollauf damik zu kun, sich dte Buchskaben zu merken,
die vorgebildeken Forinen nachzubilden und den
Mechanismus feiner Hand an die Schreibbewegung
zu gewöhnen. Hier ist von einer Handschrifk zunächsk
noch nicht die Nsde. ^lber sehr bald zeigen sich auch
schon in den Schrelbübungen des Kindes gewlsse
Eigenarten der Strichführung, dte mik dem kindlichsn
Ungeschick nichks mehr zu kun haben und die kroh
aller schnlkechnischen Bseinflussung während dec gan-
zen Schulzeik und nakürlich erst rechk nach dieser
beibehalken wevden. Nach msiner Beobachkung ist
das schon vom 2. Schuljahre ab -er Fall. Gewöhn-
lich bringk inan diese Eigenheiken der kindlichen
Schrifk mit der Handbildung des Kindes und mik
seiner Körpsr- oder Fsderhalkung in Berbindung,
welche Umstände nakürlich ebenso wie das Schreib-
geräk bei der GestalkMg der Schcift miksprechen.
Man twersiehk aber leicht die ausschlaggebends Wir-
kung des Zenkralmotors, des Gehirns, obwohl dieser
Mokor die Ursache jsder körperlichen Bewsgung,
auch dsr Schreib- und Zeichenbewegung ist. Da nun
der geistige Apparat jedes Menschen anders ist,
werden auch die motorischen Asuber-ungen ijsdes
Menschen anders ausfallen. Sehr eng -hängen sie
mik dem Willen zusanimen, und die Physiologen
haben darum auch den Willen als -dsn-rlektrischeii
Fuiiken bezeichnet, welcher in dem geistig-motorischen
Apparat die Bewegung auslöst. Es liegk nahe, in der
Ligenart der Bewegung, die Eigenark ihres lZmpulses
ivlsderzuerkennen, das heiszt, auf den Charakker dsr
Person, welche die Bewegung ausführk, zu schließen.
Soweik Schreibbewegungen in Frage kommen, hak
die Graphologie dies seit langem versuchk. Zuerst
rein gefühlsmästig oder auf Grund der Analogle mik
der Handschrifr bek-annker Personen vorgehend, hat

sie sich immer mehr auf eine wissenschaftliche Grund-
la-ge gestellk, indem sie von dem Grundsah ausgeht,
dasz alle motorischen Aeuherungen eines Menschen,
weil sie eln-em Charakter entsvringen, sich auch
einheiklich, und zwar diesem Charaklec gemäh. zeigen
müssen. So wird ein Mensch, dessen Charakter im
iGrunde freundlich und eiitgegenkoinmend ist, sich in
der Ilnkerhalkung mit anderii Personen diesen zunei-
gen, und sei-ne Schrifk wird dies ln -ihrer Lage, Nun-
dung un-d Bindung mizweifelhaft erkeiinen lassen.
Andererseiks wlrd eln spröder, „zugeknöpfter" Cha-
rakker sich sowohl i-n -der zurllckgebeu-g-teii Haltung
der Person beim Gespräch, als auch -in einec steilen
u-nd ecklgen Schrift zeigsn. Es würde zu weik filhren,
mehr Beispisle für die naküriichen Grundla-gen der
gle hier anzusühren; es lrann aber gesagk

n-g bei dcr
natllrlichen
Person.

sei er -auch -noch so kompliz-lerk. mit ziemlicher Sicher-
heik offen zu Tage zu lsgen. Wohlgemerkk: den Cha.
r-akker der Person, -nichk ihre geistigen Fähigkelken
im einzelnen, da es, wie gesa-gt, hauptsächlich der
Wille ist, der sich i-n den Bewegungen ausdrückk,
wenngleich dieser mik der allgemeinen geistigen Ber-
aiik-agun-g im ZusamMenhang steht.

Daraus geht hervor, dast jeder Mensch als Ligen-
versönlichkeik eine sigene Handschrlfk haben mnjz, uii-d
diese eigene Handschrift lritt ein, sobald die Schreib-
schwierlgkeiten, wie sie beim Erlernen jeder Schrifk
auftreten, überwunden sind un-d -die Bewegungen der
Hand nlchk mehr lsdiglich dem Schreibschema folgen,
sondern sich frsier gsstalken können. Es ist hier wle
bekm Tanz: wer nichk mehr -die Schrikte zu zählen
braucht, giok sich als er selbst, während er vorher an
das Tanzschema, an die feste Norni gsbuiiden war.
2n der Freiheik aber zsigk sich die Persönlichkeik,
zeigt sich der Mensch in seinsr Eigen-art. Natü-rlich
vedeukek Fr-eihelt hier wie -überall, wo -dies Work
in gukem Sinne gebr-auchk wird, nicht Zü-aellosi-g-
keik, sondern natürlich-es Gesetz. sin der Schrifk reickk
d-le Srenze der Freiheit nur so weit, als sie ordenk-
lich und issbar ist, un-d -in -der Zsichnung so weik, als
sie -das trefflich a-usdrückk, was sie ausdrücken soll.
Den-n auch in der Zeichnung zeigk sich die Persön-
lichketk, auch sie ist eine Handschrift und zwar gleich-
salls von dem Augenbllck an, wo sie nicht mehr in
dem mechanischen Rachbilden eines Schemas vder
ei-ner Norm besteht, sondern zum freien Ausdruck
geworden ist.

Zeiche-iibewegung und Schreibbewegung sind sich
in ilrsprung und Absicht schr ähnlich aber doch nichk
gleich; beide sind vom gleichen Motor veranlatzt und
beide haben die Absichk, etwas mitzukeilen und sicht-
bar vor Augen zu stelien; im Grunoe enkspringen sie
dem selben menschlichen Trisb un-d waren auf einer
vrimikiven K-ulkurstufe noch nicht vonsinander ge-
schisden. Seikdem sie aber, glsichfalls schon auf vrimi-
river Kulkurstufe, sich von einander getrennk habeii,
verfolgen- sie verschiedene Wege. Die Zeich-
nung will das Bild ves Gegsnstandes in irgend einer
 
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