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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 11 (November 1925)
DOI Artikel:
Rothe, Richard: Systematik im Zeichenunterricht
DOI Artikel:
Stuttmann, Ferdinand: Gedanken über Schülerzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0325

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srellung. Wird »euerdings die E n k w i ck l u n g s -
reihe ausgelegt und zwar als Parallele zur ersten,
so ist deutlich aus der Lage der Päckchen schon zu
ersehen, um wisviele Schritte die erste über die zweite
Reihe hinausreicht. Es bieket sich etwa folgendes
Bild:

lnmnilHlD

r s s » s


1 s s -i s ü 7

Es erscheinen also nicht nur zwei Skufen gewonnen,
ondern die Klassenleistung ist auch auf die ursprüng-
ichen Lndskufen verdlchtet, während die Anfangsstufe
ganz überwunden erscheint. Der Begabte hat einen
bedeutenden Fortschrilt gemacht und aus der Reihe
der Borgeschritkenen sind neue Aegabungen heraus-
getreten.

Daraus ergibt sich aber auch, dajz nur dieVesa m t-
leistungderKlasse ein wahres Bild ergeben
und pädagogisch aufklärend sein kann. Aur aus ihr
kann der Lehrer entnehmen, inwieweit seine Bemü-
huMen von Erfolg begleitet und damit richlig waren.

Wir erkennen aber auch in welcher Mchtung voin
Zeichenunkerricht Systematik verlnngt werden kann:
immer nur im Linblicke auf die Erklärung einer
Einzelform bzw. Förderung der Schüler zur Wieder-
gabe einer bestimmten Darstellung im Hinblick auf ein
bestimmtes Ovjekt. Niemals aber kann die Syslemaiik
in einer nach Schwierigkeiksgraden geordneten Ob-
jektreihe gesucht werden. Was ist für das Kind
schwierig? Wozu es keine Beziehungen hak, was ihm
nicht interessant ist. Die Ansichten des Erwachsenen
haben hier keine Vülkigkeik, das llnteresse der Kiäder
allein ist majzgebend. Wohl aber kann die Systemaiik
im Zeichenunterricht in Form von Enkwicklungs -
reihen innerhalb deS Darjtellungsob-
jektes gefunden werden, ähnlich, wie es hter ange-
deutet wurde mit dem Weg von der Bauform
zur Schauform*.

Gedanken über Schülerzeichnungen

Zu einer Ausstellung von Schülerzeichnungen im Nealgymnasium Hannover

Ieder Mensch bringt ikgend eine künstlerische Be.
gabung mit zur Welt. Dieser ekwas apodiktische Sah
fcheinr von vornherein durch die Tatsache wider-
legt zu wsrden, dah nur ein ganz geringer Prozent-
satz der Menschheit künstlerisch täkig Ist, während der
weitaus gröjzere Teil, wenn übechaupt, so nur ein
vasfives Berhälknis zur Kunst hat. Ünd trohdem
kann die aufgestellte Aehauptung mit einer gewissen
Berechtigung aufrecht erhalken werden, wenn man sich
dazu versteht, Kunst nicht als „Können" zu betrachten,
fondern im Kunsischaffen einen naturnotwendigen,
uranfänglichen Trieb zu sehen, der den Menschen
zwingt zu schöpsen — einen Teil seines Selbst
aus sich herauszusiellen — gleichgülkig zunächst In
welcher Form. Bedingung dabei ist aber, dah
eine Notwendlgkeit, ein Zwang zum Schaffen vor-
handen ist, denn sonst läufk es wieder auf das
„Können" hinaus und das „Können" ist der Kunst
manchmal n o ch verüerblicher, als das Nichkkönnen.
lEs soll damil aber nicht gesagt werden, dajz zu Kunst
kein Können gehöre, vollkommene Meisteruna aller
technifch.formaler Schwierigkeiken ist sogar die Grund-
bedingung, >es soll nur ein scharfer Skrich gegen jenes
„Nurkönnen" gezogen werden, das so oft mit Kunst
verwechselt wird)

Wo bleiben aber die künstlerischen Begabungen
der Menschen, wenn es in Wirklichkeik nur so
wenige Künstler gibt? Es ist mlk Ihnen wie mit den
Blumen, deren Samen durch ein Geschick an irgend
einen Ort gekragen wlrü, wo er mshr o-der weniger
gllnstige Bedingungen findek zu keimen, zu wachsen,
zu blllhen. Manch Samenkorn muh verdorren, weil
widkige Berhältnissee^irichk zum keimen kommen
lasfen oder weil ihm die Kraft fehlt, die seine laken-
ten Energien zu „Leben" erweckt. Andere finden
aünstigere Bedingungen und haben mchr „Willen zum
Leben", aber sie sind auf sich selbst angewiesen und
sallen, kaum snlsprossen allerlei Unbilden zum Opfer.
Sind sie stark genug sich dagsgen zu behaupken, so
werden ste zu ost elgenarkig schönen, cwer witden

Gewächsen. Nur ganz wenige finden die pslegende
Hand des Gärtners, unter der sie die volle Pracht
ihrer Vlllte entfalten können.

So ist es mit der kllnstlerischen Aegabung des
Menschen. Die Fähigkeiksn, die ein Geschick in ihn
gelegt hak, können nur in den seltensten Fällen wach-
sen und reifen. Sie äuhern sich schon beim Kinde,
oas kaum laufen und sprechen gelernt hat. Nlan er-
lebk uber nur zu häusig, dah sie nicht als Be-
gabungen erkannk werden und dah gerade solche
Kinder, bei densn sie sich am skärksten äutzern,
„komisch" oder im besten Falle „sehr eigenariig"
gefunden werden. Der Erwachsene, der infolge ssiner
Erziehung und seiner Lebensumstände, die ihn meist
zwangen, die Sinne nur auf die nächste Ilmgebung zu
richten, dessen Phantasie — das primum movcmri
kllnstlerischen Schafsens — unter dem Schutle eineS
Arbeitslebens begraben liegt, ist gar nicht mehr in
der Lage, die Aeuherungen kllnstlerischcr Begabung
beim Kinde als solche zu erkennen und so werden
diese meist kaum beachtet, ja oft ganz absichl'lich aus
„erzleherischen" Gründen uiiterdrückt oder siillschwei-
geno geduldet. aber nur selten gepflegk und gefördert.

Wir sind hier immer noch, trotz aller Arbeit auf
diefem Gebiele, durch das Work von der „brotlosen
Kunst" beeinfluht, ein Begriff, der sür den Durch-
schnittsmenschen nichk nur die Borstellung von einem
unpraktischen ader mllhiggängerlschen Menschen her-
vorruft, sondern mit dem sich auch, trotz aller gegen-
teiligen Berstcherungen, eine gewisse Geringschähung
verbindet. Aber ist eS nicht vielleichhgut, die Zahl der
Kün'stler durch Unkerdrückung des Talents zu verrin-
gern, denn das Work von dec „broklosen Kunst" hak
doch auch etwas Wahres an sich. Sicher, u»d
man soll ja auch einen Menschen nicht zum Künstler
„erzlehen" wollen, das 1 st er enkweder oder er ist
es nich t, dazu machen kann ihn auch die beste Er-

* Bgl. »Die Suelle" Monatsheste sür „Pndagoglsche Reforni'
und „Knnst und Schule". Deutscher Verlag sür gugend u»d Boll,
Wien.
 
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