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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 6 (Juni 1925)
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Kolb, Gustav: Rotkäppchen und der Wolf: (ein Unterrichtsbeispiel mit Abbildungen. Siehe Beilagen des Heftes)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0157

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Rotkäppchen und der Wols

(Lin Unlerrlchtsbeispiel mit Abbildnngen. Siehe Beilagen deS Heftes.)

Unsere Kinder l-aben in der Neael noch kelnen
Wolf geschen. Auch selbst die GroMadtkinder nlcht.
Die kiimmerlichen Exemplare, die ln den Tiergärlen
ihr künslliches Dasein frlslen, sind keine Wölse, dle
eine kranke Grotzmukker — ritsche. ratsch — auf.
fressen können. Und auch -der Wolfshund, auf den
man lm Unterricht allenfalis hinweisen könnke, er-
weckt nur eine fade Borstellung von der Bestie
„Wolf", die die „süsze kleine Dicn" lm Walde
erschreckte.

So Ist es nichk zu verwundern, wenn der „Wolf"
selbst draufgängerischen Zelchnern untec den Kindern
groge Hemmnisse In der Darstellung bereiket.

Unsece -Abbildung 1 (Beilage) zeigt das deutlich.
Diese Zeichnung stelll eine Durchschnittsleistung >dar,
wie sie »nseren Mädchen gelingt, wenn sie zu uns
in den Zeichenunkerricht kommen*). Wenn wir dle
Zeichnung genauer belrachken, so finden wir, dah
sie im großen Ganzen sponkan hingeseht Ist. Nur
der „Wolf^ isk ein mühselig zusammengestrichelkes,
unker vielen Äenderunaen und reichlichem Berbrauch
von Nadierginmi entskandenes, kümmsrliches Ge.
bilde und lähk die Märchenstimmung vollständlg ver-
missen. Was können wir nun tun, um die Hem-
mungen, die das Kind empfindet, zu beseikigen?

Nach meiner Erfahrung gibt es 2 Mege. Früher
glaubke Ich, es sei unter allen Amständen melne Auf-
gabe, in meinen Schülern die naturalistilche Bor-
stellung „Wols" zu erwecken und ging dabei den
Weg überdieÄbbildung, Selbstverskändlich genügk in
diesem Fall eine einzelne Abbildung nicht. Der Schü-
lergäbüjadann im besten Fall nur dieBorstellung eines
andern gedächtnismählg wieder. (2ch gehe davon aus,
dasz dle Abblldung nach der Bekrachtung wleder
verschwindek). Sondern es müssen eine Anzahl ver-
schiedener, charakteristischer Bilder nacheinander ge.
zeigk werden, damik die Schüler angeregt werden,
eine, das Typische und'Charakkeristische zeigendeVor.
stellungaus destailen Bildern gemeinsamenMerkmalen
selbstzuerarbeiken. SolchsAnschauungsbilder stndgroß,
enkweder auf die Wandkafel oder auf Packpapier zu
zeichnen. Auch das Lichkbild kann hker vorkreff-
liche Dienste leisten. Man stellt die Projektions-
bilder selbst her, indem man sle auf Pauspapier,
PauSgelatine oder unmitkelbar auf die Glasplatte
zeichnst. Mit Papierschnitken, die auf Glas ge-
klebt werden, lassen sich besonders lebendlge Wir-
kungen erzielen. Man kann in diesem Fall die
schwarze Silhouelke mlt wenig Mikteln farblg be-
leben, wenn man Zungs'ünd'Äüge auSschneidek und
mit roker bzw. grüner Gelatlne überklebk. Solche
einfachen Bilder erregen die kindliche Blldphanta-
ste skark. Nach folcher Borbereitung kann man
immerhln ordenkliche Leistungen erzielen, aber die

*) Iii Wiirttemberg bsgtiiilt der Zeicheillinterricht tn deil hö-
heren Schiilen btsher mlt Kl. II. Wtr zähleii vo» nnten hernnf
nnd neniien daS, uas tn Norddeutschland Sexta helht, Masse I,
üulnta Kl. Il nsw.

Hemmungen auf die wir oben hinwiesen, sind doch
nichk völlig zu überwinden.

On neuerer Zeit versuchte ich mit meinen Schll-
lern einen anderen Weg zu gehen.

Jch verzichtete grundsählich auf die Anbahnung
der nakuralistischen Borstellung „Wolf". Es solile
nur das schreckenerregendc Ungeküm, das ^lolkäpp-
chen im Walde auslauert, ohne jede Beziehung auf
die Wirklichkeit „Wolf" bildhask gestallet werden.

llch suchke zuvor mik einigen Worken die Phanka.
sie der Kinder nach dieser Nichlung hin zu lenken:
„Rotkäppchen gehk durch den Wald. Es war wun-
derschön. DieBlumen blühten amWege, die Bögel
fangen, die Sonne schien durch die Bäume und hüllke
das Mägdleln in ihren goldenen Skrnhlenschein. —
Da tauchke plöhlich auS dem Waldesdunkek ein
fürchkerliches, schwarzes Ungetüm auf, sperrte sei-
nen Nachen mit den spihen Zähnen auf, schleuderte
selne lange, rote Zunge gegen das arine Nokliäpp-
chen und sah es mit seinem giskgrüiien Auge böse
an. Da ward dem armen Mägdliein angst uiiü
bange usw. So, das wollen wir iiiil schönen, leuch-
kenden Farben malen."

Der Bersuch glückke; eine grosze Anzahl eigen-
arkiger Leistungen war das Ergebnis. Elnige sind
in unseren Abbildungen (Bsilagen) gezeigls Ab-
bildungen 2 und 4 sind aus der Anfängerlilasse. Äb-
bildungen 3 und 5 aus elner späteren Klasse (b. Klasse
VII1). Die tarbige Abbildung ist ebenfalls eine Är-
beit einer pyankasiebegabten Schülerin der 5. Klasse.
Vezeichnend ist es, dah diese Schllleriii nach Er-
ledigung der Äufgabe sich äuherle, einen Wolf hätke
sie nichk malen liönnsn. Sämtliche Arbeiken siud In
einer Doppelslunde enkstanden.

Welcher Weg ist von beiden nun der empfeh-
lenswerkere? Welcher ist werlvoller im Sinne der
künstlerischen Erziehung? Darüber bikke ich unsere
Leser nachzudenken. Wir stehen mit dieser Frage
vor einem der Probleme, das alle Suchendsn unter
uns gegenwärtig hart bedrängt. stedensalls kann
so viel gesagt werden, dasz die eigenkiiche schöpfe-
rische Leiskung des Schülers im zweiteu Fall eine
größere ist.

„Aber wie soll man auf diesem Weg zur richtigen
Naturdarsteltung kommen?". werden inanche fragen?
stch ankworte: „Zunächst gilt es Leben zu
wecken. Die Korrektheik komint dann von selbst,
wenn es Zelt dazu Ist, sofern der Schüler die richkige
Anleitung hat. Wenn ihr aber das Leben zerstört,
habt ihr alles, auch die Fähigkeit zur „richligen"
Lelstung zerskörk."

Oswald Spengler hat kiirzlich die „Schulineisker"
Feldwebel der Grammatik" genannt. Lahk uus Sorge
kragen, dah wir diesen Vorwurf nicht auch verdienen.

G. Kolb.
 
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