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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 10 (Oktober 1925)
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Sommer, P. K.: Ansichten eines Unmodernen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0289

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Ansichten eines Aninodernen*

Voii P. K. So m mer. Gandersheim i. Z.

Die DreSdner Zeichenlehrertagung stand unker üein
Ieichen „üialiobi) , Hannover voriges riahr unker
„März", Berlin nnker „Natker", „Krieger". Eä brodelt
und gührt, und däS ist gut, es „lebt" in unsrer
Aewegung. Aber vor einem müssen wir u»S hüten,
davor nämlich, das; ivir an unS irre werden und
unsre Arbeit fiir nichtS achten, den Mut und daS
Selbstvertrauen einbüszend, damit die Berufsfreudig-
lieik unkergrabend: die schon durch andre Umsiände
gar leicht in Erschütkerung geraten kann.

Wer so von einer Taguiig heimkehrt, hat mehr
Schaden alS Gewinn gehabt. Anhnltender Beifall der
ganzen Bersammlung besank fürS Ersie nicht mehr als:
„Mir danlien für die Anregungen." Nicht aber:
„Danli, 1000 Danlr, dasz nun daS Heii der Welk zu
iins gebracht worden ist."

ES ist -ebe» eine falsche Einsieliung zu solchen
Borirägen, wenn der AinlSgeiiosse zerknirscht und un-
froh nach solcher Tagung ans Werk gehk. Freilich darf
man die Wirkung des Suggestiven eines kemperament-
vollen Bortragenden nichk unterschähen. !ka stun-
denlang darnach isk auch der klare Kopf noch benom-
men und sagk sich: „üch mus; die Sache erst ver-
dauen, eh jch Stellung zu dem „Für" und „Wider"
nehme". Er klatschke wohl mit Beifall, aber eben,
um dem Kollegen zu danlren für die Mühe, seine üdeen
an nndre heranzubringen. lledes ehrliche Wollen und
Slreben musz gefördert werden, neidlos und dankbar.

Es gibt aber auch Biele, die den Veifall falsch auf-
fnssen und glauben, in 1 Nlonat haben wir wieder
eine „neue Nichtung". Andre wieder siiid fo beein-
flussi, das; sie sofort begelskerke, ehrliche Anhänger der
iieusn Ree werden. Es find meisi die llüngeren. Di->
Berzagte» sind die Schwankenden, die schon haib
gemonnen sind. Die Beralketen, Unmodernen sind die,
die sich sagen: „Halk. erst musz ich mir die Sache
nochmal durch den Kopf gehen lassen. Was zeigke
doch z. B. Frl. Iakoby? Hm, ich behaupke, und wenn
sie noch 10N Zeugen ihres ehrlichen, tüchkigen Schaf-
sens gezeigk hätke, es wären alleS „Nakobys" gewesen.
Beweis, dafz die Persönlichkeit des Lehrers suagestiv
auf daS weiche, zu modellierende Material, die
Kindesseele, wirkt, und es überall der Lehrer Ist,
der aus allen Falten der seelischen Negungen blickk.
And warum auch nlcht. So mufz es sein. Daher das
Work „Einflich geivinnen". Also hineinflieszen darf
es, soll es und musi es. Und wenn der Nedner noch
soviel spricbk vom Keim nnd Wachskum und tzerans-
holen »nd Schöpferischen im Kinde, so ist's schliessiich
ein Skreit um Kaisers Vart, wer recht hak, ob der, der
behaupket, der „Liiifluf;" sei das Wesenkliche oder der,
der das verneink. Der Unmoderne plädiert für das
Erskere, nachdem er viel gehörk und gesehen hat in die-
ser Hinsicbk. Dem Nedner innsr e.r.äie gröstere Hochack-
knng zollen, aber er behält sich vor, unter dem Ge-
hörken eine Auswahl zu kreffen und sür sich nutchnr zu
machen. Was er skeks vermissi, ist ein systemakischer
Lehrgang. Er bekommk E.rkrakte zu sehen und Kosipro-
ben einiger Klassen, aber wie fängks an, wie endeks?
Da fehlen steks die Ankworken. Enkschieden hak jede
lidee Ihr Gukes. 2ch würde aber nie die Nakkersche auf

* Wir bitten »nssrs Lsser, zu diesen Anssiihrnngen Stsllung
z» nehmen. Dis Schristleitung

allen Stufen anwenden, sondern beginne das schöpsc-
rische Arbeiken, die Enkwickelung der ästhekischen Seile
unter Anlehnung an die Nakur, das sich vvn Sepla a»
neben dem Nakurzeichnen herbewegt, In Sezta und
Quinta auS der Boistellung, von Quarka ab nach ge-
nauer Naturbeobachtung. Und so geht es über den
Scherenschnitt, die Pinselübungen, die »nkuralistischen
und stilisierten Focmen von Biättern und Schmcliei-
lingen zum Buchstabenornament iii Unterteriin, ziim
Linolschnltt und ExlibriS in Obertertia hinauf zuin
absoluten rhythmischen Zeichnen anf der Obersluse, zu
dem Ornainent, das sich an nichts mehr anlehnt, son-
dern in Linie und Farbe frei aus der Seele heraus-
wächst und hinüberleitet zum Berständnis üer groszen
Kunst und des Kunstgeiverbes, zumal, wenn iin Werk-
unkerricht diese Uebungen angewandt werden. Und da
zeigk mir für die Oberstufe Natter einen prachkvolien
Weg und Abschlusz. So verwende ich die erhallenen
Anregungen. Aber alles must Wurzei und Ziel haben,
sonst entstehen die Klagen, das; man plötziich in eine
Sackgafse gerät: Wie weiter. Fast alle diese Zdeen
scheltern bei der Oberstufe. Auch Frl. liakobys schäi-
zenswerter Bortrag liesz die Lücke offen. Auch die
Ausstellung benntwortete die Fragen nicht. Aus Kosi-
proben ist nichks zu enlnehmen. Richkiger wars, den
Fachgenossen vollskändige Lehrgänge zu zeigen, wie
stehts mit den neuen stdeen aus der Unker-, NNlkel-
und Oberskufe.

Der Nüchierne lässi sich nicht fangen durch Schlag-
worte wie „Geschlossenheik der Form", „dns Gleikcn
und Fallen" usw. Mikunker kann man sich wirklich
nichts darunker denken. (Es gibt der Schlagworkc so-
viele, fallen mir eben nicht ein). Und mnn erschrlckk
wohl, wenn „korrekte Zeichnung" iind „langweilige
Zeichnung" ein und daSselbe isk, wenn der arme Lud-
wig Richler, einer unsrer Deutschesken nnd Seelen-
voilsken ängstlich zuiiächsk ferngehalken wird, wenn wlr
die Kinder gegen unsere HHauptgegner", die Eltern
mobil machen sollen. Da regk sich doch im Herzen
das groste Fragezeichen, wer anf der Höhe ist, der
Erschrockene oder der Bortragende. Der Uninoderne
mag keine dichtenüen, komponierenden und ezpres-
sionlstische Gemälde schaffenden Kinder, die gegen die
Eltern Fronk machSn. Änch die skrengere Äichtung
zeikigte noch genug Frühreife. Lest die Ansichlen
von Professor Gurlitt, wie die Naliener in ihrer zu
freien Enkwicklung in der Schnle verderben und wie
die italienische lintelligenz sehnsüchtig die deuksche
straffe Schule wünsche und Deutschland beneidek. Anch
Gurlikk gibk zn, dast ein „Weniger" angebracht sei,
die Unterdrückung und Versklavung der KmdeSseele
ging zu weit, aber wir drohen ins Gegenteil ielit um-
Mchlagen. Mir übertreiben wie aus allen Gebieken.
Man denke an die Körperkulknr, wo das gemein-
same Nackkbaden nnd spielen beider Geschlechler
bereits um sich greifk. Und so isk's anch i»
Erzlehnngsfragen. Allen ErnskeS isl darüber de-
bakkierk, ob der Schüler nichk auch „Du" zum Lehrer
sagk, ob nicht die Schüler die Münsche äuszern, was
am Bormikkage gemacht werden soll, ob nicbt die Scbii-
ler den Lehrer wählen und enklassen. Aber so sind
die Menschen. Menn erst dle Gebeiusk aeweckk isk,
dann bis ins Uferloss, und die Wenigen Kaltblütler,
dle daS Ganze abseiks in einiger Enkfernung bekrach
 
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