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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 6 (Juni 1925)
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Lange, W.: Wie Kinder sehen lernen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0158

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131

Wie Kinder sehen lerner^?

<Von W^

Sehen zu lernen ist sine Kunst. Zwar kann jeder
jehen, der Augen im Kopfe hat> aber eS lrann nlcht
jeder gut schen. Unter „gut sehen" verstehe ich:
»icht nur mit gesunden Augen sehen, sondern auch
mit Berstnnd und Gefühl. DaS lehtere lrann man
auch „lrünstlerilch sehen" nennen. Mer zum Beispiel
Kunstwerke richkig betrachlct, der hat nicht nur die
Kunst sshen gelernt, sondern er beherrscht damit
auch bas Sehen. Sehen zu lernen Ist fllr jeden
Menschen ekwaä interessankeS und wichkiges.

Der einzige Weg zum wirklichen Kunstverständnis
ist jedoch das Selbstschaffen. Dieses seht man voraus,
wenn man fruchtbare Erklärungen durch das Wort
geben will.

Kunst Ist nun ein ziemlich weiter Begriff. Kunst be-
treibe ich schon, wenn ich irgend einen Gegenstand
gefühlsmätzlg nach der Nakur abzeichwe. Kunst lrann
auch eine Zeichiiung sein, In der bte Natur schlecht
oder salsch dargestellt ist und deren Werk in ganz
anderer Richtung als in der -der Naturnachahmung
liegt. Kleine Klnder z. B. können die Natur gar
nichk birskt nachahmen und doch bringen sie Dlnge
ferlig, dle in ihrem eigenen Wert lrein Erwachsener
vollbringen lrann — auch wenn er wollte. Es handelk
sich da um gefühlsmästige Dinge. Aetrachket man ein-
mal z. B. einen von einem begabken Kinde ge-
malien Blumenstrausz. Blumensträujze mit solchen
Blumen gibt es nichk in der Nakur. Es sind erfun-
dene Blumen. Aber es sind Immerhln Alumen, und
zwar schöne Blumen und zu einem feinen Skraust
geordnet: d. h. es sieht alles schön aus, weil es mit
Liebe und Gefühl gemalt ist und so auf dem Papier
steht. Ob solche Blumen in der Natur lebensfähig
wären, das kann uns gleich sein, wir wollen ja keine
bokanischen Skudien an ihnen machen, sondern wlr
wollen ekwas hübsäies sehen. Wenn wir auf die
botanlsche EInskellung verzichksn, wlrd uns
das vlelleicht leichker gelingen. Wir geben uns aller.
dings nicht mit dem zufrieden, was dem Bokaniker
gefällt, sondern wir wollen sehen, was eine Men-
schenseele beim Malen eines Blumenstrauhes ge-
ftihlt hat. Ein Slttck Menschenseele, oas so-aufs
Papier gebracht wird, ist für uns etwas schönes.
Freilich, es so aufs Papier herauszubringen, das ist
eine Kunsk! Es so zu sehen aber auch etne und das
kann man lernen. Aeltere Leuke, die vielleicht bei
dem Blumenstrausz nichks besonderes empfinden,
sagen nur: Ah, das ist ja stilisierkl Sie finden es
vielleicht nicht bählich, aber es sagt ihnen sonst nicbts.
— Früher stilisierte man solche Blumen fiir be-
skimmte Zwecke. Der vom Kinde gemalke Blumen-
strausz ist aber nicht stilisierk, sonbern ganz unbe-
wuszt gemacht und hat dadurch erst^recht Skil.

Wlr ent»el»»eu diese Aussührunqeii imseres Amtsqeiios»
s-ii StiidiriiassessorS W. Longe in Tiibiiigeii der »Tiibiiiger
Llironik". Ste smeiiisn mir vorbildlich zii sein siir die Art imd
Welse. wie wir iu der Tagespresle sür imsere Sache wirken soll-
ten. Wir diirsen uiis nicht aus dte Fachpresse beschräiiken, son-
dern iniiiseii misere Vestrebiiiigen ebensowohl in die Tageszei-
tmigeii der großeii Städte wie aiich in die kleinen Provinzblät-
ter iiberleiten. Nnr lo werden wir siir nnsere Sache, die eine
solche drs aanzeu BolkeS ilt, auch tatkächlich das Dolk gewiuneii.
Dieser Seits «userer Wirksainkeit sollte» di« LandeSorganIlatio»
neu die grStzte Sorgsalt angedethe» laffen. Dle Schriftleitg.

L a n g e.

Wenige Kinder machen solcherlei Sachen. Anbere
zeichnen lieber Menschen. Nicht Menschen, die lang-
weilig dasihen, als ob sie abgemalk werden wollten,
ondern Menschen, bie irgend etwas tun. Sie
tellen Borgänge bar. Die Msnschen werden falsch,
le sind ei'gentlich schlechk gezeichnet, aber sie yaven
ebendige Bewegungen. Man sieht gleich, was sie
tun.

Die Kinder lieben auch die Farben. Sie können
Farben gleich mit dem Pinsel aufs Papier hinmalen
ohne Gewissensbisse darüber zu empfinden, dajz sie
vorher keine Zeichnung machen. Sie arbeiten dann
aber auch eher wirklich sarbig und das hat eigene
Merke. Da brauchen sie gar ksine Zeichnung, nur
Farbe und die Farbe ist hier alles. Sie drllckk
Stimmungen aus. Das liegk also auch den Kindern.

Kinber, welche auf diese Art arbeiten, lernen na-
kürkich auch sehen. Sie betrachten dabei ihre Far-
ben aus dem Malkasken und machen Erfahrungen
darüber, wie sie sich zusammenstellen lassen. Sie
probieren vielleicht etwas aus und kommen dadurch
in eine kätige Ark des Sehens hinoin, dle elwas an-
bereö ist, als das stille Äetrachten der Natur und
das mit lebhafken Gesühlen verbunden sein kann.
Das alles wirkt dann auf jenen Beschauer, der ähn-
llches erlebt und daher Berständnis oder besser
Empfindung baflir hat. Das ist eine andere Ark
Sehen zu lernen, als wenn man die Natur bevbachtet,
aber sie hat zweifellos ihre eigene Verechkigung, die
in der seelischen Natur des Menschen begrünbet ist.
— Damit ist aber noch nichk gesagt, baß bas Sehen
lerwen an der Natur zu verwerfen wäre. Es ist
sogar sehr gut, wenn ber Mensch — besonders der
heranwachsende Mensch, bessen Beobachknngsver-
mögen und Berstand entwickelt ist, z. V. elne
Pflanze auf ihre bokanischen Elgenkümlichkeiten hin
bekrachket. Er braucht sie deshalb noch lange nicht in
ein wissenschafkliches Syskem einzuklassifizieren. Er
kann die zweckmätzige Schönheik ihres Äanes im
einzelnen und im Ganzen bewundern und ihre
Form mchr ober wenlger genau aufs Papier brin-
gen. Dabel kann er oft durch gefühlsmäsziges Ar-
heiken mehr lerreichen, als wenn er alles in Einzel-
teilen photographisch genau und peinlich wiedergibt.
Dadurch wird er auch auf das Gebiek der Kunst ge-
wiesen. Doch handelt es sich hier um feine und
schwierige Dinge, dle schon eine gewisse Uebung und
Erfahrung im Beobachten voraussehen. Deshalb
sollke das Sehen lernen nach der Nakur bei den ein-
fachsken Dlngen» vielleichk den Werkzeugen des
Menschen, beginnen. Auch diese haben eine Form,
die troh ihrer Einfachheik einen tiesen Sinn hat.
Man zeichne z. B. einmal elnen Zammer aus dem

Gedächtnis. Ein Hammer Ist auch fiir cin Kind nichk
schwer zu zeichnen. Einen — wenn vielleicht auch
 
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