Dmtsche Blätier für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwoitltch für dte Schriftlettung; Profeffor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestratze 18
3. Iahrgang Dezember 1925 tzeft 12
Erklärungen und Leitsätzs über die Bedeutung und Ausgestaltung des Zeichen- und Kunstunterrichts an den
höheren Schulen. StudienprofessorAdolfBraig, München. — Wege zurSeele des Kunstwerkes. Paul Könitzer,
Berlin-Oberschönewcide. — Äas Zahlengesetz ver Ellipse. Kurt Hartmann, Leipzig. — Zu dsn Ansichten eines
Ilnmodernen. Eine Entgegnung von Älexander Müller-Lichtenberg. — Äber die „Ansichlen eines Unmodernen".
Schäffer-Aizen. - Zu den preutzischen Richtlinien für den Zeichen- nnd Kunstunterricht. Heinr. Grothmann,
Berlin-Lichterfslde. — Noch einmal: „Kunstblatt der Iugend". Gerlach. Sulzbach (Saar). — Wertvolle
. . Kunstbücher. — Buchbesprechungen. — Inserate.
Erklärungen und Leitsätzeüber die Bedeutnng und Ausgestaltung
des Zeichen- und Kunstunterrichts an den höheren Schulen
von Skudlenprvfessor Adolf Braig'München
Unsere höheren Schulen
verzichten durch die ein-
seitige Förderung der Ver-
uandeMtigkeit in weikem
Ausmah auf die Erfassung
edlerer und tieferer Kräfle
undBedürfnisse imjugend-
lichen Menschen. Dadurch
vermögen sie Religiosikät
und Wesensbildung nichk
s» stark zu erwecken, dasz
sie dem makerialistischen
Zug der Gegenwark wirk-
sam entgegenkreken könn-
ten. Eine weitere Folge
ist der Mangel an künstlerischer Kulkur auch unter
denen, die höhere Lehranstalten und Hochschulen im
übrigen erfolgrelch besucht haben.
Itnsere Schüler gewinnen kein lebendiges Ber-
hältnis zur bildenden Kunst der Bergangenhett wie
der Gegenwart. Itnd doch ist ein vertiestes Ber-
ständnis der großen Epochen der Menlchheitsge-
schichke nicht möglich ohne das Nacherleben oer
Kunstwerke, in denen Geist und Schicksale sich aus-
geformk haben.
Kunstgeschichte als gedächknismästiaes Lernfach ist
abzulehnen. Kunst kann ntcht auswenoig- gelernt son-
dern nur lnwendig aus dem Wegs anschaulichen Lr-
kennens und Urteilens ersastt werden. Ls ist wert-
los, von den Kunstgütern oer Bergangenheit nur
einige öahreszahlen, Künstler- und Denkmälernamen
in sich aufzunebmen, die mit Phrasen verbrämk sind.
Die srnste Beschäfkigung mit Werken der Likeratur
wird seit langer Zeik gepflegt. Die Merke der bil-
denden Kunst in entsprechendem Maste in den Be-
reich der Schulen einzubeziehen hat man bis heute
fast durchaus unterlassen.
ün Zukunft müssen die Kräfke stärker aufgerufen
und gepflegt werden, die den künstlerischen Gehalk
in aller Kunst aufzuschliehen vermögen. Es mutz
die Fähigkeit ausgebildet werden, im eigenen Tun
die Forderungen guten Geschmacks und künstlerischer
LebenSgeskalkung zu erfüllen. Wer z. B. von antiker
Kunst weist und dabei in geschmacktos eingerichteker
Wohnung lebt, wer die Schönheit einer griechischen
Amphora preist und beim Einkauf nicht imstande ist,
die Wahl einer schlichten Blumenvase sicher zu lref-
fen, gibt Zeugnis sür das von der eigenen Lebendig-
keit abgetrennte, unbewährke Wissen.
Wir sordern, dast sich endtich auch die Schule der
grosten Gegenwartsbewegung anschliests, die ver-
schükteke künstlerische Kräfke Im Bolke wieder aut-
rufen und ihm dadurch den Anschlutz an tiefste
Lebenswerte zurückgewinney will. (Werkbund, Ber-
einigungen zur Förderung von Heimatliebe, -schuh,
-kunst, Dürerbund, Kunst bem Bolke u. v. a.) Bel
dem sast allgemeinen Unvermögen zu formsicherer
Lebensführung im Bolke ist es eine Äufgabe der
Schule, in der heranwachsenden Generakion Sinn
und Berskändnis zu erwecken für Werkstoffe und
ihre werkgerechte Berarbeitung und die urkeils-
kräftige innere Anteilnahms an allem Gesunden und
Wertvollen, was Handwerk und Kunst zu ihrer Zeik
hervorbringen.
Die Enkwicklung der Kräfke, dis 'zu bildhafkem Ge-
skalten und zu künsllerischer Erkennknis führen, musz
ebenso in den Kern der Erziebung eingefajzt werden
wie es die Pflege der Muttersprache und der Likera-
Zeitschrift des Reichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwoitltch für dte Schriftlettung; Profeffor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestratze 18
3. Iahrgang Dezember 1925 tzeft 12
Erklärungen und Leitsätzs über die Bedeutung und Ausgestaltung des Zeichen- und Kunstunterrichts an den
höheren Schulen. StudienprofessorAdolfBraig, München. — Wege zurSeele des Kunstwerkes. Paul Könitzer,
Berlin-Oberschönewcide. — Äas Zahlengesetz ver Ellipse. Kurt Hartmann, Leipzig. — Zu dsn Ansichten eines
Ilnmodernen. Eine Entgegnung von Älexander Müller-Lichtenberg. — Äber die „Ansichlen eines Unmodernen".
Schäffer-Aizen. - Zu den preutzischen Richtlinien für den Zeichen- nnd Kunstunterricht. Heinr. Grothmann,
Berlin-Lichterfslde. — Noch einmal: „Kunstblatt der Iugend". Gerlach. Sulzbach (Saar). — Wertvolle
. . Kunstbücher. — Buchbesprechungen. — Inserate.
Erklärungen und Leitsätzeüber die Bedeutnng und Ausgestaltung
des Zeichen- und Kunstunterrichts an den höheren Schulen
von Skudlenprvfessor Adolf Braig'München
Unsere höheren Schulen
verzichten durch die ein-
seitige Förderung der Ver-
uandeMtigkeit in weikem
Ausmah auf die Erfassung
edlerer und tieferer Kräfle
undBedürfnisse imjugend-
lichen Menschen. Dadurch
vermögen sie Religiosikät
und Wesensbildung nichk
s» stark zu erwecken, dasz
sie dem makerialistischen
Zug der Gegenwark wirk-
sam entgegenkreken könn-
ten. Eine weitere Folge
ist der Mangel an künstlerischer Kulkur auch unter
denen, die höhere Lehranstalten und Hochschulen im
übrigen erfolgrelch besucht haben.
Itnsere Schüler gewinnen kein lebendiges Ber-
hältnis zur bildenden Kunst der Bergangenhett wie
der Gegenwart. Itnd doch ist ein vertiestes Ber-
ständnis der großen Epochen der Menlchheitsge-
schichke nicht möglich ohne das Nacherleben oer
Kunstwerke, in denen Geist und Schicksale sich aus-
geformk haben.
Kunstgeschichte als gedächknismästiaes Lernfach ist
abzulehnen. Kunst kann ntcht auswenoig- gelernt son-
dern nur lnwendig aus dem Wegs anschaulichen Lr-
kennens und Urteilens ersastt werden. Ls ist wert-
los, von den Kunstgütern oer Bergangenheit nur
einige öahreszahlen, Künstler- und Denkmälernamen
in sich aufzunebmen, die mit Phrasen verbrämk sind.
Die srnste Beschäfkigung mit Werken der Likeratur
wird seit langer Zeik gepflegt. Die Merke der bil-
denden Kunst in entsprechendem Maste in den Be-
reich der Schulen einzubeziehen hat man bis heute
fast durchaus unterlassen.
ün Zukunft müssen die Kräfke stärker aufgerufen
und gepflegt werden, die den künstlerischen Gehalk
in aller Kunst aufzuschliehen vermögen. Es mutz
die Fähigkeit ausgebildet werden, im eigenen Tun
die Forderungen guten Geschmacks und künstlerischer
LebenSgeskalkung zu erfüllen. Wer z. B. von antiker
Kunst weist und dabei in geschmacktos eingerichteker
Wohnung lebt, wer die Schönheit einer griechischen
Amphora preist und beim Einkauf nicht imstande ist,
die Wahl einer schlichten Blumenvase sicher zu lref-
fen, gibt Zeugnis sür das von der eigenen Lebendig-
keit abgetrennte, unbewährke Wissen.
Wir sordern, dast sich endtich auch die Schule der
grosten Gegenwartsbewegung anschliests, die ver-
schükteke künstlerische Kräfke Im Bolke wieder aut-
rufen und ihm dadurch den Anschlutz an tiefste
Lebenswerte zurückgewinney will. (Werkbund, Ber-
einigungen zur Förderung von Heimatliebe, -schuh,
-kunst, Dürerbund, Kunst bem Bolke u. v. a.) Bel
dem sast allgemeinen Unvermögen zu formsicherer
Lebensführung im Bolke ist es eine Äufgabe der
Schule, in der heranwachsenden Generakion Sinn
und Berskändnis zu erwecken für Werkstoffe und
ihre werkgerechte Berarbeitung und die urkeils-
kräftige innere Anteilnahms an allem Gesunden und
Wertvollen, was Handwerk und Kunst zu ihrer Zeik
hervorbringen.
Die Enkwicklung der Kräfke, dis 'zu bildhafkem Ge-
skalten und zu künsllerischer Erkennknis führen, musz
ebenso in den Kern der Erziebung eingefajzt werden
wie es die Pflege der Muttersprache und der Likera-