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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 11 (November 1925)
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Paulweber, Johann: Neue Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0316

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309

Neue

Don Ioliann

Ueber moderne Kunlt sich zu verständigen. ist des-
balb so schwier,g, weil die unsichtbare Quelle dieser
neuen Formen etwas ist, das jenseiks liegt der leicht
und verhältnismatzig miihelos erfahrbaren Allkäglich.
keik, lenseits auch der zu olymvischer Schönheit
emporgesteigerten irdischen GegenstandSwelt. <Wer
nun aus Mangel an Glauben und eigener Erfahruna
eine Wirklichkeit jenseits der üutzeren Welt nicht
hat, für den werden diese neuen Formen — auch
soweik kie nicht innerlich kraftlose, ästhekische
Splelereien und Erperimente sind — immer letzten
Endes rütselhaft bleiben. Wer gewöhnt ist, die
äutzere Gegenstandswelt als das Matz alleS Seins zu
betrachken, der kann hier nur Unvermögen, Wlllkür,
Zerstörung oder besten Falles leeren FormaliSmus
erblicken. Aier gilt unerbitklich: „Nur wer hat, dem
wird gegeben".

Ein Verehrer Oswald Spenglers wird nun skep-
tisch lächeln. denn er „weitz", datz die europäi che
Menschheit von heute ein religiös völlig entkräfke-
ter, unfruchtbärer Aoden ist, der keine Blüte reli-
giöker Zenseitigkeit und damit auch keine wirklich
echte und tiefe Kunst mehr hervorbringen kann.
Spengler hat zweifellos ein bewundernswertes Or-
gan, oas ihm öie Fähigkeit gibt, menschliche Kräfte
und Möglichkeiten äutzerst scharf und scheinbar rest-
los zu erfassen und abzuwägen. 3a, man wird nichk
umhin können, fast so gut wis alls seine FeMellungen
und Folgerungen als bedingungsweise richkig hinzu-
nehmen. Aber diese Hinnahme hat nur fllr den-
jenigen die niederschmekternöe Bedeukung der An-
nahme eines unbedingt und allgemein gültigen, das
höhere Leben vollends erdrosselnden Dvgmas, der
nicht sieht, datz SpenglerS Ausgangspunkt und
Grundeinstellung selber nur Station eines Weges ist,
von dem, innerhalb des geschlossenen Gehäuses
Spenglerscher Geistigkeit, nakürlich nicht ausgemachk
werden kann, ob er tatsächlich hinauf- oder hinab-
führt. Wenn Spengler alie moderne Religiosität,
auch die kirchliche, auch die katholijche als unent-
rinnbar rationallstisch und mechanistisch abkut, so
dürfke er damit sicher in hohem Grade ein Richtiges
getroffen haben. Diese verarmke Reliaiosität lebt
nicht Ichöpferisch in der andern Wirkltchkeik. Auch
sieht Spengler ganz tief und richtig, wenn er die
Möaltchkeit einer echten, grotzen und zukunftsreichen
Kunst von religiöser Schöpferkraft abhängig sein lätzt.

Es handelt sich also deute darum, ob nicht all unser
Kunststreben nur noch oberflächliche Mache ist ohne
innere Notwendigksik und inneren Sinn. Und dazu
ist es verdammt, wenn wir alle religiös entkräftek,
verarmt, unfruchtbar geworden sind. Da ist Spengler
geradezu Prophet.

Aber seiner Ueberzeugung, datz der europäischen
Menschheit nichts anderes mehr übria bleibe, als
die von ihm sogenannte „zweike Neligwktäk", die,
müde aller Bernünftelei, jich bedingungstos einem
Glauben ergibt, der alle Zweifel verfcheucht, der aber
— als Alterserjcheinung dieier Menschheik — un-
fruchtbar und unjchöpferisch ist, dieser Ueberzeuguna,
mit so bestechenden Gründen sie auch gestützt wird,
widerspricht nicht nur unser eiaenes Lebensaefühl,
das etwas anderes weitz, sondern auch GrÜnde
kämpfen gegen sie, die aus derselben Waffenkammer
der Geschichte genommen sind, wie diejenigen
Spenglers. Gewitz, unsere europäische Kulkur hat

Kunst

Paulweber


sich bis zu einem gewissen Grade ausgelebk, aber
— und datz er dies nicht sehen kann, ist die enk-
scheidende Schwäche Spenglers — das was dahin-
siecht, stirbt oder bereits gestorben ist, das mutzte ster-
ben, Um seinen letzten Sinn, seinem Kinde Platz zu
machen. Sieht man dies bereiks Antergegangene
als das Wesenkliche, als das allein Schöpferische an,
dann allerdings sind wir heute am Ende und Speng-
ler behälk in jeder Beziehung rechk. Anstakt nur mit
der gegenständlichen Kunst, die vor aller Augen in
den letzken Zügen liegt, ist es für uns mit der Kunst
llberhaupt aus. Nicht mehr recht aber behält
Spenaler vor dem, der erfahren hak, datz die 3ugend
der abendländischen Neliglosität einen Kern in sich
birgk, dessen Boilreise und Enthüllung gerade von
der ganzen Entwickiung abhängt, die Spengler als
lintergang kennzeichnek, so datz nun Untergang nicht
ein totales Absterben, sondern auch Mehgeburt eineS
Neuen bedeutet. Spengler ist grotz und notwendig,
sofern er diesen Untergang empfindek und selber in
der Art seiner Geistigkeik ein Äusdruck dieses Unker-
Mgs ist. Aber dieser Untergang ist nichk absolut,
ondern nur relativ. Die geschichkiichen Tatsachen
iegen überdies keineswegs so, datz Spenglers

. liisse irgendwie zwingend wären. Man kann wohl
wie Spengler z. B. im Dichter des Buches Hiob, in
Christus, Pauius, Plotin usw. friiharabische Men-
schen, also Skurmvögel einer neuen Kulkur sehen, die
plötzlich ganz selbskändig erwacht, ohne von der alten,
der antiken, innerlich bestimmk zu sein. Man kann
aber auch — vielleichk noch mit mehr Necht — in
diesen Menschen gerade die reifsten, die ganz not-
wendigen Frllchke dsr antiken Welt erkennen. Dann
haben diese, auch vom Spenglerischen Standpunkk
aus jungen und schöpferischen Kräfte von der Antike
nlcht nur ein Srück Ihres äutzeren Kleides, sondern
Blut und Leben. Die alte Kulkur ist nun nichks
hoffnungslos Absterbendes, sondern mit der neuen,
der frühchristlichen, „arabischen" zum mindesten eben-
so eins wie die Mukter mit dem Kind. 3n ihrem
untergang ist zugleich Geburt.

Heute liegen die Berhälknisse wie damals. Etwas
ist veraltet und stirbt ab: ein Neues will werden.
And die Geister scheiden sich in solche, die das Alke
mit Trauer- und Klaagesang zu Grabe geleiken und
so dessen Unkergang dokumentieren und in solche,
deren Weh ganz ausschlietzlich der Geburt des Neuen
dient. Datz Spengler, dieser immerhin noch krafk-
volle und in gewisser Hinsicht zukunftsschwangere
Exponent jener Trauernden, im unkergehenden
Alken das Neue nicht erkennen und allo auch dessen
Borzeichen nicht lesen kann, das ist in seiner ge-
schichtlich beschränkten Auffassung des Neligiösen
degründet, die, krotz verhältnismätzig bedeukender
Tiefenschürfung, schon als kllhle Vetrachtung von
autzen notwendig oberflächlich und äutzerlich blerben
mutz. Nach meinem Glauben, der für mich natürlich
ein Wissen i t, bedeutet die neue Kunst, obwohl, ja
weil sie einerseits Untergana und Zerstörung am
eindringlichsten und unerbitklichsten ausdrückt, ein
heimliches, ahnungsschweres Äreifen nach dem
Neuen. Freilich dem, was sich da in aller von viel
eitlem Lärm umkönken Zerltörung wirklich als echk,
oder wenigstens als eine Ahnung des Echten empor-
ringt, dem bleibk heute nichks übrig als Geduld und
 
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