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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

DOI issue:
Heft 11 (November 1925)
DOI article:
Paulweber, Johann: Neue Kunst
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0317

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die Bereikschafk, wenn es sein mufj Opfer zu werden.
Denn Opfer müssen aebracht werden. Ob wir schon
sehen, daf; der Oberflächlichen Zeit immer da ist, so
müssen wir doch neidloS wlssen, dasz unsere Zeit noch
nickt aetrommen ist. Nlcht deshalb, weil sie für uns
nicht oa wäre — wir wissen, was wir empfanaen
haben, ein unerschütterliches Reich, ein Reich der Zu-
kunft — sondern weil unsere Zeik in die anderen
noch nicht gelwmmen ist. Anstakl Sturmvögel der
Zukunft sind wir ihnen einskweilen nur Bogel-
scheuchen oer Gsaenwart.

Es ist aber lroudem nicht so, als ob die Form
eines Werkes, das als Niederschlag des im Erleben
ergrlffenen Neuen in der Sichtbarkeit zurückbleibk,
etwas sein müsse, das dem Menschen der alten An-
schauung ekwas ganz und gar Unzugängliches oder
nur Zerstörendes wäre. Es kann im Gegenkeil mik
einigem guten Willen dlese Form als Folge der dem
Alten einwohnenden Trlebe und Unvollkommenheiten
gesehen werden. An einem nichk zu krassen Beisviel
mochke Ich versuchen das darzulun. Schmerzliche Un-
vollkommenheit ist nakürlich als bei ekwas Mensch-
lichem vorausgesekt. Die Skudie zu dem Christus am
Oelberg zelgke elne einigermahen nach alker An-
schauung gegensländllch-räumllch gestaltete Flgur.
WaS hier wie in jedem gegenftändllä) aufgefahten
Bild dem vom Drange nach einer neuen, stärkeren
Wirkltchkeit gekriebenen Künstlerwillen, dem Künsk-
lerwollen letzten Endes überhaupt swie es z. V. in
Michelangelo, Zans v. Maröes usw. lebt) nicht ge-
nllgen kann, lst die Bereinzelung und Bereinsamung
des die Figur darstellenden Formenkomplexes, die
dieser unvermeidlich erfährt, sobald man das Gesetz
der Bildfläche und Bildgrenze talso konklnuierliche,
nirgends abgebrochene Ebene; scharfe, geometrische
Form) auf sich wirken läht. Bildfläche und Bild-
grenzs werden dem Betrachtenden wie dem Künskler
unausweichlich gleichsam zur Mutker, die dem, was
in ihr und durch sie werden soll, den Stemvel ihres
Wesens aufdrücken will. Der gegenständlich, d. i.
räumlich aufgefatzten, Figur aber wohnt nokwendig
ein geheimer Hah und trampf gegen die Mutker,
gegen Bildfläche und Aildgrenze ein; denn sie will
,a diese beiden sprengen zugunsten ihrer eingebilde-
ten Korperlichkeit. Alle oiese Gegenstände vortäu-
schenden Silhouetkenkomplexe sind gleichsam eine
Bergewaltigung, eine kleinliche, willkürliche Ber-
biegung und Einbeulung der, in ihrer nlrgendwo ab-
gebrochenen Kontinuikät, die Ewigkeit revräsentieren-
öen Ebene; wirken kleinlich und armseiig, wenn sie
unter dem Gesichtswinkel der doch gebotenen Ber-
wandtschafk zur geomekrisch scharf, grotz und klar
gezogenen Bildgrenze hekrachket werden. Ganz so
wlrkt der zerrlssene, kleinltche Mensch aus dem
Hintergrund des göttlichen Einklangs, der ihn be-
stlmmen will, ohne es zu können, solange der Mensch
an fich selber, an seiner selbstischsn, Gott feindltchen

wie die

^ Figur sich

in der abgeschlossenen Komposition mit vereinfachten
Linien und flächiger VehandMg'iu Aildebene und
Blldgrenze einschmiegt gleich den übrigen Figuren:
wie alle und alles (Eroe, Meer, Himmel, Aäume
und Menschen) unter dies selbe Geseh gebeugt, nun
in elne weit innigere und mächkigere Derwanbtschafk
zusinander treten, als das im räumlich-gegenständ-
lichen Setn se möglich ist.

Diese Bekrachtung aber wäre nur ein Schlüssel,
um ln das Wesen des Bildes einzudringen. DaS
Aufzeigen der mannigfalkigen Äeziehungen der
Fiauren untereinander, das Erfassen dieser Be-
zieyungen in ihrer Bedeutung innerhalb des Bild-
gefüges und In ihrer Rücksichtnahme auf Vildgrenze
und Aildebene usw. wäre ein anderer. Man gestakle
mir, ganz kurz noch auf Einzelnes hinzudeuken: Dle
langgezogenen 'Gestalten des stehenden Chrlstus und
des Engels miO seinen Flügeln fassen je am Nande
die senkrechte Vildgrenze und ipannen die Bild-
fläche zwischen sich aus; wobei ber Schwung ihrer
Linien wie der Schwung der übrigen Figuren, der
Bäume, der Erde bereits vom Nund der Nücken-
kurven der knieenden Hauptfigur bestimmk Ist. Da- ^
durch streben die beiden Eckpfeiler des Bildes
tstehender Christus und Engel) mit der Haupkfigur
sowie mit den von dieser mikbestimmten zu
einer formalen Einheik zusammen. Die Aildebene
wird von dlesen beiden Äandfigucen auf eine gegen-
sätzliche Wei e gefatzt: schwarz und weitz. Schwarz
nach rechts h nllbergeschoben wicd die Bildebene vom
knieenden Christus. Das Weitz der Ebene des Engels
wird links in der sihenden Apostelfigur breit ver-
ankert. Das Farbmotiv der liegenden Figuren
(Schwarz und Weitz einander durchdringend) setzk
sich in die Bäume bzw. Baumstämme hinein fort,
klingk in den Flüaeln des Engels, in den Schulkern
und Armen der Christusfiguren, in Sonne und dem
Meer darunter wieder usw.

Selbstverständlich ist der ilnhalt, das eigentliche
Mesen des Vildes mit der Erfassung dieser formalen
Beziehungen noch nicht gegeben. Das Bild als Form
ist gleichsam nur das Gikter, durch das hindurch der
das senseitiae Lichk schauen kann, dem es gegeben
oder wenigstens verheitzen ist. So wird das Aild
zum offen stehenden Tor des Todes. Erlischt im Be-
krachtenden oder im Künstler das Lichk und sede
Ahnung dieses Lichkes, so bleibk die Form dürr und
kalt zurück — als der Tod. Was nber da jenseits
erfatzk wlrd, ist: strengste, unbedinqte Berelnhelt-
lichung des auf Erden schmerzlich geschiedenen. Eine
metaphysiiche Einheit der Wesen wird da erfatzk und
geschaut, bie, wenn sie erst einmal ein Skück Wirk-
lichkeit im menschlichen Tagesgeschlechk geworden
sein wird, mik dem Zwange einer unenkrinnbaren
Herrschaft die resklos soziale Einstellung vom Ein-
zelnen verlangen mutz und zwar im Namen der Er-
füllung seines eigenen und eigentlichen Mesens.

Die Formen, die Gleichnisse dieser Einheik können
bis ins völlig Abstrakte gestelgert werde». Eine all-
gemeine nur rein abstrakte Kunst ist aber fllr uns
heute schon deshalb nicht möglich, weil das, was
vorzüglich Znhalt und Quelle einer solchen Kunst sein
mützke — sofern sie nichk nur ästhekilch, also wurzel-
los sein soll — im heuklgen Geschlecht noch nichk
stark und grotz genug ist, um Künstler und Bolk zu-
gleich zu erheben und zu vereinen. Bom Herab-
kommen des Aeberirdischen hängt zweifellos eine
neue Blüte der Kunst ab. Das kann aber nlchk
„gemacht" werden. And die, welche blind miklär-
mend stehen im lärmenden, massenhaften aber sinn-
losen Kunstbetrieb unserer Zeit, die, welche sich nur
in Katakomben — Ausstellungen genannt — und mik
akademischen Beerdigungsinstituken zu schaffen
machen, können nicht einmal das Sausen hören beS
Wlndes, der den neuen Frühling verkündet, noch
weniger um sein Moher und Moyin elwas wissen.
 
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