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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 4 (April 1925)
DOI article:
Natorp, Fritz: Das seelische Moment im Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0090

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briiigl, eS selbst zu sein, schwer, mühsam und qual-
vull, wenn man es mit Gewalt vor Äufgaben stellt,
bie seiner Natur fremd stnd, wie es immer -er Fall
ist, wenn m-an mlt vorgesastten Zielen an es heran-
lcitt, die den- 'Meinungen und Bedürfntssen von
uns Erwachsenen eninommen sind. Das soll nun nichk
heisten, dah man es ziellos stw selbst überlästt. Dann
wllr-de alles, was es kut, ln Spielerel ausarten und
ehten Endes zur Unfruchlbarkeit führen. Das Ziel
'oll lhm nur nicht von unserelnem-gesteckt werden, es
oll sozulagen sich selbst aus ihm selbst herausstellen,
eS soll sozusagen der Mensch selbst seln. Für uns
wird dadurch die Ausgabe nicht leichter, sondern
unendlich schwerer, und das ist gut so. Denn wlr
sehen uns vor -die Notwendl-gkeik gestellt, nichk
eine Melhode schematisch auf alles und alle anzu-
wenden, sondern fllr jedes Kind eln« besondere Me-
thode zu finden, weniger deä Beibringens und Lr-
klärens, als des Weckens, — eine unmögliche Auf°
gabe, wenn wir nicht gerade dadurch gezwungen
wären, aus dieser Bielheit von Möglichkeiten die
lehte Einheit herauszuschälen, die eben nicht -die
Einheit einer Methode, sondern die Einheit des
Schöpferischen, der Seele überhaupl ist.

Die Seele des Klndes ist so fehr unserem Einflusz
entzogen, sie ist etwas so Unberllhrbares und Un-aus-
sprechbares, dasz uns, wenn wir ganz ehrlich sein
wollen, nichts übrig bleibt, als ehrfürchti-g daneben
zu stehen, wenn sie sich auszudrücken ver ucht. llnd
unsere Arbeit wäre in dleser Hinsicht tatsächlich über-
flüssig, wenn dle Seele sich auch ungestört und frei
auszudrücken vermöchte. Äber «ben da liegt die
Schwierigkeik. Die Seele des Kindes, das zu uns
in Lie Schule kommt, kann eben nicht frei und un-
gestört heraus, sie ift -durch Bererbung, Erziehung
und Unkerricht, durch einen Wust von ihr gänzlich
fremden Dlngen der-arlig verschüttet, verklemmk und
verkrampst, dasz sie nlcht mehr frei slrömen, nichk
mehr spielend schaffen kann. Die drei bis vier 3ahrs
Schulunterricht, die das Kind, wenn es zu uns
kommt, hinter sich hat — (in Bolksschulen lieaen
die Berhältnlsse oft günstiger) —, haben In oen
meisten Fällen genügt das Bertr-auen des Kindes -in
die Kraft seiner Seele zu zerstören. Und wir wür-
den an diesem Zerstörungswerk mitschuldig, wenn
wlr -auf dieser Stufe -d-as Kind vor Aufgaben stellen
wollten, dle nur mit dem Seist, dem rechnenden und
messenden Berstande zu lösen stnd, wie dies der Fall
ist bei allem Zeichnen nach oer Natur, überhaupt
nach Gegenständen, sei es vor dem Modell, sei es
aus dem Gedächtnis. Denn auch dieses gehört nicht
der Seele, sondern dem Geiste an.

Unsere erste Aufgabe^wäre- also, in dem Kinde
die frei schaffenden, spielenden Kräste wieder zu
wecken. ÄieS kann nicht unmöglich sein, denn die
Seele lst ia nicht tot, sie kann gar nicht sterben,
da sle ewigen, göttlichen Ursprungs ist: ste arbeitet
ohne Beihilfe des Geistes, sle arbeitet unbewuhk.
l„Es dichtet in mir" sagt der wahrhafte Dichter,
nicht „ich dichte".) Sie -Ist nur versteckt. verschüt-
tet, lie hat sich sozusagen schamhaft zurückgezogen,
um sich nicht an den tausenderlei Dingen, die auf
den Geist einstürmen und ihre Anforderungen an
ihn stellen, und die ihr absolut welensfremd sind,
zu beflecken. Und wenn wir -überhaupt imstande

sein wollen, die Seele zu wecken und aus Ihrem
Bersteck hervorzulocken, müssen wir den unbeding-
ken Glauben haben an ihre unzerslörbare Krast,
die ihre Wuczeln nlcht ln den materlellen Dingen
dieser Welt und dieser Zeik hat, sonst wlrd uns nichls
gellngen.

Aber wie? Keine Methode, die auf alle Kinder
und auf alle Aufgaben gleichmäsilg -angewandl wer-
Len könnke, kann hier helfen. Sovlel Einzelseelen
wir zu wecken haben, soviel verschiedene Wege mlls-
sen wlr einschlagen. Und jsdesmal den richligen zu
wählen — vlese Schwlerigkeik scheint unüberwind'
lich. Und sle wäre es, wenn nicht lm tiessten Grunde
-das Seelische doch überall das gleiche wäre, und
wenn nlcht auch alle Formen, in -denen dle frel
schasfende Kraft Gestalt gewinnt, aus eine kleins
Zahi einfachster Grundformen zurllckzusühren wären,
nach der Gesetzlichkeit unserer Anschauung und un-
seres Denkens. Die letzte Einheit alles Seellschen
bleibt uns freilich ewig verborgen, aber an den
Gest-altungen, -die «s hervorbringk, können wir das
llberall gleichmätzig waltende elnheilliche Gesetz -der
Gestaltung selbst immer erkennen. Erkennen — also
mit unserem Geiste, unserem Berslande ausnehmen,
abgrenzen, ermessen. An dieser Slelle ist der Geist
der bisher vlellelcht etwas schleäit weggekvmmen
ist, durchaus am Blatze, da er hier nicht zu herr-
schen, sondern zu -bienen hat, zu dienen dem Zöhe-
ren, dem Seellschen. Und da ergeben sich für uns
— wohlgemerkt für uns, die wir dis Führer und
Erwecker sein sollen, nicht etwa fllr das Kind —
einige einfache Tatsachen, die uns helfen können,
-den richtigen Wleg in jedem Elnzelfalle einzu-
schlagen.

Alle Form-en, die möglich sind, lassen sich zu-
rückführen auf einfachste Grenzformen, so wle auch
dle F-arben nicht unbeschränkt, sondern in äuherste
Grenzen einzuspannen sind, -ie je nach dem Stand-
punkt, den man dabel elnnimint, mehr physikalischer
oder mehr sinnlich-silllicher Art sind. Dazu trelen noch
allerlei andere Beschränkungen -durch das Material,
dle die Formgestalkung wesenllich zu beeinflussen ver-
mögen; auch hlervon abgesehen sind dle Beschrän-
kungen, die in dem schafsenden 2noividuum selbst lie-
gen, -nicht auheracht zu lassen. Man darf behauplen,
-dah jeder Mensch — in weiterem Sinne auch jedeS
Bolk, Isde Rafse — sich nur in ganz besllmmler
Weise in Formen und Farben auszudrllcken vermag,
datz jedem Menschen nur ein bestimmler Formen-
und Farbenkompler zur Berfllgung steht und er
zum Ausdruck semes Wesens und wohl auch anderer
Wesen und Dlnge in anders gearlelen Komplexen
mehr oder weniger unfähig ist. Man wird HSufig
Im Zeichenunterrichk die Beobachlung machen kön-
nen, datz Kinder, an deren Fähigkeiten inan schon
völlig verzweiselte, plötzlich llbcrraschende Leislun-
gen zu Dage förderten, sobald sie — meist durch
Zufall — Gelegenheit fanden, sich in den ihnen allein
«Igentümllchen Komplezsn auszudrllcken, sei es, datz
>er Nakurgegenstand, den sie darstellen sollken, zu-
-ällig In irgendeiner Weise diesen Komplexen ent-
pr-ach, sel es, datz sie innere Hemmungen zu llber-
winden und srei aus sich herauszugehen vermvchten.

Unter Berücksichligung dleser Talsachen und unler
Anwendung mancher Beobachlungen und Anregun-
 
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