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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

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Heft 4 (April 1925)
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Natorp, Fritz: Das seelische Moment im Zeichenunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0093

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Pbb. 2

Papierschnltt. Phantasie

oderrealschule Kiippingen <Stndie»rat Smeltü))

Polaritäten. Lin Beispiel möge diese vielleicht man-
chem Leser nsue Behauptung beleuchten. Einer mei-
neiner schüler zeigke längere Zeit hindurch Unlust
und Ilnfähigkeik, die ihm von mir hingestellten und
gebührend angeprlesenen Gegenstände, farbige Tövfe,
abzunialen, und alS er slch doch dazu «nkschlob,
schien es ihm, der recht gut begabk und Immer eifrig
bei der Sache war, einfach nicht möglich zu sein, dle
Farben befagter Töpfe auch nur einigermaszen rich-
lig zu treffen. 3ch liest ihm daraufhin vollkommene
Freiheit in der Wahl seiner Formen und Farben
nnd kam so sehr bald dahinter, dah die ihm eigen-
lllmliche Farbenspannweite sich von reinem Schwarz
iiber Blau, dumpfem Rot und dunklem Grün bis
gellgrün erstreckte. Landschaften, die er aus der
Phantasie heraus darstellte, zeigten nur diese Far-
ben, die er In vollkommener Harmonie zusammen-
zustellen verstand. Nachdem er.etNa.idreilliertel 2ahr«
in dieser Weise gearbeitet hatte, kam er ganz von
selbst wisder auf Modelle zurück und es tauchten da
plötzlich, ohne datz er von mlr oder von Mitschülern
beeinslutzt worden wäre, leuchtende rote und satt-
gelbe Töne auf, die jedenfalls als AuSdruck stärkerer
seelischer Spannungen zu deuken rvaren. Denn die
^ormen- und Farbenkomplexe samt ihren polaren
Spannungen ändern sich n-atürlich mit. den indi-
viduellen seelischen SpannungszustÜnden. Das ein.
zige Mittel, -ie Ausdrucksfähigkeit des einzelnen

Schülers zu erkennen und auf ihr dle weitere Aus-
bildung aufzubauen, ist dis möglichst restlos« Be-
seitlgung innerer Hemmungen, insbesondere der
Angst vor dem Lehrer und üer Angst, et-
was „falsch" zu machen. Ist in dem Schüler
erst einmal die innere Freiheii von allen
derartigen Hemmungen erreichk, so lätzk er sich
von da aus wieder vorslchtig zu „richkigen" Leiskungen
zurückenkwickeln, besonders wenn es gelingt, in ihm
die Erkenntnis zu wecken, datz die Natur schlietz-
lich auch nicht anders arbeitet, als seine Psyche, üatz
auch am nakürlichen Gegenstand die polaren Gegen-
sätze in Form und Farbe zu harmonischem Zusam-
menklang gebracht sind, datz ohne diesen harmoni-
schen Zusammenklang die Natur garnicht slchtbar
wäre, und datz er üiesen „Drang der Nakur nach
Sichtbarkeit", wie Kunowskt es nennt, in sich felbst
bewutzt «rleben kann. Dvch darf diese weitere be-
wutzte Ausrvirkung des polaren Prinzips, wenn über-
haupk, nur auf einer Entwicklungsstufe einsehen, wo
der „Gelst" gebieterisch sein Recht verlangt, wenn
in dem Schüier auch die intellekluelle Selte selner
Psyche nach Auswirkung und Fornigestaltung
drängt. Der rein seelische, unbewutzte Vestaltungs-
wille mutz so lange wie irgend möglich in seiner
Frelhelt belasien werden und nur auf Ihn und seins
ihm eigentümlichen polaren Grenzen darf der Gestal-
tungswille des Geistes gegründet werden, wenn nicht
 
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