Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

DOI issue:
Heft 8 (August 1925)
DOI article:
Buchbesprechungen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0231

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
224

zM'iii iiicht kemit, anfaiigen? Auf diese Weise wird
maii auch die Rätfel der Höhlenzeichnuiigen der
älteren Steinzeit nicht lösen und sagen können, die
uhiisiovlastische Kunst sei eine einmalige, isolierte
Erlcheinung, die keine Entwicklungsfähigkeit gehabt
have.

Dann sehe ich keinen inneren Eegensatz zmischen
dem „naiiirlich-iinpreMvnistischen" Rhythinus etma
der Zeichnung einer Romitierherde anf Bogelknochen
aus der Erotte de la Mairie Lei Teyjat, Dordogne
und der anaewandten orncrinenkalen rhythmischen
Verziernng. Beides Mal gibt sich even der Blut-
rhythmus automatisch kund.

Max Seliger: Handschrist und Zeichnnng von
Kiinstler» alter und neuer Zeit. (Veriag von E. A.
Semann, Leiuzig.) Seliger, der verstorbene Direktor
der Staatlichen Akademie für Buchgewerbe und
Eraphik in Leipzig hat, wie wir aus der Einleitung
„Zur Erinnerung an Max Seliger" von Eustav
Kirstein ersahren, lange an dieseni Buch gear-
üeitet. „Durch Amtsgeschäste behindert, hat er die
Arbeit jährelnng hurumgetragen, bak daran aeformt
und gefeiit, getilgt niid hinzugefiigt, LIs schlietzlich
der Tod vor die Vollendung trat." Leider ist Seligers
Text fern der Vollendung geblieben, veshalb iiber-
nahm Frau Anja Ad a mki e w i cz-M end el-
s o h n, die sich schon längere Zeit mit gleichen Unter-
suchungen beschäftigte, die Aufgabe^ dem Vuch eine
Einleitung zu geben, die in das Problem einführt
und zu weireren Studien anregen soll. Schrift und
Zeichnnng eines Künstlers geben in übereinstiinmen-
der Weiso Kunde von dem Seelenleben ihrer Ur-
heber, sie sind der Ausdruck ihres Charakters, ihrer
Persönlichkeit. So könnke man etwa das Problem
umschreiben, das sich Seliger stellte. Das Problem ist
schrver. Wohl ist Schreiben wie Zeichnen Ausdrucks-
Bewegung und Ausdrucksgestaltung, und beide ent-
schleiern, wie wir an den spontanen Kinderzeich-
nungen sehen. das Wesen eines Menschen oft mehr
als andere Ausdrucksmittel. Die innere Verwandt-
schafk beider bei Künstlern zeigt schon ein ober-
flächlicher Blick auf die Schriftproben und Zeich-
nungen, die dem vorlieaenden Werk beiaegeben sino.
Jndessen, so verfübrerisch der Eedanke ist, diese
Ueberoinstimmung, die wlr gefühlsmätzig sofort er-
fassen, auf eine einheitliche Formel zu bringen so
schwierig erweist sich das Problem, sobald man ihm
im Einzelnen nachgeht, es mit begrtfflichen Mitteln
fassen will. Seine Lösung erfordert neben einem aus-
reichenden, einwandfreien und eindeutigen Unter-
suchungsmaterial, das nur schwer, manchmal über-
haupt nicht zu beschaffen ist, besondere und seltene
Fähigkeiten. Nicht nur Uebung im Sehen und Er-
kennen der graphischen und künstlerischen Tatbe-
stände, die Seliger sicher hakte, sondern auch Breite
ver charakterologischen Erfabrung und Tiefe des
charakterologischen Wissens. Dazu erheben sich na-
mentlich für die Zeichnung noch MMtzere Schwierig-
keiten. Wir wisfen, dab nur solche ischriftproben
sichere Unterlagen fiir die Deutung des seelischen
Wesens ihres Urhebers bieken, Lei denen der Schreib-
Nkt sich hemmungslos, absichtslos vollzog. Das Zeich-
nen ist nun aber, abgesehen von der eigentriebig ent-
standenen Kinderleistuug viel mehr ein an eine be-
stimmte Absicht gebundener Akt der Willkür als die
automatische Schreibbewsgung. Es ist viel mehr ein
Ergebnis des Formwillens als das Schreiben, dazu

manchen Hindernissen unterworfen. Völlig spontan,
unbehindert aus dem inneren Nhyihmus flietzende
Zeichnungen sind bei den meisten Kiiiistlern selieii.
Nur solche Zeichnungen vermögen aber das Trieb-
leüen. den Wesenskern des Urhebers zu enthüllen. Fiir
die Dentung der Handschrift der Künstler ftellk sich
ein weiteres Hindernis ein: das unwillkürllche Hin-
eingleiten in die Zierschrift, wödurch das ursprüng-
liche Ausdrucksgebilde von willkürlich angenommeiien
Fornien überwuchert wird. Und es bedarf schon eines
ausgiebigen Schrfttmaterials, das Seliger jedenfalls
in den seltensten Fällen zur Verfiigung stand, um das
Ur der Hanoschrift herauszuschälen. Zudem ist jeder
Einzelfall, jede einzelne Persöiilichkeitsdeutniig ein
Problem für sich, das innerhalb einer etwaigen all-
gemeinen Eesetzmätzigkeit als solches betrachtet wer-
den mus;. Dieser Gesichtspunkt fällt fiir den Künstler-
kyvns, der an individuelleii Abweichungen besonders
reich ist, stärker ins Gewicht als sonst.

So vermute ich, es war nicht nur Behinderung
durch Nrbeit, die Seliger nicht zur endgiiltigen Lö-
sung des Problems kommen liesj, sondern er faud,
nachdem er sich mit der begrifflichen Formulieruiig
des Problems beschästigte, mehr und mehr die un-
gebeuren Schwierigkeiten heraus. Wie grotz diese
sino, ersehen wir aus den Deutungen, die Anja
Adamkiewicz-Mendelsohn gibt. Sie gehen nirgends
in die Tiefe und lassen einen Hauptgesichtspunkt
antzer Vetracht, den der Doppeldeutigkeit jeder Aus-
druckserscheinung. Wie oft machen die Deukungen Len
Eindruck, datz in die Schrift eben das hineingelegt
wnrde, was man von der Persönlichkeit des ein-
zelnen Künstlers stcher weitz. Wie wären die Aus-
legungen wohl ausgefallen, wenn Schrift und Zeich-
nung getrenut und ohne Kenntnis der Urheber vor-
gelegen wären? Diese Eedanken miissen Auja Adam-
kiewicz-Mendelsohn auch gerommen sein, denn sie
schlietzt ihre Arbeit mit folgenden resignierenden
Worten ab: „Zu erfühlen ist das Wesen aus der
Handschrift. Wie aber aus dem Material inenschlicher
Eigenschaften und Begabungen das künstlerische
Schaffen sich ablöst, wissen wir nicht. Zwischen Mensch
und Schöpfnng steht das Eeheimnis. Zusammenhänge
sind spürbar, aber es schlietzt sich kein lückenloser
Ning. Nur blitzhafte Einblicke in die menschliche
Seele sind uns geschenkk."

Mit dieser Kritik soll das Werk nicht entwertet
werden. Dem Kunstsreund wie dem Knnstlehrer
wird es gleich teuer fein als eine Sammlung der
nrfprünglichsten Wesensäutzerungen unserer grotzen
Künftler. Es ift eines der versönlichsten Kunstbücher,
die in den letzten Jahrzehnten erschienen sind. Es
führt uns zu den Quellen der Kunst und wird seinen
Werk dauernd behalten.

Ein Wintermärchen von Ernst Kreidolf. Der Not-
apfelverlag Erlenbach-Zürich hat sich das Verdienst
erworben. die schönsten Vilderbücher Kreidolfs in
vorziiglicher Mledergabe der Zeichnungen des un-
vergleichlichen Meisters nnd in beftsr Ausstattung
heranszugeben. Das „Wintermärchen" zeigt den
Künstlsr von einer ganz anderen Seike, insofern nicht
die Blumenwelt, sondern Zwerg und Fee und Win-
terlandschaft im Mittelpunkte stehen. Dieses Bilder-
buch bleibt aber hinter den früheren in keiner Weise
zurück: wir meinen fogar, es sei das Schönste von
allen. Der Offsetdruck wird den duftigen AqnareNen
in jeder Hinstchk gerecht.
 
Annotationen