Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 5.1925

DOI Heft:
Heft 11 (November 1925)
DOI Artikel:
Braig, Adolf: Der neue Geist im Zeichenunterricht
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.22865#0312

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lastöir zu Iragen. Denn wer nicht zugleich zrigen
kann aus welcher Vergangeuheit der Akensch dieser
Zahrz'ehnts herauskommsi und wie er eine wesenllichö
Uiiistellung ini eigenen Ssin und Ler Aujzenwelt ge-
geMer durchmacht, wie er in der diesseiligrn Er°
sahmngswelt sich einbürgert, Aähe und Ferne ent-
-eckend aufschliejzt, wie der forschend nach innen ge-
richtete Blick sichbbar wird in der AildniSkunst, das
Slreben nach AauinerschliejZung in der Lan'ischasts-
lmnst, wie aus diesem Geist heraus Ersindungen und
Entdeckungen geboren werden mutzten — kurz: wer
alles äujzere Geschehen nicht aas tiefen inneren
Waudlung^n heraus begreift und darzustellen ver.
inag, wird auch allrn Wissensstoff nlcht in das leben-
dlge Wefen und Werden des SchülerS elnzubinden
vermdgen. Denn nur Lebendiges will sich mit Lebe»-
-igem verelnigen.

Und nur intellekkualistische Einstellung kann den
Glauben erwecken, kunstgeschichtliches Wissen be-
-eute zugleich iebendige kanirlerlsche Erziehung und
fllhre letzten Endes zu künstlerischer Kultur. Leule
unkernimmk mancher, ohne bedenklich zu werden,
Vorlräge liber die Kunstgrlchichke aller Zelten und
Bölker und versagt doch gänzlich Im eigenen Urteil
über ein Kunstwsrk und noch gewisser in der gering.
sten aus künslilerischer Kulkur enti'pringenden Lat wie
der eigenen WohMngselnrichtung. Aeuszerliche
Kuiistkennerschaft allein gidt eben noch nichl künst-
lerische Bildung, wie auch allgemein ausgebrciketes
Wissen altein noch nicht allgemeine Bildung gibk.
Diejec Gefahr, allzuleicht abhörbares Wissen und
Köimen anzuhäufen, daä dem Schüler beim beften
Willen nicht In die Natur eingehen kann, ist der
Lehrer,-auernd auSgesetzt.

Auch für den Zeichenunkerricht sind solch krllbe
Fehlerguellen lange geflossen. Lr hat sie nicht immer
abzudämmen vermocht. Da wäre vor allem zu reden
vom blotzen Abzeichnen nach Borlagen, Ornamenten
und Kövfen, die manchem von uns Aelteren einst-
mals alle ursprüngliche zeichnerische Lust in der
Oede mehr oder weniger geduldig gsübker Handfer-
klgkeit haben versinken lasjen. Heuke können wir es
verstehen, warum wir damals hinter den grotzsn
Pappen» auf denen die Dorlagen ausgezogen waren,
besonders gerne die Hausaufgaben für die nächsten
Schulstunden „abgefeilt" haben. Aus den Erzeugnif-
len, die schlletzlich zusammenkamen, hak man eine
Art Kunstaussteltung in der Schule bestrltten, die vor-
wlegend auf Effekt gearbeitet war und zuineist guk
gefallen hak. Man kann aber auch verstchen, Latz Lie
Erinnerung >an manchen unberufenen- und nicht aus.
gebildeten Lehrer und seinen Lehrbvtrieb noch in vie-
len wach ist und ihr Urteil über Sinn unü Bedeukung
des Zeichenuniterrichts auch von heute bestimmk. Da
sind nun freillch in allem so tlefgehende Äandlungen
zukage getreten, datz das Neue vom Akten nichk
mehr viel enthält. Aber die UnkerschZtzung. bleibk
auch idem Gegenwärkigen gegenüber, weil man öas
Spälere nichl m-ehr kennen gelernt hak. Alan alaubk
iimiier noch, Laä Zeichnen bedeute eine Handfertig-
keit, zu der man ausnehmende Begabun« mikbringen
mllsse, oder es wolle zum Künstler erziehen, und da-
zu sei erst rechk nichk jsder geeignek. Dieser Wahn
kann nur durch die Einsicht ln den gegenwärtigen
Stand des Faches ausgetrieben werden. Den guten
Willen dazu mutz man billig fordern.

Z05

Die beherrschende Skellung im Freihandzeichnen
der höheren Schulen hat heute das Zeichnen nach
der Nakur. Es hat die Erlösung von der geisllos
nachahmenden Strlchmacherei und dem krügerischeii
Schsin des Dorlagenzeichnens nebracht. Mnii jchafst
nichk mehr Abzeichnungen theatralisch mimeiider
KLpfr mik aufgerissenen Äugen und wallendeii Locken
oder inaiiierierten Landschaften, !n denen selbsl schon
alles Leben in seichter Kalligraphie ertrunkeii ist,
und auch nichk mehr Kopien nach Ornaiiieiiteii, von
denen man nachfühlend nichk erfahren konnke, wie
und an welchem Orte sie schmllcken solllen und in
dieser Sinnlosigkeik ihr Lebsn eingeblltzk odec eS nie
gewonnen hatten. And doch droht heute der fcischen
Fahvk eine neue Klippe. 3n frllheren Zeilen war es
iminer so gewesen, datz inan „aus viel Abinachen
sein Gemlit vollgefatzt hat" (Dllrer), sei es ein blosz
bökrachkendes oder ein täkig zeichnendeS Abniachen
zewesen. War es doch von metaphysischen VorauS-
etzungen bestimmt und nicht blojz ein oplisch ver-
tändiges Amfetzen äutzerer Sachverhalte in das
Flachbild. Eine getreue Nalurstudie aus dem 3ahre
1ü4t1 ist von einer ebenso getreuen aus dem siahre
1500 wektenweit entfernr, ebensoweit, als die Well
des Barock von der Zeitenwende dec Gotik zur
Nenaissance entfernt ist. Das allgemeine Sehen nicht
nur das des Künstlers, war liinernieiischlich be-
dingk. Nur eine ii!telleklualistisch--makerialisiilche Zeik
konnke von freier Nakuranschauung absolute Sachiich-
keit fordern. Die Deiwissenschaftliä)ung alles Sehens
war ihr Ziel. Erfiillung brachte der photographische
Apparat. Darin ist die Abbildung der Nalur weseut-
lich entfeelt, von aller „Derfälschung" durch Zeik-
geist und Subjekt befrelt, sie ist weitgehend sachlich
geworden. Den meisten Menschen von heute erfüllk
die Photographie völlig Ihre Anjprüche an die bild-
hasie Äufnahme der sichkbaren Welt, sie enkhält ihuen
Geist genug. Zeichnet heute ein Maler einen dlalur-
ailsschnikk mik photographlscher Treue ab, so hört er
von den meisten Zuschauern entzückte Lobsprllche:
„Tadellos, wunderbar, ganz nakllrlich, datz man so
etwas kannl" Man siehl eben seine eigene, von
Empfkndung ausgeleerte Nakurbekrachkung in üer
gleichen Art und im Tun des Anderen tatsächlich er-
füllt und Ist besiiedigt. So einseitig hat inan seine
iniiere Welt dem blotzen Missen um die Dinge aus-
geliesert, datz mau sich mit einem me.chaiiischeii Ab-
klatsch der Rabur auf Lie Bildfläche zufrieden gibt.
lind „Kunst ist doch gerade das, was man nicht photo-
graphieren kann" lFeuerbach). Auch in der Schule
konnte es nicht a-usbleiben, datz in das Naturzeichnen,
das man als Erlöfung von Schablone und Aeutzer-
lichkeit empfand, zugleich der ernüchternde Geist der
neuen Zeit da und dork mit elnströmte und zu allem
Guken hln dle Gefahr einer neuen Mechanisierung
heraufbeschwor. Zsichnen kann als blotz nachahineii-
des Dermögen ohne Mitwirkung seelischec Kräske
ausgefatzt werden. So gerichtete Leiskuiigen erschejnen
als reinliche Projekkionen des Körperhaflen ins
Flachbild, enthallen vlel Wissen um Perspeklive und
Aeberschneidungen, sind klar und gefällig. Kein Zwei-
fsl: sie sind das Ergebnis nokwendiger und lobens-
werter Bemühung, energischer Anspannung der den-
kenden Kräfke und wohlgellbker Darstellungsfähig-
keit. Ilnd doch sind sie ungebührlich bestechend, weil
sie als Ergebnisfe tüchtiger Dressur an glänzend aus-
 
Annotationen