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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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C. C. Newton's Bericht über die Schätze von Mykenä, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0258

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C. T. Neivton's Bericht über die Schätze von Mykenä.

ein großer Theil der den Todten mitgegebenen Schmuck-
und Ausrüstungssnchen zu dem gehörte, was die italie-
nischen Antiquare oro fuuobro nenneu würden: sie sind
zu dünn, als daß sie von den Lebenden je hätten ge-
tragen oder benutzt werden können.

„Jn beiden Klassen besteht das Charakteristische
der Goldarbeit im Allgemeinen darin, daß die Formen
selbst und die Ornamente entweder durch Hämmern
oder durch das Pressen von Goldplatten in eine
Form oder eiu Muster hergestellt sind. Die audereu
Zweige der Goldschmiedekunst — Treiben, Gießeu,
Löthen — finden sich wohl gelegentlich angewendct,
scheineu jedoch nur sehr sparsam von den Verfertigern
des mykenischen Schatzes herangezogen worden zu sein.
Jedes Stück ist so weit wie möglich aus einer einzigeu
Metallplatte herausgehämmert. Wo die gewünschte
Form des Geräthes dies zu schwierig machte, ist das
Zusatzstück mit NLgeln angenietet, nicht angelöthet.
Diese Art, die einzelnen Theile zusammenzunageln, ist
den Archäologen längst als die charakteristischc Eigen-
thümlichkeit jener älteren Metallarbeit bekannt, welche
bei den Griechen Sphyrelaton hieß, wobei das Löthen
keine Anwcndung fand. Hauptsächlich wegen dieser
primitiven Art der Metallbearbeituug erscheincn die in
MykenL gefundenen goldenen Bechcr unseren Augen so
seltsam und roh, dic wir an die zierlichen Formen ge-
wöhnt sind, welche die späteren griechischen Metall-
arbeiter von der Töpferkunst entlehnten.

„Die meisten mykenischen Trinkgefäße gchören
einem von zwei Thpen an. Jn dem einen verengt sich
der Bauch des Gefäßes vom Rande abwärts zum Boden,
so daß es, auf den Kopf gestellt, die Form eines abge-
stumpften Kegels zeigen würde. Da es nur einen Henkel
hat, so ist es dcn kleincn Maßen sehr ähnlich, mit denen
die Milchmädchcn ihre Milch ausschöpfen. Die andere
Form, welche einst in Mykenä Mode war, möchte ich
den Becherthpus (Aoblst tnw) nennen. Der Bauch
dieser Gefäße hat die Form eincs halben Eies und
ruht auf einem Stiel, der sich unten zu einem kreis-
runden Fuß erweitert. Auch dieser Typus hat nur
einen Henkel. Fast alle Gefäßhenkel, welche in diesen
Gräbern aufgefunden wurden, sind so hergestellt, daß
man einen dicken Goldstreifen in eine für die Hand
bequeme Form bog und ihn am Rande und am Bauch
des Gefäßes festnietete. Meistens sind sie ganz glatO
nur in wcnigen Fällen ist ihr oberer Ansatz mit Bogel-
oder anderen Thierköpfen geschmückt, welche für sich in
Relief herausgehämmert und mit Goldnägeln befestigt sind.

„Wie wir in den Lltesten Erzeugnissen der
griechischen Töpferkunst die glatte Oberfläche deS Thons
mit gcmalten Mustern oder Figuren verziert finden, so
ist an diesen mykenischen Goldgefäßen dic glatte Ober-
fläche des Bauches mit Figuren oder Mustern ge-

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schmückt, welche aus derselben Platte wie der Beche»
selbst in Relief herausgeklopft sind. Dic Muster be-
stchen größtentheils aus Reihen oder Streifen
Thieren oder Blumen rund um den Bauch des Bcche^
herum. So sinden wir an einem Gefäße eine Reilst
Delphine, welche in entgegengesetzter Richtung
wogende Wellen hinabschießen; an anderen ringsum re>»
nende Löwen, oder Reihen paralleler Blätter, vermuth'
lich Oelblätter, welche schräg auf einem Streifen rundO'
Blumen augebracht sind. An einem Stück ist de>
Bauch des Gefäßes durch senkrechte Linien in Felde>'
getheilt, jedes mit einem Zweige darin, anschcine»»
wieder einem Oelzweig.

„Außer den erwähnten beiden Haupttypen sindc»
sich einzelne Beispiele anderer Gefäßfornie»'
von denen einige den Typen der späteren Töpferku»h
sehr ähneln. Auch die Henkel sind nicht immcr ci»'
fach. Einer hat Abtheilungen für die einzelnen Fi»g^
und frei gearbcitete Zierrathen (opsn rvorle ornnmontii)'
auch sind ein paar Beispiele doppelhenkeliger Gefäw
da. Das Gewicht und die Dicke der Gefäße sind c>"
heblich verschieden. Eines hat im Inuern ein Futtc>>
zwei vom Bechertypus sind an der Verbindung dc§
Stiels mit dem Bauche mit irgend eincm andc>>'
Metall ausgegossen, vermuthlich, um sie vor zu leichte»'
Umfallen zn schützen. Es ist auch eine kleine goldci»
kreisruude Schachtel mit einem Deckel vorhanden, ei»>'
sogenannte Pyxis; desgleichen ein kleines Gefäß
gleichem Stoff mit einem Deckel nnd mit Schlingen, »^
es an einer Kette zu befestigen. Ein silberner Kr»>)
(Oinochoe) gleicht in der Form sehr stark den späterc»
Thonvasen dieser Gattung.

„Gehen wir von den Gefäßen zu den Schmu^'
sachen und Ausrüstungsgegenständen dcr Vc>'
storbenen über, so begegnen wir einem ganzen Ch»»^
von Materialien für einc kiinftige Geschichtc der Go)d"
schmiedekunst, fast sämmtlich mit dem gemeinsamen Me>'^'
mal, daß die Ornamente herausgehämmert oder hi»ei>»
gepreßt sind, nur höchst selten gegossen, getriebcn »dc>
angelöthet. Die vorherrschenden Ornaniente »»)
Muster sind durchweg entweder dem Pflanzenreich »dc>
der Thierwelt eutlehnt, bald mit einander verbundc»'
bald in Einzelauwendung. Die Blumenornamente zeig^
eine gewisse unbestimmte Freiheit und wuchernde, u»^'
bundene Ueppigkeit, welche auf eine durch lange Ueb»»b
erworbene Handfertigkeit hinzudeuten scheint. Die Th>e>
gestalten sind unbeholfen und gezwungen in ihren
wegungen, ihre Anatomie ist großtentheils unbeachl>
geblieben oder nur höchst schwach wiedergegeben. A» '
zeigt sich nirgendwo in der Ornamentirung eine Sp»'
jenes Gleichgewichts zwischen den einzelnen Theilen »»
jener kunstvollen Symmetrie, welche in den Ornamei»^
der späteren griechischen Kunst so stark hervortraten, »»
 
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