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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Valentin, Veit: Dieneuen Fenster der Katharinenkirche in Frankfurt a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0298

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Die neuen Fenster der Katharinenkirche in Frankfurt a. M.

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schaft unbestritten anerkannt ist. Um so anfmerksamcr
müssen wir die Entwürfe des jungen Architekten be-
trachten, um so mehr als diese für die Gesammtaufgabe
maßgebend gewesen sind.

Linnemann sollte Glasmalereien, d. h. Werke einer
Kunst, welche wesentlich im Anschluß an die gothische
Architektur sich zu ihrer höchsten Blüthe entfaltet und
ihren maßgebenden Charakter ausgebildet hat, in einer
Kirche anwenden, welche ihrem konstruktiven Charakter
nach allerdings gothisch gedacht ist, in ihrer Einzeldurch-
führung des dekorativen Gebietes aber die Anklänge an
das Gothische geflissentlich vermeidet oder, wo sie nicht
zu umgehen waren, umstimmt und in den Charakter
der herrschenden Kunstrichtung sanft überzuleiten sucht.
Diese aber ist, der Zeit des Kirchenbaues entsprechend,
1678—1680, die der schon zum Barockstil entwickelten
Renaissance, in der eigenthümlichen Gestaltung, welche
diese auf deutschem Boden gewonnen hatte und die erst
in unserer Zeit ihre Ancrkennung als eine selbständige
und anderen Ausbildungen ebenbürtige gefundeu hat.
Jst es doch erst weuige Jahre her, daß Lübke eine zu-
sammenfassende Geschichte der deutschen Renaissance als
Grundlage weiterer, in's Einzelne gehender Aus-
arbeitungen gegeben hat! Wenn nun alle dekorativen
Elemente diesem Stile entnommen waren, so konnte
nicht eine gothisch gedachte Glasmalerei dazwischen
treten, ohne das schreiendste Mißverhältniß hervorzu-
bringen. Der Künstler hat somit die Aufgabe, in
Renaissanceumgebung die Glasmalerei einzufügen, d. h.
er mußte die Kunst der Glasmalerei umdichten und, den
neuen Verhältnissen entsprechend, aus diesen neu heraus-
schaffen — ein Experiment, das kühn genug ist, nm
ihm Anerkennung zu zollen, auch wo es verfehlt wäre,
das wir aber als cinen neuen Weg öffnend begrüßen
müssen, wenn es gelungen ist.

Das gemalte Fenster soll in erster Linie nicht eine
selbständige Bedeutung für sich in Anspruch nehmen,
sondern ornamental wirken, d. h. es soll in dem ganzen
großen Reigen des Schmuckes der Kirche ein Glied
bilden, welches fähig ist, das Uebrige zu heben, so wie
ihm selbst alles Andere helfend zur Seite zu treten hat;
es soll an seiner Stelle und seiner eigenthümlichen Be-
schaffenheit sowie der durch diese veranlaßten Besonder-
heit gemäß das Formenspiel aufnehmen und zu neuem
Ausdrnck gestalten. Bei den ältesten Fenstern geschah
dies im Anschluß an die Entstehung der Glasmalerei,
welche ihren Ursprung daher nahm, daß die das grelle
Licht dämpfenden Vorhänge durch die auf das Glas selbst
übertragenen Vorhänge ersetzt wurden. Zum Ausdruck
der Gewebemuster bcnutzte man die technisch verwandte
mosaikartige Zusammensetzung farbiger Glasscheibchcn,
die Muster aber in der Farbenstimmung, sowie in den
Formen entsprangen naturgemäß dem herrschenden Stile,

deni sie einen neuen Tummelplatz für seine FormeM
und Farbenlust gewährten. Die wachsende Technik reizte
bald zu neuen Versuchen: in Medaillons setzte man ein-
zelne Figuren, die um ihrer sich dem Ganzcn untcr-
ordnenden Bedeutung willen, zugleich aber auch dcM
Charakter der Technik entsprechend nur thpischen Aus'
druck haben konnten, und die diesen auch dann nicht aus-
gaben, als die Mcdaillons durch freie Figurengruppcü
verdrängt wurden. Ernste Ruhe und Gelassenheit be>
äußerlich streng architektonischem Aufbau blieb 'der
Charakter, so lange der Stil in seiner Reinheit sich
erhielt, so lange die Kunst sich ihres Ursprunges be-
wußt blieb. Sobald aber dieses Bewußtsein ver-
schwunden war, trat eine freiere malerische Behandlung
an die Stelle der alten Strenge, und es darf uns, bei
der oft gerade bei den Producirenden herrschenden Um
kenntniß auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Kunst'
betrachtung, nicht wundern, wenn diese malerische Rich"
tung die Aufgabe des gemalten Fcnsters schließlich ganz
und gar vergaß und nns mit Glasmalereien beschenkle,
welche sich von dem Tafelbild nur durch den sehr
zweifelhaften Vorzug der Transparenz unterschieden.

Soll nun eine Glasmalerei dem Renaissancestile
entsprechen, so darf sie einerseits den ornamentalcN
Charakter in ihrer Haupterscheinung nicht außer Achl
lassen; andererseits aber muß sie die Vortheile der
malerischen Freiheit dieser Kunstepoche sich zu eiged
machen, um ihre Berechtigung innerhalb dieses Stiles
zu erweisen. Die Festhaltung des ornamentalen Charak-
ters vermag nun aber keine bildliche Darstellung bessir'
zu geben, als die architektonische: ist doch gerade die
künstlerisch wirksame Seite der Architektur die ornamen-
tale! Zugleich aber bietet die architektonische Darstellung
reiche Gelegenheit zur Entfaltung malerischer Auffassung^
Daß Linnemann diesen Kompromiß zwischen dem Grund-
charakter der Glasmalerei, wie er sich aus ihrer Ent-
stehung nothwendig ergiebt, und dem Rahmen, in welchclt
er seineSchöpfung hineinzubilden hatte, mit deutlichemBe-
wußtsein gesucht hat, zeigt ihn uns als denkenden Künstler!
die Art seiner Ausführung aber beweist, daß das Denked
beim Künstler kein Hinderniß, vielmehr ein Hebel seinei'
Schöpfungskraft ist, deren ursprünglick quellende Krasi
freilich, wo sie überhaupt fehlt, durch Reflexion nich^
ersetzt werden kann: die Fassung nutzt nichts ohne den
Sprudel — aber der Sprudel ohne die Fassung vei'-
läuft im Sande. So hat denn Linnemann als mächtig
in die Augen springende Darstellung eine stolze, könig^
liche Architektur vor uns hineingestellt, in ihren'
Charakter sich dem Stil der Kirche, in ihrer Pracht sich
dem weltbewegenden Ereigniß anpassend, das in ihr sich
vollziehen soll. Mit echt künstlerischem Takt hat er sich
über das Bedenken hinweggesetzt, welches kleinliche^
Nergeln dnrch die geistreiche Bemerkung ausspreche"
 
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