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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Valentin, Veit: Dieneuen Fenster der Katharinenkirche in Frankfurt a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.5785#0299

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Die neuen Fenster der Katharinenkirche in Frankfurt a. M.

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kvnnte, daß Renaissancearchitektur zu Christi Zeiten uub
"r Palästina gegen die historische Wahrheit verstieße!
^asse man doch die historische Wahrheit da, wo sie hin-
Lkhört, in der Wissenschaft und der ihr dienenden
^llustration, nnd gestatte man der künstlerischen Schöpfung
iur oie neue Welt, welche sie baut, die poetische Wahr-
heit, die innere Uebereinstimmung, die Freiheit sich
gerade die Formen zu wählen, die das Empfundene am
dvllendetsten aussprechen! Die Geburt Christi, sein
^eben und sein Tod ereignen sich eben nicht nur unter
Kaiser Augustus: sie haben auch heute noch für cine
Zrvße Zahl denkender und fühlender Menschen ihre hohe
^edeutung, und was uns gehört in seinem Werth und
seiner Wirkung, dürfen wir uns in der Dichtung auch
^adurch zu eigen machen, daß wir es mitten in unsre
^Lirklichkeit hineinstellen. So haben von je die Künstler
des Wortes und des Bildes gedacht, vom Dichter des
Heliand durch alle Künstler des Mittelalters und der
^enaissancezeit hindurch, und erst der Nüchternheit
"useres Jahrhunderts war es vorbehalten, die Stütze
^er Wissenschaft, die historische Kritik, zur Krücke der
künstlerischen Darstellung zu machen, — kein Wunder
^aher, daß oft genug die „Treue" der Gewänder, der
kköaffen und sonstiger Zuthaten historischen Bildern cinen
örößeren Werth verleiht als die dichterische Schöpfung,
k^e man vergeblich sucht.

Und wie geistvoll hat Linnemann gerade dies Motiv
öenutzt! Auf den Ruinen menschlicher Größe erwächst
^ben, Tod und Auferstehung desjenigen, der da lehrt,
k>aß erst das Jrdische in seiner Nichtigkeit erkannt und
^nigemäß weggeworfen werden müsse, bevor das wahre
^eben seinen Anfang nehmen könne! Da sind es denn
Trümmer eines stattlichen Schlosses, in welche sich
kae Familie geflüchtet hat, und wo das große Ereigniß
Teschah, das Frieden auf Erden schafsen sollte. Hier
^ie in den anderen Darstellungen verwendet Linnemann
^n durch die außergewöhnlich schmalen Fenster ihm
öestatteten Raum in der Weise, daß er nach zwei Seiten
hin eine Raumerweiterung erreicht: durch die von ihm
öetvählte schiefe Ansicht und die hierdurch hervorgebrachte,
die malerische Auffassung sehr günstige Perspektive
ä>eht er den Raum in die Breite und Tiefe; durch die
^ahl eines doppelten Schauplatzes auf der Erde und
^Nein oberen Stockwerk motivirt er in ungezwungener
Aufsteigen in die Höhe, wie es durch die
bst bedingt ist und erhält zugleich eine wohl-
Ausfüllung der langgezogenen schmalen Fläche.
^er Abschluß nach oben und unten wird durch die Um-
^hmung mit einer besonderen Architektur erlangt, welche
I»it dxx ArchiMur Bildes nicht zusammenhängt,
^elniehr in ganz schmalem Rande auch an den Seiten
^^öen didser sich hinzieht und so den Nahmen vollständig
^schließt. Zugleich dient diese umrahmende, in reicher

^eije das
^bnster sel
^gründete

Ornamentik ausgeführte Architektur zur Aufnahme ^der
Namen der Stifter unterhalb des Bildes, zum Aus-
klingen nnd zur Fortführung des in dem jedesmaligen
Bilde angeschlagcnenGrundtons über derHauptdarstellung.

Die einzelnen Bilder sprechen deutlich für sich, so-
bald der herrschende Gesichtspunkt für die Komposition
und die Ausführung erkannt ist. Sind es doch die
wohlbekannten Thatsachen, die in immer neuer Auf-
fassung wicder zu finden, dem Beschauer eine besondere
Freude gewährt. Da sehen wir die Geburt Christi;
von der einen Seite eilen ncugierig die Hirten herbei,
deren einer sich in einem schönen Motive um eine Säule
legt; auf der anderen Seite ist Josef beschäftigt, aus
dcm Brunnen Wasser zu holen, ein genrehaftes Motiv,
das uns so recht in den idyllischen Charakter des Ereig-
nisses führt, dessen unvergänglicher dichterischer Zauber
gerade in dieser Verbindung des einfachsten nnd schlich-
testeu Familienlebens mit der unaussprechlich hohen Be-
deutung liegt, die weit über den engen Kreis hinaus-
ragt. Von oben strahlt durch die Nacht der Stern,
nach welchem die Könige schauen, die oben über die
Brücke ziehen und bald an der Krippe die irdische Herr-
lichkeit vor der göttlichen Demuth zum Opfer bringen.
Jm obersten Felde aber singen die Engel, und den Ab-
schluß bildet dcr shmbolische Hinweis auf den sich für
die Welt vpfernden Heiland durch den Pelikan.

Auch auf Golgatha denkt sich der Künstler, seiner
Aufgabe zu Liebe, ein verfallenes prächtiges Schloß, das
in seinen Ruinen aber gerade die Räume bietet, die den
höhnenden Feindcn willkommen sind, um das Scyauspiel
der Hinrichtung behaglich zu genießen. Das Armesünder-
glöckchen fehlt nicht, und die oberen Räume gewähren den
furchtsameren Anhängern die Möglichkeit, auch ihrerseits
dem ihrer Erwartung so wenig entsprechenden Ereigniß
beizuwohnen. Aber schon verkündet die Versinsterung von
Sonne und Mond die auch durch die Hinrichtung nicht
zerstörbare weltumfassende Bedeutung des Erlösers. Oben
aber halten Engel vie Siegespalme über dem „Haupt
voll Blut und Wunden" und darüber schwebt der hei-
lige Geist.

Die Auferstehung zeigt uns ein prächtiges Grab-
mal, in welches der Leichnam vorläufig untergebracht
worden war, und das in seiner Ornamentik, dem Kinder-
todtentanz, dem Medusenhaupt, den Ketten, den blätter-
losen Reisern, seine Bestimmung sowie den Charakter
des Grabes als des den Leichnam einschließenden Ker-
kers ausdrückt. Aber Christus zerbricht den Kerker, und
machtvoll entschwingt sich der Auferstandene dem Sar-
kophage. Die Gluth des aufgehenden Lichtes strahlt
von ihm aus, und am Himmelsteppich zeigen sich die
Rosen der Morgenröthe. Die Engel aber zeigen die
Siegesfahne niit Bändern und Kränzen, nnd den Triumph
der Unsterblichkeit symbolisirt der Phönix.
 
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