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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Berichte von Nah und Fern
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Literarische Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0170

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164

ziges die ganze Schumann’sche Lyrik aufwiegt,’1, und schliesslich die ungarischen Tänze,
— sämmtlich Compositionen von Brahms.
Die Haydn’sche Symphonie wurde gut ausgeführt. Dass aus dem Andante ein
Allegretto gemacht und der letzte Satz förmlich heruntergerissen wurde, muss damit ent-
schuldigt werden, dass Levi an diesem Tage' überhaupt nicht wiederzuerkennen, seine
ruhige Miene triumphirenden Blicken, seine sicheren besonnenen Taktschläge lebhaften
Gestikulationen gewichen waren.
Nach Beendigung der Schubert’schen Arie, die von Vogl sehr schön ausgeführt,
wirkungslos vorüberging, klopfte Levi auf’s Pult, — spannender Moment grösster Ruhe —
Brahms erscheint — kräftiger Applaus, die Orchestervariationen, welche nun unter seiner
Leitung zu Gehör gelangten, sind wahre Meisterstücke auf dem Gebiete der Papiermusik.
Die Orchestertünche besteht hauptsächlich aus Reminiscenzen aus der protestantischen
Kirche und geschickt benutzten modernen Effecten; die ganze Mache befindet sich auf
höchster Höhe der Notenfabrikation. So haben die letzten Compositionen dieses Meisters
wenigstens das Gute, dass durch sie eine ganze Schaar von „Componisten“, welche sich
durchaus berufen fühlt, die Welt mit Trio’s, Quartetten etc. zu beglücken, todt gemacht
wird. Das Gesagte gilt jedoch hauptsächlich von seinen späteren Werken, und ist es
aufrichtig zu bedauern, dass Brahms, wie manche Andere vor ihm, den Anfangs einge-
schlagenen, von wahrer Kunstbegeisterung vorgezeichneten Pfad verlassen hat, um in den
bequemeren und lukrativeren des Meisterzünftlers einzulenken. — Das den Variationen
folgende Clavier-Concert gehört zu jenen früheren Schöpfungen, in denen es Brahms noch
darum zu thun war, etwas zu sagen. Namentlich ist der erste Satz durchdrungen von
einer tiefernsten Herzenserregung, die in den Themen sowohl, wie in den Nüancen der
einzelnen Phrasen und der Instrumentirung in erhabener Weise zu Tage tritt. Dieses
Werk ist eben nicht gemacht, sondern wirklich componirt, die Themen sind nicht erdacht,
sondern von Innen heraus geschaffen. Gegen die äussere Form muss man jedoch Bedenken
hegen. Die Claviertechnik ist hier der Schumann-Chopin-Liszt’schen gegenüber durchaus
dürftig und hausbacken, auch wird das Clavier vom Orchester stark überschattet, so dass
Virtuosen mit diesem Concert schwerlich ihr Glück machen dürften. Als Muster von
einem Clavierconcert als solches kann man es daher nicht hinstellen; passender wäre
schon die Bezeichnung: „Symphonie mit obligatem Clavier“, doch ist auch dieses nicht
zutreffend; es ist eben keine wahre Symphonie und viel weniger eine „Neunte“. Jeden-
falls muss jener Berichterstatter bei seinen Lesern einen starken Glauben vorausgesetzt
haben, als er ihnen mittheilte, es habe Jemand, der noch keine einzige Symphonie zu
Stande gebracht, in der Absicht, ein Clavierconcert zu componiren, eine zweite „Neunte“
geschaffen. Brahms ist in diesem Werke, seinem Inhalte nach, der würdigste Schumannianer,
auch werden 'die Schöpfungen seiner Epigonenzeit stets als solche geachtet und beachtet
werden. Jedoch — der Schritt vom Epigonenthum zur freien Originalität ist der ent-
scheidenste in der Entwickelung des Künstlers; bei wem derselbe nicht frühzeitig und
ohne Mühe gelingt, dem blüht kein Heil; und will er sich mit Gewalt des Epigonenthums
entledigen, so verfällt er der Carricatur oder dem Handwerkerthum. Auch Brahms ist der
bewusste Schritt nicht gelungen, in Folge dessen er sich krampfhaft an Haydn und Händel
anklammert, die der heutigen Welt schon fern genug liegen, um sie mit modernen dem
Zeitgeschmack entsprechenden Costümen versehen, derselben als etwas Neues, Originelles
vorführen zu können. Und fürwahr — diese Costüme sind so ausserordentlich geschickt
zugeschnitten, dass der oberflächliche Beschauer, von der routinirten Fagon geblendet, die
geborgte schöne Gestalt darüber vergisst. Es sind eben formelle Aeusserlichkeiten, mit
denen Brahms operirt; da man aber im Leben wie in der Kunst viel zu grossen Werth
auf dieselben zu legen pflegt, so ist Brahms momentaner Erfolg sehr erklärlich.

Literarische Rundschau.
Aus altrömischer Zeit. Culturbilder von Theodor Simons mit Illustra-
tionen von Alexander Wagner. Berlin bei Gebrüder Paetel. 1873
bis 1874.
Denkt der Trinker beim Schlürfen des köstlichen Rebensaftes wohl der Mühen,
Seufzer und Sorgen des armen Winzers, der ihn producirte?
Denkt der Essende an des Landmanns heisse Stunden, während welcher er
 
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