Frau wird sich selbst HLnwerfen, ebenso ein wildes, desperates Tun, auch als
freLwilliges Opfer. Es sind wilde Taken, die Lmmer gefchehen werden Ln der oder
jener Gestalt; aber es Lst sinnlos, sie moralisch konstruieren zu wollen, sie ent-
gehen der TheorLe. Man kann nichL darüber dozieren, ob solches erlaubL sei
oder nichL erlaubt sei, ja, ob es etwa gar zu verherrlichen sei (wie die Iudith
des Hebbel verherrlicht wird). DLe Frau, die dergleichen Opfer bringt, kann
nur verschwinden, sie hat sich ausgelöscht aus der Gemeinschaft der Menschen
eben miL diesem Opfer für eine GemeinschafL — sie muß verschwinden, sie
kann nur eine Legende sein. Und darin liegt nicht GerechLigkeiL noch Unge-
rechtigkeiL, sondern es erfüllt sich ein Geseh. Wenn die Menschen das nicht
WorL haben wollen, so Lst es, weil sie sich überhaupt die herbe FurchLbar-
keit des Lebens nicht gern ansehen. Es sind zaghafL-kleinbürgerliche Ge-
sichkspunkte, die Ln solchen Überlegungen spielen, nicht ein Schauen auf die
ganze Menschheit. „Es sind die Fernsten, die eure Nächstenliebe bezahlen."
Es gibt eine GestalL bei Shakespeare, Isabella (Maß für Maß), die Ln
solcher Bedrängnis es auszusprechen und zu fordern weiß, daß das Leben nichk
als der Güter höchstes gelten darf, es auszusprechen weiß dem gegenüber, der
Lhr Opfer zu seiner LebensretLung verlangt. Isabella weiß von der Verant-
wortung vor einer leHLen Instanz, die alle MenschheLL umfängt; die den
Menschen auch mitnmfängL, der, um sich zu reLLen, sie und sich selber Ln den
Schmutz ziehen möchte; und dessen Seele sie aufhebt, gerade weil sie sich Lhm
nichk opfert. SLe Lst eine der vollkommensten Gestalten Ln der ganzen Weltlitera-
Lur: das christliche SeinsgeboL, aufgenommen von einem starken Renaissance-
Menschen, der starke, gerade Mensch, der sich Lief Ln die Hände GoLLes beugt.
WLll man LheoreLisieren über unseren Fall, so läßt sich sagen: wenn der
Verderber mit Sicherheit darauf rechnen könnte, Frauen Lun dergleLchen
nicht, Franen halten auf sich, so würde er seine Forderung nicht stellen, es
wäre ein Problem weniger Ln der WelL. Er Lst nicht allein der Verderber des
Mädchens, die Summe der Frauen, die dergleichen je LaLen, ist es mit Lhm.
SLe bringen das Mädchen herunLer und Lhn.
Es ergibt sich hier, wie es sich Lmmer ergibt, daß unser heutiger AlLruismus als
Begrist, als objektives Prinzip, kein selbstverständliches Miveau und keine
InhalLe hat; daß die SubjekLiviLäL sie herzubringt. Auch unser heutiges:
„Liebe deinen Nächsten als dich selbst", hat keine InhalLe. Es steht Ln der
Bibel*: „Du sollst GoLL lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und
von ganzem GemüLe und deinen Nächsten als dich selbst." Ilnd an den
vielen anderen Stellen, an denen das GeboL der Nnchstenliebe sich findet,
steht Lmmer der GoLL vor dem SLnne des Menschen, ob er genannt wird oder
nicht. „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, denn Lch bin der Herr."
Es Lst mißlich, wenn der AufgeklärLe, der den GoLL nichk mehr glanbt, mit des
GoLLes Sprüchen hantiert und gar nnt HälfLen davon, als ob sie Ganze
wären. Wir können — wir AufgeklärLen — mit der Hälfte des Sprnches,
die von dem GotLe redet, nichks mehr machen; es enkgehL uns, daß wir dann
auch mit der anderen Hälfte nichts machen können; sie hat keine GegründeL-
heit mehr, sie Lst jeder Willkür und BeliebigkeiL preisgegeben. Der ganze
Spruch hat den vollen Nachdruck der GoLLeslehre, die Seele, die vor GoLL
* ^Lkakthäus 22, Z7
2go
freLwilliges Opfer. Es sind wilde Taken, die Lmmer gefchehen werden Ln der oder
jener Gestalt; aber es Lst sinnlos, sie moralisch konstruieren zu wollen, sie ent-
gehen der TheorLe. Man kann nichL darüber dozieren, ob solches erlaubL sei
oder nichL erlaubt sei, ja, ob es etwa gar zu verherrlichen sei (wie die Iudith
des Hebbel verherrlicht wird). DLe Frau, die dergleichen Opfer bringt, kann
nur verschwinden, sie hat sich ausgelöscht aus der Gemeinschaft der Menschen
eben miL diesem Opfer für eine GemeinschafL — sie muß verschwinden, sie
kann nur eine Legende sein. Und darin liegt nicht GerechLigkeiL noch Unge-
rechtigkeiL, sondern es erfüllt sich ein Geseh. Wenn die Menschen das nicht
WorL haben wollen, so Lst es, weil sie sich überhaupt die herbe FurchLbar-
keit des Lebens nicht gern ansehen. Es sind zaghafL-kleinbürgerliche Ge-
sichkspunkte, die Ln solchen Überlegungen spielen, nicht ein Schauen auf die
ganze Menschheit. „Es sind die Fernsten, die eure Nächstenliebe bezahlen."
Es gibt eine GestalL bei Shakespeare, Isabella (Maß für Maß), die Ln
solcher Bedrängnis es auszusprechen und zu fordern weiß, daß das Leben nichk
als der Güter höchstes gelten darf, es auszusprechen weiß dem gegenüber, der
Lhr Opfer zu seiner LebensretLung verlangt. Isabella weiß von der Verant-
wortung vor einer leHLen Instanz, die alle MenschheLL umfängt; die den
Menschen auch mitnmfängL, der, um sich zu reLLen, sie und sich selber Ln den
Schmutz ziehen möchte; und dessen Seele sie aufhebt, gerade weil sie sich Lhm
nichk opfert. SLe Lst eine der vollkommensten Gestalten Ln der ganzen Weltlitera-
Lur: das christliche SeinsgeboL, aufgenommen von einem starken Renaissance-
Menschen, der starke, gerade Mensch, der sich Lief Ln die Hände GoLLes beugt.
WLll man LheoreLisieren über unseren Fall, so läßt sich sagen: wenn der
Verderber mit Sicherheit darauf rechnen könnte, Frauen Lun dergleLchen
nicht, Franen halten auf sich, so würde er seine Forderung nicht stellen, es
wäre ein Problem weniger Ln der WelL. Er Lst nicht allein der Verderber des
Mädchens, die Summe der Frauen, die dergleichen je LaLen, ist es mit Lhm.
SLe bringen das Mädchen herunLer und Lhn.
Es ergibt sich hier, wie es sich Lmmer ergibt, daß unser heutiger AlLruismus als
Begrist, als objektives Prinzip, kein selbstverständliches Miveau und keine
InhalLe hat; daß die SubjekLiviLäL sie herzubringt. Auch unser heutiges:
„Liebe deinen Nächsten als dich selbst", hat keine InhalLe. Es steht Ln der
Bibel*: „Du sollst GoLL lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und
von ganzem GemüLe und deinen Nächsten als dich selbst." Ilnd an den
vielen anderen Stellen, an denen das GeboL der Nnchstenliebe sich findet,
steht Lmmer der GoLL vor dem SLnne des Menschen, ob er genannt wird oder
nicht. „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, denn Lch bin der Herr."
Es Lst mißlich, wenn der AufgeklärLe, der den GoLL nichk mehr glanbt, mit des
GoLLes Sprüchen hantiert und gar nnt HälfLen davon, als ob sie Ganze
wären. Wir können — wir AufgeklärLen — mit der Hälfte des Sprnches,
die von dem GotLe redet, nichks mehr machen; es enkgehL uns, daß wir dann
auch mit der anderen Hälfte nichts machen können; sie hat keine GegründeL-
heit mehr, sie Lst jeder Willkür und BeliebigkeiL preisgegeben. Der ganze
Spruch hat den vollen Nachdruck der GoLLeslehre, die Seele, die vor GoLL
* ^Lkakthäus 22, Z7
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