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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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11. Heft
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Fachliche Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0306

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288

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

I. Band.

Fassen wir zum Schlüsse die obigen Ausführungen
in folgender These zusammen:
«Die Mitteleisen an den Parierstangen orientalischer
Schwerter und Säbel bildeten einen integrirenden Theil
des Handschutzes und waren dazu bestimmt, schlecht,
d. h. vorwiegend flach parierte Hiebe noch am Griffe
aufzuhalten und nicht von den Parierstangen abspringen
zu lassen. Daraus ist zu erklären, dass Mitteleisen an
denjenigen Hiebwaffen fehlen, welche anderweitigen, z. B.
tellerförmigen Handschutz besitzen oder für das Hand-
gemenge bestimmt sind und daher der Schutzvorrichtung
für die Parade feindlicher Hiebe nicht bedürfen.»
E. v. Lenz.

Eine alte Rüstung, gefunden in einem der
Hügelgräber (kurgan) Südrusslands. Im Jahre
1897 fand der Gutsbesitzer des Kiew’schen Gouverne-
ments Herr Snosko-
Borowski bei Durch-
forschung von Hügel-
gräbern in einem der
kleineren Hügel des
Kreises von Kanewsk
ein altes Grab mit
denUeberresten eines
in voller Rüstung be-
erdigten Kriegers.
Das Grab enthielt
ausserdem noch die
Gerippe zweier Pferde
mit einigen zu deren
Zäumung gehörigen
Gegenständen, Re-
sten eines Sattels,
einem eisernen Ge-
bisse und Steigbü-
geln , sowie einem
kleinen Broncekessel.
Der Todte war
bekleidet mit einem
Panzerhemde und
trug einen eisernen
Helm mit eiserner
Gesichtsmaske
(Schembart) auf dem
Haupte; neben ihm
wurden gefunden: ein
110 cm langer Säbel
von orientalischer
Form, ein eisernes Kriegsbeil, ein kleines Messer und
einige eiserne Pfeilspitzen, deren eine eine durchbrochene
kreuzförmige Verzierung trug.
Der Fund ist höchst bemerkenswerth, obgleich nicht
der erste in dieser Art, denn ähnliche Exemplare von
Rüstungen, unter gleichen Verhältnissen in Gräbern des-
selben Kiew’schen Gouvernements gefunden, sind bereits
im Besitze des St. Petersburger Artillerie-Museums als das
Ergebniss der von dem Director dieses Institutes aus-
geführten Ausgrabungen, allein das Exemplar des Herrn
Snosko-Borowski ist selten gut erhalten und dieser Um-
stand verleiht ihm besonderen Werth. So ist der Hals
von 36 cm Höhe vollständig unversehrt und fehlt an
ihm nur das abgetrennte Maschennetz, welches, im Verein
mit der Helmglocke und dem Schembart Kopf und Helm


Petschenegenrüstung aus der Zeit um das
X. Jahrhundert. Fund aus dem Gouverne-
ment Kiew, Kreis Kanewsk in Russland.

des Kriegers vollkommen bedeckte. Am Schembart be-
finden sich zwei Bronce-Ohren mit Ringen, ein gleicher
Ring ist am Kinn angebracht, das Ganze von recht roher
Arbeit. Das Panzerhemd ist vollständig erhalten, und
wenn es auch durch die Last der darüber liegenden Erd-
schicht in mehrere Stücke gerissen ist, so lassen diese
sich doch genau wieder zusammenpassen, so dass die
Form des Hemdes fehlerfrei reconstruirt werden kann.
Sehr interessant ist, dass der untere Theil des Panzer-
hemdes, wie auf der Abbildung ersichtlich, in Falten nach
oben gezogen liegt, und lässt sich dieses dadurch erklären,
dass beim Einsenken in das Grab die Leiche sich nicht
in horizontaler Lage befand und in Folge dessen die
Füsse niedriger zu liegen kamen.
Derartige Hügelgräber finden sich, wie gesagt, durch-
aus nicht vereinzelt im Kiew’schen Gouvernement vor;
diese Art der Todtenbestattung aber (d. h. in Gemein-
schaft mit getödteten Pferden) trifft man an verschiedenen
Orten des südlichen Russland, was deutlich darauf hin-
weist, dass die Veranstalter solcher Begräbnisse einem
der orientalischen Nomadenvölker angehörten. So kennen
wir z. B. Fälle, wo in den Gräbern nur Frauen- oder
Kinderleichen lagen und trotzdem bei denselben Pferde-
gerippe gefunden wurden. Auf dieselbe Provenienz sol-
cher Gräber weisen unter Anderem auch die in ihnen
enthaltenen Exemplare orientalischer Waffen, z. B. Säbel.
Es bleibt aber noch die Frage offen, welchem Volks-
stamme die Hügelgräber dieser Art zugeschrieben werden
können.
Gewisse archäologische und historische Erwägungen
lassen uns zu der Ueberzeugung kommen, dass solche
Gräber dem Turk-Stamme der Petschenegen angehören.
Wir können hier nicht auf die Details der Frage eingehen,
wollen aber doch hervorheben, dass die bei den Begra-
benen gefundenen Gegenstände in kulturhistorischer Be-
ziehung den Beweis für ständige Beziehungen des frag-
lichen Volkes einerseits mit den griechischen Kolonien
im Süden Russlands, andererseits mit Kiew liefern, und
diesen Voraussetzungen entspricht gerade der Stamm der
Petschenegen, durch deren Gebiet die Handelsbeziehungen
von Kiew zum Taurischen Cbersones und vice versa ihren
Weg nahmen. So finden sich z. B. in diesen Hügelgräbern
Reste von byzantinischen Geweben, Korallen, verschieden-
artigen Verzierungen aus Bronce, Silber und Gold, wie
z. B. massive silberne Ohrringe, die der Form nach sich
den Kiew’schen nähern, silberne Halsspangen (griwni),
Perlen aus Carneol, Amethyst, Quarz u. a. m. Es muss ferner
hinzugefügt werden, dass die Gegend, in welcher Ausgra-
bungen derartiger Hügelgräber vorgenommen wurden (in der
Nähe des Flusses Dnepr, im mittleren Theile des Kiew-
schen Gouvernements) ebenfalls zu dem Gebiete gehört,
welches nach historisch beglaubigten Zeugnissen von den
Petschenegen bewohnt wurde, deren Wanderlager einer-
seits nahe an Kiew heranreichten, andererseits bis zu den
Ufern des Schwarzen und Asowschen Meeres sich hin-
zogen. In der Geschichte Russlands tauchen die Pe-
tschenegen um die Mitte des IX. Jahrhunderts auf und
verdrängen gegen Mitte des XI. Jahrhunderts andere
Nomadenvölker weiter nach Westen hin, so dass sich
annehmen lässt, dass die erwähnten Gräber in diese Zeit
gehören und folglich auch die von Herrn Snosko-Borowski
gefundene Rüstung aller Wahrscheinlichkeit nach der Pe-
riode um das X. Jahrhundert zuzuschreiben ist.
N. von Brandenburg.
 
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