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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 14
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Vondoerfer, P. E.: Gotische Meisterwerke der böhmischen Bildhauerkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0678

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[age, daß icl) oft und immer wieder diefe Kirche befucße, um jedesmal in gleich) an-
dächtiger Bewunderung diefe herrliche Gruppe zu betrachten.
Die Kenntnis eines ÜUerkes, das eine fold)e Fülle hinreißender Schönheit und künft-
lerifcher Vollendung fein Eigen nennt, berechtigt wohl zur Einreihung eines der Ge-
frischte der gotifchen Bildhauerkunft noch unbekannten Meifters in diefelbe: des
„Meifters der Prager Madonna“, deffen ülerke feftzuftellen und zumindeft die ihm
zuzufchreibenden in eine engere Gruppe zufammenzufaffen, fid)erlid) eine dankbare
Aufgabe der neuen Forfdjung bilden wird.
Ich konnte fchon heute feftftellen, daß die bereits vorher erwähnte Maria einer Ver-
kündigung in Frankfurter Privatbefiß in erfter Linie in diefe Gruppe aufzunehmen fei.
Beim Vergleich diefer beiden Klerke fällt fofort eine unleugbare Familienähnlichkeit
auf. ünd bei eingehenderem Studium kommt nicht bloß die engfte Verwandtfchaft
zum Vorfcßein, fondern auch die typifche, zarte Anmut, die beiden ÜJerken, befonders in
der Baltung des lieblich ovalen Kopfes auf dem langen, fdjlanken Fjalfe, den gleich fdjmalen,
gleid) angefeßten Nafen, den gleich hod) liegenden, fd)malen Äugenbrauen gemeinfam ift.
Ein bezaubernder Liebreiz geht auch von der Figur der heiligen Barbara in der St. Peter
und Paulskirche in Mileö aus. Laut Ängaben des Verfaffers des älteren tüerkes, welchem
die hier gebrachte Reproduktion entnommen ift1, fteht diefelbe auf einem Seitenaltar,
ift 97 cm hoch und find die Vergoldung des Gewandes und die Polychromie auf den
Fleifchteilen erneuert. Diefes 6Uerk wird in der erwähnten Veröffentlichung, ganz kurz,
als gotifche Skulptur des 16. Jahrhunderts bezeichnet.
Die h°l)e, edle Stirn, das zarte ovale, slavifche Geßchtchen, vom herabwallenden,
welligen Fjaar lieblich umrahmt, der faft ungewollt malitiös lächelnde Mund, die zier-
liche Neigung des Kopfes, noch durch die Änmut, mit welcher die heilige Buch und
Gefängnisturm in Bänden hält, betont, bewirken eine von diefer Geftalt ausgehende,
beftrickende tUärme. Ihr zu Füßen erfcheint die kleinere Halbßgur ihres Vaters Dioskur,
die anfeheinend deffen Seele darftellt, denn im Ausdruck liegt fid)tlid) Reue und Demut
— der eigene Vater hat die Cochter ihres Bekenntniffes zum Cßriftentum wegen, nach
graufamen Martern enthaupten laffen und wurde unmittelbar darauf vom Büße er-
fragen. —
Ein Bolzrelief des heiligen Georg wird in der bereits erwähnten Copographie, Bd. IV,
von Dr. Bohumil Matejka wie folgt befchrieben: „Bolzrelief des heil- Georg, 1,20 m
hoch, 0,60 m breit; Ceil irgendeines Altars aus der (üende des 15. zum 16. Jahrhundert.
Der Beilige in voller Rüftung zu Pferd, tötet den Drachen; im Bintergrunde links kniet
eine Frau, rechts eine Burg, aus deren Fenfter ein Ehepaar herausblickt; meifterhafte
Bolzfchnißarbcit mit erneuerter, aber fauberer Polychromie.“
Daß die „im Bintergrunde rechts kniende Frau“ die Königstochter Aja, die der Bei"
lige vom Drachen befreit und die „aus dem Fenfter fchauenden Eheleute“ deren Eltern
darftellen, fcheint der Autor damals nicht gewußt zu haben. Id) will auf diefes, wie
es fcheint, äußerft reizvoll durchgeführte öüerk nicht weiter eingehen, da ich es felbft
nid)t gefehen habe und deffen Reproduktion in dem (Xlerk der Copographie nicht red)t
gelungen ift. Die böhmifche Äuffaffung der echt ritterlichen Erfcheinung, wie fie aud)
auf den böhmifchen Cafelbildern jener Zeit häufig zu finden ift, muß diefem Stück
einen ganz befonderen Reiz verleihen.
Ganz typifeße böhmifche Skulpturen der ödende des 15. zum 16. Jahrhundert find
die beiden rückfeits ausgehöhlten Figuren der heiligen Äpoftel Petrus und Paulus. Die
alte Faffung ift nur noch auf den Fleifchteilen, auf dem Baupt- und Barthaar und an
den Büchern teilweife erhalten. 3wei Reliefßguren diefer Äpoftel, von der gleichen
Band herrührend, zumindeft aber derfelben ülerkftatt entftammend, befinden fiel) im
1 üopograpbie d. hißor. u. Kunft-Denkmale im Königreiche Böhmen, berausg. v. d. arebäolog.
Kommiffion d. böbm. Kaifer Franz-Jofephs-flkademie ufw. Band XII, der polit. Bezirk Susice,
verfaßt von Dr. Karl B°ftas und Ferdinand Van&k, Prag 1900.

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