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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Poritzky, Jakob E.: Ben Johnson
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0248

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aus ihm gemacht, der später auch in den rhetorisch gewichtigen Versen seine sdiwerfällige
Gelehrtheit nicht los wird. So hodr er die Gelehrsamkeit schälte, so sehr er ein Handwerk
veradrfefe, so wenig er audi zur Arbeit geeignet war, — die Armut zwang ihn dennoch, seine
Studien zu unterbredien und in dem Maurer-Gesdiäft seines Vaters als subordinierter Angestellter
zu arbeiten, was ihm später bei seinen literarischen Fehden das veräditlidre Sdrimpfwort
„Handlanger“ eintrug. Er ging später als Soldat nadi den Niederlanden, wo er sidr als sehr
tapfer erwies, kehrte nadr London zurück und verheiratete sidr dort so jung wie Shakespeare.
Er war just neunzehn Jahre alt. Wie Shakespeare sudite er sein Leben auf der Bühne zu
fristen. Wie Shakespeare betraute man ihn damit, vermoderte Stücke des Sdrauspielreperfoirs
durdr seinen Atem neu zu beleben und umzugestalten. So hat er unter anderem im Jahre 1601
Kyds alte spanische Tragödien, die Shakespeare bei seiner Abfassung des »Hamlet« in vieler
Beziehung vorsdrwebten, durdr viele Verbesserungen und Ergänzungen zu neuem Leben erweckt.
Denn das ist zweifellos, daß er ein Didrfer war; nicht nur weil er mit Geld nidrt umzugehen
verstand und von den unglaublidrsten Halluzinationen geplagt war, nidrt nur, weil er den Beruf
des Poeten über alles sdräßte und weil er selbst vom tiefsten Selbstgefühl durchdrungen war,
sondern weil seine Werke tatsädrlidr einen Didrfer widerspiegeln. In vielen äußeren Gaben
Shakespeare gleidr, war es Ben Johnson, obwohl er seit 1597 für Henselows Truppe regelmäßig
tätig war, dodr nidrt gelungen, auf einen grünen Zweig zu kommen. Er wurde nicht Theater-
1 eilhaber wie Shakespeare, war vielmehr bis in seine lebten Lebensjahre hinein darauf angewiesen,
nadr fiirstlidren und adligen Gönnern zu sudren und um deren Wohlgeneigfheit zu betteln. 1598
bringt er einen Schauspieler von Henselows Truppe im Duell um, bekommt dafür das Verbrecher-
zeidren eingebrannt, was nidrt hindert, daß einige Monate später sein erstes Werk »Every man
in Iris Hunror« aufgeführt wird. Er muß außerordentlich viel gelitten haben, muß ungewöhnlidr
viel Zurücksehungen erfahren haben, und er muß endlidr dadurch, daß er von der Gunst der
Adligen abhing, audr innerlidr viel durdrgekänrpft haben; denn all seine Selbsfvergötferungen
und Selbstverherrlichungen, die ja dem Wesen Shakespeares so urfrenrd waren, sind nur ver-
ständlidr, wenn man sie eben als Ausgleidr seiner erduldeten Hinfanseßung befrachtet. Die
Kunst geht ihm über alles; wer die Kunst herabseßf, wird von ihm stark gegeißelt, wie über-
haupt Ben Johnson immer der am meisten entrüstete Moralist seiner Zeit war, was ihn nicht
hinderte, zugleich ein sehr gefeierter Zechbruder zu sein. Er ging dem Wein niemals aus dem
Wege und selbst heim heiligen Abendmahl, als ihm der bis zum Rande mit Wein gefüllte
riesige Kelch gereidrf wurde, leerte er ihn als echter Renaissancemensch auf einen Zug. Im
übrigen war er eine energische, großmütige und selbständige Natur und als Geist weif umfassend.
Sein Name wird immer mit dem Shakespeares zusammengenannt, ja, in literarischen Kreisen der
Zeitgenossen wurden Ben Johnson und Shakespeare stets als das dramatische Brüderpaar des
Zeitalters betrachtet. Und wir wissen, daß Ben Johnson der Einzige war, mit dem Shakespeare
dauernd verkehrte; vielleidrt schön deshalb, weil Ben Johnson in geschichtlichen und sprachlichen
Kenntnissen Shakespeare weif überlegen war und fast ein entgegengesetztes dichterisches Ideal
ansfrebte. Ben Johnson, diese lustige Seele, hafte einen großen dramatischen Verstand. Er
dramatisierte z. B. nie wie die anderen zeitgenössischen Dichter irgendeine Novelle, ohne ihre
lokale und historische Wirklichkeit zu berücksichtigen. Der Sohn des Baumeisters hielt große
Stücke auf die architektonische Sicherheit seiner dramatischen Bauten. Er beging nie solche
Fehler gegen die Geographie und Lokalität wie etwa Shakespeare, bei dem Böhmen am Meere
liegt und die Venezianer maskierte Londoner sind. Soldie Anadirontsmen gibt es nicht bei dem gelehrten
Johnson, und wenn er in seinem Stück »Volpone«, das ebenfalls in Venedig spielt (ein Stück,
dem nur Gogols »Revisor« ebenbürtig ist), die Menschen gleichfalls wie Londoner reden läßt, so
ist das bei Johnson bewußte satirische Absidrt.
Freilich ist die Satire nidrt seine Stärke. Seine ursprünglidre Begabung liegt vielmehr in
seiner sdrarfen, wirklichkeitsgetreuen Beobachtung der damaligen Verhältnisse und Sitten, die

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