Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0254
DOI issue:
November- Dezember-Heft
DOI article:Cohen, Walter: Altkölnische Malerei
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zusammenballenden Gestaltung der Expressionisten verstört, „Romantisch4'
jedodi erscheint mir Franz Marcs Flucht aus der von Meistern wie Zügel und
Lilgefors entgötterten Tierwelt in ein Tierparadies der königlichen Raubtiere,
der roten Rehe und der ruhenden blauen Kühe. Bei jüngeren rheinischen
Künstlern wird hier und da der Abglanz einer Rheinromantik angetroffen, die
nicht so Verblasen ist wie die der Künstleralbumszeit, vielmehr zu ursprünglich-
reinen Quellen zurückkehrt. Was ich vornehmlich in diesem Zusammenhänge
als neuromantisch bezeichnen riiöchte, das ist die veränderte Einstellung eines
sehr großen Teiles der heutigen Künstlergeneration und vor allem des kunst-
freundlichen Publikums zur Malerei der Vorzeit.
Kunstgelehrte strengster Observanz werden es immer beklagen und als Mode-
sachc hinstellen, wenn die Bewertung früher als „klassisch" gegoltener Kunst
Schwankungen des Werturteils ausgesept ist, die mit der Reizbarkeit eines Seis-
mometers auf oft noch unterirdische Zuckung reagieren. Es kann in der Tat
verhängnisvoll wirken, wenn beispielsweise ein Grünewald als „Vorgänger des
Expressionismus" hingestellt wird und als befreiend, wenn gerade Wilhelm
Hausenstein solche parteidogmatische Seifenblasen an seiner höheren Einsicht
zerstieben läpf. (Der Isenheimer Altar. München, W. Hirth 1919.) Dab dagegen
mit der Bewertung Manets eine neue Einschäpung von Franz Flals und der groben
Spanier Hand in Hand ging, dab Marees uns den Weg zu Poussin zurückführte,
Kokoschka den Greco erschloß, sind durchaus erfreuliche Symptome einer Anteil-
nahme an alter Kunst, die entgegen der fürchterlichen Bildungsphilisterei einer
gewissen „Kunsterziehung" ein leidenschaftlicheres Einfühlen und Neuerleben
entflammen muhte.
Die Zeit ist endlich reif zu einem besseren Verständnis auch der alten deutschen
Meister. Dap sie es nicht war, bewiesen nicht nur dem Verfasser che Erfahrungen
mit einem sonst schau- und lernbegierigen Publikum bei Museumsvorführungen.
Ein so vielgelesenes populäres Kunstbuch wie das von Philipp! über »Die groben
Maler in Wort und Farbe« glaubt diesem Publikum ausdrücklich die Berechtigung
seiner Hartnäckigkeit bestätigen zu müssen. Handelt es sich hier um ein klassi-
zistisches Nachwehen, das den Begriff des Klassischen in Konflikt geraten sah
mit der Anschauungswelt eines Hans Multscher, eines Konrad Wip und eines
Michael Pacher?
lind hier komme ich auf das Thema der Neuromantik zurück. Vor nahezu
hundert Jahren führten die Boisserees in Köln und viele Gesinnungsgenossen
jene Renaissance der altniederländisdien, oberdeutschen und kölnischen AJalerei
204
jedodi erscheint mir Franz Marcs Flucht aus der von Meistern wie Zügel und
Lilgefors entgötterten Tierwelt in ein Tierparadies der königlichen Raubtiere,
der roten Rehe und der ruhenden blauen Kühe. Bei jüngeren rheinischen
Künstlern wird hier und da der Abglanz einer Rheinromantik angetroffen, die
nicht so Verblasen ist wie die der Künstleralbumszeit, vielmehr zu ursprünglich-
reinen Quellen zurückkehrt. Was ich vornehmlich in diesem Zusammenhänge
als neuromantisch bezeichnen riiöchte, das ist die veränderte Einstellung eines
sehr großen Teiles der heutigen Künstlergeneration und vor allem des kunst-
freundlichen Publikums zur Malerei der Vorzeit.
Kunstgelehrte strengster Observanz werden es immer beklagen und als Mode-
sachc hinstellen, wenn die Bewertung früher als „klassisch" gegoltener Kunst
Schwankungen des Werturteils ausgesept ist, die mit der Reizbarkeit eines Seis-
mometers auf oft noch unterirdische Zuckung reagieren. Es kann in der Tat
verhängnisvoll wirken, wenn beispielsweise ein Grünewald als „Vorgänger des
Expressionismus" hingestellt wird und als befreiend, wenn gerade Wilhelm
Hausenstein solche parteidogmatische Seifenblasen an seiner höheren Einsicht
zerstieben läpf. (Der Isenheimer Altar. München, W. Hirth 1919.) Dab dagegen
mit der Bewertung Manets eine neue Einschäpung von Franz Flals und der groben
Spanier Hand in Hand ging, dab Marees uns den Weg zu Poussin zurückführte,
Kokoschka den Greco erschloß, sind durchaus erfreuliche Symptome einer Anteil-
nahme an alter Kunst, die entgegen der fürchterlichen Bildungsphilisterei einer
gewissen „Kunsterziehung" ein leidenschaftlicheres Einfühlen und Neuerleben
entflammen muhte.
Die Zeit ist endlich reif zu einem besseren Verständnis auch der alten deutschen
Meister. Dap sie es nicht war, bewiesen nicht nur dem Verfasser che Erfahrungen
mit einem sonst schau- und lernbegierigen Publikum bei Museumsvorführungen.
Ein so vielgelesenes populäres Kunstbuch wie das von Philipp! über »Die groben
Maler in Wort und Farbe« glaubt diesem Publikum ausdrücklich die Berechtigung
seiner Hartnäckigkeit bestätigen zu müssen. Handelt es sich hier um ein klassi-
zistisches Nachwehen, das den Begriff des Klassischen in Konflikt geraten sah
mit der Anschauungswelt eines Hans Multscher, eines Konrad Wip und eines
Michael Pacher?
lind hier komme ich auf das Thema der Neuromantik zurück. Vor nahezu
hundert Jahren führten die Boisserees in Köln und viele Gesinnungsgenossen
jene Renaissance der altniederländisdien, oberdeutschen und kölnischen AJalerei
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