Baukunst gewinnen. Leider wird die Freude an dem
Besiß dieses seltenen Mannes, der seit vier Jahren
das Hochbauamt der Stadt Dresden leitet, durch die
Tatsache getrübt, daß die harten Zeiten nidit erlauben,
seine herrlichsten Entwürfe für städtisdie Gebäude
auszuführen. Man muß nach Berlin gehen, wo er den
Zirkus Schumann für Reinhardt zu einem Theater der
Dreitausend umgebaut hat, um eine Vorstellung von
seiner schöpferischen Phantasie zu erhalten: wie er dort
aus den nüchternsten Eisengerüsten das Wunder eines
Theaters von antiken Ausmaßen und orientalischer
Pradrt baulicher Erscheinung gesdiaffen hat, das
genügt, um ihn den größten Architekten beizuzählen.
Dresden hat das Glück, nodr eine zweite Persön-
lichkeit von ähnlicher Bedeutung zu beherbergen und
an sich gefesselt zu haben: Oskar Kokoschka,
seit einigen Jahren hier ansässig, ist jüngst zum
Professor an der Akademie ernannt worden. Die
Akademie hat sich damit nidit nur geehrt, sondern
auch einen wahren Förderer der kiinstlerisdien Jugend
herangezogen. Kokosdika nimmt sein Amt sehr ernst
und erblickt seine sdiönste Aufgabe darin, seine
Gesinnung — nidit seine Form, die unübertragbar
ist im höchsten Sinne — seinen Schülern zu über-
mitteln; daß er nun Ruhe findet, seine tiefen und
farbengewaltigen Visionen zu verkörpern und ausreifen
zu lassen, ist eine der Wohltaten, die der Friede uns
gebradit hat; und sdion empfinden auch die öffentlichen
Sammlungen ihre Pflicfit, die Werke dieses großen Malers
sich zu sichern, nachdem — ganz ähnlich wie bei Nolde —
die günstige Konjunktur der „billigen“ Frühzeit verpaßt
worden ist. Eins seiner lebten und stärksten Bilder,
ein Frauenbildnis, ist als Schenkung der Galeriefreunde
in die Gemäldegalerie gelangt, die unter Leitung von
Dr. Posse in der leßfen Zeit sidi wesentlidi verjüngt
hat, nachdem mancherlei Hemmungen früherer Zeit
fortgefallen sind. Man muß dies hervorheben, weil
in der Presse nidit nur gegen den Verwaltungs-
apparat der Staatsgalerie, sondern auch gegen Posse
selbst ein geräuschvoller Feldzug geführt und die
wenig begründete Forderung nach einem besonderen
Leiter der modernen Abteilung der staatlidien Gemälde-
galerie erhoben wird; wobei sonderbarerweise der
Name des Diditers Th. Däubler an erster Stelle der
Kandidatenliste steht.
Die Befreiung vom Druck des Krieges und die
Revolufionierung der Geister scheint ganz allgemein
einen schöpferischen Schwung ausgelöst zu haben.
Der Nachwuchs, die Neuauflage von der »Brücke«
(die bekanntlich vor 15 Jahren in Dresden von
Kirchner, Hecke! und Schmidt-Rottluff gegründet
wurde), läßt nidits zu wünschen übrig. Es handelt
sidi nidit nur um die »Gruppe 1919«, aber sie steht
im Mittelpunkt der Entwicklung, und andere junge
schließen sidi an sie an. Der stärkste und ausgereiftesfe
Maler in ihr ist zweifellos Lasar Segall, den die
Stadfmuseen von Dresden und Chemniß in aller-
jüngster Zeit für museumsreif erklärt haben. Sein
»Ewiger Wanderer«, die leßte Erwerbung der Städti-
schen Sammlungen in Dresden, gehört in seiner
grübelnden Schwermut, der symbolischen und formalen
Kraft der Farbe und der entschiedenen Architektur
des Bildaufbaues zu den repräsentativen Bildern der
Zeit. Felix Müller erscheint nidit so gefestigt; sein
stärkstes gab er bisher wohl in Holzschnitten und
Steinzeichnungen, nidit ohne doktrinären Einschlag,
aber gefühlt und voll starker Gesetzmäßigkeit. Als
wilder und phantastischer Draufgänger berechtigt
Otto Dix zu späteren Hoffnungen; ähnlidi unaus-
gegoren, aber von unbändig strömendem Form willen
der nidit zur Gruppe gehörige Walter Jakob,
den man zum ersten Male in der Öffentlichkeit
sieht, und der zum Staunen nötigt, welch einen
Reichtum an Talenten die Revolutionszeit entbunden
zu haben scheint. Diese Künstler stellen alle bei
Riditer aus, und dort kann man auch die fabelhaften
Plastiken und graphischen Arbeiten von Eugen
Hoff mann sehen, der mehr als alle durch sein
Können und die überlegene Wucht seines Form willens
überzeugt. Er scheint die Skulptur auf eine ganz
neue Ausdrucksmöglichkeif zu stellen, indem er ihren
mächtigen, sehr vereinfachten und deformierten Massen
erst durch stärkste P'arbigkeit ihre Wirkungen gibt.
Die Kühnheit seiner absoluten Farben wiegt das
Abstrakte und Gewalttätige der Rundformen in
grotesken, aber genialen Dissonanzen auf.
Schließlidi tritt neben eine große Pechstein-Sammlung
bei Arnold die Ausstellung »Welthumor« bei Richter,
deren Tendenz in einer Reihe von Vorlesungsabenden
auf literarischem Gebiet fortgeseßt wird; eine treff-
lidre und geistig gefaßte Synthese, da nicht bloße
Komik und Karikatur den Gehalt dieser parallelen
Veranstaltung bildet, sondern die tragisdr gefärbte
germanische Auffassung des Humors als der Kraft,
sidi über das Leiden der Welt durdi tiefstes Ver-
stehen ihres Sinns und Unsinns zu erheben.
Paul F. Schmidt.
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Besiß dieses seltenen Mannes, der seit vier Jahren
das Hochbauamt der Stadt Dresden leitet, durch die
Tatsache getrübt, daß die harten Zeiten nidit erlauben,
seine herrlichsten Entwürfe für städtisdie Gebäude
auszuführen. Man muß nach Berlin gehen, wo er den
Zirkus Schumann für Reinhardt zu einem Theater der
Dreitausend umgebaut hat, um eine Vorstellung von
seiner schöpferischen Phantasie zu erhalten: wie er dort
aus den nüchternsten Eisengerüsten das Wunder eines
Theaters von antiken Ausmaßen und orientalischer
Pradrt baulicher Erscheinung gesdiaffen hat, das
genügt, um ihn den größten Architekten beizuzählen.
Dresden hat das Glück, nodr eine zweite Persön-
lichkeit von ähnlicher Bedeutung zu beherbergen und
an sich gefesselt zu haben: Oskar Kokoschka,
seit einigen Jahren hier ansässig, ist jüngst zum
Professor an der Akademie ernannt worden. Die
Akademie hat sich damit nidit nur geehrt, sondern
auch einen wahren Förderer der kiinstlerisdien Jugend
herangezogen. Kokosdika nimmt sein Amt sehr ernst
und erblickt seine sdiönste Aufgabe darin, seine
Gesinnung — nidit seine Form, die unübertragbar
ist im höchsten Sinne — seinen Schülern zu über-
mitteln; daß er nun Ruhe findet, seine tiefen und
farbengewaltigen Visionen zu verkörpern und ausreifen
zu lassen, ist eine der Wohltaten, die der Friede uns
gebradit hat; und sdion empfinden auch die öffentlichen
Sammlungen ihre Pflicfit, die Werke dieses großen Malers
sich zu sichern, nachdem — ganz ähnlich wie bei Nolde —
die günstige Konjunktur der „billigen“ Frühzeit verpaßt
worden ist. Eins seiner lebten und stärksten Bilder,
ein Frauenbildnis, ist als Schenkung der Galeriefreunde
in die Gemäldegalerie gelangt, die unter Leitung von
Dr. Posse in der leßfen Zeit sidi wesentlidi verjüngt
hat, nachdem mancherlei Hemmungen früherer Zeit
fortgefallen sind. Man muß dies hervorheben, weil
in der Presse nidit nur gegen den Verwaltungs-
apparat der Staatsgalerie, sondern auch gegen Posse
selbst ein geräuschvoller Feldzug geführt und die
wenig begründete Forderung nach einem besonderen
Leiter der modernen Abteilung der staatlidien Gemälde-
galerie erhoben wird; wobei sonderbarerweise der
Name des Diditers Th. Däubler an erster Stelle der
Kandidatenliste steht.
Die Befreiung vom Druck des Krieges und die
Revolufionierung der Geister scheint ganz allgemein
einen schöpferischen Schwung ausgelöst zu haben.
Der Nachwuchs, die Neuauflage von der »Brücke«
(die bekanntlich vor 15 Jahren in Dresden von
Kirchner, Hecke! und Schmidt-Rottluff gegründet
wurde), läßt nidits zu wünschen übrig. Es handelt
sidi nidit nur um die »Gruppe 1919«, aber sie steht
im Mittelpunkt der Entwicklung, und andere junge
schließen sidi an sie an. Der stärkste und ausgereiftesfe
Maler in ihr ist zweifellos Lasar Segall, den die
Stadfmuseen von Dresden und Chemniß in aller-
jüngster Zeit für museumsreif erklärt haben. Sein
»Ewiger Wanderer«, die leßte Erwerbung der Städti-
schen Sammlungen in Dresden, gehört in seiner
grübelnden Schwermut, der symbolischen und formalen
Kraft der Farbe und der entschiedenen Architektur
des Bildaufbaues zu den repräsentativen Bildern der
Zeit. Felix Müller erscheint nidit so gefestigt; sein
stärkstes gab er bisher wohl in Holzschnitten und
Steinzeichnungen, nidit ohne doktrinären Einschlag,
aber gefühlt und voll starker Gesetzmäßigkeit. Als
wilder und phantastischer Draufgänger berechtigt
Otto Dix zu späteren Hoffnungen; ähnlidi unaus-
gegoren, aber von unbändig strömendem Form willen
der nidit zur Gruppe gehörige Walter Jakob,
den man zum ersten Male in der Öffentlichkeit
sieht, und der zum Staunen nötigt, welch einen
Reichtum an Talenten die Revolutionszeit entbunden
zu haben scheint. Diese Künstler stellen alle bei
Riditer aus, und dort kann man auch die fabelhaften
Plastiken und graphischen Arbeiten von Eugen
Hoff mann sehen, der mehr als alle durch sein
Können und die überlegene Wucht seines Form willens
überzeugt. Er scheint die Skulptur auf eine ganz
neue Ausdrucksmöglichkeif zu stellen, indem er ihren
mächtigen, sehr vereinfachten und deformierten Massen
erst durch stärkste P'arbigkeit ihre Wirkungen gibt.
Die Kühnheit seiner absoluten Farben wiegt das
Abstrakte und Gewalttätige der Rundformen in
grotesken, aber genialen Dissonanzen auf.
Schließlidi tritt neben eine große Pechstein-Sammlung
bei Arnold die Ausstellung »Welthumor« bei Richter,
deren Tendenz in einer Reihe von Vorlesungsabenden
auf literarischem Gebiet fortgeseßt wird; eine treff-
lidre und geistig gefaßte Synthese, da nicht bloße
Komik und Karikatur den Gehalt dieser parallelen
Veranstaltung bildet, sondern die tragisdr gefärbte
germanische Auffassung des Humors als der Kraft,
sidi über das Leiden der Welt durdi tiefstes Ver-
stehen ihres Sinns und Unsinns zu erheben.
Paul F. Schmidt.
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