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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Bie, Oscar: Martin Brandenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0346

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ihm in Rhythmus und der Rhythmus wieder in Figur um. »Winkelried« und die
»Willenlosen« sind zwei Urteile über Volkspsychologie bei dem großen Er-
eignis. Es sind vielleicht Zustände des Malers selbst, die in ihm kämpften.
Winkelried siegte, er zog hinaus und verlor das eine Auge.
Die Hiobsiegende blieb ihm ein Thema durch das ganze Leben. Er bestrahlte
es von allen Seiten. In der ersten Form sitzt Hiob als ein Haufen Unglück
vor einer Mauer, die mit andern Baulichkeiten im Gegensah zum realen Körper
stark stilisiert ist. Auf dem nächsten Bilde hier überrascht Sie die Farbe.
Die Mauer ist rot geworden, die Spötter auf ihr können sich in bunter Phan-
tastik nicht genug tun. Dies nutzte ihm bald Theater werden und er reinigte
den Stoff. Hier auf dem folgenden Bilde ist die Mauer weib geworden, die
Spötter halten sidi zurück, das ganze Interesse liegt auf dem breit durch-
geführten Akt des Unglücklichen. Endlich hier die letzte Form. Alle Szenerie
und Staffage wird weggeblasen. In voller Grobe hockt der Körper Hiobs auf
weiter Fläche. Ein Baumstumpf, ein Gemäuer sind sein Echo. Die Tönung
ist hell gehalten, die Farbe sitzt sprihend darauf. Es wurde eines seiner
glücklichsten Bilder. Nur zu vergleichen mit dem groben »David« aus der-
selben Zeit, der durch eine helle Landschaft, jünglingsstark, farbenglühend,
Form lebter Kraft und Spannung, dahinschreitet. Diese Gruppe von Bildern
zeigt wie keine andere das Laboratorium in seiner Kunst. Die rhythmischen
Probleme sind aufgekocht in dem Feuer eines reinen Schaffens, in der Reini-
gung eines Stoffes auf seinen wesentfidien Gehalt an Form, Rhythmus und
Farbe. Es gibt gewisse malerisdie Bezirke in seiner Tätigkeit, die einzelne
schöne Bilder gestatteten, aber nicht solche Steigerungen hervorriefen. Das
»Emmausbild«, das Sie hier sehen, hat eine gute konzentrierte Stimmung,
ohne Parallelen sonst aus seiner Kunst. Hier dieses Bild der »Nacht«, die
in violettem Kleide auf einer Guirlande schwingt, ist die einzige Frucht seines
italienischen Aufenthaltes. Sie ist rein dekorativ geblieben. Er war in seiner
ganzen Zusammensetzung durchaus eine nordische Natur.
Ich führe Sie jetzt vor sein letztes Bild, zugleidi sein gröbtes, das die »Freude«
genannt worden ist, weil er bei seinem Entwurf ganz davon beseelt war, eine
Art Bejahung des Lebens darzustellen. Inhaltlidi zeigt es sein Lieblingsmotiv,
sdiwebende Genien zwischen Bäumen. Er hat sich sein ganzes Leben lang
damit besdiäftigt, eine erträglidie Einheit zwischen dem menschlichen Körper und
der festen Natur zu finden. Seine Phantasie lieb ihn, um diese Einheit zu
erreidoen, sie zunächst auseinanderlegen. Er machte die Natur so substanziell
wie möglich, entstofflichte dagegen die Menschen zu fliegenden und schwe-
benden Fabelwesen. Er band die beiden Teile zusammen durch eine farbige
Kongruenz, die die Natur erleichterte und die Genien spiritueller madite. Ein
Schimmer von Glanz und Farbe durchzog diese Welt, in der die hohe Lyrik
eines paradiesischen Glückes gesungen wurde. Feste Bäume, gradlinige Baum-
stämme, ein Fliegen, das mehr ein Herabschweben war, ein Aufsteigen, ganz

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