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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Bie, Oscar: Martin Brandenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0348

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aus der übersinnlichen Kraft der Seele, solche Elemente tauchen in das Farben-
meer unter, um als musikalische Verkünder eines seligen Zustandes auf dem
Bilde zu erstehen. Es war die schwerste Aufgabe, die er sich stellte. Sie
verlangte zugleich die vollkommenste Beherrschung aller der formalen und
farblichen Tugenden, die er einzeln geübt hatte, und verlangte die lebte Freiheit
des Rhythmus, dessen Melodien er einzeln geprobt hatte. Es war schließlich
das äußerste Ziel aller realen Kunst, die die Auseinanderseßung von Körper
und Natur, in immer neuer Verschiebung der Probleme, zu ihrem Inhalt hat.
Es scheint mir, daß auf diesem seinem leßten Bilde die möglichste Annäherung
erreicht ist und daß die Hand mit der Einbildungskraft und dem Willen
ziemlich gleichen Schritt hielt.
Es wäre auch manches zu sagen hier über seine »Kreuzigung«, die den Rhyth-
mus einer bewegten Masse gegen den Gekreuzigten zum wesentlichen Motiv
hat. Hier über den »Bethlehemzug«, wieder ein Reihenmotiv mit Beleuchtungs-
akzenten. Hier über die »Gefangennahme Christi«, bei der ihn auch nur die
formale Anordnung interessierte. Eine Kreisbildung, die Sie zum Beispiel auch
hier auf der Leinwand sehen, die das Kreisen der Stunden von Tag und Nacht
um die Erde verkörpert, — aber Sie haben aus allem, was wir besprochen, die
ganze innere Disposition des Künstlers genügend kennen gelernt, um zu be-
greifen, welche nahen Beziehungen zwischen ihm und der modernsten Kunst
bestehen. Die Expressionisten wollen nicht mehr die bloße Wirklichkeit malen,
die ihnen gleichgültig ist, sondern den Rhythmus der Erscheinungen und die
Musik der Seele. Brandenburg wollte nichts anderes, aber er gehörte noch
einer Zeit an, die sich von der Realität des Objektes nidrt trennen konnte.
Seine Probleme sind die der neuesten Kunst, für die er auch immer ein waches
Auge hatte. Seine Phantasie aber ist gefüllt mit der Materie der alten Kunst,
die die Natur nicht ausschaltete, sondern umformte. Darum steht er auf der
Grenze der Zeitalter. Darum ist seine Kunst als ein gesdridiiliches Erlebnis
zu betrachten, abgesehen von ihrem künstlerischen Wert. Darum strebte und
rang er mit gewaltigen Kräften durch sein ganzes Leben und blieb beschattet
von der Einsamkeit dieses Suchens und Grübelns. Er kannte die Gefahren
seiner Art, er wußte, daß es nur kleine Nuancen waren, die seine Figuren,
gegenüber seiner Landschaft, leicht zum Theater machen konnten, die ein
Symbol zu einer Schaustellung erniedrigten, die dem dekorativen Reiz seiner
formalen Beschäftigungen eine ungewollte Wirkung versdrufen. Aber gerade
diese Erkenntnisse und diese Zweifel in seiner Kunst machten den wundervollen
Menschen in ihm. Er stand wie ein Kind fragend vor dem Leben. Er suchte
und fand Freunde, die ihm Probleme stellten und beantworteten. Wie sich
seine Kunst aus dem alten Zwist von Form und Farbe zu einer gesegneten
Einheit erheben sollte, so war in seinem Wesen eine einzige Mischung von
gutem preußischem Gewissen und der Liebenswürdigkeit eines empfänglichen
Menschen, die ihn allen Freunden unvergeßlich machen wird.

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