hervor, alles scheint zu knospen und sidi zu entfalten, die Wand ist ein Stück warmer Erde
geworden, sie ist keine Mauer mehr, sie ist ein Beet. Johannisbeerfarbige Töne glühen unter
dem Weih von Lilien hervor, Nelken, Vergißmeinnicht, Jasmin und Levkojen drängen sich eins
vor dem andern heraus. Und hinter diesen entfalten sidr wieder neue Blüten. Wie aus einer
tiefen Quelle fluten die Farben immer neu herauf. Und was dort im goldigen Licht erblaßt und
errötet, das ist in seinem Rahmen ganz einfach und anbetungswürdig eine Dame, eine hübsdre,
knabenhafte, neugierige und rätselhafte Dame, jung und glücklich, so blond zu sein, und voll
Leben und Seligkeit mit dem Lidrte des Tages spielend.
Immer mehr liebt der Meister die gefüllte, sonor klingende Leinwand. Entseben faßt ihn
vor einer leeren Stelle. Das Entzücken des Auges, der reidie Dekor sind ihm das Hödiste in
der Malerei. Warum haben wir von dem Manne mit solchen Ideen und solchen Mitteln, sie zu
verwirklichen, nicht einige große dekorative Wandgemälde? Der Sdüiler Corots verachtet nicht wie
Claude Monet das Motiv. Er bevölkert die Sümpfe mit Enten, das Meer mit Kähnen, belebt
die Ufer der Flüsse mit Wäscherinnen. Man weiß, mit weldier Vorliebe Renoir die buschige
Vegetation der Wälder und grünen Oasen gemalt hat, die tausend Verästelungen der Wurzeln,
die phantastischen Kräuter, die weißen Häuser, die er zu feinen Perlen umsdrafft und die Oliven-
bäume mit den unfaßlichen grauen Sdiattierungen. Er studiert diese ganze malerische Materie
mit einer Sympathie, die mehr als bloß visuel ist, und mit einem Interesse, wie er es den Gesichtern
der jungen Frauen und der Kinder entgegenbringt. Man kann die Malerei des Meisters nicht
lieben, ohne ihn selbst zu lieben. Man bewundert seine reidie, seiner Kunst so vollkommen
angepaßte Organisation, in der sidi die entgegengesetztesten Gaben vorfinden, ein rapid auf-
fassendes Auge, eine leidite und lebhafte Hand, die doch ganz ohne Virtuosität arbeitet, und
eine durchdringende Analyse der Erscheinungen, die dennoch die Ausführung der plötzlichen Vision
nie erkältend bestimmt. Ist er Idealist? Naturalist? Wie man will. Er hat sich darauf zu
beschränken gewußt, seine Ergriffenheit vor der Natur auf die Leinwand zu bringen. Er hat
bezaubernde Sträuße von Frauen und Blumen gewunden. Lind da er ein großes Herz und einen
aufrechten Willen besaß, so hat er nur sehr schöne Dinge gesdiaffen.
A
Armand Dayot
Seine großen Kompositionen und seine wundervolle Darstellung des Nackten lassen es be-
dauern, daß er nicht Gelegenheit gefunden hat, seine Visionen und freudevollen Träume auf
größeren Flächen auszudrücken. Nur einige gut beratene Liebhaber waren klug genug, ihm ein
paar Wände in ihren Wohnungen zu überliefern. Aber der Staat und die Stadt, die große
Kapitalien verausgabt haben, um die Nationaltheater, die Sorbonne und das Rathaus zu
schmücken, begingen den unverzeihlichen Fehler, sidr diesen großen Maler der Feste und der
modernen Freude entgehen zu lassen. Sie machten sidr einer systematischen Vernachlässigung
schuldig, die die Gesdridrte schwer verstehen wird.
0
Gabriel M o u r e y
Die besondere Frauenschönheit, die Renoir in seinem Werke zum Ausdruck bringt, verdankt
er nidrt nur der direkten Beobadrtung der Natur, sie ist vielmehr in gewissem Grade eher die
Schöpfung einer freien nadrdenklidren Phantasie, als das Resultat eines genauen Studiums der
Wirklidrkeit. Idr will damit sagen, die verschiedenen Elemente, aus denen der Frauentypus bei
Renoir zusammengesetzt ist, sind von ihm gemäß seiner eigenen Konzeption nadi einem persön-
lichen und originalen Rhythmus verarbeitet worden. Ist der Eindruck der Wirklichkeit und des
Zaubers, den sie ausüben, darum weniger stark, weniger dauerhaft?
Das Weib erscheint in seinen Bildern als immer neues, veränderliches Lächeln der Aphrodite.
Renoir fand sie in den Gärten, wo sie im Vorübergehen das stille Laub und die nachdenklichen
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geworden, sie ist keine Mauer mehr, sie ist ein Beet. Johannisbeerfarbige Töne glühen unter
dem Weih von Lilien hervor, Nelken, Vergißmeinnicht, Jasmin und Levkojen drängen sich eins
vor dem andern heraus. Und hinter diesen entfalten sidr wieder neue Blüten. Wie aus einer
tiefen Quelle fluten die Farben immer neu herauf. Und was dort im goldigen Licht erblaßt und
errötet, das ist in seinem Rahmen ganz einfach und anbetungswürdig eine Dame, eine hübsdre,
knabenhafte, neugierige und rätselhafte Dame, jung und glücklich, so blond zu sein, und voll
Leben und Seligkeit mit dem Lidrte des Tages spielend.
Immer mehr liebt der Meister die gefüllte, sonor klingende Leinwand. Entseben faßt ihn
vor einer leeren Stelle. Das Entzücken des Auges, der reidie Dekor sind ihm das Hödiste in
der Malerei. Warum haben wir von dem Manne mit solchen Ideen und solchen Mitteln, sie zu
verwirklichen, nicht einige große dekorative Wandgemälde? Der Sdüiler Corots verachtet nicht wie
Claude Monet das Motiv. Er bevölkert die Sümpfe mit Enten, das Meer mit Kähnen, belebt
die Ufer der Flüsse mit Wäscherinnen. Man weiß, mit weldier Vorliebe Renoir die buschige
Vegetation der Wälder und grünen Oasen gemalt hat, die tausend Verästelungen der Wurzeln,
die phantastischen Kräuter, die weißen Häuser, die er zu feinen Perlen umsdrafft und die Oliven-
bäume mit den unfaßlichen grauen Sdiattierungen. Er studiert diese ganze malerische Materie
mit einer Sympathie, die mehr als bloß visuel ist, und mit einem Interesse, wie er es den Gesichtern
der jungen Frauen und der Kinder entgegenbringt. Man kann die Malerei des Meisters nicht
lieben, ohne ihn selbst zu lieben. Man bewundert seine reidie, seiner Kunst so vollkommen
angepaßte Organisation, in der sidi die entgegengesetztesten Gaben vorfinden, ein rapid auf-
fassendes Auge, eine leidite und lebhafte Hand, die doch ganz ohne Virtuosität arbeitet, und
eine durchdringende Analyse der Erscheinungen, die dennoch die Ausführung der plötzlichen Vision
nie erkältend bestimmt. Ist er Idealist? Naturalist? Wie man will. Er hat sich darauf zu
beschränken gewußt, seine Ergriffenheit vor der Natur auf die Leinwand zu bringen. Er hat
bezaubernde Sträuße von Frauen und Blumen gewunden. Lind da er ein großes Herz und einen
aufrechten Willen besaß, so hat er nur sehr schöne Dinge gesdiaffen.
A
Armand Dayot
Seine großen Kompositionen und seine wundervolle Darstellung des Nackten lassen es be-
dauern, daß er nicht Gelegenheit gefunden hat, seine Visionen und freudevollen Träume auf
größeren Flächen auszudrücken. Nur einige gut beratene Liebhaber waren klug genug, ihm ein
paar Wände in ihren Wohnungen zu überliefern. Aber der Staat und die Stadt, die große
Kapitalien verausgabt haben, um die Nationaltheater, die Sorbonne und das Rathaus zu
schmücken, begingen den unverzeihlichen Fehler, sidr diesen großen Maler der Feste und der
modernen Freude entgehen zu lassen. Sie machten sidr einer systematischen Vernachlässigung
schuldig, die die Gesdridrte schwer verstehen wird.
0
Gabriel M o u r e y
Die besondere Frauenschönheit, die Renoir in seinem Werke zum Ausdruck bringt, verdankt
er nidrt nur der direkten Beobadrtung der Natur, sie ist vielmehr in gewissem Grade eher die
Schöpfung einer freien nadrdenklidren Phantasie, als das Resultat eines genauen Studiums der
Wirklidrkeit. Idr will damit sagen, die verschiedenen Elemente, aus denen der Frauentypus bei
Renoir zusammengesetzt ist, sind von ihm gemäß seiner eigenen Konzeption nadi einem persön-
lichen und originalen Rhythmus verarbeitet worden. Ist der Eindruck der Wirklichkeit und des
Zaubers, den sie ausüben, darum weniger stark, weniger dauerhaft?
Das Weib erscheint in seinen Bildern als immer neues, veränderliches Lächeln der Aphrodite.
Renoir fand sie in den Gärten, wo sie im Vorübergehen das stille Laub und die nachdenklichen
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