Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0420
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Februar-Heft
DOI article:Frieg, Will: Junge westfälische Künstler
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II. HAGEN
Max Schulze-Sölde: Ein Oskar Wilde-Typ. Äußerlich sdron Wilde ähnlich. Viel Hyacinth,
Narziß und Antinous. Er besißt aber nicht die Kraft in der Dekadenz wie der grobe Irländer: seine
Fußknöchel sdilagen zu leicht um, oft errötet er. Eine äußerst fein organisierte Natur, die leidit
fremden Einflüssen zugänglich ist. Vor seinen Bildern wird man stark an Daumier, Cezanne,
Picasso erinnert. Seine Formen sind weidi, sein Stridr nervös. Seine Farben sind zart, anämisdi,
emaillig. Die Hauptfarbe ist blau: ein Vergißmeinniditblau, Trikolorenblau. Mit einem Wort, er
ist wcstlidi orientiert und betradrtet es als seine Aufgabe, den fcinkultivierten westlichen Sinn
mit dem rauheren germanisdren zu versöhnen. Darum sind ihm die Werke von Schmidt-Rottluff
und Nolde unverständlich. Aber Cezanne und Picasso sind sein Sdiwarm. Es gibt Bilder von
ihm, die einem Picasso ähneln. Dieselben unsinnlichen Farben, aschgrau, ockergelbbraun; dieselben
geonretrisdren Kurven, Geraden und Winkel; dieselben stereometrisdien Formen. Das Haupt-
problem, das er zu lösen versudri, ist die Umformung der Musik in Malerei. Er will Melodien,
Harmonien, Symphonien malen. Sdrulze-Sölde will alles vergeistigen. Die Umwelt versinkt voll-
ständig für ihn. Er steigt hinab in die Tiefen seiner Seele, und was er dort erlausdrte, stellt er
farbig und graphisdr ganz unabhängig von der Außenwelt dar. Er gehört deshalb zu den ganz
Abstrakten. Sein reifstes Werk heißt: »Melodie«. Sie beginnt redits unten in der Ecke des Bildes
und klingt in der Diagonale nadi links oben. Die Farben und Linien entwickeln sidr allmählidr
aus den anfangs unbemalfen weißen Dreiecken links unten und redits oben. Blau und Gelb sind
glcidisam kontrapunktisch geführt. Rcdite Winkel, Bogen, Sdincckenlinien und Kurven geben den
Rhythmus, den Takt. Eine gehauchte Musik von Debussy.
Willi Lammert: Uber ihm zittern und leuchten zwei Gestirne: Saturn und Venus. Beide
Sterne bestimmen sein Leben und seine Kunst. Seine Aura ist brünstigrot mit grauschwarzen und
giftiggrünen Ausstrahlungen. Sein Blick ist bohrend, verniditend. Er hinkt. Mephistopheles? Saturn
ist der Hüter der Sdrwelle.
Lammert ist 1893 in Hagen geboren, in ärmlichen Verhältnissen, und das Leben hat ihn äußer-
lidi bisher sdiwer gedrückt. Aber dieses Reiben mit der tatsächlichen, materiellen Welt ließ den
Künstler in ihm wadi werden. Er ist ein starker Bildhauer. Bisher konnte er nur wegen Mangel
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Max Schulze-Sölde: Ein Oskar Wilde-Typ. Äußerlich sdron Wilde ähnlich. Viel Hyacinth,
Narziß und Antinous. Er besißt aber nicht die Kraft in der Dekadenz wie der grobe Irländer: seine
Fußknöchel sdilagen zu leicht um, oft errötet er. Eine äußerst fein organisierte Natur, die leidit
fremden Einflüssen zugänglich ist. Vor seinen Bildern wird man stark an Daumier, Cezanne,
Picasso erinnert. Seine Formen sind weidi, sein Stridr nervös. Seine Farben sind zart, anämisdi,
emaillig. Die Hauptfarbe ist blau: ein Vergißmeinniditblau, Trikolorenblau. Mit einem Wort, er
ist wcstlidi orientiert und betradrtet es als seine Aufgabe, den fcinkultivierten westlichen Sinn
mit dem rauheren germanisdren zu versöhnen. Darum sind ihm die Werke von Schmidt-Rottluff
und Nolde unverständlich. Aber Cezanne und Picasso sind sein Sdiwarm. Es gibt Bilder von
ihm, die einem Picasso ähneln. Dieselben unsinnlichen Farben, aschgrau, ockergelbbraun; dieselben
geonretrisdren Kurven, Geraden und Winkel; dieselben stereometrisdien Formen. Das Haupt-
problem, das er zu lösen versudri, ist die Umformung der Musik in Malerei. Er will Melodien,
Harmonien, Symphonien malen. Sdrulze-Sölde will alles vergeistigen. Die Umwelt versinkt voll-
ständig für ihn. Er steigt hinab in die Tiefen seiner Seele, und was er dort erlausdrte, stellt er
farbig und graphisdr ganz unabhängig von der Außenwelt dar. Er gehört deshalb zu den ganz
Abstrakten. Sein reifstes Werk heißt: »Melodie«. Sie beginnt redits unten in der Ecke des Bildes
und klingt in der Diagonale nadi links oben. Die Farben und Linien entwickeln sidr allmählidr
aus den anfangs unbemalfen weißen Dreiecken links unten und redits oben. Blau und Gelb sind
glcidisam kontrapunktisch geführt. Rcdite Winkel, Bogen, Sdincckenlinien und Kurven geben den
Rhythmus, den Takt. Eine gehauchte Musik von Debussy.
Willi Lammert: Uber ihm zittern und leuchten zwei Gestirne: Saturn und Venus. Beide
Sterne bestimmen sein Leben und seine Kunst. Seine Aura ist brünstigrot mit grauschwarzen und
giftiggrünen Ausstrahlungen. Sein Blick ist bohrend, verniditend. Er hinkt. Mephistopheles? Saturn
ist der Hüter der Sdrwelle.
Lammert ist 1893 in Hagen geboren, in ärmlichen Verhältnissen, und das Leben hat ihn äußer-
lidi bisher sdiwer gedrückt. Aber dieses Reiben mit der tatsächlichen, materiellen Welt ließ den
Künstler in ihm wadi werden. Er ist ein starker Bildhauer. Bisher konnte er nur wegen Mangel
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