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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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März-Heft
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Zech, Paul: Die Träne
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0476

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Und ich überschaute wieder die im Regentau sich noch immer spiegelnden
Straßenflächen, die mir eine ähnliche Bedeutung ihres märchenhaften Anblicks
vermittelten. Man könnte daher wohl, seßte ich meinen Gedankengang fort, die
Träne folgerichtig die noch sidrtbare, wenngleich sich auch bald wieder verfluch-
tende materielle Seele benennen, die allen Dingen unter ähnlicher Gestalt in
schmerzvollem Ringen entflieht. Den Felsen der Erde sowohl, als auch den Augen
eines betrübten Menschen. Ja, mit um so höherer Berechtigung, als sie den Tod
des letderen herbeiführt, wenn er deren allzuviele vergießt. Dazu kommt, daß sie
die Eigenschaften betätigt, die der hohen Weisheit zu eigen sind und ruhevoll
spiegelnd die Gegenstände ihrer Umgebung zurückstrahlt wie ein dreimal glu-
tendes Licht.
Nirwana, den ruhigen, wellenlosen Geist, dem die der Ackerschwere ledige
Seele zueilt, mochte der beglänzte Tau auf den Strafen, Bäumen und Häusern
um mich her ausstrahlen. Und ich empfand: so wurde ich mir von meinem Blute
nodn nie gezeigt.
Das lebte Starre war gebrochen, und vor mir stand wiederum mein Wille: der
neue Weg soll durch mich selber gehen zum Führer meiner Schritte.
Und so ging ich mit hocherhobenen Armen, wie im Gebet vor einem Opfer-
stein, langsam hinein in das Rätsel Welt und fühlte den Donner der Stadtgeräu-
sche über mich zusammenprallen wie gestellte Wogen eines unermeßlichen Wassers.

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