Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0478
DOI Heft:
März-Heft
DOI Artikel:Scheffler, Karl; Osthaus, Karl Ernst: Das Rheinland und Berlin: letzte Rede und Gegenrede
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Mißverständnisse auf, die sich jedermann bei einigem guten Willen selbst auf-
klären kann. Mich interessieren ernstere Dinge. Zum Beispiel die merkwürdige
Selbsttäuschung, womit Sie in Ihrem Brief die Rheinländer nur als Opfer der
bösen Berliner Politik hinstellen (wer hat diese Politik mehr als ich bekämpft!),
nicht auch als Zeitgenossen, denen die von Berlin ausgegebene Parole nur zu
sehr willkommen war — womit Sie sagen, die rheinische Kulturbewegung sei ins
Leben gerufen, um „Verhältnisse zu schaffen, unter denen es leichter sein würde,
Mensch unter Menschen zu sein'*, sie richte sich also gegen den Industrialismus
und seine Lebensauffassung. Das eben halte ich für falsch. Der rheinische Kultur-
betrieb ist nidits anderes als ein lebendiger Teil der sich unnatürlich aufblasenden
rheinischen Lebensauffassung. Es wächst im Westen fast alles aus demselben
Trieb, und in einigen Jahrzehnten wird man Unterschiede, die Ihnen sehr wichtig
scheinen, überhaupt nicht mehr sehen. Auch im Geistigen ist Gründergesinnung;
die Kohle hat sozusagen auf die feierlichsten Kulturbestrebungen abgefärbt.
Eigentlich hätten Sie, ein berufener Sprecher des Rheinlands, Gelegenheit ge-
habt, jeßt einmal aus dem Vollen zu schöpfen. Sie hätten mit großzügiger Konse-
quenz etwa so sprechen können:
„Die Kohle ist einmal unser Schicksal, so soll sie es auch ganz sein! Wir
haben mit Bewußtsein industrialisiert und wollen es weiterhin tun. Es ist unser
Ehrgeiz, daß im Gefolge der wirtschaftlichen die geistige Macht zum alten west-
lichen Kulturzentrum zurückkehre, eben jeßt, wo Preußens Sendung vielleicht zu
Ende ist, wo Berlin, das immer mehr Clearing-house als Produktionsstätte ge-
wesen ist, an Bedeutung stark verlieren, noch mehr entarten und verwildern und
ganz unter östlichen Einfluß geraten wird. Wir wollen das Rheinland zum Schwer-
punkt der deutschen Kraft machen; und müßten wir auch partikularistisch er-
scheinen und uns den feindlichen Westmächten enger als das übrige Deutschland
anschließen. Wir treten noch einmal ein in den Wettbewerb um Weltmärkte, und
versuchen dann, ob das Land der Kohle und des Eisens, wenn es ganz sich selbst
bestimmt, nicht wieder eine Kultur großen Stils hervorbringen kann. Nicht Abbau
der Kräfte, die hier rege waren und sind, wollen wir, sondern ihre Steigerung ins
Monumentale. Wir waren eines der Arbeitszentren Europas; wir wollen es bleiben
und damit auch den Geist Europas bestimmen helfen."
Das wäre ein Bekenntnis gewesen, das Eindruck gemacht hätte. Darauf wäre
dann aber etwa dieses zu erwidern gewesen:
„Auf diesem Wege wird Deutschland nie wieder politisch und geistig frei;
auf diesem Weg wird es zur Kolonie. Uns bleibt nur zweierlei. Und die Ent-
scheidung ist Schicksal, ist es nirgends so sehr wie im Rheinland. Entweder Ko-
lonie — oder Provinz. Ein drittes gibt es nicht. Eine neue Industrieblüte ist
selbst in dem Land, wo Kohle und Erz wächst, unmöglich. Die Katastrophe, die
es erweisen wird, kommt erst. Will Deutschland, will vor allem das Rheinland
vom Großmachtdünkel, vom Oroßstadtwahn, vom Industrierausch nicht lassen, so
wird es zu einer Kolonie der Westmächte. Jedermann wird dann zum Angestellten,
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klären kann. Mich interessieren ernstere Dinge. Zum Beispiel die merkwürdige
Selbsttäuschung, womit Sie in Ihrem Brief die Rheinländer nur als Opfer der
bösen Berliner Politik hinstellen (wer hat diese Politik mehr als ich bekämpft!),
nicht auch als Zeitgenossen, denen die von Berlin ausgegebene Parole nur zu
sehr willkommen war — womit Sie sagen, die rheinische Kulturbewegung sei ins
Leben gerufen, um „Verhältnisse zu schaffen, unter denen es leichter sein würde,
Mensch unter Menschen zu sein'*, sie richte sich also gegen den Industrialismus
und seine Lebensauffassung. Das eben halte ich für falsch. Der rheinische Kultur-
betrieb ist nidits anderes als ein lebendiger Teil der sich unnatürlich aufblasenden
rheinischen Lebensauffassung. Es wächst im Westen fast alles aus demselben
Trieb, und in einigen Jahrzehnten wird man Unterschiede, die Ihnen sehr wichtig
scheinen, überhaupt nicht mehr sehen. Auch im Geistigen ist Gründergesinnung;
die Kohle hat sozusagen auf die feierlichsten Kulturbestrebungen abgefärbt.
Eigentlich hätten Sie, ein berufener Sprecher des Rheinlands, Gelegenheit ge-
habt, jeßt einmal aus dem Vollen zu schöpfen. Sie hätten mit großzügiger Konse-
quenz etwa so sprechen können:
„Die Kohle ist einmal unser Schicksal, so soll sie es auch ganz sein! Wir
haben mit Bewußtsein industrialisiert und wollen es weiterhin tun. Es ist unser
Ehrgeiz, daß im Gefolge der wirtschaftlichen die geistige Macht zum alten west-
lichen Kulturzentrum zurückkehre, eben jeßt, wo Preußens Sendung vielleicht zu
Ende ist, wo Berlin, das immer mehr Clearing-house als Produktionsstätte ge-
wesen ist, an Bedeutung stark verlieren, noch mehr entarten und verwildern und
ganz unter östlichen Einfluß geraten wird. Wir wollen das Rheinland zum Schwer-
punkt der deutschen Kraft machen; und müßten wir auch partikularistisch er-
scheinen und uns den feindlichen Westmächten enger als das übrige Deutschland
anschließen. Wir treten noch einmal ein in den Wettbewerb um Weltmärkte, und
versuchen dann, ob das Land der Kohle und des Eisens, wenn es ganz sich selbst
bestimmt, nicht wieder eine Kultur großen Stils hervorbringen kann. Nicht Abbau
der Kräfte, die hier rege waren und sind, wollen wir, sondern ihre Steigerung ins
Monumentale. Wir waren eines der Arbeitszentren Europas; wir wollen es bleiben
und damit auch den Geist Europas bestimmen helfen."
Das wäre ein Bekenntnis gewesen, das Eindruck gemacht hätte. Darauf wäre
dann aber etwa dieses zu erwidern gewesen:
„Auf diesem Wege wird Deutschland nie wieder politisch und geistig frei;
auf diesem Weg wird es zur Kolonie. Uns bleibt nur zweierlei. Und die Ent-
scheidung ist Schicksal, ist es nirgends so sehr wie im Rheinland. Entweder Ko-
lonie — oder Provinz. Ein drittes gibt es nicht. Eine neue Industrieblüte ist
selbst in dem Land, wo Kohle und Erz wächst, unmöglich. Die Katastrophe, die
es erweisen wird, kommt erst. Will Deutschland, will vor allem das Rheinland
vom Großmachtdünkel, vom Oroßstadtwahn, vom Industrierausch nicht lassen, so
wird es zu einer Kolonie der Westmächte. Jedermann wird dann zum Angestellten,
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