Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0578
DOI issue:
April-Heft
DOI article:Gilgamesch: eine Erzählung aus dem Alten Orient : zehnte Tafel zum Werke Janthurs
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0578
über die Steppe forteilen? Mein junger Bruder, der Panther der Steppe, Enkidu,
mein junger Freund, der alles vermochte, dah wir den Zedernberg erstiegen, da^
wir den Himmelsstier packten und schlugen, den Chumbaba niederwarfen, der im
Zedernwaid hauste, cla| wir Löwen erlegten in Bergesschluchten, mein Freund, der
mit mir alle Gefahren und Mühen teilte, Enkidu, den ich liebte, gar sehr liebte,
— ihn erreichte der Menschen Geschick. Tag und Nacht weinte ich um ihn und
legte ihn nicht in ein Grab. Idi wartete und gedachte, mein Freund mühte auf-
erstehen durch mein Schreien. Sieben Tage und sieben Nächte lag er da wie ein
zertretener Wurm. Ich suchte das Leben und fand es nicht mehr. So jagte ich in
der Steppe umher gleich einem Manne der Wildnis. Das Schicksal des Freundes
lastet so schwer auf mir. Wie soll ich es nur verschweigen? Wie soll ich es nur
hinausschreien? Mein Freund, den ich liebe, ist zu Staub geworden, Enkidu, mein
Freund, ist wie der Lehm des Landes geworden! Werde nicht auch ich wie er midi
zur Ruhe legen müssen und nicht wieder aufstehen in alle Ewigkeit? Jeht, Sabitu,
blicke ich auf dich hin, damit ich den Tod, den ich fürchte, nicht schaue.“
Sabitu spricht zu Gilgamesch also:
„Gilgamesdh, wohin läufst du ? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden.
Als die Götter die Menschen schufen, bestimmten sie den Tod für die Menschen,
das Leben behielten sie für sich selbst. Drum, Gilgamesch, — und trink, fülle
dir deinen Leib, Tag und Nacht freue dich nur! Mache doch jeden Tag dir ein
Freudenfest! Freue dich Tag und Nacht bei Harfen, Flöten und Tanz! Ziehe reine
Kleider dir an, wasche und salbe dein Haupt und bade den Leib in frischem
Wasser! Sieh froh die Kinder an, die deine Hand erfassen! Freue dich in den
Armen des Weibes! Drum kehre zurück nach Uruk, in deine Stadt, als der ge-
priesene König und Held!“
Doch Gilgamesch sagt zu ihr, zu Sabitu:
„Genug, Sabitu, zeige den Weg mir zu Ufnapischtim! Gib mir Weisung, dah
ida zu ihm gelange! Wie komme ich hin zu ihm? Weise es mir! Wenn es angeht,
will ich über das Meer hinüberfahren, wenn es nicht möglich ist, will ich am Ufer
hin weitereilen!“
Sabitu spricht zu ihm, zu dem Gilgamesch:
„Keine Stelle gibt es an diesem Meer, von der einer glücklich hinüberfuhr, um
glücklich zu landen. Keiner, der seit der Vorzeit Tagen hierher kam, konnte über
das Meer hinüber. Wohl fährt über das Meer Schamasch, der gewaltige Held,
doch auher dem Sonnengott, — wer geht da hinüber? Sdiwierig ist die Überfahrt
über das Weltmeer, schwierig der Weg bis zu den Wassern des Todes, die vor
dem fernen Jenseits liegen. Wie willst du, Gilgamesch, über das Meer gelangen?
Kommst du selbst bis zu den Wassern des Todes, — was willst du dann tun?
— Doch siehe, es ist da Ur-Schanabi, der Schiffer des Ufnapischtim, dort wo die
Steinkisten liegen! Eben ging er zum Walde, er pflückt sich Kräuter und Beeren.
510
mein junger Freund, der alles vermochte, dah wir den Zedernberg erstiegen, da^
wir den Himmelsstier packten und schlugen, den Chumbaba niederwarfen, der im
Zedernwaid hauste, cla| wir Löwen erlegten in Bergesschluchten, mein Freund, der
mit mir alle Gefahren und Mühen teilte, Enkidu, den ich liebte, gar sehr liebte,
— ihn erreichte der Menschen Geschick. Tag und Nacht weinte ich um ihn und
legte ihn nicht in ein Grab. Idi wartete und gedachte, mein Freund mühte auf-
erstehen durch mein Schreien. Sieben Tage und sieben Nächte lag er da wie ein
zertretener Wurm. Ich suchte das Leben und fand es nicht mehr. So jagte ich in
der Steppe umher gleich einem Manne der Wildnis. Das Schicksal des Freundes
lastet so schwer auf mir. Wie soll ich es nur verschweigen? Wie soll ich es nur
hinausschreien? Mein Freund, den ich liebe, ist zu Staub geworden, Enkidu, mein
Freund, ist wie der Lehm des Landes geworden! Werde nicht auch ich wie er midi
zur Ruhe legen müssen und nicht wieder aufstehen in alle Ewigkeit? Jeht, Sabitu,
blicke ich auf dich hin, damit ich den Tod, den ich fürchte, nicht schaue.“
Sabitu spricht zu Gilgamesch also:
„Gilgamesdh, wohin läufst du ? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden.
Als die Götter die Menschen schufen, bestimmten sie den Tod für die Menschen,
das Leben behielten sie für sich selbst. Drum, Gilgamesch, — und trink, fülle
dir deinen Leib, Tag und Nacht freue dich nur! Mache doch jeden Tag dir ein
Freudenfest! Freue dich Tag und Nacht bei Harfen, Flöten und Tanz! Ziehe reine
Kleider dir an, wasche und salbe dein Haupt und bade den Leib in frischem
Wasser! Sieh froh die Kinder an, die deine Hand erfassen! Freue dich in den
Armen des Weibes! Drum kehre zurück nach Uruk, in deine Stadt, als der ge-
priesene König und Held!“
Doch Gilgamesch sagt zu ihr, zu Sabitu:
„Genug, Sabitu, zeige den Weg mir zu Ufnapischtim! Gib mir Weisung, dah
ida zu ihm gelange! Wie komme ich hin zu ihm? Weise es mir! Wenn es angeht,
will ich über das Meer hinüberfahren, wenn es nicht möglich ist, will ich am Ufer
hin weitereilen!“
Sabitu spricht zu ihm, zu dem Gilgamesch:
„Keine Stelle gibt es an diesem Meer, von der einer glücklich hinüberfuhr, um
glücklich zu landen. Keiner, der seit der Vorzeit Tagen hierher kam, konnte über
das Meer hinüber. Wohl fährt über das Meer Schamasch, der gewaltige Held,
doch auher dem Sonnengott, — wer geht da hinüber? Sdiwierig ist die Überfahrt
über das Weltmeer, schwierig der Weg bis zu den Wassern des Todes, die vor
dem fernen Jenseits liegen. Wie willst du, Gilgamesch, über das Meer gelangen?
Kommst du selbst bis zu den Wassern des Todes, — was willst du dann tun?
— Doch siehe, es ist da Ur-Schanabi, der Schiffer des Ufnapischtim, dort wo die
Steinkisten liegen! Eben ging er zum Walde, er pflückt sich Kräuter und Beeren.
510