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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Istel, Edgar: Musikdrama oder Oper?
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0634

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1860 machte. Hier sprach sich Wagner aus wohlerwogenen Gründen sehr gemäßigt
aus. Er verteidigte sich dagegen, daß er die gesamte Opernmusik einschließlich
Mozart, Weber und Gluck verachte, und sprach davon, daß er nur gegen die
Mißbräuche des Opernwesens auftreten wolle. Das widersprach zwar seinen
Schriften, deckte sich aber wohl mit seiner Praxis, die inzwischen bedeutend weniger
revolutionär geworden war. Rossini, der fein kultivierte Meister romanischer Form,
machte gegenüber Wagners Ideen ein paar sehr bezeichnende Einwände, z. B.
„Wie kann man die Unabhängigkeit, die die dichterische Konzeption verlangt,
aufrecht erhalten in der Verbindung mit der musikalischen Form, die lediglich
Konvention ist?“ Worauf Wagner sehr milde erwidert: „Gewiß, Maestro, drängt
sich die Konvention — und sogar in sehr breitem Maße — auf, wenn wir nicht
das musikalische Drama und sogar die musikalische Komödie völlig aufgeben
wollen. Es versteht sich, daß diese Konvention, nachdem sie zur Höhe der Kunstform
erhoben ist, so gefaßt werden muß, daß ihre absurden und lächerlichen Übertreibungen
vermieden werden. Und nur gegen den Mißbrauch eifere ich.“ Also selbst Wagner
wollte — wenigstens Rossini gegenüber — die konventionelle Form der Oper
nicht verdammen, wenn ihre Übertreibungen vermieden würden, ein Zugeständnis
sehr bemerkenswerter Art! Und weiter sagte Wagner zu Rossini: „Ich bin weit
davon entfernt, nicht im höchsten Maße den rein-musikalischen Zauber so vieler
bewunderungswürdiger Stellen in mit Recht berühmten Opern zu empfinden. Wenn
aber diese Musik dazu verurteilt ist, als rein erheiternde Nebensadie zu dienen
oder wenn sie, eine Sklavin der Routine und der szenischen Handlung fremd,
sich systematisch nur als sinnlichen Ohrenkißel gebärdet, dann lehne ich mich
gegen diese Rolle auf und will hiergegen wirken.“ Nun aber proklamierte Wagner
Rossini gegenüber eine zukünftige, „ebenso fruchtbare wie neue Richtung in der
Konzeption der Komponisten wie bei den Sängern und Publikum“, und hier wurde
Rossini doch sehr ungläubig: „Also schließlich eine radikale Umkehrung? Und
glauben Sie, daß die Sänger, die an virtuoses Zurschaustellen ihres Talentes gewöhnt
sind, das — wenn ich recht ahne — durch eine Art deklamatorischer Gesangssprache
erseßt werden soll, glauben Sie, daß das ans alte Spiel gewöhnte Publikum sich
sdiließlich diesen so alles Vergangene zerstörenden Neuordnungen unterwerfen
wird? Ich zweifle stark daran.“ Worauf Wagner nur den schwachen Trost hatte:
„Sicher gehört dazu eine langsame Erziehung, aber sie wird kommen.“
Nun ist Wagner schon bald 40 Jahre tot, und seit jener Unterredung mit Rossini
ist über ein halbes Jahrhundert verflossen. Man hat sich an Wagner gewöhnt,
und — was noch viel mehr heißen will — sogar bis zu einem gewissen Grade an
seine Nachfolger, Troß alledem hat aber der Zweifel Rossinis Redit behalten.
Und zwar aus einem Grunde, den Wagner nie einsehen wollte: weil nämlich die
alte Oper auf Forderungen der menschlichen Natur beruht, auf Konventionen,
die nach Goethes Wort das „Notwendige, Unerläßliche“ bedeuten, auf das sich

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