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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Däubler, Theodor: Wilhelm Morgner
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0652

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Dramatik durch das Schicksalsrätsel: eine Millionen-Sternen-Nacht hat gewiß zu
lange die Erde bedrückt. Den Schläfer gequält. Mit lyrischer Freude wagt sich
Morgner, der Kindlich-Verspielte, mit seiner Sonne ins Freie! Aber da steht sie
ja schon oben: die liebe, gute, grolle Sonne! Unsre Mutter! Unsre deutsche,
also weibliche Sonne. Und nun lebe eine herrliche Banalität: die Sonne lacht!
Wenn sie nur nach Morgners Weise immer wieder noch einmal lacht! Fleute ziert
die Schwingbälle auf unsern Spielpiäßen indianerhafter Fedcrnpuß, auch die liebe
Sonne, aus Morgners Hand, unsere volle, hohe holde Kugel hat rotenFlaumbesaß,
damit sie steil emporfliegen kann: nach neuesten Erfahrungen neoimpressio-
nistischer Technik ist ja so etwas leicht möglich! Also nach allen Seiten züngelt,
flimmert, flügelt es aus so einer Sonne hervor; sie ist ja der herrlichste Goldvogel
mit vielen vielen hochroten Schwingen, samt allerhand bunten Säumen undSpißen.
Und mit ihr gehts hinauf in die schöne Welf: rechts und links hinüberflimmemdt
auch in ein Uber-sich-hinaus und ebenso herunter zu uns braven Leuten. Ja die
hinauf fliegende Sonne kommt hierher herab. Sie verschenkt sich an Menschen,
sanffeTiere, an Pflanzen, die noch lebte Unheimlinge unter sich einwalden, vor unsrer
allzutüchfigen Arbeitsbereitschaft, unsern vielen Nutzbarmachungen schützen wollen.
Und ein andermal spiegelt sich die gute Sonne in einem Teich; warum wir nur so
eine Doppelsonne ganz besonders lieben? Weil wir Menschen alles auf uns be~
ziehn: wir haben zwei Augen, folglich soll auch unsre grolle teure Welf zweier
Sonnen teilhaftig sein. Und wäre es, in der Welt der Wirklichkeit, nur zum
Schein; denn in der Kunst, unserm unverrückbar gewordnen Schein gibt es dann
auf so einem Bild auch tatsächlich zwei Sonnen, die einander ebenbürtig sind:
eine hoch oben, die andere tief unten, also sogar eine Sonne unter uns, auf die
wir anmaßenden Menschenkinder niederblicken dürfen! Unglaublich ist die Treff-
sicherheit, folglich Leichtigkeit, mit der es Morgner weiß, unsre Sonne in ein Bild
einzuseßen. Lind solche Geschicklichkeit beim künstlerischen Sich-entfalten zaubert
sich immer den Eindruck von Luft, ja Morgenwind vor die Sinne. Freilich, als
ein wenig Zielscheibe mit der Sonne als leuchtenden Zielpunkt, kann einem so
ein gewagtes, aber immerhin kindliches Kunststück allerdings auch Vorkommen.
Das schadet jedoch nichts, immer am Sonntag gibfs großes Weffschießen, schon
frühmorgens übt sich der kühne Morgner; er wird zielsicher den hohen Sonnen-
preis gewinnen! Verweilen wir auch beim Wind um Sonnenaufgang. Da er-
lauscht uns der Künstler ein Sfilgeheimnis. Impressionisten gelang es, Licht und
Luft zu erbringen. Das schwebende herrliche Silberflimmern der Isle-de-France
verflüchtigt und ergießt sich nunmehr über die ganze Weif. Aber der Wind?
Nicht der wolkentürmende, drohende Sturm, der leise Wind: wer hat den gebracht?
Einige Japaner! Audi den Morgenwind ? Botticelli! In seiner Geburt der Venus,
in den Uffizien von Florenz! Auf diesem herrlichen Bild kräuselt er sich leise
heran, goldig übers Gras, leise goldig als Welle, noch etwas atemhafter durch


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