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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Mai-Heft
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Metzger-Hoesch, Oskar: Der Untergang des Abendlandes?
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0715

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Heft 2, S. 281 ff.) beigebracht, der es in vielen Punkten ablehnt, aber seine Gröhe anerkennt.
Bedeutend leichter hat es sidi „die erste Sdrrift gegen Spengler“ gemacht 1), die, selber dog-
matisch, gegen seinen Dogmatismus loszieht, auf eine Kultursymbiose hinaus will, d. h. die
Möglidikeit der Ubersdineidung zweier Kulturen, und dieses Heil in der „langsamen Auflösung“
in die russisdre Kultur erblickt; das Heft lohnt die Lektüre nicht. Auch die zwei Aufsähe im
2. Februarheft 1920 des Kunstwarts von A. Bonus und K. Wilhelm fördern nicht. Eine
Widerlegung dieses Werkes kann keine Broschüre, sondern nur das Buch eines gleidr universalen
Mannes geben, wie es Spengler ist; wir erhoffen eine solche Auseinandersehung von der
Zukunft.
Immerhin seien hier einige kritische Gedanken über das Buch gebradit, die sidr mir bei
der Lektüre aufdrängten, und sie mögen umso weniger verschwiegen bleiben, als das Werk,
das gerade von jungen Menschen und Unberufenen verschlungen wird, in solchen Händen eine
entschiedene Gefahr darsfellt. Es bannt von vornherein jeden, und man muh ihm gegenüber
sidr erst wieder die innere Distanz und Kühle gewinnen, ehe man kritisch wird. Aber audr
dann bleibt meines Erachtens der Eindruck: Es ist ein Erlebnis.
Das bleibend Frudrtbare an dem Buch scheint mir das nidit zu sein, was der Obertitel
angibt, die historisdr-philosophisdre Prophetie, sondern der eigentlidre Grundgedanke: die Be-
trachtung der Weltgesdridrte nadr Kulturkreisen unter Ausschluß des Schemas: Altertum, Mittel-
alter, Neuzeit. (Das letztere wurde übrigens sdion vor 27 Jahren, seitdem öfter, u. a. von
Dopsdr -) in seiner Polemik gegen die „Kulturzäsur“ zwischen Altertum und Mittelalter be-
kämpft.) Diese Betrachtung der Kulturorganismen hält eine glücklldae Mitte zwischen einer vagen
kosmopolitischen Weltbetrachtung und der einseitigen Rassentheorie (Chanrberlains). Freilich
ergibt sich dann audr wieder aus der ganzen Einstellung Spenglers, da| er den unleugbar vor-
handenen Eigentümlichkeiten3) der deutschen Volksseele im Unterschied von der italienischen,
französischen, englischen nidrt gerecht wird.
Gegenüber diesem Buch, das so selbstherrlidr dasteht, das auher Goethe und Niehsdre kaum
drei oder viermal Quellen nennt, vergibt man ganz, dab auch seine ragende Grobe bedingt
ist. Es erschiene mir kleinlidr, ihm das im einzelnen vorzuführen, aber notwendig ist es zur
Gesamtbeurteilung, auf die Zeit ström ung hinzuweisen, von der audr dieses Werk getragen
ist. Idr sdreide die historische und künstlerisdre Seife. Geschichtlich würden wir weif
zurückgeführf bis auf die gesdrichflidr - philosophischen Ideen V i c o s und Condorccts 4)
im 18. Jahrhundert über Barbarei, Zivilisation und Rückfall in Barbarei, über Jugend,
Mannesalter und Greisentum der Völker, bis in geistvollster, aber durchaus panlogisfi-
scher Weise Hegels Riesenfaust sich die Weltgesdridrte auftürnrt aus der arabischen, grie-
drischen, römisdren und germanischen Welt als Knaben-, Jünglings-, Mannes- und
Greisenalter der Mensdrheif. Ein letzter pessimistischer Nachklang kurz vor dem Weltkrieg war
des leider gefallenen jungen Hamnrachers Werk 5), eine hegelianische Variation über seines Mei-
sters pessinrisfisdres Thema: »Die Eule der Minerva beginnt in der Dämmerung ihren Flug«.
Der Leser wird es fühlen, hier sind wir an Lebenssfimmung in der unmittelbaren Nachbarsdraft
Spenglers, eines neuen Hegel an Kraft der Systematik, nur ist er wirklichkeitsnaher, mehr
moderner Mensch als der grobe spekulative Rationalist, ist intuitiver (Simmel und Bergson
verwandter) Philosoph, der sidr an Goethe begeistert hat, ist Kritiker aus dem Bannkreis
Niefzsdres: Man lese nur »Vom Nutzen und Nadrfeil der Historie für das Leben« (Niehsdre,
Klassiker-Ausgabe (1919, Bd. 2, 125 ff.) 6)
Aber audr eine künstlerisdre Linie führt direkt zu Spengler: Die Romantik, der die Architektur
eine „Gefrorene Musik“ war (Schlegel), und Schopenhauer leiten hier eine Kulturphilosophie
über Welt und Musik ein,') Riegl und Worringer bauen kunsfpsydrologisch, Wölfflin

3) -Felix Emmel, Der
Tod des Abendlands
(Engelmann, Berlin,
1919, M. 2,-)

-) audi in dem ausge-
zeichneten Sammelband
»Vom Altertum zur Ge-
genwart« (Teubner, Leip-
zig, 1919, S. 21 ff.)

3) Idi denke an das
meisterhafte BüchfeinW.
Wundts »Die Natio-
nen und ihre Philoso-
phie« (Kröners Taschen-
ausgabe, Leipzig 1916).

4) Vergl. die lichtvolle,
leider Torso gebliebene
leffte Vorlesung Win-
delbands »Geschidits-
philosophie« (Kantstu-
dien, Berlin 1916, S. 18,
47, 28).

”’) H a m m a ch e r,
Hauptfragen der moder-
nen Kultur, Teubner,
Leipzig 1914.

,J) Die klarste, gröbere
Einführungssdirift in
Nieffsdie: RaoulRidi-
ter, »Niefpsdie« (Meiner,
Leipzig 19173) hilft audi
hier weiter (S. 140, 142).

") K. Joel, Nieffsdie
und die Romantik (Jena,
Diederidis, 1905,
S. 257 f.).

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