Es kann sich somit dieses neue Abbildungswerk an
Widrtigkeit neben das ältere stellen, das es an
Authentizität sogar überflügelt. Immerhin ist es zu
bedauern, dah es nicht (wie jenes) die Rahmen der
Bilder mitreproduziert, die dodr eine vorzügliche
Begrenzung geben, und dalj es den warmen Ton
vermissen 1 ä|t, der dem Schmidschen Werk einen so
unmittelbaren malerischen Reiz verleiht.
Der Text Hägens besprkht in einzelnen Kapiteln:
Grünewald und die altdeutsche Kunst, Grünewalds
Bedeutung für die nationale Renaissancemalerei, dann
ausführlicher den Isenheimer Altar und gibt sdrlieljlidr
— und dies ist das Wesentlichste — Analysen der
Form- und Farben-Zusammenhänge, Hinweise und
Beschreibungen, die troh aller von Hagen und von
Mayer unternommenen Versuche solange leider not-
wendig sind, als wir keine ausrekhende Farbreproduktion
haben, die ohne Schwierigkeiten immer zur Hand sein
könnte.
Erwähnenswert ist in der Einführung die Betonung
der Gleichwertigkeit Grünewalds im Verhältnis zu
Dürer und die Annäherung Grünewalds an das
Luthertum. Hier in diesem zweiten Punkte werden
Kontroversen — vielleicht fruchtbarer Art — einsetsen
können, denn sowohl O. Spengler, wie W. Hausenstein
fassen die Art Grünewalds als wesentlich katholisdr,
zum wenigsten kathofizistisdr auf — und diese Auf-
fassung hat doch die gröbere Wahrsdieinlichkeit für
sidr: gerade das „Problem der ausbleibenden Grünewald-
Schule“ (wie Hagen sidr ausdrückf) würde kein Rätsel
bleiben, wenn der Meister als Leiter einer absterbenden
Richtung erkannt, anerkannt würde. Jedenfalls scheint
Hagen kein durdrschlagendes Argument zu Gunsten
seiner neuen Auffassung nennen zu können!
Widrfiger aber ist die Erörterung der Umwandlung
der traditionellen Altarform durdr Grünewald und der
Entwicklung seines Linien- und Farbstils. Ohne daf;
hier Endgültiges erreidrt wäre, rundet sidr dodr das
psychologisdre Bild des Meisters in vortrefflidrer Weise.
E. v. SYDOW.
KESTNER-BUHNE, HANNOVER. Die Kestner-
Bühnc bradrte als dritte Aufführung Wedekinds »Tod
und Teufel« und Strindbergs »Fräulein Julie« in der
Besetzung der Hamburger Kanrmerspiele. Paul Marx
als Marquis Casti Piani wubte dem Wedekindsdren
Einakter, der so oft in fruchtloses Dozieren zu ver-
ebben droht, eine Gestalt von faszinierender Dämonie
als Stühe zu geben. Unvergeljlidr war die Darstellung
der Grafentochter Julie durch Mirjam Florrwih, die
in vollendetem Zusammenspiel mit Erich Ziegel das
Trauerspiel Strindbergs zu erschütternder Wirkung
brachte. — Die vierte Aufführung bradrte Strindbergs
»Scheiterhaufen« mit Rosa Berfens, Alexander Moissi,
Johann Terwin, Ernst Wendt, Emilie Kurz, sämtlich
von den Berliner Reinhardtbühnen. Das grauenvolle
Spiel packte die Zuschauer mit der Gewalt Mundrscher
Holzsdrnitte. — Als 5. Aufführung gelangte Fernand
Cronrnrelyncks »Maskensdrniker« in der Besehung des
Leipziger Schauspielhauses am 27. April zu vollendeter
Darstellung. Damit wird die Tätigkeit der Kestner-
Biihne für diese Spielzeit ihr Ende erreidrt haben. Die
stürnrisdre Nadrfrage nadr Pläben, die immer nur zum
Teil befriedigt werden konnte, hat bewiesen, da^ die
Kestncr-Btihne in Hannover, wo das Schauspiel be-
sonders im Argen liegt, notwendig und von starker
kultureller Bedeutung ist.
ZWEI NEUE BÜCHER ÜBER DIE NEUE KUNST.
Inr Furche-Verlag ist ein Werk erschienen, dessen grolle
Auflage bereits vor Ersdreinen vergriffen war: der
kunsfphilosophisdre Forscher Eckart v. Sydow ist sein
Verfasser. Wenn der Titel dieses Budres von einer
„deutsdren expressionistischen Kultur und
Malerei“ sprüht, so erwarte man nkht etwa die allzu
kurzsiditige Konstatierung einer großen neuen Kultur-
epoche, — auch Sydow weih ganz genau, dab wir einer
solchen nodi ferne sind, ja sie noch garnicht haben
könnten, da wir mitten in den Wirrnissen des Über-
gangs, mitten in einer ungeheuren Kulturumwälzung
eben. Aber niemand wird heute ernsthaft mehr das
Vorhandensein eines neuen Weltgefühls, neuer ästhe-
tischer, sozialer, allgemein mensdilidrer Grundbegriffe,
ja sogar eines neuen Mcnschenfypus leugnen wollen;
die Weitersdrauenden sind sidr sogar darüber einig,
dalj allem groben Sdrein zum Troh die enfsdreidenden
Formen der neuen geistigen Verfassung sidr bereits
zu konsolidieren begonnen haben, dab man sdron heute
mit einem gewissen Redrt von einer neuen „Kultur“
wird spredren dürfen (mindestens aber von ihrem An-
fang), deren Wesen sidr im schroffsten Widerstand
gegen die vergangene Dekadenzperiode, also in einem
leidenschaftlidren Willen zur Gesundheit äußert. —
Was man diesem Buch zunr Vorwurf machen könnte
(bekanntlich wird jedes Budr über Expressionismus
immer irgendwie als unzutreffend oder problenrafisdr
empfunden, da wir alle, sowohl Sdrreibende als Lesende,
den Dingen nodr viel zu nahe stehn, als dalj wir sie
sdron völlig als Totalitäten zu überschauen vermöchten),
— was man ihm entgcgenhalten könnte, das sind Ein-
wände gegen Einzelurteile und theoretische Konstruk-
tionen, gegen die Auswahl und Bevorzugung einzelner
716
Widrtigkeit neben das ältere stellen, das es an
Authentizität sogar überflügelt. Immerhin ist es zu
bedauern, dah es nicht (wie jenes) die Rahmen der
Bilder mitreproduziert, die dodr eine vorzügliche
Begrenzung geben, und dalj es den warmen Ton
vermissen 1 ä|t, der dem Schmidschen Werk einen so
unmittelbaren malerischen Reiz verleiht.
Der Text Hägens besprkht in einzelnen Kapiteln:
Grünewald und die altdeutsche Kunst, Grünewalds
Bedeutung für die nationale Renaissancemalerei, dann
ausführlicher den Isenheimer Altar und gibt sdrlieljlidr
— und dies ist das Wesentlichste — Analysen der
Form- und Farben-Zusammenhänge, Hinweise und
Beschreibungen, die troh aller von Hagen und von
Mayer unternommenen Versuche solange leider not-
wendig sind, als wir keine ausrekhende Farbreproduktion
haben, die ohne Schwierigkeiten immer zur Hand sein
könnte.
Erwähnenswert ist in der Einführung die Betonung
der Gleichwertigkeit Grünewalds im Verhältnis zu
Dürer und die Annäherung Grünewalds an das
Luthertum. Hier in diesem zweiten Punkte werden
Kontroversen — vielleicht fruchtbarer Art — einsetsen
können, denn sowohl O. Spengler, wie W. Hausenstein
fassen die Art Grünewalds als wesentlich katholisdr,
zum wenigsten kathofizistisdr auf — und diese Auf-
fassung hat doch die gröbere Wahrsdieinlichkeit für
sidr: gerade das „Problem der ausbleibenden Grünewald-
Schule“ (wie Hagen sidr ausdrückf) würde kein Rätsel
bleiben, wenn der Meister als Leiter einer absterbenden
Richtung erkannt, anerkannt würde. Jedenfalls scheint
Hagen kein durdrschlagendes Argument zu Gunsten
seiner neuen Auffassung nennen zu können!
Widrfiger aber ist die Erörterung der Umwandlung
der traditionellen Altarform durdr Grünewald und der
Entwicklung seines Linien- und Farbstils. Ohne daf;
hier Endgültiges erreidrt wäre, rundet sidr dodr das
psychologisdre Bild des Meisters in vortrefflidrer Weise.
E. v. SYDOW.
KESTNER-BUHNE, HANNOVER. Die Kestner-
Bühnc bradrte als dritte Aufführung Wedekinds »Tod
und Teufel« und Strindbergs »Fräulein Julie« in der
Besetzung der Hamburger Kanrmerspiele. Paul Marx
als Marquis Casti Piani wubte dem Wedekindsdren
Einakter, der so oft in fruchtloses Dozieren zu ver-
ebben droht, eine Gestalt von faszinierender Dämonie
als Stühe zu geben. Unvergeljlidr war die Darstellung
der Grafentochter Julie durch Mirjam Florrwih, die
in vollendetem Zusammenspiel mit Erich Ziegel das
Trauerspiel Strindbergs zu erschütternder Wirkung
brachte. — Die vierte Aufführung bradrte Strindbergs
»Scheiterhaufen« mit Rosa Berfens, Alexander Moissi,
Johann Terwin, Ernst Wendt, Emilie Kurz, sämtlich
von den Berliner Reinhardtbühnen. Das grauenvolle
Spiel packte die Zuschauer mit der Gewalt Mundrscher
Holzsdrnitte. — Als 5. Aufführung gelangte Fernand
Cronrnrelyncks »Maskensdrniker« in der Besehung des
Leipziger Schauspielhauses am 27. April zu vollendeter
Darstellung. Damit wird die Tätigkeit der Kestner-
Biihne für diese Spielzeit ihr Ende erreidrt haben. Die
stürnrisdre Nadrfrage nadr Pläben, die immer nur zum
Teil befriedigt werden konnte, hat bewiesen, da^ die
Kestncr-Btihne in Hannover, wo das Schauspiel be-
sonders im Argen liegt, notwendig und von starker
kultureller Bedeutung ist.
ZWEI NEUE BÜCHER ÜBER DIE NEUE KUNST.
Inr Furche-Verlag ist ein Werk erschienen, dessen grolle
Auflage bereits vor Ersdreinen vergriffen war: der
kunsfphilosophisdre Forscher Eckart v. Sydow ist sein
Verfasser. Wenn der Titel dieses Budres von einer
„deutsdren expressionistischen Kultur und
Malerei“ sprüht, so erwarte man nkht etwa die allzu
kurzsiditige Konstatierung einer großen neuen Kultur-
epoche, — auch Sydow weih ganz genau, dab wir einer
solchen nodi ferne sind, ja sie noch garnicht haben
könnten, da wir mitten in den Wirrnissen des Über-
gangs, mitten in einer ungeheuren Kulturumwälzung
eben. Aber niemand wird heute ernsthaft mehr das
Vorhandensein eines neuen Weltgefühls, neuer ästhe-
tischer, sozialer, allgemein mensdilidrer Grundbegriffe,
ja sogar eines neuen Mcnschenfypus leugnen wollen;
die Weitersdrauenden sind sidr sogar darüber einig,
dalj allem groben Sdrein zum Troh die enfsdreidenden
Formen der neuen geistigen Verfassung sidr bereits
zu konsolidieren begonnen haben, dab man sdron heute
mit einem gewissen Redrt von einer neuen „Kultur“
wird spredren dürfen (mindestens aber von ihrem An-
fang), deren Wesen sidr im schroffsten Widerstand
gegen die vergangene Dekadenzperiode, also in einem
leidenschaftlidren Willen zur Gesundheit äußert. —
Was man diesem Buch zunr Vorwurf machen könnte
(bekanntlich wird jedes Budr über Expressionismus
immer irgendwie als unzutreffend oder problenrafisdr
empfunden, da wir alle, sowohl Sdrreibende als Lesende,
den Dingen nodr viel zu nahe stehn, als dalj wir sie
sdron völlig als Totalitäten zu überschauen vermöchten),
— was man ihm entgcgenhalten könnte, das sind Ein-
wände gegen Einzelurteile und theoretische Konstruk-
tionen, gegen die Auswahl und Bevorzugung einzelner
716