Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0963
DOI Heft:
September-Heft
DOI Artikel:Elwenspoek, Curt: Die Verewigung der Bewegung: Grundsätzliches zum Filmproblem
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Der Dr. Caligari-Film der Decla war in dieser Richtung, die Paul Wegener am
klarsten zuerst beschritt, ein epochaler Sprung: Verpflanzung eines optischen
Geschehens auf andere Bewubtseinsebene — strengste Rhythmisierung, ja andeu-
tungsweise der Versuch musikalischer Auflösung bildhaft-dramatischen Geschehens,
Eben das Dramatische freilich bleibt hier Erdenrest, zu tragen peinlich, Film-
kunst ist nicht undramatisch, sie ist antidramatisch — wie Musik, Denn sie ist
selbst Musik, durch das Auge zu empfangende Musik.
Immerhin: hier ist der Weg. Bergdahls Lichtspielcreien, die lebenden Zeichnungen
des Müncheners von Wich waren scharf umrissene Vorboten der neuen Kunst.
Und es verdient betont zu werden, da^ schon in der frühesten Kindheit des
Films traumhaft verlebendigte Dinge — tanzende Zündhölzer zum Beispiel —
„optischer Musik“ sich annäherten, die Transzendenz künftiger Filmkunst ahnen
liefen.
Der Kunstfilm, das Augenmusiksiück, wird also ornamental-bildhafte Eindrücke,
vielleicht allegorischer Art zunächst, in rhythmischer Beschwingtheit aneinander-
reihen, zu lebendigem Ausdrucksstrom gestalten. Wachsende Blumenkelche,
schrumpfende, zusammenbrechende, blütenfreibende Architektur, kaleidoskopisdie
Farbbänder in wirbelnder Verschlingung, lohende Flammen, Feuerstrudel und
springende Wasser, aller photographierten, einmaligen Gegenständlichkeit freilich
entkleidet, werden etwa als Bausteine der neuen Kunstart erscheinen.
Als Vorstufe scheint der Versuch, akustische Musik ins Optische zu übertragen,
denkbar und aussichtsreich, wobei der etwaige Qualgedanke eines »Film-Melo-
drams«, das wäre „Illustrierung“ eines Musikstückes durch photographierte Theatern
handlung, von vornherein in tiefsten Höllenschlund verdammt sei.
VII
Auch Einsichtswilligen verrammelt eine Vorstellung leichtlich das Verständnis für
die Möglichkeiten ernster Filmkunst: der Gedanke an das peinlich Maschinelle,
das dem Bioskop anhaftet. Wie kann eine Maschine, wenn auch nur reproduktiv,
künstlerische Werte künstlerisch vermitteln? Wo bleibt die Mensdienseele als
nachschaffender Mittler?
Das Klavier, mehr noch die Orgel, sind auch tote Maschinen, die ein Künstler,
ohne Naturgesetze zu zertrümmern, beseelt.
Auch der Kinematograph könnte entmechanisiert, könnte bis zu einem hohen
Grade (nach Tempo, Helligkeitsgrad, Deutlichkeit, Farbnuance) als Instrument
gebaut, „spielbar“ gemacht werden, zum künstlerischen Ausdrucksmittel in Künstler-
hand sich auswachsen.
Es wird eine Zeit kommen, da Augenmusik auf dem Bioskop so künstlerisch ge-
spielt werden wird, wie heute Ohrenmusik auf der Orgel.
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klarsten zuerst beschritt, ein epochaler Sprung: Verpflanzung eines optischen
Geschehens auf andere Bewubtseinsebene — strengste Rhythmisierung, ja andeu-
tungsweise der Versuch musikalischer Auflösung bildhaft-dramatischen Geschehens,
Eben das Dramatische freilich bleibt hier Erdenrest, zu tragen peinlich, Film-
kunst ist nicht undramatisch, sie ist antidramatisch — wie Musik, Denn sie ist
selbst Musik, durch das Auge zu empfangende Musik.
Immerhin: hier ist der Weg. Bergdahls Lichtspielcreien, die lebenden Zeichnungen
des Müncheners von Wich waren scharf umrissene Vorboten der neuen Kunst.
Und es verdient betont zu werden, da^ schon in der frühesten Kindheit des
Films traumhaft verlebendigte Dinge — tanzende Zündhölzer zum Beispiel —
„optischer Musik“ sich annäherten, die Transzendenz künftiger Filmkunst ahnen
liefen.
Der Kunstfilm, das Augenmusiksiück, wird also ornamental-bildhafte Eindrücke,
vielleicht allegorischer Art zunächst, in rhythmischer Beschwingtheit aneinander-
reihen, zu lebendigem Ausdrucksstrom gestalten. Wachsende Blumenkelche,
schrumpfende, zusammenbrechende, blütenfreibende Architektur, kaleidoskopisdie
Farbbänder in wirbelnder Verschlingung, lohende Flammen, Feuerstrudel und
springende Wasser, aller photographierten, einmaligen Gegenständlichkeit freilich
entkleidet, werden etwa als Bausteine der neuen Kunstart erscheinen.
Als Vorstufe scheint der Versuch, akustische Musik ins Optische zu übertragen,
denkbar und aussichtsreich, wobei der etwaige Qualgedanke eines »Film-Melo-
drams«, das wäre „Illustrierung“ eines Musikstückes durch photographierte Theatern
handlung, von vornherein in tiefsten Höllenschlund verdammt sei.
VII
Auch Einsichtswilligen verrammelt eine Vorstellung leichtlich das Verständnis für
die Möglichkeiten ernster Filmkunst: der Gedanke an das peinlich Maschinelle,
das dem Bioskop anhaftet. Wie kann eine Maschine, wenn auch nur reproduktiv,
künstlerische Werte künstlerisch vermitteln? Wo bleibt die Mensdienseele als
nachschaffender Mittler?
Das Klavier, mehr noch die Orgel, sind auch tote Maschinen, die ein Künstler,
ohne Naturgesetze zu zertrümmern, beseelt.
Auch der Kinematograph könnte entmechanisiert, könnte bis zu einem hohen
Grade (nach Tempo, Helligkeitsgrad, Deutlichkeit, Farbnuance) als Instrument
gebaut, „spielbar“ gemacht werden, zum künstlerischen Ausdrucksmittel in Künstler-
hand sich auswachsen.
Es wird eine Zeit kommen, da Augenmusik auf dem Bioskop so künstlerisch ge-
spielt werden wird, wie heute Ohrenmusik auf der Orgel.
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