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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
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Durch die Post bezogen
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ausschließlich Zustellgebühr.
Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. M.

MckkUl ZeitiW

Freitag, de« 1. Juli

1898

Jnsertionsgcbühr
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Telephon-Anschluß Nr. 82.

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Politische Umschau.
Heidelberg, 1. Juli.
Der neue Reichstag wird, wie auch der Schwab.
Merk, hervorhebt, was das Parteiwesen anlangt, dem
alten ähnlich sehen wie ein Ei dem andern. Die großen,
fast kann man sagen, historischen Parteien bestehen mit nur
unwesentlichen Veränderungen in den Stärkeverhältnisseu
fort, und neue Parteibildungen haben sich nicht durch-
zusetzen vermocht. Seit reichlich einem Jahrzehnt hören
wir die Behauptung, die alten politischen Parteien haben
sich überlebt, neue, den wirthschaftlichen Interessen-
gruppen angepatzte Gemeinschaften müssen an ihre Stelle
treten. Nun ist abermals diese Anschauung durch die
Thatsachen widerlegt. Neben dem starken Anwachsen
der sozialdemokratischen Stimmen dürfte das unver-
sehrte Fortbestehen der alten politischen
Parteien das Bemerkenswertheste an dem ganzen Wahl-
ergebmß sein. Niemals früher sind so heftige Anstrengungen
gemacht worden, die alten Parteien bei Seite zu schieben
und neue an ihre Stelle zu setzen. Zu dem seit einem
Jahrzehnt sich in diesem Vorhaben vergebens abmühenden
Antisemitismus hatten sich die Stöcker'schen Christlichsozialeu
und mit ganz besonders hochstrebenden Hoffnungen die
Naumann'schen Nationalsozialen gesellt. Sie alle schrieben
die Absicht der Zertrümmerung der alten Parteien offen
auf ihre Fahne. Ganz anders aber fiel ins Gewicht die
Bewegung des Bundes der Landwirthe. Der Vdrsitzende
desselben, v. Ploetz, hat in zahlreichen Fällen den Ge-
danken zurückgewiesen, der Bund wolle eine neue Partei
bilden; aber seine Mitarbeiter in der Leitung der Bundes-
agitation haben jahrelang eine Taktik betrieben, die auf
nichts Anderes hinauslief, als auf eine solche Neubildung,
bezw. zunächst auf die Zersetzung und Zertrümmerung der
alstn Parteien. Namentlich auf die nationalliberale Partei
war es dabei abgesehen. In der Pfalz und Baden ver-
kündete der Landwirth Lucke-Patershausen, in Hannover der
Abg. Dr. Hahn im engsten Bunde mit dem Antisemitis-
mus, daß die Uhr der nationalliberalen Partei abgelaufen
sei, und daß der Bund der Landwirthe an ihre Stelle
treten müsse. Der Erfolg dieser mehr und mehr mit den
stärksten Mitteln der Verhetzung betriebenen Thätigkeit ist
gewesen, daß in der Pfalz ein Wahlkreis an die Sozial-
demokratie, in Hannover zwei Wahlkreise mehr an die
Welfen verloren gegangen sind, während Hahn sich in
seinem hannoverschen Wahlkreis nur durch die Hilfe
der von ihm so fanatisch verfolgten Nationalliberalen
gegen einen Sozialdemokraten behauptete und der zweite
Vorsitzende des Bundes, Rösicke, seine Wahl in Kaisers-
lautern nur dem Umstand zu verdanken hat, daß er mit
einem Sozialdemokraten in die Stichwahl kam, Lucke in
Bretten-Sinsheim aber unter konservativer und antisemiti-
scher Flagge in den ersehnten Hafen eingelaufen ist. Und
ähnlich, wenn auch minder in die Augen fallend, ist das
Ende auch anderwärts gewesen. Hahn findet für die von
ihm erstrebte neue Partei einstweilen, außer Lucke, nur
seinen Bundesvorstandsgenossen Rösicke an seiner Seite;
alle anderen dem Bund der Landwirthe angehörenden

Reichstagsmitglieder — mit Ausnahme etwa des Grafen
Bismarck, der aber nach wie vor für sich allein bleiben
wird — sitzen in den alten politischen Partei-
verbänden. Ganz dasselbe negative Ergebniß hat der
vom bayrischen Bauernbund unternommene Zertrümmerungs-
feldzug gehabt: das Centrum ist fast ohne allen Schaden
aus ihm hervorgegangen. Die auf diese Weise von Neuem
bewährte Festigkeit der überkommenen Parteien sollte als
eine eindringliche Lehre des Wahlergebnisses beherzigt
werden.
Wie aus Paris gemeldet wird, hat sich das Mini-
sterium Brisson gestern der Deputirtenkammer vorge-
stellt. In seiner von Brisson verlesenen Antrittserklärung
verkündete das Kabinet, daß es sich besonders mit zwei
Grundreformen beschäftigen wolle. Die erste sei die Steuer-
reform. Das Kabinet werde die Abschaffung der Personal-
und Mobiliarsteuer sowie der Thür- und Fenstersteuer Vor-
schlägen und ihre Ersetzung durch eine Einkommensteuer,
die sich richte nach äußerlich erkennbaren Anzeichen des
Vermögens, wobei eine belästigende und inquisitorische
Ausforschung ausgeschlossen sein solle. Die Steuer werde
degressiv sein, um die kleinen Steuerzahler zu entlasten.
Die zweite Reform werde die Frage der Penstonirung der
städtischen und ländlichen Arbeiter betreffen; unabhängig
von diesen beiden Hauptreformen werde die Regierung
Gesetzentwürfe, betr. die Erbschaftssteuer, die Reform der
Getränkesteuer und Schaffung von Landwirthschaftskammern
Vorschlägen. Weitere Erklärungen des Ministeriums be-
zogen sich auf die Armee und die auswärtige Politik. Für-
Armee und Marine sollen keine Opfer zu groß sein und
die auswärtige Politik soll, treu festhaltend an einer Allianz,
die volksthümlich und durch die Zeit bereits geheiligt sei,
von dem nationalen Geiste durchdrungen bleiben, in dem
dieser große Akt geschlossen wurde. Nach Verlesung der
ministeriellen Erklärung entspann sich eine heftige Er-
örterung über das Programm der Regierung; die
fortschrittlichen Redner Krantz, Beauregard und Ribot
ergingen sich in heftigen Vorwürfen gegen das
radikale Ministerium, das mit dem Programm der
gemäßigten Regierung Melines vor die Kammer trete.
Während der Rede Beauregards erhob sich ein langanhal-
tender unbeschreiblicher Lärm, ein Redner wurde zur Ord-
nung gerufen mit Eintragung ins Protokoll. Präsident
Deschanel läutete fortwährend. Nachdem die Ruhe endlich
wieder hergestellt worden war, erklärte Doroulode, er und
seine Freunde würden für Brisson stimmen, weil er die
Ehre der Armee und Frankreichs Vertheidigen wolle.
Viviani gab eine ähnliche Erklärung für sie Sozialisten
ab und Lasies erklärte im Namen der Rechten, daß auch
diese für Brisson stimmen werde. Schließlich wurde eine
Vertrauensta gesorduung in der Fassung: „Die
Kammer geht im Vertrauen auf die Regierung zur Tages-
ordnung über" mit 316 gegen 230 Stimmen angenommen.
Die Mehrheit ist weitaus größer, als man sich gedacht.
Es ist jedoch nur eine Augenblicksmehrheit. Die Radi-
kalen, auf die sich das Kabinet stützt, bilden nur die
Minderheit der Kammer. Das Kabinet kann sein Leben
nur fristen durch die Gnade der gemäßigten Republikaner,
die in ihm nicht vertreten sind.

Deutsches Reich.
Berlin, 30. Juni.
— Als Alterspräsident dürfte wiederum das Mit-
glied des Ceutrums, Weingutsbesitzer Dieden aus Uerzig
a. d. Mosel, die neue, zehnte Legislaturperiode des Reichs-
tags eröffnen. Er ist am 10. December 1810 geboren

und seit 1874 ununterbrochen Mitglied des Reichstags.
Unter den Reichstagsabgeordneten der neuen Legislaturperiode
giebt es nach dem Ausscheiden des Herrn v. Bennigsen nur
noch vier, die auch Mitglieder des constituirenden Nord-
deutschen Reichstages im Jahre 1867 waren: Graf Hompesch,
der Vorsitzende der Centrumsfcaction, Freiherr v. Stumm,
Eugen Richter und Bebel. Die beiden letzteren sind zudem
die einzigen Abgeordneten, die seit 1867 ununterbrochen
dem Reichstag angehört haben, während der Abgeordnete
Liebknecht nicht dem constituirenden Norddeutschen und nicht
der ersten Legislaturperiode des deutschen Reichstags von
1871 bis 74 angehört hat.
— Dek Centrumsabgeordnete Dr. Lieber erfährt eine
Zurechtweisung durch das schlesische Centrumsorgan, die
Schlesische Volksztg., weil er an die Centrumswähler im
Wahlkreise Glogau die Aufforderung gerichtet hatte, mit
aller Kraft für den Kandidaten der Freisinnigen Vereinigung
gegen den konservativen Kandidaten bei der Stichwahl ein-
zutreten. Ihm wird deshalb vorgehalten, daß er von den
obwaltenden Verhältnissen keine Ahnung gehabt habe. Solche
Mißgriffe, wie er, begingen selbst Neulinge im politischen
Leben nur selten. Abgeordnete, welche bereits ihr 25jähriges
parlamentarisches Jubiläum gefeiert, sollten solche Voreilig-
keiten nicht mehr begehen. Als nassauischer Abgeordneter
hätte Dr. Lieber es überhaupt vermeiden müssen, in schle-
sische Wahlangelegenheiten sich einzumischen. Wenn Lieber
aber mehr sein wollte, als Abgeordneter seines Wahlkreises,
so hätte er erst recht bei schlesischen zuverlässigen Freunden
Informationen einholen müssen. Lieber sei bereits „von
zuständiger Seite" auf privatem Wege „gründlicher Be-
scheid" geworden. In Zukunft werde er darauf verzichten,
in die Autonomie eines schlesischen Wahlkreises einzugreifen.
Wie man sieht, nimmt das Schlesische Centrumsorgan Herrn
Lieber gegenüber kein Blatt vor den Mund.
— Der Vorwärts berechnet die Zahl der abgegebenen
sozialistischen Stimmen auf 2 125000, die Zu-
rr ahme auf etwa 340 000.
— Ueber den Berliner Wahlausfall sind die Sozial-
demokraten so böse, daß sie für die preußischen Land-
tagswahlen allgemeine Stimmenthaltung proklamiren wollen,
um den Freisinn nicht zu unterstützen.
— Zweipfennigmarken werden von der Re ichs-
druckerei in Berlin hergestellt. Man erwartet darum in
Bälde Herabsetzung des Portos für Drucksachen innerhalb
desselben Bestellbezirks.
Kronberg, 30. Juni. Das griechische Kron-
prinzenpaar ist auf ca. 3 Wochen nach England ab-
gereist. Die Kinder des Paares sind auf Schloß Fried-
richshof verblieben.
Kiel, 30. Juni. Bei dem gestrigen Essen im kaiser-
lichen Jachtklub stiftete der Kaiser unter dem Namen
Commodore - Stiftung einen Fonds zur Unterstützung
verunglückter Iachtmatrosen und zur Versorgung ihrer
Hinterbliebenen. Der Kaiser zeichnete 10 000 Mark, der
Geh. Commerzienrath Krupp-Essen die gleiche Summe.
Im Ganzen sind bisher 42 000 Mark gezeichnet worden-
Heute früh 8 Uhr fuhr der Kaiser zur kaiserlichen Werft
und besichtigte den neuen Kreuzer „Hertha". Um 10 Uhr
hörte der Kaiser auf der „Hohenzollern" den Vortrag des
Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe nnd besichtigte dann
um 11 Uhr die interne Regatta der Kriegsschiffboote. Bei
der Regatta starteten 71 Kutter, Gigs, Pinassen und andere
Boote. Das Welter ist herrlich. Nachmittags weilte der
Kaiser an Bord der Jacht des Fürsten von Monaco und
kehrte sodann auf die „Hohenzollern" zurück. Zu dem
Theeabend um 5 Uhr erscheinen unter anderem auf der

Ein Griff in's Leben.
9) Novelle von Reinhold O rtmann.
(Fortsetzung.)
„Und Sie sind nicht zu Ihrem alten Beruf zurückgekehrt,
sind nicht mehr als Schauspieler ausgetreten."
„Wenn Sie barmherzig sein wollen, mein Herr, so fragen
Sie mich nicht, was ich in diesen fünf Jahren getrieben habe.
Lassen Sie sich's genügen, wenn ich Ihnen versichere, daß ich
sehr viel gehungert, sehr viel gefroren und auch sonst an leib-
lichem Ungemach so ziemlich alles erduldet habe, was ein
Mensch zu ertragen vermag. Von Stufe zu Stufe war ich
hinabgeglitten, ohne daß ich jemals die Kraft gehabt hätte,
auch nur einen Fuß breit von dem zurück zu gewinnen, was
ich verloren. Zum gemeinen Schwindler aber, das schwöre
ich Ihnen, wurde ich gestern zum ersten Mal, und ich beging
diesen ersten Betrug in der Gewißheit, daß cs auch mein
letzter sein würde. Meine Verhältnisse hatten nachgerade eine
Gestalt angenommen, die mir trotz all' meiner Stumpfheit
das Weiterleben unmöglich machte, und so war ich gestern zu
dem Entschluß gelangt, freiwillig ein Dasein zu enden, in dem
es weder Glück noch Hoffnung mehr gab. Zuvor wollte ich
mich aber noch ein einziges Mal zurückträumen in die Zeit,
wo ich noch ein lebenslustiger, genußfreudiger Mensch ge-
wesen war. Noch einmal wollte ich unter vornehmen Leuten
wie Ihresgleichen sitzen, und wollte mir im edelsten Reben-
blut Vergessenheit trinken, um dann, wenn ich aus dem kurzen
Rausch erwachte, um so leichter den entscheidenden Schritt in
das Land des Friedens und der ewigen Ruhe zu thun. Sicher-
lich hätte ich meine Absicht ausgeführt, wenn nicht Ihr Da-
zwischentreten den Dingen eine ganz andere, unerwartete
Wendung gegeben hätte. Ich war Ihr Schuldner geworden,
und Sie hatten mir zugleich eine Möglichkeit gezeigt, wie ich
meine Schuld abtragen konnte. So mußte ich denn leben, bis
sie getilgt war, und so geschah es, daß Sie die traurige Ge-
schichte meines Lebens erfuhren."

„Nun, ich hoffe, daß die schwarzen Todesgedanken Ihnen
nicht nur für jetzt, sondern für alle Zukunft vergangen sind,"
sagte Wallfried herzlich, und er wollte noch etwas Weiteres
binzufügen, als Gespräch und Arbeit eine sehr überraschende
Unterbrechung erfuhren. Der kleine Diener trat ein, um seinem
Herrn einen Besuch zu melden, und der junge Maler hatte
kaum einen Blick auf die überreichte Visitenkarte geworfen,
als sich die lebhafteste Freude in seinen Zügen malte.
„Wir müssen die Sitzung für eine Weile aufheben," wandte
er sich mit der Erregung eines Menschen, dem soeben eine
beglückende Botschaft zu Theil geworden ist, an den Schau-
spieler, „denn ich erhalte den Besuch einer Dame, die ich un-
möglich warten lassen darf. Treten Sie also gefälligst dort
in jenes Kabinet. aus dem ich Sie abrufen werde, sobald wir
in der Arbeit fortfahren können."
Er schlug den Vorhang auseinander, der an Stelle einer Thür
den Eingang zu einem behaglich ausgestatteten kleinen Neben-
raume abschloß, und Georg Hestling beeilte sich, seinem
Wunsche zu entsprechen. Dann hatte Wallfried nur eben noch
Zeit genug, den in der Zeichnung fast schon vollendeten Stu-
dienkopf von der Staffelei zu entfernen, ehe sich die gegenüber
liegende Thür auftagt und Jutta's königliche Gestalt in einem
ebenso eleganten als kleidsamen Promenadenkostüm auf der
Schwelle erschien.
„Sie sehen, daß ich meine Drohungen auch auszusühren
pflege," rief sie ihm mit ihrer hell und metallisch klingenden
Stimme lachend zu- „Ihre eigene Schuld ist es, wenn ich
Ihnen ungelegen komme, denn Sie haben mir ja erlaubt. Sie
unangemeldet zu überfallen."
Strahlenden Antlitzes war er ihr entgegengeeilt, und unter
den lebhaftesten Versicherungen der Freude küßte er immer
von Neuem die kleine, weiche Hand, die sie ihm ohne Wider-
streben überließ. Er fand die schöne Frau noch viel bezaubern-
der als bei den früheren Begegnungen, wo sie niemals ganz
allein mit einander gewesen waren, und die Art, wie sie nun
sein Atelier mit allen darin aufgespeicherten Kunstschätzen zu
durchmustern begann, bald rückhaltlos lobend, bald leise

tadelnd, aber immer liebenswürdig, anmuthig und geistreich,
versetzte ihn von Minute zu Minute mehr in Helles Entzücken.
Lange verweilte sie ,in der Betrachtung einiger Bilder, von
denen sich Wallfried nicht hatte trennen mögen, obwohl ihm
von Liebhabern und Kunsthändlern ziemlich Hohe Preise dasür
geboten worden waren, und in dem Eifer der Unterhaltung,
die sich über diese Gemälde zwischen Ihnen entspann, nahm
keines von ihnen gewahr, wie die Vorhänge, die den Eingang
zu dem Kabinet abschlossen, von einer weißen, abgezehrten
Hand um ein Geringes auseinandergeschoben wurden und wie
ein leichenhaft fahles, hageres Antlitz mit großen, brennenden
Augen zwischen den dunklen Sammetfalten auftauchte. Un-
verwandt ruhte der Blick des ehemaligen Schauspielers auf
der herrlichen Gestalt der Frau von Greiffenhagen, die ihm
so nahe war, daß er kaum fünf Schritte hätte zu thun brauchen,
um an ihrer L-eite zu stehen. Furchtbar arbeitete und zuckte
es dabei in seinem Gesicht, dessen scharfe Züge alle Leiden-
schaften wieder zu spiegeln schienen, die eine Menschenseele
aufwühlen können. Einmal kam es sogar wie leises qualer-
preßtes Aechzen von seinen Lippen, und dieser Laut mochte
wohl bis an das Ohr der schönen Frau gedrungen sein, da
sie mit einer raschen Bewegung den Kopf nach jener Seite
wandte/ woher er gekommen. Aber in demselben Moment
hatten sich die Falten des Vorhanges auch schon wieder ge-
schlossen, und Jutta mußte an eine Sinnestäuschung glauben,
da sie keine Frage an den Maler richtete. Sie plauderten
weiter und es war nur natürlich, daß ihr Gespräch sich bald
wieder dem neuen Bilde Wallfrieds und seiner gestern abge-
gebenen Zusage zuwandte.
«Ist Ihnen Ihr Vorsatz noch nicht leid geworden?" fragte
Jutta lächelnd. „Gestehen Sie es offen, wenn es so ist: denn
heute wäre ich vielleicht noch großmüthig genug, Sie von
Ihrem Gelöbniß zu entbinden."
(Fortsetzun^folgt.)
 
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