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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0483

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nt täglich,
ausgenommen.
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Wit Familienblättern
, ^monatlich SO Pi.
Mi in's Haus gebracht.
^nrch dix Post bezogen
Idierteljährl. 1.25
^schließlich Zustellgebühr.
^lebhon-Anschluß Nr. 82.
Sir. 261


Miisrag, den 8. Aoumbtt


Jnsertionsgebübr
15 Ps. für die Ispaltige
Pelitzeüe oder derer Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Telephon-Anschluß Nr. 82.


Deutsches Reich.
— Aus Beyrut, 7. Nov., wird gemeldet: Nachdem
der deutsche Kaiser gestern die Spitzen der türkischen
Behörden an Bord der „Hohenzollern" empfangen hatte,
begaben sich der Kaiser und die Kaiserin mit dem
unmittelbaren Dienst und dem Staatssekretär von Bülow
un Land. Der Hafen und die Straßen waren prachtvoll
geschmückt und von einer zahllosen Menschenmenge besetzt,
die dem Kaiserpaare mit Hochrufen und Händeklatschen
einen begeisterten Empfang bereiteten. Das Kaiserpaar
besichtigte zunächst das Hospital des preußischen Johannitcr-
ordens. Während die Kaiserin später das Waisenhaus
Und die Pension des Kaisersrverther Diakonissenhauses mit
ihrem Besuch beehrte, begab sich der Kaiser in die Kaserne
des Jacofbcybataillons. Nachdem ihm daselbst ein wohl-
gelungener Parademarsch vorgeführt worden war, besichtigte
der Kaiser die Funerctierkaserne, in der namentlich die
gute Einrichtung der Unterkunftsräume für durchreisende
Officicre seine Anerkennung fand. Den Tag beschloß eine
gemeinsame Spazierfahrt des Kaiserpaares nach den Pinien,
einer beliebten Promenade der Beyruter mit schönen Aus-
blicken auf Berge und Meer. Die Begeisterung, mit der
der deutsche Kaiser von der hiesigen Bevölkerung empfangen
wurde, ist um so bemerkenswerther, als Beyrut bisher als
der Mittelpunkt des französischen Einflusses galt und an-
genommen wurde, daß unter den Beyrutern die Sympa-
thien für Frankreich bei weitem vorherrschen. — Ein
Telegramm aus Damaskus von Montag Nachmittag
Meldet: Das Kaiser paar ist heute Nachmittag unter
geradezu frenetischem Jubel des Volkes bei prachtvoller
Illumination hier cingctroffen. Die Eisenbahnfahrt über
den Libanon war höchst genußreich; die Bcrgluft sehr
erfrischend. Alles wohl.
— Wie verlautet, wird das Kaijerpaar die Rück-
reise nicht über Venedig oder Genua machen, sondern zur
See über Gibraltar heimkehren.
— Eine Denkschrift über das Ueberhandnehmen der Milch-
verfälschungen durch die Produzenten beabsichtig: der
Verband der deutschen Milchhändlervereine dem Reichstag und Bun-
dezrath eiuzureichen. Es soll hauptsächlich darüber Beschwerde ge-
führt werden, daß nach dem gegenwärtigen Gange der Rechts-
pflege selbst entlarvte Milchverfälscher straflos bleiben, wenn
Mehrere Personen und wenn auch nur Familienangehörige des
Produzenten mit der Milch zu thun hatten. Aus diesem Grunde,
der eigentlich jede Bestrafung der Fälscher unmöglich macht, hat
auch die Staatsanwaltschaft in verschiedenen Fällen die Einlei-
tung des Verfahrens abgelehnt. Die Denkschrift wird in dem
Ersuchen gipfeln, daß eine wirksamere gesetzliche Handhabe zur
Verfolgung und Bestrafung der Milchpantscher geschaffen werde.
— Zum Fall Schell erhält die N. Bayer. Laudesztg.
angeblich „aus sicherster Quelle" folgende Mittheilung:
„Bischof Korum ist nicht der erste, welcher eine Klage
gegen Schell erhoben hat; das gleiche ist auch schon von
Eichstätt und Regensburg, wie von einer weniger berufenen
Seite von Würzburg versucht worden. Der Cardinalstaats-
sekretär Rampolla hat nach Einvernehmen des deutschen
Eardinals Steinhuber (Jesuit, gebürtig aus St. Salvator
in Niederbayern) den kurzen Bescheid gegeben, es falle dem
heiligen Stuhle nicht ein, die Thorheit zu begehen, einen
hochbegabten Professor zu verketzern, der einzelnen Leuten
nicht gefalle. Steiuhuber habe in den Schriften Schells
absolut nichts gefunden, was zu einer canonischen Klage
Anlaß gebe. Die Antwort für Bischof Komm wird wohl
gleichen Sinne ausfallen."
— Dr. Rosa Luxemburg, die Chefredaktrice
der Sächsischen Arbeiterzeitung, ist aus der
Redaktion des genannten Blattes ausgeschieden. In der
Leipziger Volkszeitung veröffentlicht sie nun eine Erklärung
Nur frisch gewagt.
81) Eine heitere Garnisonaeschichte von Hugo Dinckelberg.
(Fortsetzung.)
V.
Das Stiftungsfest.
Vierzehn Tage waren vergangen, seit der neue Herr Ritt-
meister seinen auf fremdem Wagen erfolgten Einzug m die
Ulanen-Garnison gehalten halte, und die Art und Welle dre-
ies Einzuges, die Begegnung des Oistciers mit emer schonen
Unbekannten, der Empfang bei Matze, der Gruß an „Aurora",
die am darauffolgenden Tage von der Tochter des Herrn
Obersten in Scene gesetzte Schnitzeljagd, die gewaltlame Be-
endigung derselben durch „Ibn", den neuen Rittmeister, die
„Verwundung" der Baronesse, der Sturz des Goldprogen-
Fähnrichs, dies Alles halte den braven Philistern des Ortes
und ibren weiblichen Anverwandten, Frauen, Töchtern, Mut-
tern, Tanten, Schwestern, Basen einen unerschöpflichen Stoff
der Unterhaltung geboten. Acht Tage lang war unter
Männlein und Fräulein die Aufregung ganz unerhört ge-
wesen und manche häusliche Wirthschaft war ganz außer
Rand und Band gekommen. Die Kneipen des Ortes machten
ein vortreffliches Geschäft; denn alle ehrsamen Burger, Ge-
vatter Schneider und Handschuhmacher nicht ausgenommen,
konnten die sonstige Frütuchoppenstunde und die Zeit des
Feierabends nicht adwartcn, um am Stammtische ein Stünd-
chen zu plaudern und Neues zu erfahren oder neue Wunder-
geschichten weiter zu verbreiten. „Um's Himmels willen," rief
dann wohl dieser oder jener Erzähler oder Zuhörer endlich
nach langem Schnacken, indem er nach der Uhr sah, „jetzt
werde ich schöne Schelte zu Hause bekommen, daß ich so spät
komme und meine Alte so lange mit dem Essen warten lasse!"
Aber die liebe Alte hatte in der Regel an das Essen noch
gar nicht gedacht, wenn der Hausherr mit dem bescheidensten
und freundlichsten Lächeln anlrat, oder war doch wenigstens
noch lange nicht fertig; denn sie halte ja dringend und ganz
noihwendig am Morgen oder Nachmittag dieser oder jener

über die Gründe, die zu ihrer Redaktionsniederlegung ge-
führt haben. In dieser Erklärung heißt es:
Die eigentliche Ursache, die mich zu diesem Schritte bewogen
hatte, war die Absicht der Dresdener Preßkommission, nicht nur
die Aufnahme der eingesandten Artikel in der Sächs Arb.-Ztg.
von dem Votum meiner vier Redaktionskollegen abhängig zu
machen, sondern sogar meine eigenen Artikel einer Cerllur diestr
selben Kollegen zu unterwerfen, die dann auch mit vereinigten
Kräften alle „scharfen Stellen" „auszumcrzen" hätten. ... Da
sich die Debatte in der Sitzung der Preßkommission vor allem
um die von mir eingeführte Rubrik: Erörterungen über die
Taktik drehte, der ich bei der gegenwärtigen Lage in der Partei
eine ganz besondere Bedeutung beilege, so ließ mir die erwähnte
Perspektive meinen Posten in der Sächs. Arb.-Ztg. nunmehr ganz
werthlos erscheinen, weshalb ich ihn auch sofort verlassen habe.
Auf dem letzten Sozialistenkongreß hat sich die Luxem-
burg als eine rabiate Person erwiesen. Wie aus ihrer
Erklärung hervorgeht, hat sie als Redaktrice gleichfalls
die Schärfe mehr geliebt als den Genossen, die doch an
Ausfälle und klobige Schreibart gewöhnt sind, erträglich
schien.
— Aus Königsberg i. Pr. berichtet der Vorwärts
über einen in mehr als einer Hinsicht interessanten Fall
militärischer Justiz. Der Sachverhalt wäre, wenn
das sozialdemokratische Blatt nicht irregesührt ist, folgender:
Der Sozialdemokrat Kriese aus Elbing wurde in Marien-
burg in Westpreußen, wo er eine Uebung als Reservist
mitmachte, als Zeuge vor dem Schöffengericht in einer Ver-
handlung gegen sozialdemokratische Flugblattverbreiter vom
Vorsitzenden gefragt, ob er Sozialdemokrat sei,
und gab darauf die Antwort: „In Civil ja!" Wegen
dieser Aeußerung ist nach beendeter Uebung über Kriese eine
14tägige Arreststrafe verhängt worden, die er 48 Stunden
nach erfolgter Benachrichtigung antreten mußte. Da er
keine Mittheilung über den Anlaß zu seiner Bestrafung,
sondern nur die Aufforderung erhalten hatte, sich zur Ver-
büßung einer I4tägigen Arreststrafe am 12. October in
Marienburg einzufinden, wandte sich die Frau Krieses
brieflich an den Kriegsminister und erhielt darauf vom
Generalkommando des 17. Armeekorps die Mittheiluug,
daß Kriese „wegen Ungehorsams gegen den Korpsbefehl
vom 23. Februar 1894 bestraft worden ist, wonach jede
Bethätigung sozialdemokratischer Gesinnung verboten ist.
Kriese habe sich öffentlich in Uniform in der Schöffen-
gerichtssitzung als Sozialdemokrat erklärt". Wir müffen,
so schreibt die Köln. Ztg. hierzu, annchmeu, daß wesent-
liche Umstände hier verschwiegen oder falsch dargestellt sind.
Denn die Militärjustiz kann es unmöglich als ihre Auf-
gabe betrachten, durch eine Bestrafung, die auf casuistischer
Silbenstecherei beruht und sich mit dem Rechtsgefühl in
Widerspruch setzt, der Sozialdemokratie neuen Agitallons-
stoff zuzuführen. Eine Aufklärung des Falles ist jeden-
falls erforderlich.
Vaden. Bei der Versicherungsanstalt Baden sind im
Monat October 1898 279 Rentengesuche (45 Alters- und 234
Jnvalidenreutengesuche) eingereicht und 252 Renten (38-1-214)
bewilligt worden. Es wurden 34 Gesuche (74-27) abgelehnt,
217 (60 4-157) blieben unerledigt. Außerdem wurden im schieds-
gerichtlichen Verfahren 5 Invalidenrenten zuerkannr. Bis Ende
October sind im Ganzen 17886 Renten (6782 Alters- und 11104
Invalidenrenten bewilligt bezw. zuerkannt worden. Davon kamen
wieder in Wegfall 6799 (2691-4-4108), sodaß auf 1. November
1898 11087 Rentenempfänger vorhanden sind (4091 Alters- und
6996 Jnvalidenrentner). Verglichen mit dem 1. October 1898
hat sich die Zahl dec Rentenempfänger vermehrt um 117 (7
Alters- und 110 Jnvalidenrentner). Die Rentenempfänger be-
ziehen Renten im Gesammtjahrcsbetrage von 1417156 „et 75
(mehr seit 1. October 1898 15875 45 Der Jahres-
betrag für die im Atonal October bewilligten 38 Altersrenten
berechnet sich auf 5140 20 und für 219 Invalidenrenten
auf 29241 „et 60 somit Durchschnitt für eine Altersrente
135 „et 27 für eine Invalidenrente 133 „et 52 (Für
sämmtliche ins 1. Januar >898 bewilligten Renten betrug der

durchschnittliche Jahresbetrag einer Altersrente 130 „et 85
einer Invalidenrente 424 25 Beitragserstattungen wurden
im Monat October 1898 angewiesen: in Folge Hcirath weib-
licher Versicherten in 266 Fällen 8641 „et 96 in Folge
Todes versicherter Personen in 46 Fällen 1912 „et
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Waagmetster Ignaz Wagishauser in Mannheim die kleine
goldene Verdienstmedaille verliehen.
— Mit Entschließung Großh. Steuerdirektion vom 29. Octbr.
d. I. wurde Revident Karl Brauch bet der Katasterkontrole auf
Ansuchen seiner Stelle enthoben; ferner wurde mit Entschließung
vom 2. November d I. Steuerkomnuffärassistent Nikolaus Mack
in Baden zum Revidenten bei der Katasterkontrole ernannt und
Steucrkommtssärassistent Stefan Weinig in Waldshut in gleicher
Eigenschaft zu dem Großh. Steuerkommissär für den Bezirk
Baden versetzt.
— Wie wir erfahren, sind seit einiger Zeit auf der badi-
schen Bahn Versuche im Gange, die bezwecken, die Rauch-
belästigung beim Lokomotivbetrieb zu beseitigen oder doch
zu mindern. Diese Versuche sollen demnächst in ausgedehntem
Maße auch auf dem Karlsruher Personenbahnhöfe eingeleitet
werden und sowohl auf das zur Feuerung zu verwendende Ma-
terial, als auch auf die in neuerer Zeit bei anderen Verwal-
tungen probeweise an den Lokomottvkesseln angebrachten Einrich-
tungen zur Minderung der Rauchentwicklung sich erstrecken. Bei
der Eigenartigkeit des Eisenbahnbetriebes und der dadurch be-
dingten Inanspruchnahme der Lokomotivkessel fällt es nothwendig,
daß deren Feuerung in wenig Minuten und ohne daß dies vor-
herzuseheu ist, aus dem für das Stationtren der Lokomotiven
erforderlichen Zustand für die höchste Dauerleistung des Kessels,
und umgekehrt aus diesem letzteren Zustande für zeitweises
Stationtren der Lokomotive hergerichtet wird. Es ist daher ein-
leuchtend, daß beim Lokomotivbetrieb die Rauchentwicklung nicht
in gleichem Maße vermieden werden kann, wie dies bei stationären
Feuerungsanlagen bei rationellem Bau und sorgfältiger Be-
dienung zu erreichen ist. Immerhin steht zu hoffen, daß durch
die in Aussicht genommenen Maßnahmen eine wesentliche Min-
derung der Rauchbelästigung herbeigeführt wird.
Karlsruhe, 7. Nov. Gestern Vormittag wurde dee
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe sowohl von dem Groß-
herzog als auch von dem Großherzog von Sachsen em-
pfangen. Nachmittags kehrte Seine Durchlaucht nach
Schillingsfürst zurück. Prinz Alexander, Sohn des Reichs-
kanzlers, war nicht gekommen. In der Schloßkapelle fand
gestern Vormittag ein Gottesdienst statt, welchen Prälat
a. D. 1). Doll abhielt. Demselben wohnten die Großh.
Herrschaften mit dem Großherzog von Sachsen, sowie die
Hausgenossen an.

Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Wien, 5. Nov. Aus hiesigen
Hoskreisen hört man, daß Kaiser Franz Josef die
Jubiläumstage in Zurückgezogenheit, vielleicht in Ischl, je-
doch nicht in Wien odec Pest, zubringen wird. Selbst-
verständlich unterbleibt danach auch der Besuch des Kaisers
Wilhelm.
Prag, 7. Nov. Nach der Narodny Listy wird für
eine czechische technische Hochschule in Mähren im
Budget für 1899 eine entsprechende Rate gefordert werde».
Frankreich. Paris, 7. Nov. Die Kriminal-
kammer des Kassationshofes hielt heute Nachmittag
eine Sitzung ab, um über die Untersuchung in der Drey-
susangelegenheit Beschluß zu fassen. Nachdem der Vor-
sitzende Loew den Brief Cavaignacs erhalten hatte, worin
er verlangte, verhört zu werden, benachrichtigte er diesen,
daß er in nächster Zeit verhört werden würde. Das Ver-
hör wird morgen Nachmittag um 3 Uhr staltfinden. Vor-
her werden General Mercier um l Uhr und General
Billot um 2 Uhr vernommen werden; die übrigen früheren
Kriegsminister, General Zurlinden und General Chauoine,
werden am Mittwoch um 1 bezw. 2 Uhr an die Reihe
kommen. Ntan ersieht daraus, daß die fünf ehemaligen

Freunluu adcr Nnchvann einen Besuch abslalten müssen oder
hatte mehrere solcher Besuche empfangen. Und wenn der
Suppentopf endlich dampfte und die armen überhungerten
Menschen zum Essen schreiten wollten, dann fehlte noch ein
Töchterchen, Schwesterchen oder Tantchen, welches auf Neuig-
keiten ausgeschickt worden war und dessen Rückkehr mit der
entsetzlichsten Sehnsucht erwartet wurde, und vor dessen Heim-
kehr man eigentlich keinen Bissen genießen mochte.
Was war aber da nicht schon und wurde noch immerfort
erzählt! Die menschliche Phantasie und Einbildungskraft
hatten hier ihre ganze bewundernswerthe Größe und ins-
besondere die Vernunft oder Unvernunft einiger weiblichen
Wesen gar seltsame und sonderbare Gedanken und Gefühls-
verbindungen entwickelt.
Am ersten und zweiten Tage batte cs fich beispielsweise
bei allem Gavatterschnack über die Schnitzeljagd nur um Tod
und Leben gehandelt, nach der Aussage des Einen halten
mehrere Offiziere, darunter natürlich der neue Rittmeister
und der wohlbestallte Fähnrich, nach der Erzählung des
Andern die wilde Oberstentochter durch einen Sturz mit dem
Pferde den Tod erlitten. Länger wie zwei Tage konnte sich
dieses blutige Gerücht nicht erhalten; denn dazu war das
Städtchen zu klein und waren tue Todtgcsagten fast von allen
Bewohnern des Ortes am nächsten Tage frisch und lebendig
gesehen worden. Am dritten Tage mußten daher andere Ge-
rüchte aufgebracht werden, und die geschäftigen Klatschweiber
sorgten dafür auch im reichsten Maße. Die Einen erzählten,
die Baronesse wäre allerdings beinahe gestürzt, von dem neuen
Rittmeister aber aus der größten Gefahr errettet worden.
Beide liebten fich und seien einig und demnächst würde die
öffentliche Verlobung statlfinden, Andere wieder verbreiteten
das Gerücht, die Baronesse habe, als der Rittmeister von
Rabenau ihr Pferd habe aufhalten wollen, den Offizier mit
der Reitpeitsche in das Gesicht geschlagen, daraufhin wäre
großer Lärm gewesen und schließlich habe der Rittmeister den
Vater der ungezogenen Baronesse, die Premierlleutenants
v- Bülow und Kesselheim, welche als besondere Verehrer des
Fräuleins galten, und auch den Herrn Grafen v. Reuthern

gnotverr. Nach der Aussage der einen war die Baronesse
bereits über alle Maßen in den bildschönen Herrn v. Rabenau
verliebt, nach der der anderen hasse sie ihn, weil er es gewagt
habe, ihr, der Tochter des Kommandeurs, in ihrem Vergnü-
gen Halt zu gebieten. Und so irrten und schwirrten die Ge-
rüchte bis ins Ungeheuerliche hinein durcheinander, und vor-
aussichtlich wären dieselben Ereignisse noch mehrere Wochen
hindurch das einzige Tagesgespräch der wackeren Spießbürger
und ihrer redegewandten besseren Ehehälften gewesen, hätte
nicht ein neues wichtiges Ereigniß erwünschte Abwechselung
in den Redestoff gebracht.
Dieses neue Ereigmtz war das Stiftungsfest des Re-
giments. Dasselbe war am 3. December 18 . . gebildet wor-
den und hatte nunmehr ein neues Deccnnium seines Lebens-
alters vollbracht. Wohl waren zu dem Feste die ersten Vor-
bereitungen schon vor vielen Wochen in Angriff genommen
worden, doch hatte zur Begehung des Festes der Tag selbst
noch immer nicht bestimmt werden können, da der comman-
dirende General dem Feste persönlich beiwohnen wollte und
man dessen Entscheidung abwarten mußte. Endlich, acht Tage
vor dem Stiflungstage, hatte der Regimentscommandeur die
Nachricht erhalten, daß der General auf den Tag selbst in
der Garnison eintreffen werde. Nun ging es mit Feuereifer
an die weiteren Vorbereitungen.
Das Stiftungsfest sollte diesmal auf besonderen Wunsch
seines Commandeurs nicht nur die Ol'ficiere und Mannschaften
vereinigen, auch die Bürgerschaft sollte am Feste tkeilnehmen,
und so war denn außer der selbstverständlichen RcgimenlS-
parade, einem Officiersessen und einer festlichen Speisung der
Unterofficiere und Mannschaften ein Ball in Aussicht ge-
nommen worden, welcher Civil und Militär in herzlichster
Eintracht zusammen führen sollte und welcher von dem Re-
gimentscommandeur und den ehrsamen Vätern der Stadt
gemeinsam arrangirt wurde.
(Fortsetzung folgt.)
 
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