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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 229 - 254 (1. Oktober 1898 - 31. Oktober 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0441

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und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Keilas, de» 28. Oetobcr

1898.

BesteArrngen
»uf die Heidelberger Zeitung für die Monate November
und December werden bei allen Postanstalten, den Brief-
wägern, den Agenten, bei den Trägern in der Stadt,
sowie in der Expedition, Untere Neckarstraße Nr. 21,
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und December, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfg., mit
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Der Prozeß Dreyfus vor dem Cassationshofe.

Paris, 27. Oct. Bis heute Mittag zeigten sich
keine Ruhestörer in der Umgebung des Justiz-
dal ast es. Die Beamten kommen und gehen wie ge-
wöhnlich. Die Gitter des Palastes sind geschlossen, die
Absperrung ist streng. Gegen Mittag stellten sich einige
Gruppen Neugieriger ein, die die Polizeiagenten sofort zum
Weitergehen veranlaßten.
Die Verhandlung des Cassations Hofes über
^n Proceß Dreyfus wurde gegen Mittag eröffnet. Der
^aal ist überfüllt. Unter den Anwesenden befinden sich
Mau Dreyfus und die Advocate» Demange und
^abori. Der Berichterstatter Bard ergreift sofort das
Wort; er erinnert an die durch den Revisionsbefehl ver-
flachte Erregung, die stattgehabten Skandale, ehe die Ju-
mz mit dem Reoisionsantrag befaßt wurde, und gibt da-
rauf einen geschichtlichen Ueberblick betreffend die Ver-
Urtheilung. Hiernach zählt der Berichterstatter die ver-
Wedenen Versuche auf, die gemacht wurden, um die
Revision des Processes herbeizuführen. Er erinnert an die
Action gegen Esterhazy, an die Affaire Henry und den
Revjsionsantrag der Frau Dreyfus, der auch darauf ge-
gründet ist, daß das Bordereau von der Hand Esterhazys
fn soll. Hinter diesen Thatsacheu stecke ein Verdacht, der
Revisionsantrag rechtfertige. Der Berichterstatter sitzt
auseinander, Frau Dreyfus behaupte, daß das Bordereau
fcht von ihrem Manne herrühre, und unterzieht die Be-
ichte der Sachverständigen, die die Handschrift Dreyfus'
°urin wiederzufinden erklärten, einer Prüfung. Er schließt,
fr Cassationshof habe also nach einer EnquZte zu prüfen,
die Thatsacheu gemäß den gesetzlichen Bestimmungen
^und zur Revision gaben. Hierauf verliest, er den Brief
fr Frau Dreyfus, in dem sie die Revision beantragt, und
fhrt fort, Henry habe eine Fälschung begangen, seine Aus-
fgen waren die niederschmetterndsten gegen Dreyfus. Da
°'cse Aussagen von einem Fälscher herrührten, können sie
fs verdächtig gelten. Hier liege eine neue Thatsache vor,
öf die Vermuthung der Unschuld begründe und genüge, um
fs Revisionsgesuch zu motiviren. Esseiferner zu prüfen,
das Bordereau wirklich von Dreyfus ist. Der Cas-
ftionshof sei regelrecht mit der Angelegenheit befaßt
Garden und werde festzustellen haben, ob er ohne eine er-
gänzende Enquste seine Entscheidung fällen kann. Bard
frliest nun die Ausführungen des Generalprocurators, in
fnen das bekannte Briefconcept Ester-
hazys aufgeführt ist, das lautet: „Was soll
thun, da die Sachverständigen mich bezüg-
üch des Briefes an Frau v. Boulancy nicht entlasten
Wollen? Soll ich die Expertise der Briefe Dreyfus ver-
angen, wie Advokat Tszonas wollte? Der Experte
^lhomme ist ein Schwachkopf. Könnte man dem Major
^avary nicht beweisen, daß ich die Ausdrücke in den
Liefen an Frau v. Boulancy nicht geschrieben haben
?'we? Verstehen Sie wohl, daß ich, wenn Sie nicht
der Unteriuckmna sind, zu der Hypothese einer Durch-

pausung werde greifen müssen, ebenso wie beim Bordereau?"
(Sensation.) Ferner verliest er das Concept eines Briefes,
in dem Esterhazy einem General als seinem Retter
dankt (Sensation). Esterhazy hatte sich geweigert, den
Adressaten dieses Briefes zu nennen.
Bard verliest sodann den Bericht du Paty de Clams,
in dem dieser erklärt, Dreyfus habe seine Aussagen über
die hydraulische Bremse und das 120-Millimetergeschütz
mehrfach geändert, habe aber stets in Abrede gestellt, irgend
etwas über Madagaskar geschrieben zu haben. In dem
Protokoll über die Verhaftung Dreyfus erwähnt du Paty,
daß Dreyfus, während er unter seinem Diktat schrieb, sehr
erregt gewesen sei und auf du Patys Bemerkung hierüber
geantwortet habe, die Finger frören ihn. Hier schaltet
Bard ein, er glaube, dem Gerichtshof bemerken zu müssen,
daß die Photographien: des Dictatcs nicht zeigten, daß
sein Schreiber irgendwie erregt gewesen sei. (Ueber-
raschung beim Publikum.) Bei seinem Verhör bestritt
Dreyfus ferner, nach dem Bericht du Patys, von dem
Landungsplan für Madagaskar Kenntniß gehabt zu haben,
und gab nur zu, daß, wenn er Beziehungen zu der tech-
nischen Abtheilung für Artillerie gehabt habe, dies auf
Grund seiner Dienststellung, und weil er mit einer Arbeit
über die deutsche Mobilmachung beauftragt war, der Fall
gewesen sei. Dreyfus habe versichert, niemals zu Agenten
fremder Mächte oder zu diesen selbst Beziehungen gehabt
zu haben. In einem andern Verhör hat du Paty Dreyfus
die Schriftstücke, wegen deren er beschuldigt wurde, schreiben
lassen, und zwar: 1) sitzend, 2) stehend, 3) nochmals
sitzend, 4) nochmals stehend, 5 sitzend und mit Handschuhen,
6) stehend ohne Handschuhe, 7) mit einer Rundschriftfeder,
8) stehend mit einer Rundschriftfeder, 9) stehend mit Hand-
schuhen und einer Rundschriftfeder, 10) stehend ohne Hand-
schuhe mit Rundschriftfeder. Endlich im letzten Verhör
am 30. October habe Dreyfus beim Leben seiner Kinder
geschworen, unschuldig zu sein und verlangt, vom Kriegs-
minister verhört zu werden, worauf ihm du Paty erwiderte,
er werde vom Kriegsminister empfangen werden, wenn er
den Weg der Geständnisse betreten wolle.
Ter Berichterstatter verliest ferner den Bericht des Kom-
missars des Kriegsgerichts und den Bericht der Schreib-
sachverständigen. In dem Bericht des Kommissars wird
gesagt, mehrere Zeugen behaupteten, daß Dreyfus den ge-
rechtfertigten Verdacht auf sich gelenkt habe durch sein zwei-
deutiges Benehmen und sein ungeordnetes Leben. Dreyfus
habe vor seiner Heirath eine Maitresse gehalten. Der Be-
richterstatter unterzieht die Dienstzeugnisse des Dreyfus als
Offizier während des Jahres 1893 einer Prüfung, nach
denen er im ersten Halbjahr ein guter Offizier war. Hier
schaltet Bard ein: „Es gibt nichts als das Bordereau —
nichts als das Bordereau, die Anklage zu begründen."
Die Mehrheit der Schreibsachverständigen sprach sich aller-
dings für die Schuld des Dreyfus aus.
Nun wird die Sitzung kurze Zeit unterbrochen. Nach
ihrer Wiederaufnahme beschäftigt sich Bard mit den an-
geblichen Geständnissen Dreyfus. Ec verliest einen Bericht
des Obersten Guerin und die Erklärungen des Hauptmanns
Lebrun-Renault, wonach Dreyfus bei der Degradation zu
diesem gesagt habe, wenn er Schriftstücke an das Ausland
geliefert habe, so sei es geschehen, um wichtigere dafür zu
erhalten. Bard erklärte hier, Lebruu-Reuault habe ent-
weder vor seinen Kameraden ein wenig leichthin gesprochen
oder Worte Dreyfus' wiederholt, die dann auf ihrem Wege
von Mund zu Mund entstellt worden seien. Von den Aus-
sagen anderer Zeugen, vor denen Dreyfus Geständnisse ge-
macht haben soll, bemerkt Bard, diese Aussagen seien erst
später gemacht worden. Selbst zugegeben, daß Dreyfus

eingestanden haben sollte, das Vergehen des Köderns be-
gangen zu haben, würoe daraus hervorgehen, daß er auch
eingestanden hat, Verrath begangen zu haben? Dreyfus
habe stets seine Unschuld versichert und es auch am Tage
seiner Degradation mit dem Hinzufügen gethan, wenn er
unschuldige werthlose Documente ausgeliefert habe, so sei
es geschehen, um andere dagegen zu erhalten. Bard verliest
hierauf die Argumente, auf die der Generaladvokat sich
stützt. Generaladvokat Manau führte in seinem Rcquisito-
rium aus, daß zwei neue Thatsacheu vorliegen: die Fäl-
schung Henry's von 1896 und das Gutachten über das
Bordereau von 1897. Die Fälschung Henrys sei geeignet,
die Unschuld des Dreyfus festzustellen. Tenn aus der
Fälschung Henrys gehe hervor, daß Henry die Beweise für
die Schuld Dreyfus' für unzureichend erachtete. Henry,
der im Jahre 1894 dem General Gonse das Bordereau
übergab, habe ihm nicht den Namen des Agenten nennen
können, von dem er das Bordereau erhalten habe. Henry
habe auch Folgendes gesagt: Es ist unfaßbar — ich werde
verrückt. Henry sei der Werkmeister des Prozesses Drey-
fus gewesen und alles, was Henry gesagt und gethan
habe, um die Verurtheilung Dreyfus durchzusetzen, sei ver-
dächtig geworden. Der Fall Henry sei allein schon ge-
eignet, das Revisionsgesuch zu rechtfertigen. Dasselbe gelte
aber auch von dem Gutachten über das Bordereau. Wäh-
rend im Jahre 1894 die Sachverständigen Dreyfus als
seinen Urheber bezeichneten, hätte die Expertise im Jahre
1897 die Möglichkeit einer Durchpausung angenommen.
Manau's Schlußfolgerungen lauten auf Zulassung
des Revisionsgesuches.
Von Henry wendet Bard sich zu Picquart, indem er
den Brief verliest, den Picquart an den Justizminister
Sarrien richtete. In diesem Brief hat Picquart alles zu-
sammengestellt, was nach seiner Ansicht dafür spricht, daß
der Dreyfusprozeß zu rcvidiren ist. Bard kritisirt nach
der Verlesung dieses Briefes sehr scharf das Verhalten du
Patys und Henrys und fährt fort: Man begreift nicht,
warum ein so unbedeutendes Stück wie der Brief oanaills
v .. .. . dem Angeklagten vorenthaltsn werden konnte.
Man begreift aber auch nicht die Mittheilung im Be-
rathuugszimmer des Kriegsgerichts; denn das ist ein Ver-
brechen. Es ist allerdings wahr, daß der Kriegsminister
an den Justizminister schrieb, im Kriegsministerium keine
Spur von Anhaltspunkten für diese unerlaubte Mittheilung
gefunden zu haben, aber in einem Brief an Sarrien hat
Picquart geantwortet, daß im Kriegsministerium Sandherr,
Gonse,, Henry und Vallecolle offen davon sprachen. Ich
selbst, sagt Picquart, habe mich mit ihnen unter-
halten darüber. Wer hat die Stücke mitgeiheilt? Viel-
leicht ich, vielleicht du Paty? Im Berathuugszimmer des
Kriegsgerichts? Wem? Dem Vorsitzenden Oberst Maurel?
Bard bespricht die Angelegenheit des Petit Bleu, das
Picquart in die Hände fiel. Er könne aber nicht prüfen,
welche Rolle Picquart dabei gespielt habe, da gegen
Picquart die Untersuchung schwebe. Bard geht nun zu
der Denunziation des Mathieu Dreyfus gegen Esterhazy
über und verliest die Brieft Picquarts an den Kriegs-
minister, der vor der Denunziation für Esterhazy ein-
getreten ist. Esterhazy habe darin an das Zeugniß
eines fremden Souveräns appellirt, dessen
Namen zu neunen Bard für unnütz erachtet. Er sagt von
diesem Souverän, er sei Soldat wie er selber und würde
niemals bei einem Soldaten Unwürdiges geduldet haben.
Bard fügt hinzu, es sei bedauerlich, daß das Kriegsgericht
die Angelegenheit der verschleierten Dame nicht aufklären
konnte. Es wäre interessant zu wissen, wie das geheime,
so wichtige Dokument aus dem Kriegsministerium kommen

Nur frisch gewagt.
o) Eine heitere Garnisongeschichte von Hugo Drnckelberg.
(Fortsetzung.)
r Aurora schwieg deshalb, schloß die Thüre, sich dabei vor
L.. . feuchtkalten Zuge schüttelnd, weicher von der Straße
d^"Zog, schlug das Tuch fester um ihre Schultern und folgte
L" Vater, welcher langsam die breite Treppe emporstieg.
!^apachen l" rief sie dann schmeichelnd. — „Was willst Du ?"
zg^unie der Alte. — „Papachen ist Er gekommen^ — „Er!
AK? — „Nun Er, der neue Rittmeister!" — „Freilich ist
Kommen!" — „Ist Er hübsch, Papachen? — „Er!
— »Nun wer anders als der Rittmeister! — Wel-
r Rittmeister? Der v- Rauchhaupt oder der v. Senden?"
a°f''Ach Papachen, ich meine den neuen, der erst heute an-
^°mmen ist!" - „Freilich ist der hübsch!" - „Sehr hübsch?"
"Meinetwegen ja, verteufelt hübsch!' — „Hast Du mit
sb,_ Mvrochen, Papachen?" — „Freilich hab ich mit ihm ge-
Varii- -- „Was denn, Papachen, mein liebes gutes Pa-
was denn? was denn?" -
A und Tochter halten unter diesem Zwiegespräche den
T-r " »lur erreicht und standen vor dem Zimmer des ersteren,
schien Bürgermeister, der sich sehr nach Ruhe sehnte,
liebten^ust ö" haben, sich noch lange mit seinem ver-
dem L -^.Eerchen zu unterhalten, er that, als wenn er, mit
nickt „-.Hbn des Stubenschlüsses beschäftigt, die letzte Frage
ort habe, schloß mit dem gefundenen Schlüssel die
lick-ä ÄZ und rief, in das Zimmer eintretend, ein sehr deut-
faß i Nacht, Nörchen" zurück. Nörchen gerieth darob
lest zbüe Verzweiflung, sie hielt den Papa am Rockschoße
streik, linken mageren Arm um seinen Hals und
Waick "b llvn liebkosend mit der rechten Hand tue rothen
bcivaw?' »Herzenspapachen," bat sie inständig, „Herzens-
Sesvrnu!'' ^.u wolltest mir ja noch sagen was Ihr zusammen
Win»,» " habt. Bitte, bitte, laß mich doch noch einige
tuck , ber Dir bleiben!" — „Unsinn!" knurrte der Alte zu-
^avack" schlafen und gehe auch zu Bette!" — „Aber
so sage mir doch wenigstens", bat Aurora mit noch

weicherem und rührenderem Fleben, „ob Ihr auch von mir
gesprochen habt, ob der neue Rittmeister-" — „Aller-
dings, gesprochen ist von Dir, ich soll Dich grüßen, oder viel-
mehr der neue Rittmeister läßt Dich grüßen, oder Dir einen
Gruß bestellen — Gute Nacht!" — Und Papa schlug vor
Töchterleins Nase die Thüre zu. „Papachen," rief Aurora
im Uebermaß der freudigsten Erregyeit, „ist das wirklich
wahr, Er soll mich grüßen, läßt mich grüßen? O sage dock,
Papachen, noch einmal, ein einzigmal!" Und Aurora griff
an die Thürklinke, sie noch einmal zu öffnen, doch — schwapp l
hörte sie von innen den Riegel vorschieben und bald darauf
eine zweite Thür öffnen und zuschlagen. Jetzt wären weitere
Bemühungen, den Vater noch zum Erzählen zu vermögen,
vergebens gewesen. Doch Aurora hatte ja den himmlischen
Trost eines Grußes erhalten und mit diesem Gruße die neue
Bestätigung, daß sie in Wahrheit die auserkorene Liebe des
neuen Rittmeisters sei- „Der Gruß", sprach sie leise vor sich
hin, „geht unbestritten von Ihm zu dir, wenn er auch von
Frau v. Kummer übermittelt werden sollte. O Aurora, du
bist das glückseligste Wesen, das jemals diew Erdenwelt ge-
tragen bat!" — Und das Bürgermeistertöchterlein eilte in ihr
Erkerstübchen hinauf, schwelgte daselbst noch ein halbes
Stündchen in den süßesten Träumen der Zukunft, bald am
Fenster stehend, bald durch das kleine Zimmer hin- und her
eilend, dann wieder in Heine's Gedichten blätternd und lesend,
und verschwand dann endlich an der Rückwand des Zimmers
hinter einem Vorhänge, um dort ihr weiches Lager aufzu-
suchen und — von Ihm weiter zu träumen, wachend oder
schlafend.
Der Herr Bürgermeister ruhte längst im festen Schlummer,
wie auch alle übrigen Herren der Gesellschaft Matze, mit Aus-
nahme des Herrn Postsecretärs, welcher seinen Frauensleuten
noch erzählen mußte. Die Ulanen-Garnison lag in voller
ungestörter Ruhe da, nur noch einmal durch den Pfiff und
Ruf: „Drei Uhr!" desjenigen Nachtwächters unterbrochen,
welcher das bürgermeisterliche Revier hatte, und welcher beute
so lange Zeit auf die Heimkehr seines Stadttyrannen batte
warten müssen. Die beiden anderen Nachtwächter schlum-

merten in einem stillen Winke! schon seit längerer Zeit, und
auch der dritte suchte nunmehr im Thorwege eines be-
nachbarten Kornspeichers seine nächtliche Ruhestätte auf. —
Aurora träumte! Der Schlaf hatte sein Recht gefordert,
aber im Schlafe selbst umgaukelten die Liebende gar wonnige
Bilder. Diese schlossen mit den Klängen der Hochzeitsmusik
ab, welche von der Capelle des Manen-Regiments ausgeführt
wurde. An der Spitze des ganzen Regiments kam der herr-
liche Bräutigam auf einem schneeweißen Rosse einhergeritten.
„Kommst Du, Geliebter?" lispelte Aurora leise. Und da fiel
plötzlich in die Marschmusik des neuen Regiments der Schlag
der neuen Pauken ein, welche es erst vor kurzem erhalten
hatte. Aurora fuhr jäh aus ihren Träumen empor, sie horchte
auf und — mit ihren Traumgedilden vermischte sich die
Wirklichkeit, sie hörte die Musik des Regiments gerade unter
ihrem Fenster spielen. „Was ist das?" rief sie, „oh vielleicht
gar schon ein Ständchen von Ihm?!" — Und schnell sprang
Aurora aus dem Bette und eilte in ihr Zimmer und hier an
das Fenster. Durch die zugezogenen Vorhänge lugte sie auf
die Straße hinaus. Auf ihr zogen in langer Reihe die
Manen-Schwadronen dahin. Die Musik spielte den lustigsten
Marsch, gar keck flatterten die Fähnlein in der frischen herbst-
lichen Morgenluft und gar frisch und fröhlich schauten die
schlanken Ulanen aus, welche sich, nachdem Füttern, Putzen,
und die Besichtigung seitens der nächsten Vorgesetzten vor-
über und glücklich überstanden war, darauf freuten, im Re-
giment eine größere Uebung unter dem Kommando des
Herrn Obersten zu machen; denn wenn der commandirte,
gab es, ging es auch sonst streng und stramm her, immer
etwas Neues, etwas Besonderes, wie es die vielfachen, in den
letzten Jahren vorgeschriebenen Veränderungen in dem Exercier-
Reglement der Cavallerie mit sich brachten. „Heute wird's
hübsch l" batten sich die munteren blauen Jungens schon beim
Pupen ihrer Pferde zugerufen, und als der Herr Oberst vor
die Front geritten war und sein „Guten Morgen, Ulanen!"
gerufen hatte, da hatte die Antwort: „Guten Morgen, Herr
Oberst!" gar fröhlich und keck geklungen.
i (Fortsetzung folgt.)
 
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