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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0535

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und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Mmilag, -en 2l. November

1898.

Deutsches Reich.
— In Messina hat der Kaiser dem dortigen
Zatschen Konsul Jakob eine längere Audienz erthcilt. Im
Laute des Samstag Vormittag begab sich das Kaiser-
daar in einem Gig aus dem Hafen von Messina auf die
Höhe von San Giovanni, um die auf dem Bremer Lloyd-
dampfer „Prinz Heinrich" auf der Reise nach Kiautschou
durchpassirende Prinzessin Heinrich zu begrüßen.
Das Kaiserpaar begab sich an Bord und wurde von der
Prinzessin am Fallreep empfangen. Der Kaiser besichtigte
Unter Führung des Kapitäns den Lloyddampfer, der bis
auf den letzten Platz besetzt ist, in allen seinen Theilen.
Nachdem sich das Kaiserpaar von der Prinzessin Heinrich
verabschiedet hatte, verließ es unter Hochrufen der Passa-
liiere und unter den Klängen der Nationalhymne den
Dampfer. Später nahm der Kaiser an Bord der „Hohen-
Zollern" die Meldung des Militärattaches in Rom, Jacobi,
entgegen, empfing den Generalkonsul von Neapel, Rekowski,
und den Direktor der Zoologischen Anstalt in Neapel,
Dohrn, die auf eine besondere Einladung des Kaisers in Messina
Eingetroffen waren. Das Kaiserpaar gedenkt am Mittwoch
stich in München einzutreffen. Der Prinzregent hat mit
Rücksicht darauf die Reise zur Jagd im Spessart verschoben.
Mittwoch Abend trifft das Kaiserpaar in Baden-Baden ein.
. — In der Lippe'scheu Angelegenheit theilt die
Köln. Ztg. mit, daß der Vater des Graf-Regenten sich
seiner Zeit lebhaft um den Titel Erlaucht für sich als Chef
der gräflichen Linie Biesterfeld bemüht hat. Der Fürst
M Lippe verlieh ihm in der That dieses Prädikat, aber
alle Bemühungen des Grasen, die Anerkennung dieses Titels
von Preußen und von Oesterreich zu erlangen, scheiterten.
3n Preußen insbesondere habe das preuß. Staatsministerium
unter dem Vorsitz des Fürsten Bismarck nach Einholung
Eingehender Rechtsgutachten wiederholt die Bitte des Grafen
Entschieden abgelehnt. Jetzt komme plötzlich der Sohn und
Erlasse, ohne die geringste Befugniß dazu zu habe», an die
'n Lippe stehende preuß. Garnison einen Befehl, der jenen
einer bestimmten Gruppe von Familien des hohen Adels
vorbehaltenen Titel auch für seine Kinder gebraucht wissen
svill. Dieser Befehl bilde einen unzweideutigen Eingriff in
fremde Rechte, und daß ein solcher Eingriff zurückgewiesen
Und' rückgängig gemacht werde, dürfte doch schwerlich un-
gehörig sein.
— Letzten Samstag trafen die österreichischen Theil-
Uehmer an der Fahrt zum Grabe Bismarcks in Fried-
Eichsruh ein. Sie erlangtenZutritt im Sterbezimmer
Min Sarge Bismarcks, wo die Abgeordneten Schönerer,
Kittel und Jro einen Kranz niederlcgten.
— Der Centralvorstand der nationalliberalen
Partei hat an die Wittwe des in Bremen dahingeschicdenen
berühmten deutschen Patrioten und nationalliberalen Poli-
tikers, G. Meier, folgendes Beileidstelegramm gerichtet:
Hochgeehrte Frau! Die gesammte nationalliberale Partei
vlnimt innigsten Antheil an dem schweren Verluste, der Sie und
Ihrigen betroffen hat. Aufrichtig beklagen wir mit allen
Uationalgesinntcn Deutschen den Heimgang des bedeutenden
Mannes, der den deutschen Unternehmungsgeist in aller Welt zu
Vvhen Ehren gebracht und dem Wirthschaftslebcn der Nation so
gsoße Vortheile gesichert Hal. Uns im Besonderen ist er als
Mitbegründer der Partei, als Kampfes- und Arbeitsgenosse in
?sE größten Zeit Deutschlands unvergeßlich. Sein Andenken
"'Eibl in unseren Reihen ein ruhmvolles, reichgesegnetes.
Centralvorstand der nationalliberalen Partei.
Dr. Hammacher.
An seinem Sarg wird Namens den Nationalliberalen
Partei Deutschlands ein Kranz niedergclegt werden.
Bremen, 19. Nov. Von dem Kaiser ging dem
Norddeutschen Lloyd aus Anlaß des Ablebens des Konsuls
H- H. Meier aus Messina folgendes Telegramm zu:

Nur frisch gewagt.
Eine heitere Garnisongeschichte von Hugo Dinckelberg.
(Fortsetzung.)
„Meine Damen," so rief Freund Matze schnell, „ich werde
"'ich bemühen, Ihnen einige recht hübsche und flotte Tänzer
sazusühren." Und flugs wollte er den gefährlichen Kreis Ver-
ben, als ihm die älteste der Töchter zuzirpte: „Sehr liebens-
?ardlg von Ihnen, aber wollen Sie selbst denn auf die Freu-
°E.n des Tanzes verzichten?" - „Ach mein Fräulein," er-
wsderte der ewige Predigamtscandidat, „Sie wollen wohl
Een Spott mit mir treiben, mit mir allen Knaben wird
Ns>l kein junges Mädchen mehr tanzen wollen! — „Diese
Bescheidenheit," fuhr Fräulein Emilie Blechstein kort, „fft an-
Nennenswerth und muß belohnt werden. Ich gestatte
Zvnen, mich um die erste Polonaise und den ersten Walzer
A bitten!" — „Wahrhaftig?" rief Freund Matze voller
schrecken aus, „mein Glück ist zu entsetzlich — zu entsetzlich
»roß! — Verzeihen Sie, meine Damen, Ihre Liebenswur-
Meit hgt mich so ganz aus der Fassung gebracht, daß ich
.Mich einiger Minuten bedarf, um meine Gedanken wieder
A'ammenzubringen!" Mit diesen Worten verbeugte sich Matze,
Nndte sich um und eilte von dannen, geradenwegs dem
Zrafen von Reuthern in die Arme, welcher soeben mit Frau
^stasin v. Angern einige Worte gewechselt hatte.
k »Halloh, Herr Dircctor!" rief der Graf, „Sie stürmen da-
Av, als wenn Sie von Furien verfolgt würden!" — „Furien,
j? 6urien!" lautete die Antwort, „Furien sind es auch, es
"vb Mutter und Töchter unseres Freundes Blechstein" —
O »Das ist allerdings ein großes Unglück für Sie," lachte
sEv Major, „aber zum Bedauern habe ich jetzt wahrhaftig
Aue Zeit. Ich befinde mich selbst in der hellbrennendsten
Mzwcislung, der Ball soll beginnen und es fehlen noch der
-Bürgermeister mit Fräulein Aurora und der Oberst mit un-
Uem Regimentskobold. Mir ist diese Unpünktlichkeit ein voll-
''undjges Räthsel, und die der Baronesse um so unerklärlicher,
«-s sie unter der mütterlichen Führung meiner lieben Frau

Beim Einlaufen in Messina erreicht Mich soeben die Trauer-
botschaft von.dem Hinscheiden des Konsuls H. H. Meier, des Be-
gründers des Norddeutschen Lloyd. Ein warmes Herz, beseelt für
das Emporblühen seines engeren wie weiteren Vaterlandes, hat
damit zu schlagen aufgehört, ein schaffcnsfreudiges Leben seinen
Abschluß gefunden. So lauge die stolzen Schiffe des Norddeutschen
Lloyd auf dem Erdball Zeugniß ablegen von dem deutschen Fleiße
und deutscher Macht, so lange wird der Name des Begründers
von ihnen nicht zu trennen sein. Mit dem Lloyd beklage Ich tief
das Hinscheiden dieses bedeutenden Mannes, zu dessen letzter Ehrung
Ich den Chef der Nordseestation entsenden werde.
Wilhelm I. K.
Baden. Die Südd. Reichscorresp. schreibt: Auch in
Baden hat sich die Nothwendigkeit einer genauen Feststel-
lung der Persönlichkeit und Staatsangehörig-
keit solcher im Großherzogthum sich aufhaltender Reichs-
au Ständer ergeben, bezüglich deren aus besonderen
Gründen eine Ueberwachnng angezeigt erscheint. Das Mi-
nisterium des Innern hat nun neuerdings die großherzog-
lichcn Bezirksämter bzw. die Ortspolizeibehörden zu strengerer
Handhabung der geltenden Bestimmungen angewiesen. Be-
sonders werden die ortspolizeilichen Behörden veranlaßt,
Ausweispapiere solcher Reichsausländec, die, weil sie
im Laufe der letzten fünf Jahre eine Freiheitsstrafe be-
standen haben oder zu einer solchen verurtheilt sind oder
die aus anderen Gründen zu polizeilichen Bedenken Anlaß
gaben, dem Bezirksamte jeweilig vorzulegen, bezw. wo
Auswcispapiere nicht vorgelegt werden können, dem B>
zirksamte sofort Anzeige zu machen.
8. 0. Karlsruhe, 20. Nov. Der Prozeß des Militär-
vereinspräsidiums contra Wacker und Häfnerwird
eine neue Auflage erleben, da Herr Oberstlieutenant a. D. Platz
gegen das schöffengerichtliche Uitheil Berufung einlegen wird.
Letztere soll sich, wie wir hören, auf materielle und formelle
Gründe stützen.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Bischof von Lund, Axel Gottfried Leonard Btlling das Groß-
kreuz, dem Hofprediger Oskar Klemens Pontus Ahfeldt in Stock-
holm das Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom Zähringer
Löwen, dem Erzieher der Söhne des Kronprinzen von Schweden
und Norwegen Dr. Karl Axel Magnus Lin dm an das Ritter-
kreuz zweiter Klasse mit Eichenlaub des Ordens vom Zährtnger
Löwen verliehen.
— Seine Königliche Hoheit der Großh erzog haben den
Referendär Dr. Richard Kurzma n n aus Grötzingen zum Amts-
richter in Bruchsal ernannt, dem Notar Dr. Ludwig Mai in
Gerlachsheim eine NotarSstclle im Amtsgerichtsbezirk Schwetzingen
und dem Notar Karl Schilling in Hüfingen eine Notarsstclle
im Amtsgerichtsbeztrk Wiesloch übertragen.
— Mit Entschließung Großh. Ministeriums der Justiz, des
Kultus und Unterrichts wurde dem Notar Dr. Ludwig Mai die
Notarsstelle Schwetzingen und dem Notar Karl Schilling die
Notarsstelle Wiesloch II übertragen.
— Forstassessor Kurt Stephani bei der Domänendirektion
wurde der Lezirksforstei Forbach II. als zweiter Beamter zuge-
theilt. Dem Hauptamtsassistcnten Urban Kögel bei der Zollab-
fertigungsstelle am Bahnhofe in Freiburg ist der Titel Revissions-
inspcltor verliehen worden. Hauptamtsassistent Emil D or n beim
Hauptsteueramte Singen wurde in gleicher Eigenschaft zum Haupl-
steueramre Stühlingen versetzt. Buchhalter Karl Schmitt bei
Großh. Finanzamt Donaueschingen wurde in gleicher Eigenschaft
zu Großh. Finanzamt Sinsheim versetzt.
Karlsruhe, 19. Nov. Die gestrigen Vorträge bei
dem Großherzog dauerten bis nach 9 Uhr. Die Abreise
der höchsten Herrschaften nach Schloß Baden erfolgte mit
dem Oricntexpreßzug gegen 11 Uhr. Von dem Kaiser
erhielt der Großherzog am Donnerstag Abend ein Tele-
gramm, worin derselbe seinen veränderten Reiseplan mit-
theilt und die erfreuliche Nachricht beifügt, daß Se. Maje-
stät und Ihre Majestät die Kaiserin die Großherzoglichcn
Herrschaften auf der Heimreise in Schloß Baden besuchen
und dort übernachten wollen. Weitere Telegramme erhielt
Seine Königliche Hoheit dann von Siracusa und Messina,
wo die Majestäten bis Sonntag verbleiben. Die Ankunft

Ihrer Majestäten in Schloß Baden ist für Mittwoch den
23. Abends in Aussicht genommen. Nähere Bestimmungen
hierüber werden noch bekannt gegeben werden.

Ausland
Frankreich. Paris, 19. Nov. Der Siöcle meldet,
Dreyfus erhielt die Erlaubniß, sich auf der Teufelsinsel
außerhalb des eingefriedeten Raumes Vormittags und
Nachmittags je drei Stunden frei zu bewegen.
Paris, 19. Nov. Der Kassationshof wird Montag
Boisdesfre verhören, welcher, dem Figaro zufolge, die
Dreyfus-Affaire vom diplomatischen Gesichtspunkte aus
darzulegen beabsichtigt.
Spanien. Madrid, 19. Novbr. Wie die Blätter
melden, würde die Union ein Schiedsgericht in der Phi-
lippinenfrage ablehnen, dagegen sei die amerikanische
Regierung geneigt, Spanien eine bedeutende Entschädigung
für den Verlust der Inselgruppe zu bieten.
Amerika. New York, 19. Nov. Die hiesige Staats-
zeitung meldet, daß die Vereinigten Staaten von Amerika
Spanien die ganze Karolinengruppe abkaufen werden.
Asien. Shanghai (China), 18. Novbr. Der eng-
lische Missionar Fleming, ein eingeborener Evangelist,
wurde am 4. d. in Panghai (?), Provinz Kweitschou, er-
mordet. Die Misstonsanstalt Kneifu (?), Provinz
Sztschua», ebenso wie die in Kweitschoufu, ist niederge-
brannt.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 21. November.
* Se. Großherzogliche Hoheit Prinz Karl von Vaden traf am
Samstag Mittag 12.23 mit Gemahlin hier ein und reiste Nach-
mittags 3.35 wieder nach Karlsruhe zurück.
88 Von der Universität. Bei der dritten Immatrikulation
am 19. d. wurden eingeschrieben: in der theologischen Facultät 2,
in der juristischen Facultät 19, in der medizinischen Facultät 1t,
in der philosophischen Facultät 6 und in der naturwissenschaftlich-
mathematischen Facultät 10, zusammen 51 Studirende. Vor-
gemerkt sind weitere 8. Die Gesammtzahl der Anmeldungen in
den drei Immatrikulationen beträgt 360. —11 Damen sind in diesem
Semester als Hörerinnen zugelassen, 9 in der philosophischen und
2 in der naturwissenschaftlich-mathematischen Facultät.
V. Zm Militär-Verein Heidelberg fand am Samstag Abend eine
Wahlversammlung statt, in welcher der schon in der vorhergegangenen
Versammlung bezeichnete Herr Fabrikant Hefft mit allen außer
einer Stimme, welche auf Herrn Scherer fiel, zum 2. Vorsitzenden
gewählt wurde. Der Gewählte, der durch eine Abordnung herbei-
gerufen wurde, nahm die Wahl an, worauf der 1. Vorsitzende
ein dreifaches Hoch auf ihn ausbrachte. An den Wahlakt schloß
sich ein kameradschaftliches Beisammensein mit Musik, welches
die Versammelten noch lange in der gemüthlichsten Stimmung
zusammen hielt.
0 Fußball. Der Fußballklub Frankfurt brachte zum Wett-
spiel am Samstag Nachmittag nur 13 Spieler mit nach Heidel-
berg. Hier wurde ein Ersatzmann eingestellt, so daß die
Mannschaft immer noch einen Mann zu wenig hatte. Heidelberg
College gewann in der ersten Halbzeit einen Versuch, während
Frankfurt keinen Vortheil erringen konnte. Heidelberg College
blieb daher in dem hartnäckigen Kampfe mit 3 gegen 0 Sieger.
-zr- Verbandstag der Freireligiösen Gemeinden. Anläßlich
des am Samstag und Sonntag hier abgehaltenen Verbandstages
fanden im großen Harmoniesaale zwei öffentliche Vorträge statt,
die auch von Nichtangehörigen der Freireligiösen Gemeinde be-
sucht waren und zu denen sich eine zahlreiche Zuhörerschaft ein-
gefunden hatte. Am Samstag Abend sprach der Prediger der
Gemeinde in Offenbach, Herr Voigt, über „Die neue Zeit
und der alte Glauben". Er behandelte, unterstützt von einer
prächtigen, wohlklingenden Stimme, sein Thema nach ,iorm und
Inhalt ausgezeichnet, indem er die Nothwendigkeit nachwies, daß
die religiösen Anschauungen sich entsprechend der geistigen Ent-
wicklung der Menschheit und der wett vorgeschrittenen Erkenntniß
der Natur ebenfalls zu entwickeln hätten. Seine von jeder
aggressiven Haltung fern stehenden Darlegungen fanden rauschen-
den Beifall. Am Sonntag Vormitttag hielt der Prediger der
freireligiösen Gemeinde in Mainz, Herr Ascani ns Freiherr
von Zucco-Cuccagna, einen Vortrag über „Religion und

erscheinen wollte, die sonst ein Muster militärischer Pünktlich-
keit ist!" — „Das Paßt fick ja herrlich!" rief Freund Matze
voller Vergnügen, „ich verlasse den Baalsaal, eile in die Stadt
zurück, um mich nach dem Verbleiben des Herrn Obersten
und des Herrn Bürgermeister zu erkundigen, und Sie mein
liebster bester Herr Graf, entschuldigen mich bei Fräulein
Emilie Blechslein und bitten Sie, da meine rechtzeitige Rück-
kehr zum Beginne des Balles zweifelhaft sei, Engagement zu
Polonaise und Walzer von einem anderen Herrn annehmen
zu wollen. Sagen Sie, es schmerze mich außerordentlich, ich
sei untröstlich, was Sie wollen, aber der Dienst, der mir von
Ihnen befohlene Dienst gehe vor. Ich eile!" Doch kaum
hatte sich Freund Matze nur wenige L-chritte von dem Major
entfernt, als an der einen EingangSthür des Saales eine
größere Bewegung entstand. Der Flüchtling vermuthete, Laß
durch diese Thüre vielleicht die erwartete Gesellschaft schon ein-
treten könnte und wandte sich schnell der andern Thüre zu,
um durch diese noch rechtzeitig entwischen zu können. Doch
gebieterisch rief ihm hier ein strammer Unterosficier zu, daß
hier die Damen-Garderobe und der Eintritt für Herren ver-
boten sei. :
So waren denn alle Fluchtversuche vergeblich und Freund
Matze ergab sich in sein unvermeidliches Schicksal. Durch
die Thüre, an welcher Freund Matze eine größere Bewegung
unter den dort siebenden Herren und Damen bemerkt hatte,
war in der Thal Jemand eingetreten, aber zunächst nur eine
männliche Person von der noch fehlenden Gesellschaft, der
Herr Bürgermeister. Der ehrwürdige Stadtthrann schien in
großer Aufregung zu sein, Stirn und Wangen glühten von
innerer Hitze, und auf der hochgerötheten Nase standen ein
paar Schweißtropfen, auch pustete der Herr gewaltig, als er
in den Saal eintrat und unwillig an seinem linken Handschuh
herumzerrte, welchen er in der Eile erst halb halte anziehen
können. „Was giebt's. was giebt's, Herr Bürgermeister?
weshalb kommen Sie so spät?" riefen zehn und mehr Stim-
men dem städtischen Overhaupte entgegen, als er in Sicht ge-
kommen war. „Nichts, nichts von Bedeutung!" erwiderte der
Herr Bürgermeister laut, indem er sich zwang, wieder ein

freundliches Gesicht zu machen, mit leiserer Stimme aber
raunte er seiner nächsten Umgebung, einigen Freunden und
Matzebrüdern zu: „Was soll's gewesen sein als Weiberlaunen.
Die Aurora hätte mich beute rein zur Verzweiflung bringen
können! Nichts war ihr gut genug, und eine volle halbe
Stunde habe ich, während sie sich eine lappige Schiene ge-
bunden bar, wie aus Kohlen gestanden! - Jetzt nur vor-
wärts und nicht mehr davon geredet!" Und wie sich der
Herr Bürgermeister der Mitte des Saales zubewegte, er-
schienen auch die übrigen Nachzügler im Saale, der Oberst
Freiherr o. Stein, die Gräfin v. Reuthern am Arme führend,
die Baronesse v- Stein und Aurora Feuerstahl. Mit dem
Eintritte der genannten Personen wurde die Bewegung im
Saale eine allgemeine, ein großer Theis der Gesellschaft eilte
den Eintretenden entgegen, wobei von den Personen, welche
sich einen vertraulichen Verkehr gestatten durften, Scheltworte
wegen des späten Kommens fielen, und die übrigen Personen,
welche eine besondere Begrüßung nicht wagten oder nicht für
nöthig hielten, traten aus der Mitte des Saales etwas zu-
rück, um der „ausgewählten" Gesellschaft den Weg nach der
gegenüberliegenden Estrade frei zu machen.
(Fortsetzung folgt.)
Stadttheater.
O Heidelberg, 21. November.
„Hans Helling", romantische Oper in 3 Akten von Hein-
rich Marschner. Die deutsche Oper weist Erscheinungen auf, in
denen Musik und Text in einem schreienden Mißverhältniß zu
einander stehen; daß z. B. ein göttlicher Geist wie Mozart seine
unsterbliche Musik mit Schikaneder'sche Albernheiten in Ver-
bindung bringen mußte, hat etwas Rührendes an sich. „Was zu
dumm ist, um gesprochen zu werden, wird in Musik umgesetzt," so
ungefähr äußerte sich Wagner einmal gelegentlich, und dieser
Ausspruch trifft bei einer großen Anzahl von Opern zu. Der
große Meister hat nun selbst die Reform nach dieser Seite hin
eingeleitet nnd seine Schöpfungen sind auch dichterische Kunstwerke
geworden. Unter seinen Vorgängern ist es Heinrich Marschner
 
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