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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 255 - 280 (1. November 1898 - 30. November 1898)
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Telephon-Anschluß Nr. 82.

>ir. 280.

Mmtaz, den 7. Nmmber

1898.

Frankreichs Rückzug aus Faschoda.
Bis zum Jahre 1882 übten England und Frankreich
^Meinsam die Finanzkontrolle in Egypten aus. Dann
kam die nationale egyptische Bewegung, die zum Aufstand
°er Egypter unter Arabi Pascha führte. In Frankreich
zu jener Zeit ein Ministerium Freycinet am Ruder. Die
Situation erforderte damals für Frankreich ein energisches
Zugreifen. Freycinet konnte sich jedoch dazu nicht aufschwingen
^d dadurch verlor Frankreich seine Position in Egypten.
England machte Schiffe und Truppen mobil, bombardirte
Alexandria, setzte Truppen ans Land und besiegte Arabi
Pascha bei Tel el Kebir. Die Franzosen aber konnten
ach nicht entschließen, mitzumachen. Die Folge war, daß
England von da ab die Kontrolle über Egypten allein
vernahm.
Der Verlust der Stellung in Egypten, wenn auch
fUrch eigene Schuld verursacht, hat die Franzosen immer
sthr gewurmt. Sie arbeiteten seitdem unablässig an der
Revanche. Durch Jntriguen aller Art suchten sie den
Engländern das Leben in Egypten zu erschweren. Den
Hauplschlag aber bereiteten sie vor, indem sie von ihren
westafrikanischen Besitzungen her die Expedition Marchand gegen
^sn Nil vorschoben. Das sollte ein Riegel sein, der die Engländer
hindere, weiter nach Süden überzugreifen. Das geplante
englische Reich von der Nilmündung bis zu den central-
usrikanischen Seen sollte dadurch mitten durchgeschnitten
werden. Am Nil sitzend hätte Frankreich im Verein mit
Herrscher von Abessynien und eventuell dem Mahdi
iwn Engländern sehr ernste Schwierigkeiten bereiten können.
Es gelang Frankreich in der That, den Nil zu erreichen.
Die französische Expedition besetzte Faschoda, dann aber
verlangte England bestimmt, daß die Expedition Marchand
8aschoda wieder verlasse, und stehe da — Frankreich zog
sich vor der drohenden Miene Englands zurück. Frank-
reich hat also die ganze weit angelegte Arbeit selber im
Stiche gelassen. Es steckt, wie Jedermann empfinden
wird, ein Widersinn in seinem Verhalten. Wenn
Frankreich nicht den Muth besaß, das zu ganz bestimmten
Zwecken begonnene Unternehmen durchzuführen, so hätte
rs dasselbe garnicht beginnen sollen.
Den Rückzug Frankreichs bestätigt eine Note der
Agentur Havas, die besagt: die Regierung habe beschlossen,
we Mission Marchand in Faschoda nicht aufrecht zu er-
halten. Der Beschluß wurde vom Ministerrath nach sehr
k'Ngehender Prüfung der Frage gefaßt.
Wie 1882 zeigt auch diesmal Frankreich in einem kritischen
Moment nicht die nöthige Schneid. Diesmal aber ist die Be-
schämung für Frankreich um so größer, als es selbst auf
hie Situation hingearbeitet hat, der es nun im entscheiden-
den Augenblick nicht Stand hält. Die Stimmung in
Frankreich ist, wie man sich denken kann, recht unwirsch;
es ist aber doch kein Blatt vorhanden, das empfohlen
hatte, es auf einen Krieg mit England ankommen zu
lassen.
Temps und Däbats stimmen in ihren Ausführungen
Harm überein, daß Frankreich England dessen Haltung in
dieser Frage für lange Zeit nachtragen und
für gelt en lassen werde. Die Temps sagt, angesichts der
schonungslosen Aufforderung Englands sei Frankreich nichts
übrig geblieben, wenn es einen Conflict vermeiden wollte,
als seiner ersten Ansicht Folge zu geben, das heißt Faschoda
ZU räumen. Frankreich sei es genug, den Krieg vermieden
zu haben; es bleibe aber wahr, daß durch den Faschoda-
itreir die Beziehungen zwischen den beiden liberalen Groß-
wächlen Europas erkaltet seien. Die Däbats äußert sich
uoch entschiedener: Wir lassen Faschoda fallen, weil es
, NI
* Das Romanfeuilleton mußte heute Raummangels wegen
wegbleiben.

Stadttheater.
D Heidelberg, 7. November.
„Großmam a." Schwank in 4 Akten von Max Dreyer.
,, Es gibt Leute, denen das Urtheil von großstädtischen Preß-
stunmen über eine Bühnennovität ein Evangelium ist, an dem
u.e nicht drehen und deuteln. So machten sich gestern Abend
swige Jünglinge bemerkbar, die offenbar das total ungerechte
Urtheil, das eine bekannte auswärtige Zeitung über das Stück
gefällt hat, gelesen hatten und nun ungeheuer geistvoll zu er-
scheinen glaubten, als sie in den Beifall des Publikums die be-
kannten Zischtöne mischten. Gewiß hat das Stück seine Mängel
-7 wir werden gleich darauf zu sprechen kommen -, wenn aber
einer der zwei oder drei Zischer des gestrigen Abends, die sich
Anfällig in unserer Nähe befanden, uns einen solchen aus eigenem
Kunstverständniß heraus klarmacht, sind wir sofort bereit, ein
halbes Dutzend Tassen jenes trefflichen Gebräus gegen Haar-
ausfall zu leeren, das im letzten Akt des Stückes so heitere
Wirkung erzielt. Nein, meine Herren, wenn selbst ein großes
Vlatt ein absprechendes Urtheil über ein neues Stück bringt, so
kann das auch einmal in anderen Ursachen als in der wirklichen
Minderwerthigkeit der künstlerischen Schöpfung begründet sein,
^en Mißerfolg kann die Darstellung verschuldet und der Kritiker,
der gerade in großen Städten oft überhetzt ist, das nicht durch-
schaut haben, der Recensent kann sich schließlich auch persönlich
'n Mißstimmung befunden und seine schlechte Laune an dem
armen Stück ausgelassen haben, von andern Möglichkeiten ganz
abzusehen. Wir halten es unsererseits daher für rathsam, ohne
legliche Voreingenommenheit ins Theater zu kommen, um selber
IN hören und zu sehen, wie die Sache denn eigentlich steht. Ver-
wrttels dieses Verfahrens sind wir nun zu anderem Urtheil ge-
langt, als die erwähnten belesenen Jünglinge, und sehen in der
..Großmama" das Werk eines geistvollen Kopfes, der haushoch
über den Lustspielfabrikanten vom Schlage der Blumenthal's und
Kadelburg's steht. Was er uns bringt, ist nicht die an den

zu nichts nutz war. Beide Theile hätten sich freund-
schaftlich auseinandersetzen können, England hat es aber
vorgezogen, anders zu handeln. Dafür trifft es die Ver-
antwortung. Wir würden uns unendlich erniedrigen, wenn
wir für die Abtretung Faschodas heute einen Ersatz ver-
langen wollten, denn England wollte uns demüthigen. Mit
einem Volke aber, das einem acuten Chauvinismus anheim ge-
fallen, ist eben nichts zu machen. Aber es gibt Dinge, die man
sich nicht zweimal sagen läßt. Die Liberto sagt, daß
Englands Ansprüche noch nicht erschöpft seien, und daß
England durch Frankreichs Nachgiebigkeit übermüthig ge-
worden sei. Doch sei das Geheimniß von morgen und
man könne nichts thun als abwarten. Andere Blätter be-
tonen, das Aufgeben Faschodas werde von dem franzö-
sischen Volke auf's schmerzlichste empfunden werden. Es
stelle eine Demüthigung dar, wie sie Frankreich seit 1870
nicht erlebt habe.
Soviel ist sicher, daß der Haß der Franzosen gegen
die Engländer ganz gewaltig gestiegen ist. Die Engländer
machen sich allerdings daraus nichts. Und sie haben Recht.
Man glaubt, daß England nun dazu übergehen wird,
Egypten offiziell unter sein direktes Protektorat zu stellen.
So wenigstens erklärt man sich die Fortsetzung der eng-
lischen Rüstungen.

Deutsches Reich.
— Das Kaiserpaar gedachte bis heute (Montag)
früh an Bord der Hohenzollern in Beyrut zu bleiben
und sich dann nach Damaskus zu begeben. Mit Rücksicht
auf die in Syrien herrschende tropische Hitze ist der
Kaiserin von ärztlicher Seite die unvermittelte Rückkehr
aus dem Süden nach dem Norden widerrathen worden.
Voraussichtlich wird das Kaiserpaar deßhalb auf dem
Seewege nach Deutschland zurückkehren.
—- Für die Beisetzung der Leiche des Fürsten
Bismarck ist in Friedrichsruh Sonntag, der 27. Novbr.
in Aussicht genommen. Fürst Herbert Bismarck wird um
10. November erwartet. Die deutschen Studentenschaft
wird Vertreter entsenden.
— Die Kamerun-Land- und Plantagen-Gesell-
schaft ist in der Lage, für das letzte Betriebsjahr eine Dividende
von 8 Proz. gegen 5 Proz. im Vorjahre zu Vertheilen. Nach
Berichten aus Kamerun befinden sich die am «rtegsschiffhafen
und in Bimbia belegenen Kakaopflanzungeu im besten Zustande.
Der Kakao ist in Qualität tadellos ausgefallen und wurde gut
bezahlt. Es ist dies ein erfreulicher Beweis für die Aussichten
des Plantagenbaues in Kamerun, das vortreffliche Bodenverhält-
nisse und günstige Niederschläge hat.
Preußen. Wie der Dzienuik Poznanski meld t, scheinen
die Versuche der preußischen Regierung, die Industrie zu
veranlassen, ihre Tüchtigkeit auch auf den Osten der Mo-
narchie durch Unternehmungen uno Anlagen in erhöhtem
Maße auszudehnen, von Erfolg gekrönt zu werden. So
soll nach einer Meldung aus Posen der Geh. Kommer-
zienrath Krupp in einem Vororte der Stadt ein Grund-
stück von 14 Morgen zur Errichtung einer großen
Maschinenfabrik erworben haben.

Aus der Karlsruher Zeitung.
Karlsruhe, 5. Nov. Der Großherzog erhielt
gestern Abend ein Telegramm Seiner Majestät des Kaisers
aus Jaffa über die glücklich erfolgte Rückkehr der Kaiser-
lichen Majestäten an Bord des Schiffes Hohenzollern. Die
Großhcrzoglichen Herrschaften besuchten gestern Abend mit
dem Großherzog von Sachsen das erste Abonnement-Con-
cert im großen Saal des Conversationshauses, in welchem
Professor Wassiiy Sapellnikoff und die Kammersängerin
Emma Hiller mit großem Erfolg auftraten. Heute Nach-

mittag halb 5 Uhr traf der Reichskanzler Fürst zu
Hohenlohe aus Schillingsfürst in Baden ein. Derselbe
wird um 7 Uhr von dem Großherzog empfangen. Um 8
Uhr wird der Reichskanzler mit seinem Sohne dem Prinzen
Alexander an der Abendtafel theilnehmen, zu welcher noch
mehrere Einladungen ergangen sind. Der Fürst bleibt
morgen noch in Baden-Baden.

Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Wien, 5. Nov. Abgeord-
netenhaus. Ueber den Verlauf der heutigen Sitzung
berichtet die Franks. Ztg.:
Schönerer fordert zur Steuerverweigerung auf.
Der Justizminister von Ruber ruft Schönerer zu: Schämen
Sie sich! Sie sind der Allerunwürdigste, auf diesem Platze nur
eine Stunde zu sitzen! Der Präsident ruft Schönerer zur
Ordnung. Schönerer führt weiter aus: Die Deutschen hätten
für ihre bisherige Loyalität keinen Dank vom Hause Oesterreich
zu erwarten. Türk ruft dazwischen: Das Volk sieht in Deutsch-
land seine einzige letzte Hoffnung! Schönerer (fortfahrend):
Oesterreich sei ein absterbender Staat. Der Präsident ruft
ihn neuerlich zur Ordnung. Schönerer: Kaiser Wilhelm II.
habe wiederholt die Deutschen auch außerhalb des Reiches seines
Schutzes versichert. Die Deutschen seien zu stolz, Hilfe anzu-
rufen, aber schließlich werde Kaiser Wilhelm sein Wort zur That
werden lassen. (W 0 l f: Hurrah Alldeutschland I) Man sagt schon
in Deutschland, auf die österreichische Armee sei kein Verlaß.
Unser Vaterland ist nicht Oesterreich, sondern deutsche Stammes-
erde. (Heil-Rufe bei Schönerianern.) Ministerpräsident Graf
Thun erhebt sich und spricht mit lebhaftem Temperament: Es
wäre verlohnend, diese Angriffe zurückzuweisen und auch für die
Armee eins Lanze einzulegen, die wir Alle als Palladium des
österreichischen Gedankens unversehrt und unangegriffeu wissen
wollen. (Beifall rechts.) Er thue dies nicht, weil, wenn Accente
im Hause fallen, die den Gefühlen strengstens widersprechen, die
uns Alle beseelen, die wir uns alle als Oesterreicher fühlen
(Beifall rechts; großer Lärm), man die höhere Sache im Auge
haben müsse, das sei der österreichische Gedanke, und der öster-
reichische Gedanke werde nicht wankend gemacht, trotz Wolf und
Schönerer (lebhafter Beifall rechts). Auf solche Angriffe gebühre
nichts als Schweigen, in dem sich jene Gefühle ausdrücken, die
uns Alle durchdringen, wenn wir solche Ausdrücke hören. (Rufe:
Verachtung! Beifall rechts.) Der Ministerpräsident versichert,
daß die Regierung sich ihrer verfassungsmäßigen Rechte und
Pflichten vollkommen bewußt sei, und daß die Ltaatsgruudgesetze
für die Regierung jene Richtschnur bilden, nach der sie sich zu
richten habe. Der Paragraph 14 sei verfassungsmäßiges Recht
und durch die Erlasfung kaiserlicher Verordnungen sei das Mini-
sterium mit seinen beschworenen Pflichten nicht in Widerspruch
gekommen. Alan könne weder von Henkersknechten der Ver-
fassung noch auch von Leuten sprechen, die sich über Verfassung
und Eide leichtsinnig Hinwegsetzen. (Lebhafter Beifall rechts, große
Bewegung) Nachdem noch Hachenburger gesprochen, wird
die Verhandlung abgebrochen.
Griechenland. Die Polit. Corr, meldet an? Athen,
Prinz Georg von Griechenland dürfte Milte Nov.
als Fürst-Gouverneur in Kreta eintreffen, wahr-
scheinlich auf einem russischen Stationsschiff, das sich im
Piräus befindet.
Frankreich. Paris, 5. Nov. Die Maßregelung
des Chefs des Generalstabes, Generals Rcnou-
ard, findet auffallend wenig Beachtung. Die meisten
Blätter begnügten sich mit der Wiedergabe der dürftigen
amtlichen Mittheilung. Ueber die Gründe der Maßregelung
kann man daher nur Vermuthungen austellen; jedenfalls
geht man nicht fehl, wenn man sie mit der Haltung des
Generals Renouard in der Dreyfussache in Verbindung
bringt. Renouard war von Cavaignac zum Chef des
Generalstabs ernannt worden, nachdem er unter dem
General Boisdeffre Unlerstabschef gewesen war. Im
Jahre 1894 war Renouard beauftragt worden, sich mir
der Dreyfusaugelegenheit zu befassen. Mau versteht
somit, daß Freycinet, der den Dreyfushandel liquidiren
will, Renouard beseitigen mußte, und es scheint sogar,
daß Freycinet den Rücktritt Renouards zur Vorbedingung

Tage der Jugend, da er seine Kousine anfchwärmte, tauchen in
seiner Erinnerung auf. Kurz: aus dem Saulus wird ein
Paulus, er bittet zu größtem Erstaunen Aller die fröhliche Ge-
sellschaft, noch auf Wochen seine Gäste zu sein, denn der Weiber-
feind wird „Großmama" bitten, mit ihm in die Ehe zu treten.
Die Wiedergabe des Inhalts gibt nur ein schwaches Bild von
der feinen Kunst, mit der das Stück gearbeitet ist. Daß es sich
Schwank nennt, ist eine Bescheidenheit des Autors; mit weit
größerem Rechte als fast alle Schöpfungen der letzten Jahre
könnte er seinem Stücke den Titel Lustspiel gebe«. Die Komik
wächst eben aus einem meisterhaft gezeichneten Charakter heraus,
und die Scenen z. B, wo der feingebildete Mann seine Schopen-
hauer-Anschauungen über die Frauen in Ermangelung eines
anderen Zuhörers seinem tölpelhaften Diener vorlrägt, sind von
entzückender Komik. Daß die anderen Figuren des Stückes
etwas stiefmütterlich behandelt sind, beeinträchtigt das Lustspiel,
ebenso ist nicht zu leugnen, daß die Umwandlung des Helden
etwas schnell vor sich geht. Aber Alles in Allem ein feines
Stück, das dem, der von der Bühne etwas mehr haben will als
banale Scherze, zum Besuche warm empfohlen werden kann.
Bei einer Wiederholung wird das Stück noch eine größere
Wirkungskraft ausüben als gestern Abend. Es wäre nämlich
zu wünschen, daß Herr Rudolph etwas fester in seiner Rolle
wird, als dies der Fall war. Gerade weil sie ihm ausgezeichnet
liegt, und er eine grobe Wirkung mit ihr erzielte, war es doppelt
zu bedauern, daß er in bedeutsamen Stellen Unsicherheiten be-
merken ließ, die den Gesammteindruck des Stückes schädigten
und besonders dem ersten Akt ein etwas mattes Gepräge gaben.
Frl. v. Tacco als Frau v. Mierendorff war recht liebcis-
würdig, nur durfte sie etwas lauter sein, besonders bei ihrem
ersten Austritt, der recht zum Bewußtsein bringen muß, daß das
Junggefellenzimmer nach Jahren wieder von einer Frauenstimme
ertönt.
Von geradezu überwältigender Komik war der Diener Friedrich
des Herrn Stettner; allein sein unnachahmliches „Jawohl,
Herr Baron" verlohnt einen Besuch des Stückes.
Als Fähnrich von Barckow hätte Herr Ehrens gut seine
Schwingen üben können. Herr Blank, der ihn vertrat, ist

Haaren herbeigezogene Erfindung, mit der speziell die genannte
Firma uns zu bombardiren Pflegt, sondern seine Kunst wurzelt
im frisch pulsirenden Leben. Wer eine so prächtige Figur wie
den Baron von Wesenbcrg hinstcllen kann, ist ein wirklicher
Dichter, und einen solchen kann unser Lustspiel doch wahrhaft
gut gebrauchen.
Dem Baron v. Wesenberg ist vor langen Jahren eine Braut
untreu geworden. Das har sich der tief empfindende Mann so
zu Herzen genommen, daß er im Laufe der Zeit zu einer jener
Persönlichkeiten geworden ist, die höfliche Leute als Originale
bezeichnen, für die der Volksmund jedoch kräftigere Bezeich-
nungen liebt. Er hat sich in einen glühenden Weiberhaß hinein-
gebohrt, im weiten .Umkreis darf nichts, was einen Unterrock
trägt, ihm uahekommen, seine Bedienung, seine Küche betreiben
nur männliche Personen. Aber jeder Mensch hat Verwandte,
unter denen sich auch fast immer solche weiblichen Geschlechts zu
befinden pflegen. Dieser Umstand wird auch dem Baron von
Wcsenberg zum Verhängniß: Eines schönen Tages hat seine
Kousine, die noch jugendliche Wittwe Frau v. Mierendorff, den
Muth, ihren absonderlichen Vetter, allerdings nur vorübergehend,
mit ihrem Besuch zu überfallen- Sie geht in ihrer Kourage so-
gar so weit, ihre beiden erwachsenen Töchter mitzubringen, von
denen die eine verheirathet und Mutter eines kleinen Balgs,
das — 0 Graus! — auch miterscheint. Ein Kindermädchen und
eine Kammerjungfer bringen sie natürlich auch mit — man kann
sich die Verzweiflung des armen Barons denken. Es kommt auf
dem Gute zu den drolligsten Scenen nicht zum Mindesten mit
der Dienerschaft des Wetberhafsers, für die weibliche Wesen ja
gewissermaßen etwas Neues sind. Der Sonderling athmet daher
erleichtert auf, als der letzte Abend, den die unruhigen Gäste
bei ihm zubringen wollen, angebrochen ist. Aber gerade dieser
letzte Abend ist der Wendepunkt seines Lebens. Seine schöne
Kousine, die „Großmama", versteht es, ihm in feiner Weise das
Thörtchte seines Lebens vor Augen zu halten und ihm zugleich,
was sein wenig liebenswürdiges Benehmen gegen seine schönen
Gäste anbetrifft, feurige Kohlen auf sein Haupt zu streuen. Bei
vornehmen Naturen, wie er eine ist, wirkt das Wunder, er er-
kennt auf einmal, daß es auch vortreffliche Weiber gibt und die
 
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