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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1898 - 30. September 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0241

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

MmrtW, -eu 5. September

1898.

Die Sozialdemokratie am wirthschaftlichen
Scheidewege.
Auf dem bevorstehenden sozialdemokratischen
Parteitage in Stuttgart soll bekanntlich der sozialdemo-
"atische Reichstagsabgeordnete Schipp el über die Zoll-
end Handelspolitik referiren. Herr Schippel hat
ichon auf dem letzten Hamburger Parteitag ausgeführt, daß
bei der Zoll- und Handelspolitik auch das Berufs-
lnteresse der Arbeiter in Frage komme, also nicht
Allein sein Interesse als Konsument. Nunmehr
bürd von einem „Genossen" im Vorwärts vorgeschlagen,
"er Stuttgarter Parteitag möge in Betreff des Satzes des
Erfurter Parteiprogramms, nach welchem die „Abschaffung
aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen wirthschaft-
lichen Maßnahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit
ben Interessen einer bevorzugten Minderheit opfern", ge-
fordert wird, eine verbindliche Auslegung geben, an der
heute noch fehle. Der Genosse weist darauf hin, daß
oie jetzt 56 Mitglieder zählende sozialdemokratische Fraktion
bes Reichstags in der Zollpolitik einen nach dieser odet
lener Richtung hin ausschlaggebenden Einfluß
anszuüben vermöge und auch ausüben müsse, weil im Aus-
lände ebenfalls die Hochschutzzollpolitik herrsche. „Wichtige
Industriezweige unseres Heimathlandes — heißt es weiter —
lo z. B. die Textilindustrie, die Handschuhmacherei, die
Albumfabrikation, leiden außerordentlich unter den Ab-
lberrungsmaßregeln der anderen Länder. Diesen Zustand
lediglich als eine Angelegenheit zu betrachten, die die bür-
gerliche Gesellschaft unter sich auszumachen hätte, geht nicht
"n, denn vor allen Dingen leiden unter diesem Zustande
ole Arb eiter. Es ist also nöthig, klar und unzweideutig
Estzustellen, wie sich unsere Partei bei der Erneuerung der
Handelsverträge zum Schutzzoll und Freihandel zu ver-
balten hat, ob diese Fragen von Fall zu Fall entschieden
Werden sollen, wie der Sinn der 1876er Parteiresolution
der mir auch heute noch das richtige zu sein scheint,
°ber ob die Entscheidung lediglich vom Standpunkte des
Freihandels erfolgen soll."
Die sozialdemokratische Partei wird allerdings nicht
Wchm können, in dieser wichtigen Frage im Interesse der
Arbeiter selbst klare Stellung zu nehmen, sei es nun auf
bein Parteitage oder im Reichstag. Besonders im König-
lich Sachsen spüren es die Arbeiter recht empfindlich, was
z. B. mit der nordamerikanischen Abspcrrungspolitik auf
Üch hat. Der Standpunkt, den 1876 der sozialdemokratische
Parteitag in Gotha, besonders auf Betreiben des Abgeord-
neten Bebel einnahm, wonach die Frage, ob für oder gegen
Schutzzoll, keine Prinzipienfrage für die Partei sei und in
jedem Fall nach Umständen entschieden werden müsse, wahrt
jedenfalls die Interessen der Arbeiter besser, als die Be-
lnung des strikten Freihandels, von dem ja auch Karl
Plarx gesagt hat: „Das System der Handelsfreiheit be-
lchleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem
Revolutionären Sinne stimme ich für den Freihandel." Die
ozialdemokratischen Parteien des Auslandes betrachten die
Angelegenheit ebenfalls zumeist als eine Frage der Zweck-
mäßigkeit. Unter den heutigen Verhältnissen würde es
endlich erscheinen, wenn man, wie es noch auf dem sozial-
vemokratischen Kongreß auf Schloß Wyden in der Schweiz
1880 geschah, die Schutzzoll- oder Freihandelsfrage als
^"e „interne Angelegenheit der Bourgeoisie" betrachten
wEe, die den Arbeiter nichts angehe.

Frau Apothekers Liebesgeschichte.
P Von Felix von Stenglein.
(Fortsetzung.)
Nun, etwas bemerklich macht' ich mich schließlich doch
mt meinen Schwatzereien. Manchmal merkt' ich sein Er-
aaunen, wenn ich ihn mit meinen jungen lebenslustigen
^ugen keck anschaute und ihm widersprach. Ich fühlte, das
"sem neuer Ton in seinem Leben.
Gespräch weiß ich noch wie heute, — es war über
Jahreszeiten. Er fand den Herbst am schönsten. Er
Istwte, da fände sich in der Empfindung alles zusammen,
s?ergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sehen Sie. solche
's ie? Gespräche führten wir damals schon, vor vierzig Jahren,
„„fit?llo garnicht wahr, daß die jungen Leute erst die Welt
Heckt haben. Ja, und ich sagte, ich fände das nicht- Und
sd°"le sagen, ich fände den Frühling am schönsten, wo alles
st-, und der Mensch mit neuer Hoffnung und Lebens-
erfüllt wird, und sagt' es auch; aber als ich nun weiter
nifchte, fand ich doch den Sommer schöner. Da ist die ganze
mu E vollkommensten entfaltet, sagt' ich, man lebt in und
Wns * Natur und genießt das ganze Leben am schönsten,
da » Werden Sie denken, kaum halt' ich es ausgesprochen,
»o "ohm ich es schon wieder zurück. Die wunderbaren Herbst-
ihrer Ernte, nicht so drückend beiß wie im Sommer
kän» "w noch warm genug, um sich im Freien tummeln zu
bunte Wald, die Bäche voller und brausender, —
Herbst, beschloß ich, der Herbst gefällt auch mir am besten!
»Und der Winter?" meinte er lächelnd.
w-n» * Winter," sagt ich nachdenklich und sah ihn an. „Ja,
. cnn man von der Natur absieht, ist die traute Winterszeit
d ° A°rmen Zimmer doch auch etwas sehr schönes. Draußen
unklare Sonne auf dem weißen Schnee, im Zimmer so hell,
tb,-„^nn man draußen recht durchgefroren ist, so wohl-
naß» warm, und Schlachtfest und Schlittenfahren und Weih-
' — v°r allem Weihnachten! Schließlich fand ich den
am schönsten, wie ich schon alle anderen Jahreszeiten
uach der Reihe am schönsten gesunden hatl'.

Deutsches Reich.
Berlin, 4. September.
— In englischen Blättern wird auf einmal von
einer englisch-deutschen All ianz gesprochen. Diese
Blätter thun so, als hätten England und Deutschland ein
Schutz- und Trutzbündniß geschlossen und Abreden mit
einander getroffen, die sich auf die Delagoa-Bai, die
Stellung Englands in Aegypten und angebliche deutsche
Pläne in Kleinasien beziehen. Natürlich ist diese Meldung
von einem Schutz- und Trutzbündniß unrichtig, ein wirklich
grober Unfug. Denn wenn sie richtig wäre, so müßte
daraus geschlossen werden, Deutschland habe sich verpflichtet,
in allen Theilcn der Welt der britischen Politik Heeres-
folge zu leisten. Dies aber wäre gleichbedeutend mit einem
Frontwechsel unserer Politik, von dem selbstverständlich nicht
die Rede ist. Damit soll nicht gesagt sein, daß Deutsch-
land und England sich nicht über eine besondere Frage
verständigt haben könnten, z. B. über eine gemeinsame An-
leihe für Portugal, die der nothleidende Zustand der portu-
giesischen Finanzen über kurz oder lang erheischen könnte.
Aber mit diesem Bündnißgerede möge man uns doch fern
bleiben! Ein englisches Blatt, die Morning Post, hat die
Situation richtig erfaßt. Es schreibt: in Deutschland sei
die Auffassung weit verbreitet, daß dieses keine gemeinsamen
Interessen mit England habe, daß England nicht wohl
im Stande sei, seine eigenen Rechte und Interessen zu ver-
theidigen, und daher wenig Werth als Verbündeter habe.
Diese deutschen Ansichten müßten sich sehr ändern, ehe sich
eine Aussicht auf ein inniges Einvernehmen zwischen beiden
Nationen eröffne, und das Mittel, sie zu ändern, liege in
dem Beweise, daß England im Stande sei, sich geltend zu
machen und seine Rechte und Interessen auf dem Felde der
Diplomatie zu Vertheidigen. Das Blatt knüpft hieran die
Schilderung des großen Aufschwungs, den Deutschland auf
allen Gebieten genommen habe, an. Es wolle sich eine
große Stellung in der Welt verschaffen und dies werde
ihm gelingen, da es in erster Linie sich auf seine eigene
Thatkraft verlasse. Das sei der Grund, daß es als werth-
voller Verbündeter begehrt sei.
— Der Abrü st u n g s vo rschl a g des Zaren ist
bis jetzt von Schweden, Belgien und der Türkei lebhaft
begrüßt worden, also von Nationen und Natiönchen, die
keinerlei führende Rollen zu spielen im Stande sind. Solche
Nationen sind natürlich froh, wenn die andern sich
schwächen, denn dadurch verringert sich der Abstand
zwischen ihnen und den anderen. Sie profitiren also
daran.
— Neue Officiersmäntel werden zur Probe von
den Herren aus der nächsten Umgebung des Kaisers getragen;
es sind lange bis zu den Knieen reichende, aus grauem
Tuch gefertigte Capes mit einem Capuchon.
— Kiaut schon ist nach einem Telegramm der Frkf.
Ztg. als Freihafen eröffnet worden.
— Die Köln. Ztg. schreibt: Der Verlust des
Torpedobootes 8 85 ist der fünfte, den unsere
Kriegsmarine zu verzeichnen hat, und wird die Frage an
die Tagesordnung bringen, ob diese Boote wirklich in
vollem Umfange diejenige Sicherheit bieten, die wir von
Fahrzeugen verlangen müssen, denen wir unsere Matrosen
anoertrauen. Von den genannten fünf Verlusten kommen
zwei insofern hier nicht in Betracht, als sie durch Zusam-
menstoß erfolgten, also ganz unabhängig waren von der
größeren oder geringem Seetüchtigkeit der Boote. Die
drei andern sind aber lediglich infolge von Sturm und
Seegang eingetreten, und das beweist allerdings, daß sie
hinter den Anforderungen, die man an das Ideal von

Er aber blieb bei seinem Herbst, und macht' dazu ein so
melancholisches Gesicht, als ob er sich am liebsten auch gleich
hätte hinlegen mögen und sich von den fallenden Blättern
begraben lassen.
In solchen Momenten ging ich dann ans Klavier und
spielte etwas recht Lustiges, und gewöhnlich dauert' es denn
auch nicht lang', bis er die Herbstgedanken vergessen hatte.
Irgend welche Aufmerksamkeiten erwies er mir indessen
nicht, daß ich ein junges Mädchen war, schien er gar nicht
zu begreifen; ich glaube, ich war ihm damals noch vollkommen
gleichgültig. Manchmal wollt' ich verzagen und dachte so bei
mir: 's ist ja alles vergebens, aber dann sagt' ich mir. er
käme doch nicht umsonst immer wieder, es müsse doch wohl
eine Anziehungskraft in unserem Hause sein.
Ja, 'ne Art Anziehung war's wohl, das neue, etwas ge-
selligere Leben reizte ihn doch wohl etwas. Schließlich könnt'
er es nicht mehr entbehren, und verlangte immer mehr da-
von, er verkehrte auch bei anderen Familien, und sie fingen
an, sich um ihn zu reißen. Das haft' ich nun davon! Be-
sonders die Frau Räthin Scheidewetter mit ihrer Tochter
Minna hatte es auf ihn abgesehen.
Die Minna wollte mir nicht wohl, schon von früher her
nicht. Nun ja, Emilie und ich mochten das Zimperliche an
ihr nie leiden und wir haben sie manches Mal gefoppt- Sie
war furchtbar eingebildet auf ihre Unwiderstehlichkeit
den Männern gegenüber, trotzdem war sie schon in die
Zwanziger gekommen, und noch keiner hatte angebissen. Und
neidisch, wenn uns irgend 'ne Huldigung zu Theil wurde!
Einmal brachten mir mehrere junge Leute, Bekannte von
Philipp, zum Geburtstag ein Ständchen. Am nächsten
Morgen konzertirt die Stadtkapelle vor ihrem Fenster, —
das heißt, sie hatte sie sich selbst bestellst Nun hatte sie auch
ihr Ständchen!
Wir fanden sie sehr albern und wenn sie zu uns kam,
forderten wir sie garnicht mehr auf, abzulegen. Da saß sie
benn, schwatzte geziert allerlei Sacken durcheinander und
wartete vergeblich. Schließlich fing sie an, ihre Jacke auf-
zuknöpfen. „'s ist so heiß!" sagte sie und sah uns an. Aber

Seetüchtigkeit stellen muß, unter Umständen doch noch zurück-
bleiben. Eine jahrelange Erfahrung hat ergeben, daß die
kleinen Boote sich in überraschender Weise als seetüchtig er-
wiesen haben. Unzählige Male sind sie beim schlimmsten
Wetter hinausgegangen, und wenn sich auch der Aufenthalt
auf ihnen dann außerordentlich unbequem gestaltete, so hat
eine wirkliche Gefährdung doch zu den seltensten Fällen
gehört. Wir möchten auch darauf Hinweisen, daß Boote
vom Typus des 8 85 unter eigenem Dampfe die weitesten
Seereisen unternommen haben, nach China und Brasilien,
also durch Meere, die auch größern Fahrzeugen durch
schlimme Wirbelstürme ernstliche Gefahr bieten können.
Alle diese Boote sind wohlbehalten angekommen, ein aus-
gezeichnetes Zeugniß für ihre Seetüchtigkeit. Trotzdem hat
es sich aber unter dem Zusammentreffen besonders ungün-
stiger Umstände ereignet, daß Torpedoboote, nicht nur
deutsche, sondern auch englische und namentlich französische,
auf hoher See verloren gingen, und es ist daher erklärlich,
daß unsere Marineverwaltung bestrebt ist, durch Einstellung
muer, auch nach der Seite der Seetüchtigkeit, vervollkomm-
neter Typen diesen kleinen Booten eine solche Sicherheit zu
geben, wie sie die großen Schiffe besitzen, für die eine
Gefahr auf hoher See überhaupt nicht mehr in Betracht
kommt, oder doch höchstens nur in den Meeren, wo Wirbel-
stürme herrschen, und auch dort wohl nur dann, wenn bei
der Navigation die Gesetze über den Lauf der Wirbelstürme
vernachlässigt wurden oder das Schiff in einer besonders
ungünstigen Lage von ihnen überfallen wurde, die, durch
von mehreren Seiten vorgelagertes Land das Ausweichen
unmöglich machte. Bei den neuesten Bestellungen, die unsere
Kriegsmarine vor einigen Wochen gemacht hat, hat man
dieser Anforderung vollauf Rechnung getragen, und der
neue vergrößerte Typus bietet die Bürgschaft einer so großen
Seetüchtigkeit, wie sie überhaupt nur erreicht werden kann.
Wir möchten aber davor warnen, aus dem Verlust des 8
85 den über das Ziel hinausschießenden Schluß zu ziehen,
daß die Boote des jetzigen Typus etwa als lebensgefährliche
Fahrzeuge betrachtet würden. Wie schon gesagt, haben sie
die hohe Seetüchtigkeit in unzähligen Fällen glänzend be-
währt, was aber nichts daran ändert, daß eine Erhöhung
dieser Eigenschaft, sobald sie mit den anderen an ein solches
Fahrzeug zu stellenden technischen Anforderungen vereinbar
ist, angestrcbt werden muß. Auch auf diesem Gebiete
müssen die durch die neueste Technik ermöglichten Fortschritte
angewandt werden, und der Marineverwaltung gebührt nur
Dank, wenn sie das bei den neuen Bestellungen erkannt hat,
ohne dazu den Antrieb eines Unfalles abzuwarten.
Baden. Von der neulichen Sitzung des bad. Eisen-
bahnraths ist noch zu berichten:
Letzter Gegenstand der Tagesordnung war die Mittheilung
der Generaldirektion über die Einführung eines Staffeltarifs
für Eil- und Fracht st ückgüter.
Die Generaldtrektion gibt bekannt, daß die preuß. Staats-
bahnen auf 1. Oktober 1898 eine Ermäßigung der Fracht für
Eilgut und für gewöhnliches Stückgut durchführen werden. Zu
diesem Zwecke würden unter Beibehaltung der seitherigen Ab-
fertigungsgebühren die Streckensätze der allgemeinen Stückgut-
klasse bis 50 Kilometer Entfernung unverändert belassen und so-
dann angestoßen
von 51 bis 200 Kilometer 10 Pf. für das Tonnenkilometer
„ 201 300 „ 9 „ „
„ 301 „ 400 „ 8 . „ „
„ 401 „ 500 „ 7 „ „ „ „
über 500 „ 6 „ „ „
Die Fracht für Eilstückgut betrage, wie seither, das Doppelte
der Fracht der allgemeinen Stückgutklasse.
Die Generaldirektion setzt sodann die Gründe auseinander,
die die preuß. Eisenbahnverwaltung anscheinend zur Einführung
des Staffeltarifs veranlaßt haben. Die badische Eisenbahnver-
waltung sei indessen bei eingehender Prüfung der Vorzüge und
Nachtheile des neuen Tarifs zu der Ansicht gelangt, daß die

wir wollten nicht verstehen. Dann strelfte sie die Jacke halb
ab, noch immer keine Aufforderung von uns, endlich mit
kühnem Endschluß zog sie sie ganz aus. Wir sahen uns an
uns seufzten, denn nun blieb sie. Wenn sie bei uns Mittag
essen wollte, sagte sie es nie geradezu, sondern bat meine
Mutter kurz vor Tisch um ein Stückchen trocken Brod, aber
nichts weiter wie trocken Brot». Natürlich war meine
Mutter dann so gutmüthig sie einzuladen.
O wir waren oft recht grausam zur Minna und konnten
uns eigentlich nicht wundern, wenn sie uns nicht wohlwollte.
Den tollsten Streich verübten wir, als wir sie eines Tages
zur Besichtigung seltener Thiere einluden, die eben bei uns
angekommen wären. > Da batten wir eine Taube mit den
unmöglichsten Farben angestrichen, einen Puterhahn einen
großen Ball von rother Wolle auf den Kopf geklebt, und auf
den Kopf unserer Dohlen den großen Kamm eines geschlachteten
Hahnes befestigt. Nun was meinen Sie, wie sie staunte!
Aber als sie's heraus hatte, daß sie angeführt war, — o weh,
da bekamen wir was zu hören.
Also bei dieser Minna und ihrer Mutter verkehrte der
Herr Provisor auch, und daß da wenig Gutes an mir blieb,
können Sie sich denken. ,
Na, allzu großes Gewicht scheint er auf die Redereien
der beiden Damen nicht gelegt zu haben, wenigstens in Be-
zug auf mich, dazu ging ich ihn zu wenig an. Aber seit
einem gewissen Tage wurde die Sache anders. Man sagte
ihn in der Stadt schon mit Minna verlobt und sie konnten
beide, Mutter und Tochter, nicht mehr abwarten. Wer konnte
wohl Schuld sein an dieser Verzögerung? Natürlich ich! so
bildeten sie sich ein. Also entwarfen sie einen gemeinsamen
Feldzugsplan und führten den eines Tages, als er zu Tisch
bei ihnen war, aus. Es gab sehr was Schönes, und er lobte
wohl auch das Essen. Da fing die Alte an. „Ja, darin ist
meine Minna Meisterin," sagte sie, „als Hausfrau ist sie,
kann ich wohl sagen, vorzüglich ausgebildet. Merkwürdig,
daß manche Eltern so wenig Gewicht darauf legen! Natürlich
kommt es auch auf die Mädchen an. Zu... Beispiel die Anna
Lutzeroth. Wie ist fo etwas möglich —"
 
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