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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 176 - 202 (1. August 1898 - 31. August 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0133

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-°E°irit täglich,
ausgenommen.
tz-j ^Preis
w^HMenblättern
r-i^tlich 50 Pf.
Haus gebracht.
L«E1VL°-'"
Zustellgebühr.
^^Anschluß Nr. 82.
180.

KÄrldttM Icitmg.

Jnsertionsgebühr
15 ^-s. f»r dre Ispaltige
Petit?eile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Telephon-Anschluß Nr. 82.

Freitag, -en 5. August

1898.

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sst.

. Zum Tode Bismarcks.
UsA Hamburger Nachrichten dementiren die Blätter-
daß die Conservirung der Leiche des Fürsten
sei. Der herrliche Bau des Kopfes und die
^juristischen Züge des Gesichtes, selbst der weichen
Kigten keinerlei Veränderung. Das Antlitz des
kuz Tobten behielt bis zuletzt einen ergreifenden Ein-
Uk Q,. bmand ist in der Lage gewesen, im Sterbezimmer
»Ad des verstorbenen Fürsten aufzunehmen. Deß-
„i> ^ruhm die Abbildung in einem Berliner Blatt
^Niili ^"stkartenbilder auf Erfindung und berühren die
jü Peinlich.
tz An die Hamburger Photographen Wilcke
s^^^ster, die angeblich in der Nacht von Samstag zu
tzAst. im Sterbezimmer zu Friedrichsruh mittels Blitz-
^ne Aufnahme der Leiche des Fürsten Bis-
i-Huj'i ^"chlen und sie vorbehaltlich der Genehmigung der
'E Bismarck einem Berliner Verlage zur Vervielfäl-
!i,^ ""geboten hatten, ist, wie die Reuest. Nachr. melden,
. Berliner Polizei eingeschrittcn worden. Es
einer Nacht soll ein die Leichenwache haltender
egA""ller einem Freunde, der Photograph ist, Zutritt
"ltu i, öie Aufnahme mittels Magnesiumlichts ge-
ik Die Familie Bismarck hat die Absicht, gegen
l-he A.Esiältigung und den Verkauf der Bilder gericht-
Achprache zu erheben.
Mittwoch Morgen traf in Friedrichsruh ein
Ax . blauweißer Kranz des Regenten von
tzA" hier em. Am Nachmittage allein langten vier
!ijjA°"s mit Blumenspenden dort an, die
i,lh,,"Ails noch nicht ausgepackt sind. An diesem
-ch zeigten sich .die Mitglieder der Familie Bis-
zuerst wieder in der Oeffentlichkeit. Der
A? Fürstin Herbert unternahmen eine Ausfahrt mit
^"ze" Hohenlohe-Oehringen. Graf Wilhelm bc-
iitt Baronin Merck. Am Donnerstag war es ganz
> drichsruh. Auffallen muß es, daß noch keinerlei
>kks^,?i"ngen für den Bau der letzten Ruhestätte des
»khAuuen Fürsten begonnen wurden. Anscheinend sind
^..^"iwürfe ausgcarbeitet, die auch wohl vorerst
-ichsf vorgelegt werden. Seit dem Tode des Alt-
U 1800 Telegramme mit 80000 Worten
doAdrichsruh angekommen und 2120 sind aufgegeben
iiiz w ,, ^00 Packste trafen mit der Post hier ein. Weit-
^ff>r aber mit der Eisenbahn.
-ihA verstorbenen Altreichskanzlers Fürsten Bismarck
istjxjAr, Frau v. Arnim, verließ Donnerstag Mittag
jAsrnhe mit dem Berliner Schnellzuge.
iolgxAr die gestrige Trauerfeier in Berlin liegt
>4 telegraphischer.Bericht vor, der ganz in dem Styl
trieft wollenen Ton sonstiger Berichte über irgendwelche
Anlässe gehalten ist. Er lautet: Berlin, 4. Ang.
gjAch der heutigen Trauer feier für den Fürsten
^üei'V» "Oe Bankhäuser, viele Geschäfte und Lä-
hulbA. "Öen. Auf den meisten Häusern wehen die Fahnen
vielfach sieht man schwarze Trauerfahnen, viele
dien hs sier tragen Trauerdecorationcn, besonders häufig sieht
-tzjgj Aienbekränzte, florumhüllte Bilder u. Büsten des Ver-
k-icht'.vormittags fand in der Kaiser Wilhelm-Ge-
'ucht ß ! . irch e auf Befehl des Kaisers eine liturgische An-
üitz in Gegenwart des Kaiserpaares, des Prinzen
Prinzessin Friedrich Leopold und der Prinzen
Albrecht und Friedrich Wilhelm, sowie der übrigen
^lg!?°en Prinzen, der hier anwesenden Vertreter des
Kl-, Achen Corps, der Hofchargen, der Chefs der Mili-
und Marinecabinets, des Reichskanzlers, der

Staatssekretäre und Minister, soweit sie hier anwesend sind,
der Vertreter der Stadt Berlin, der Generalität, der Ad-
miralität, der Geistlichkeit, der Bundesrathsbevollmächtigten,
sowie von Mitgliedern des Reichs- und Landtages. Vor
der Kirche stand eine Ehrenwache des 2. Gardcregiments.
Der Wagen des Kaiserpaares wurde von einer Schwadron
Gardekürassiere geleitet. Die Chorgesänge wurden aus-
geführt vom Opernchor. Die Liturgie hielt Hofprediger
Faber, der im Gebet ausführte, vor Gottes Angesicht
trete das Volk in Trauer um den Mann, durch den es
zum Volk geworden sei. Deutschland weine um seinen größten
Sohn. Er habe dem König das Köstlichste gegeben, was
ein Unterthan bieten könne, Wahrhaftigkeit und Treue.
Der König habe ihm das Höchste, was ein Fürst zu ver-
geben habe, unbedingtes Vertrauen, geschenkt. Alles, was
das Herz des Patrioten bewege, knüpfe sich an den Namen
Bismarck. Redner schloß mit der Bitte an Gott, dem
Kaiser treue und weise Rathgeber zu verleihen, welche kräftig
helfen zur Wahrung des Friedens und zum Wohle Preußens
und des Reiches. Nach Schluß der Andacht verließ daS
Kaiserpaar die Kirche. Der Kaiser ließ die Ehrenkompagnie
vorbeimarschiren und unterhielt sich längere Zeit mit den
Würdenträgern.
Wochenchronik.
(Vom 24. Juli bis zum 80. Juli.)
Juli 24.: Die Amerikaner landen Truppen bei Taha-
bacoa auf der Südseite von Kuba-
„ 24.: Der erste Vorsitzende des Bundes der Landwirthe,
v. Plötz, stirbt.
„ 25.: Der italienische Militärbevollmächtigte in Paris,
Panizzardi, wird von seinem Posten abberufen.
Da sein Name mit der Dreyfusnffäre in Zu-
sammenhang gebracht wurde, so ist leine Abbe-
rufung für die Revision des Dreyfusprozesses
nicht ohne Bedeutung.
„ 26.: Ter österreichische Reichsrath wird ge-
schlossen, ohne daß es zu einer Verständigung der
Regierung mit den erbitterten Deutschen ge-
kommen wäre.
„ 27-: lieber das Befinden Bismarcks sind ungünstige
Nachrichten verbreitet.
„ 28.: Es wird bekannt, daß Prinz Heinrich im
Ostasiatischen Lloyd eine amtliche Berichtigung er-
lassen bat, wodurch die Anschuldigungen der ameri-
kanischen Blätter über die angeblich uncvrrekte
Haltung der „Irene" hinfällig sind. Die Irene
har nur einige spanische Frauen und Kinder aus-
genommen-
„ 28.: Der König und der Thronfolger von
Rumänien treffen in Peterhof zum Besuch des
Zaren ein-
„ 29.: Die Vereinigten Staaten stellen den
Spaniern folgende Friedeusbedingungen:
Abtretung von Portorico, Aufgeben der spaniichen
Oberhoheit auf Kuba, Abtretung einer Ladronen-
insel und eines Hafens auf den Philippinnen. Das
Schicksal der Letzteren soll weiteren Verhandlungen
Vorbehalten bleiben.
„ 30.: Fürst Bismarck stirbt.

Deutsches Reich.
Berlin, 4. August.
— Der Kaiser besichtigte gestern mit seiner Ge-
mahlin in der Kunstausstellung die für den Festsaal der
deutschen Botschaft in Rom bestimmten Prell'schen Wand-
gemälde und äußerte zum Schluß: „Es ist meine Absicht,
im Frühling nach Rom zu gehen, um dort durch ein
Fest den Saal in unserer Botschaft einzuweihen, den Ihre
Kunst von nun an schmücken soll."
— Das Kaiserpaar ist nach der Bismarck-Gedenk-
feier nach Wilhelmshöhe abgereist.
— Von dem Memoiren werke Bismarcks sind,

Her Nordd. Allg. Ztg. zufolge, drei Bände fertig gedruckt.
Fürst Herbert Bismarck hat von seinem Vater die Ermäch-
tigung erhalten, die Veröffentlichung in dem Augenblicke
vorzunehmen, der ihm geeignet erscheine.
— Der 23 Jahre lang in persönlichen Diensten des Fürsten
Bismarck gewesene Kammerdiener Pinnow hat durch letztwillige
Verfügung Bismarcks 5000 Mk., der Kutscher Patzke, der seit
ungefähr 12 Jahren im Dienste der Familie steht, 3000 Mk-, der
zweite Kutscher 2000 Mk., ein Diener ebenfalls 2000 Mk. und
daS Stubenmädchen, sowie eine Jungfer je 1000 Mk. erhalten.
— Der Vorwärts, das hiesige Centralorgan der sozial-
demokratischen Partei, hat es nicht fertig gebracht, dem
todten Fürsten Bismarck auch von seinem Standpunkte
aus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es widerstrebt
einem, die Aeußerungen des Blattes, in dem hier augen-
scheinlich der alte Liebknecht zum Wort gelangt, wieder-
zugeben. Lieber hält man sich an die Ausführungen anderer
Blätter dieser Parteirichtung, die, wenn sie auch in Bismarck
ihren unversöhnlichen Gegner erkannt haben, der Genialität
des Mannes doch ihre Anerkennung nicht versagen wollen.
So schließt ein Aufsatz der Leipziger Bolksztg. mit fol-
genden Worten: Noch heute, an der offenen Gruft des
alten Todfeindes, gilt das Wort, das Lassale auf der
rheinischen Heerschau im September 1863 sprach: „Und
wenn wir Flintenschüsse mit Herrn v. Bismarck wechselten,
so würde die Gerechtigkeit erfordern, noch während der
Salven einzugestehen, er ist ein Mann." Ferner schreibt
in neidloser Anerkennung von Bismarcks Erfolgen auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik die Magdeb. Bolksstimme:
„Fürst Bismarck todt! Ein Stück großen, geschichtlichen
Lebens ist mit ihm zu Ende gegangen, und niemand,
welcher Gesinnung und Parteistellung er auch ist, kann sich
in diesem Augenblick der Empfindung verschließen, daß hier
ein Mensch sein Dasein abgeschlossen, der hoch emporgeragt
hat über den Troß von Dutzendmenschen, denen sonst die
Lenkung von Staaten und Völkern anvertraut ist."
— Der Streik der Bremer Kassenärzte ist be-
endet. Die Aerzte haben gesiegt. Die Kasse war genöthigt,
ihre chicanösen Anordnungen und Forderungen aufzugeben.
Bade». Karlsruhe, 3. Aug. Am 20. d. M. wird eine
Sitzung des E is e n b a h n r a t h es stattfiuden, auf deren Tages-
ordnung die Berathung des WinterfahrplanS steht.
Württemberg. Ueber die Wirkung des Margarine-
gesetz es gibt der Jahresbericht des chemischen Unter-
suchungsamtes der Stadt Ulm lehrreiche Aufschlüsse. In-
folge der Bestimmung über die genannten Verkaufsräume
sind alle kleineren Verkaufsstellen eingegangen; an deren
Stelle ist eine größere eröffnet worden, die aber der Ent-
fernung wegen gerade für die kleinen Leute, die nur jeweils
ihren täglichen Bedarf zu decken vermögen, unbenützbar
ist. Als Ersatz hat der Konsum des amerikanischen
Schweinefettes einen enormen Aufschwung genommen
— ein Faktum, das in sanitärer, allgemein volkswirth-
schaftlicher und agrarpolitischer Hinsicht gleich wenig wün-
schenswerth ist. Das amerikanische Fett wird um den
halben Preis des von unseren Metzgern auf den Lebens-
mittelmarkt gebrachten Schmalzes verkauft.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Mit Entschließung des Großh. Ministeriums des Großh.
Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten vom 1. Aug. 1898
ist Bahnbauinspektor Hermann v. Stetten in Freiburg mit
der Leitung der Geschäfte des daselbst errichteten Baubureaus
für die Bahnhoferwetterungen und die Verlegung der Höllenthal-
bahn in Freiburg betraut worden.
— Am 3. dS. Mts. stieß im Bahnhof Offenburg der um
6 30 Ubr Abends fällige, aber 42 Minuten verspätete Schnell-
zug 41 auf die auf dem südlichen Theil des Einfahrtgleises
zur Uebernahme des genannten Zuges bereitstebende Loko-
motive auf, weil der stark belastete und deßhalb mit Vorspann
aefübrte, mit allzuaroster Geickwindiakeit einfahrende Zug

g-


s, Ans dem Zweirade.
Eine Novellette von Emil Steinweg.
. »bmk (Fortsetzung.)
meine Tochter! mein Kind!" Das war Alles,
Ma (7. bammelnde Zunge hervorzubringen vermochte,
"hl, "chte zu lächeln. „Aengstige Dich doch nicht so
V» sagte sie. „Es ist wirklich nicht so schlimm."
«EbxAAat in die Wohnung, die beiden Ritter jedoch
A trnAret zurück. Sie, die sonst den Kopf so stolz und
M zkAn, schlichen gesenkten Hauptes die Treppe hinunter
bow Atchr von der traurigen Gestalt. Unten wurden
»den , ""Her mit offenen Armen und noch offeneren
Alk >>, mit den Worten empfangen: „Ick habe drei
»t IM Dabei blickte er von Einem zum Andern,
r hllten "" wen er sich eigentlich wegen des Fahrgeldes
ih„j ""sie. Um ganz sicher zu gehen, hielt er Jedem
Aig in Hand "in. Die beiden Herren griffen gleich-
A sie A Tasche und zogen ihr Portemonnaie heraus, in-
A. ""k Kommando, sich leicht gegen einander ver-
" rin zwischen den zusammengepreßten Zähnen in
die Worte bervorstießen: „Bitte das ist meine
Adij^z?"" drückte Jeder einen Thaler in die ihm so
U, dAA^botene Hand, der lange Gottlieb machte links
AocitAch'""cke Achilles rechts um. Jeder sprang auf sein
Pelt,,» unb sauste davon, der Eine links, der Andere
re» hinunter, während der Kutscher noch immer
Afsinen Händen dastand und schmunzelnd bald die
kstclAMer betrachtete, bald mit unsicheren Blicken um-
sstst recht!" sagte er endlich lachend. „Denn
, enx Abeede. Meine Herren, wenn Se Widder
bnk r^ene Raddame janz sänfteken nach Hause zu
denn holen Se mir man Widder, ick bin immer
. bst L'welcher." Dann fuhr er auch davon, noch immer
Psi"üstmontagsglück schmunzelnd und mit sich
sin^En Nebenbuhler begegneten sich an diesem Tage

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1 A dkn^AraKe
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d i'ck"A t recht!" sagte er endlich lachend- „Denn
- °"e beede. Meine Herren, wenn Se Widder

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L°"e

Schmuck war eme Zeit lang Plan- und ruhelos in den
Straßen umhergefahren, mit sich selbst die beiden quälenden
Fragen erörternd, welches Unglück der Arzt wohl konstatirt
haben werde und ob er es wagen dürfe, sich noch heute dar-
nach zu erkundigen.
„Man wird dich kurz abweiscn," dachte er traurig;
„denn die Mutter wird ja aus Hulda's Erzählung erfahren
haben, daß du eigentlich den Unfall verschuldet hast, und das
verzeiht sie dir nimmer!" Er seufzte und hätte weinen
mögen vor Schmerz und tiefer Trauer. Tausendmal lieber
hätte er ja selber den Arm gebrochen! Aber die Angst ließ
ihm keine Ruhe. „Du mußt es wenigstens versuchen!"
dachte er. fuhr nach Hause, kleidete sich um und begab sich
langsam und zögernd nach Huldas Wohnung. Als er die
Treppe hinauf stieg, begegnete ihm ein langgestreckter gelb-
blonder Jüngling: der Andere! — der schon vor ihm dage-
wesen war!
„Die Frau Geheimräthin ist sehr ergrimmt auf Sie!" rief
ihm der „lange Gottlieb" zu und schaute ihn dabei an, als
wollte er ihn mit den Blicken rücklings die Treppe hinunter-
werfen.
„Desto mehr Grund für mich, Ihre jedenfalls sehr unzu-
treffende Darstellung zu berichtigen!" gab er trotzig zurück.
— „Herr, wie meinen Sie das?!"
„Wie ichs sage, Herr!"
— „Herr, das ist ja —"
Aber Schmuck war schon an seinem Rivalen vorbei die
letzten Stufen dinaufgesprungen. Klopfenden Herzens klin-
gelte er, aber so schüchtern, so leise, daß es kaum gehört
wurde. Eine Magd öffnete ihm endlich. Er gab ihr seine
Karte und sagte, er bäte dringend darum, die Frau Geheim-
räthin sprechen zu dürfen. Wenige Minuten später saß er
der trauernden Mutter gegenüber, deren bleiche Gesichtszüge
noch immer den Ausdruck der gewaltigen Gemüthsbcwegung
trugen, die sie durchgemacht hatte.
„Es ist mir lieb, daß Sie gekommen sind, Herr Schmuck,"
sagte die Dame ernst. „Ich werde doch nun endlich das
Nähere erfahren. Von meiner Tochter ist ja nichts heraus-

zubekommen. Auch ist sie zu angegriffen, als daß ich sie viel
mit Fragen quälen dürfte.
„Was sagt der Arzt?" fragte er mit bebender Stimme
Es war ihm, als sollte er sein Todesurtheil hören.
— „Die Schulter war ausgerenkt. Sie wird lange daran
zu kuriren haben. Wenn ich nur erst wüßte, wie es
zugegangen ist, damit ich den Schuldigen zur Rechenschaft
ziehen könnte."
Ihm trat der Angstschweiß auf die Stirn. „Leidet sie
sehr?" hauchte er.
— „Nun, das können Sie sich wohl denken! So
etwas ist schmerzhaft. Waren Sie denn bei dem Unfall
zugegen ?"
„Allerdings — ich —" stotterte er. „Ich war zu-
gegen."
— „Nun, wie ist es dann gekommen, daß meine Tochter
stürzte?"
„Ich — muß fürchten —" Er rang nach Athem. Es
war ihm, als wäre ihm die Kehle zugeschnürt. „Ich muß
fürchten, Frau Geheimräthin, daß — der Herr — der vor
mir hier war —"
— „Herr Kümmel?"
„Ja, Herr Kümmel. Ich fürchte, er wird Ihnen eine
falsche Darstellung von dem Sachverhalt gegeben Haden."
— „Ach, aus dem bin ich gar nicht klug geworden," sagte
die Dame. „Erzählen Sie mir mal ordentlich und ganz
genau den Hergang. Ich muß das wissen. Meine Mutter-
pflicht erfordert es." Dabei sah sie ihn scharf und forschend
an. Dem guten Johannes trat aufs Neue der Angstschweiß
auf die Stirn. Er hätte ebenso gern im Fegefeuer gesessen,
als auf dem Folterstuhl. Es galt, eine Wahl zu treffen, ent-
weder zu lügen — was er ohne Gefahr thun konnte, da
Hulda offenbar Nichts verrathen wollte — oder die Wahr-
heit einzugestehen. Nach kurzem Kampfe entschloß sein edles
Gemüth, dem die Lüge widerstrebte, sich zu dem Letzteren.
Den Weltlauf brauchte er ja nicht zu erwähnen; denn der
hatte ja nicht unmittelbar zu dem Sturze beigetragen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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