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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 306 (1. Dezember 1898 - 31. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0637

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. 293. CkAkS Wit.

DonnttstG, den 15. Dklmber

1898.

Wochenchronik'.
(Vom 4. bis zum 10. December.)
Dec. 5.: Die Zweite bad. Kammer tritt zu einer zwei-
tägigen Sitzung zusammen, um die Nachwahlen zu
prüfen und die Kommissionen zu ergänzen.
„ 6.: Der Reichtag tritt zusammen.
„ 7.: Der Reichstag gibt sich ein nltramontan-conservativ-
freisinnigcs Präsidium. Die Sozialdemokraten
fallen mit ihrem Anspruch auf eine Schriflführerstelle durch.
„ 7.: Aufsehen erregt, daß der englische Botschafter
in P a r i s in einer Bankettrede die Franzosen vor
Treibereien gegen England warnt.
„ 8.: Der englische Staatssekretär des Auswärtigen,
Chamberlain, unterstützt in einer Rede in Wake-
field das Vorgehen des englischen Botschafters in
Paris. Gleichzeitig spricht er sehr freundlich von ge-
meinsamen Interessen Englands und Deutschlands.
„ 10.: Das ungarische Abgeordnetenhaus wird
bis zum 17. Dec. vertagt, da der Präsident und der
Vicepräsident ihre Lntlassung gegeben Haven.

Politische Umschau.
Heidelberg, 15. Dezember.
Die Rede des Staatssekretärs v. Bülow wird
von den englischen Blättern in freundlichem Sinne
ausgenommen und besprochen. Pall Mall Gazette
sagt, sie komme gerade zur rechten Ze t. Deutschland
werde sich nicht darauf einlassen, unfreundlich gegen Eng-
land zu sein, und je mehr Punkte gemeinsamen Vorgehens
England und Deutschland finden, je mehr könne dies
Deutschland gefallen. Die Rede sei die richtige Ergänzung
der Rede, die Chamberlain in Waterfield gehalten. Keines
der beiden Länder spähe nach Bündnissen aus; es gebe
aber ein Land — Frankreich —, das dies thue. Zwischen
dem Lande mit der Politik der Nadelstiche und dem Lande,
dessen Waffe die britische Flotte und dessen Grundsatz die
offene Thüre sei, könne Deutschland in keinerlei Zweifel
dastehcn. Der Globe sagt, die Umstände, unter denen
die Rede gehalten wurde, hätten ihr besondere Wichtigkeit
verliehen. Daß die Bezugnahme auf viele Fragen, in
denen Deutschland mit England gehen könne, gerade auf
die Erklärung folge, daß der Dreibund noch in voller
Kraft stehe, könne nicht mißverstanden werden. Ein eng-
lisch-deutsches Bündniß bestehe nickt und werde wohl auch
nie bestehen; aber die englisch-deutschen Beziehungen hätten
sich fühlbar gebessert, und das sei alles, was die Eng-
länder wünschen. Die St. James-Gazette meint, der
Hinweis des Staatssekretärs auf die ausgezeichnete Wir-
kung, die der Ankauf der Dormition bei den deutschen
Katholiken Hervorgernfen habe, werde nicht geeignet sein,
den Traum eines französisch deutschen Bündnisses gegen
das „perfide Albion" zu fördern. Die Westminster-
Gazette drückt ihre Befriedigung über die Besserung der
englisch-deutschen Beziehungen aus, möchte aber die Natur
der Vereinbarung kennen lernen, die als für Deutschland
günstig gelte. Die Bemerkung des Staatssekretärs von
Bülow über die macedouische und die armenische Frage
betrachtet das Blatt als ominös; es fürchtet, Deutschland
werde sich einem Drucke nicht anschließen, den die Mächte
unter Umständen auf den Sultan zum Zwecke der Ein-
führung von Reformen ausüben könnten.
In Frankreich deutet ein Theil der Presse die
Rede Bülows in einem für die Franzosen günstigen Sinne.
So hebt das Journal des Dcbats die Worte hervor,
daß Deutschland mit England in allerlei Fragen und man-
cherlei Punkten Zusammengehen könne, ohne anderweitige
werthvolle Beziehungen zu schädigen. Das bedeute, daß
Deutschland sich nicht mit England verbünden wolle, weil
cs dann Rußland zum Feinde bekommen würde. Da
anderseits Frankreich der Verbündete Rußlands sei, so sei

* Las Romaufeutlleton findet der Leser im heutigen
zweiten Blatt.
Stadttheater.
O Heidelberg, 15. December.
„DerHerr Senator", Lustspiel in drei Aufzügen von
Franz von Schönthan und Gustav Kadelburg.
(Zweites Gastspiel von Carl William Büller.)
Man kann die Vertreter des komischen Faches in der Schau-
spielkunst in zwei Hauptklassen scheiden und, um kurze Bezeich-
nungen zu geben, die einen „Nur-Komiker" und die anderen
„komische Schauspieler" nennen. Die ersteren, die entschieden den
breitesten Massenerfolg zu haben pflegen, gehen lediglich darauf
aus, komische Wirkungen zu erzielen, wobei ihnen ungefähr jedes
Mittel recht ist. Was sie für eine Rolle spielen ist ziemlich gleich-
giltig, denn sie sind in jeder genau derselbe, und ihre Verände-
rung geht über die Perücke und die Kleidung nicht hinaus. Ist
ihnen aber eine angeborene Komik eigen, so erfreuen sie sich, wie
gesagt, bei dem großen Publikum oft der rasendsten Beliebtheit
und es sind nicht selten erste Bühnen, an denen das wichtige Fach
durch eine derartige Persönlichkeit besetzt ist. Die andere Klasse,
die wir die „komischen Schauspieler" nennen, charakterisiren und
individualisiren ihre Rollen genau so wie die Vertreter der andern
Fächer, und da die Figuren, die sie zu verkörpern haben, eben
komisch sind, so rufen auch sie eine heitere Stimmung wach, vor-
ausgesetzt natürlich, daß das hinzutritt, was man Humor des
Spiels nennt. Das hindert nicht, sondern cs steht im Gegentheil
damit im Einklang, daß diese Darsteller eigentlich stockernst spielen;
sie machen, um die Analogie des täglichen Lebens beranzuziehen,
das „harmloseste Gesicht von der Welt" und erreichen dadurch
gerade ihre großartigen Wirkungen. Daß Büller im Großen
und Ganzen der letzteren Klasse angehört, bewies er gestern durch
die Darstellung des Hamburgischen „Herrn Senators", in dem der
Theaterdirektor Striese von vorgestern nicht wieder zu erkennen
war. Dennoch ist bei ihm eine Neigung vorhanden, zu der Dar-
flellungsmanicr der zuerst skizzirten Gruppe der Komiker hinüber-
zugreifen, und dies stört in etwas das Gesammtbild seiner Rollen,
und läßt ihn nicht die Vollendung erreichen, die ihm kraft seiner

es nicht unmöglich, daß Herr v. Bülow durch die Worte:
anderweitige werthvolle Beziehungen auf Frankreich an-
spielen wollte. Auch die Liberi 6 hebt in ihrer Bespre-
chung die obigen Worte Bülows hervor. Der Minister,
sagt sie, hat nicht gesagt, welche die andern Nationen sind,
von denen er gesprochen hat. Aber man braucht kein
Hexenmeister zu sein, um einzusehen, daß es sich nicht nur
um Rußland, sondern auch um uns handelt. Der Figaro
dagegen ist von der Rede des deutschen Staatssekretärs
enttäuscht. Er meint, Frankreich habe glücklicherweise keine
Schritte zu einer Annäherung an Deutschland gethan. Die
Rede Bülows habe die Träume der Optimisten zerstreut.
Frankreich dürfe nur auf das Bündniß mit Rußland
zählen, um zukünftigen Verwicklungen entgegenzutreten. Die
Rede Bülows werde somit in Frankreich weder Ueber-
raschung noch Bedauern Hervorrufen.
Von den Wiener deutschen Blättern wird die Rede
v. Bülows freundlich, theilweiss mit großen Lobsprüchen
ausgenommen. Auch das klerikale Vaterland verhält
sich ziemlich freundlich, wenngleich ihm die Bemerkung über
die „reifliche Ueberlegung öffentlicher Erklärungen" als
eine starke Anspielung auf die vielbesprochene Jnter-
pellationsbeantwortung des österreichischen Ministerpräsi-
denten Grafen Thun erscheint. — In Rom haben die
Erklärungen des deutschen Staatssekretärs über die aus-
wärtige Politik und insbesondere über den Charakter des
Dreibundes bei der gesammten Presse vollen Beifall ge-
funden.

Deutsches Reich
— Der Kaiser und der Reichskanzler haben
sich am Dienstag zur Jagd nach Springe begeben.
— Der Schwiegersohn des verstorbenen Fürsten Bis-
marck, Graf Rantzau, ist, wie die Nordostseezeitung meldet,
am Samstag von Friedrichsruh nach seinem Gute Do-
bersdorf bei Kiel übergesiedelt. In Friedrichsruh
bleibt nur noch die Hausdame Fräulein Böckel im Schlosse
zurück. Noch täglich treffen dort Kränze und Beileids-
bezeugungen für den verewigten Altreichskanzler ein.
Deutscher Reichstag. Berlin, 14. Dec. Weiter-
be rathung der ersten Etatslesung.
Abg v. Kardorff (Reichsp.) wendet sich gegen die Aus-
führungen des sozialistischen Abgeordneten v. Vollmar, die aller-
dings verhältnißmäßig milde seien und wenig Neues brächten.
Uebrigens betrügen die Schulden des Reichs und der Bundes-
staaten zusammen nur etwa ein Sechstel der französischen. Das
Ziel der Sozialdemokratie lei der Untergang des Bauernstandes.
(Beifall rechts.) Widersinnig sei die Behauptung, die ostelbischen
Junker drängten die deutschen Arbeiter in die Jndustriebezirke
nur, um slavische Arbeiter nehmen zu können. Das angekündigte
Gesetz zum Schutze der Arbeitswilligen reiche nicht zum Schutze
gegen die Sozialdemokratie aus. (Sehr richtig rechts.) Es sei
schade, daß gegen die Sozialdemokraten nicht mehr das Sozialisten-
gesetz bestelle, da diese mit ihrer Presse das deutsche Volk ver-
gifte. (Beifall rechts, Lachen bei den Sozialdemokraten) Die
Ausweisungen an der dänischen Grenze seien angesichts der däni-
schen Bestrebungen auf Loslösung unserer Provinzen völlig ge-
rechtfertigt. (Beifall.) Er theile gegenüber Oesterreich die Auf-
fassung des Staatssekretärs v. Bülow, sonst könne es scheinen,
als ob Oesterreich die Schwarzenberg'sche Politik wieder ange-
treten hätte. Sonst könnte es für die neue Militärvorlage keine
bessere Begründung geben, als die Rede des Grafen Thun. Es
sei zu hoffen, daß das gute Einvernehmen zu den Vereinigten
Staaten bestehen bleibe. Die Anti Anarchisten-Konferenz möge
bewirken, daß das lsisssr nllsr in dieser Beziehung aufhöre,
damit nicht Tausende von Arbeitern der Sklaverei von Bebel
und Liebknecht überliefert würden. Bezüglich der Militärvorlage
müsse er sagen, gerade Richter sei der Vater des gesteigerten
Militarismus in Deutschland (große Heiterkeit), denn die Ein-
führung der zweijährigen Dienstzeit habe zunächst eine unter-
schätzte Tragweite auf die Vermehrung des Berufssoldatenthums.
Abg. Rickert (freis. Ver.) wünscht Beschränkung dec einge-
brachten Gesetzentwürfe. Der Reichskanzler sei seines Versprechens

genialen Veranlagung möglich wäre. Sehr oft klingt bei ihm
durch: „Das ist nämlich ein Witz!" und er steckt dann gewisser-
maßen den Kopf hinter der Maske hervor, die er sonst trefflich
beibehält. Trotzdem ist es natürlich unmöglich sich nicht köstlich
über ihn zn amüsiren, und der größte Misanthrop wird es nicht
fertig bringen, während eines Büllcr'schen Abends ernst zu
bleiben.
Den Fachkollegen des Gastes, Herrn Stettner, in einer
Liebhaberrolle (Mittelbach) zu sehen, war recht interessant. Er
bewies, daß es für die Darstellung dieser Rollen durchaus nicht
immer nothwendig ist, auf das althergebrachte Schema F. zurück-
zugreifen, sondern daß sich durch feine Jndividualisirung auch
auf diesem Gebiete vortreffliche Wirtungen erzielen lassen. Daß
er stellenweise allerdings mehr Komiker als Liebhaber war, wird
man ihm in Hinblick auf seine sonstige Beschäftigung nicht übel
nehmen können. — Herr Blank gefällt uns stets am besten,
wenn er ernst wird, wozu ihm die Rolle des Dr. Gehring Ge-
legenheit gab, der durch bloße lleberredung vollständige Charakter-
umwälzung bei zwei Personen hervorruft, was nach der Psycho-
logie der Herren Schönthan und Kadelburg weiter keine Schwierig-
keiten hat. Desen Umstand konnte Fräul. Mehrer bei ihrer
Agathe auch nicht glaubhaft machen, was ihr nicht zum Vorwurf
gereicht. Sie nimmt aber sichtlich an Bühnensicherheit zu und
zeigt auch jetzt ein sehr angenehmes, volles Organ.
Der letzte Akt bekam durch das treffliche Zusammenspiel der
Damen Sander und Konrad mit dem Gaste etwas
Stimmungsvoll-Poetisches. Nachdem erstere im Anfang eine feine
diskrete Komik entwickelt hatte, überraschte sie aus einmal durch
einen echten Hcrzenston, während Fräul. Konrad in der kleinen
Rolle der Sophie Petzoldt zarte Empfindung und Liebenswürdig-
keit auf das anmuthigste vereinigte.
Was im Stücke so unglaubhaft erscheint, der Uebergang von
Gemüthskälte zum Temperament, ist bei dem künstlerischen Ent-
wicklungsgang von Frl. Hoheneck Thatsache. Ihre Stephanie
von gestern Abend bedeutet einen großen Fortschritt; in der
Scene mit Dr. Gehring war sie sogar ganz reizend. Nur hätte
die Vorspiegelung, daß er schon verheirathet sei, mehr Eindruck
auf sie machen müssen. In kleinen Rollen waren die Herren

hinsichtlich der Aufhebung des Coalitionsverbots nicht ledig. Bei
dem Gesetzentwurf zum Schutze der Arbeitswilligen werde seine
Partei die politische und wirthschaftliche Freiheit der Arbeiter
streng wahren. Freudig seien die Posten für Kunst und Wissen-
schaft zu begrüßen. Die Militärvorlage müsse genau geprüft
werden Die zweijährige Dienstzeit sei für Deutschland das
beste Mittel, das Heer auf der jetzigen Höhe zu halten. Für
die Kolonien müsse allerdings so viel bewilligt werden, daß sie
möglichst rentiren. Zur Erhaltung der guten Finanzen und der
Machtstellung des Reiches müßte die Handelsvertragspolitik fort-
gesetzt werden. (Lachen rechts.) Die jetzige Zeit sei für die
Abrüstung ungeeignet, aber die Anregung des russischen Kaisers
sei dankenSwerlh.
Staatssekretär Frhr. von Thielmann: Der Uebergang
Kubas au die Vereinigten Staaten werde auf die Zuckerindustrie
keinen großen Einfluß ausüben. Kuba baute früher etwa 1000000,
jetzt nur 250000 Tonnen Zucker. Auf lange Zeit dürfte der
deutsche Export nicht gefährdet sein wegen der völligen Ver-
wüstung der Insel.
Abg. Graf Stolberg (cons.l: Die Koloniecn müßten vom
Reiche verwaltet werden, weil es unserer Kaufmannschaft an
Initiative fehle. Der Strömung der Bevölkerung vom platten
Lande in die Städte, die eine ganz allgemeine Calamität sei,
müsse mit einem ganzen System von Mitteln entgegengetreten
werden. Dringend zu wünschen sei, daß wir mit Amerika in
Frieden leben, doch müsse die Begünstigung auf Gegenseitigkeit
beruhen. Die Reformen der Postverwaltung seien völlig richtig.
Abg. Hilpert (Südd. Bauernd.) führt die Reichsverdroffen-
heit auf die große Schuldenlast zurück.
Abg. Fürst Radziwill (Pole-: Die Behandlung der polni-
schen Bevölkerung seitens der Bureaukratie sei recht schnöde. Es
fei zu wünschen, daß das Reich alle im Reiche wohnenden
Stämme, Nationalitäten und Konfessionen schütze, sonst müsse eS
auf den Ruf verzichten, eine große Kulturausgabe erfüllt zu haben.
Hieraus wird die Weiterberathung auf morgen i Uhr vertagt;
vorher kleinere Vorlagen.
Schluß 4'/. Uhr.
Baden -j- M a n nh e i m, 12. Dec. Ein wahres Kesseltreiben wird
gegenwärtig in der sozialdemokratischen Presse und in den ihr
gesinnungsverwandten demokratisch-freisinnigen Blättern gegen
Herrn Kommerzienrath Ferdinand Scipio in Mannheim ver-
anstaltet, weil derselbe es gewagt hat, in dem badischen Land-
wirthschaftsrath seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck zu geben,
daß man von einer Fleischnoth in Mannheim nicht sprechen könne.
Wir wollen die Frage, ob eine Fleischnoth in Mannheim existirt
oder nicht, vollkommen aus dem Spiele lassen, sondern uns nur
an die Thatsache halten, daß Herr Ferdinand Scipio der Meinung
Vieler ist, daß man von einer eigentlichen Fleischnoth nicht
sprechen könne. Man sollte nun doch meinen, daß die angeblichen
alleinigen Pächter der Ueberzeugungstreue und des Mannesmulhes
es nur billige» können, wenn ein Mann seiner Ueberzeugung
— mag dieselbe nun falsch oder richtig sein — offen und un-
umwunden Ausdruck gibt, ohne darnach zu fragen, ob er mit
dieser Meinung den Beifall der Menge findet oder nicht. Weit
gefehlt! Weil die Anschauung des Herrn Scipio nicht überein-
stimmt mit der ihrigen in der Frage der Fleischnoth, suchen ihn
die radikalen und sozialdemokratischen Blätter als einen Dumm-
kopf hinzustellen, denn sie sind felbstverständlich die alleinigen
Inhaber der wirklichen Intelligenz. Es wirkt geradezu abstoßend
auf jeden anständigen Menschen, dieses widerliche, heuchlerische
Gebühren. Hätte Herr Scipio in das Horn der Sozialdemokraten,
Demokraten und Freisinnigen geblasen, dann würde man selbst-
verständlich an seiner hohen Intelligenz nicht den geringsten
Zweifel hegen. In den Augen der Radikalen und Sozial-
demokraten ist aber nur Derjenige überzeugungslreu und rückgrats-
fest, der nach oben hin möglichst viel Grobheiten sagen kann,
dafür aber desto mehr den niederen Instinkten der Volksmassen
schmeichelt und sich nach unten hin duckt und drückt. Die Sprache,
welche die hiesige Volksstimme in dem unter Anklage gehellten
Artikel gegen Herrn Scipio führt, weil dieser es gewagt Hal
eine andere Anschauung als wie das edle Sozialistenblatt zu
vertreten, ist einfach pöbelhaft und übersteigt alle zulässigen
Grenzen. Es ist sehr bezeichnend, daß ein Theil der demo-
kratisch-freisinnigen Presse kein Wort des Tadels findet für diesen
rüden Ton. Die Anklage wegen Veröffentlichung dieses Artikels
ist nun auch auf den Redakteur Jäckh von der Volksstimme aus-
gedehnt worden, welcher der Mitthäterschaft bei der Abfassung
und Verbreitung desselben beschuldigt wird.
Bayern. München, 13. Dec. Bei dem heutigen
Gala diner im Ballsaale des Festsaalbaus zu Ehren des
Großherzogs von Baden erhob sich der Prinz-
Negev t, um in einem äußerst herzlich gehaltenen Trink-
Eh re ns und Jensens gut am Platz; ebenso verdient Fräul.
Jung genannt zu werden, die nach Herrn Büller den Ham-
burger Dialekt am richtigsten traf. 8. L.

Der neueste „Brockhaus".
Vor einigen Tagen ist mein alter Freund und Rathgeber, das
Brockhaussche Konversations-Lexikon in neuer und man darf wohl
behaupten idealer Form erschienen. Vor zwei Jahren, gelegentlich
des Erscheinens der 14. Auflage, der sog. Jubiläumsausgabe,
konnte es auf einen hundertjährigen Lebenslauf zurückblicken. Ich
wüßte nicht, wann mir je ein Werk so zur rechten Zeit und „wie
gerufen" erschienen wäre, wie die „Rcvidirte Jubiläums-Ausgabe"
des Brockhaus. Hatte ich doch schon längst den Wunsch, mich
einmal eingehender über die gegenwärtigen Stärkeverhältnisse der
europäischen Großmächte in Bezug auf ihre Armeen und Flotten
zu unterrichten, d. h. nicht etwa um militärische Studien zu treiben,
sondern rein der „Wissenschaft" wegen, wie es der Besitzer eines
Konversations-Lexikons zu thun pflegt. Gewiß wird schon mancher
Zeitungsleser ein ähnliches Bedürfniß empfunden haben, aber
nicht haben befriedigen könneu, da er sich keine mikitärwissen-
schaftliche Bibliothek neuester Bücher zulegcn wollte, sein Meyer
oder Brockhaus aber diesen Wunsch nicht erfüllen konnte, da deren
Artikel zu sehr verschiedenen Zeiten erschienen waren, je nachdem
sie weiter vorn oder hinter im Alphabete liegen. Eben hat der
Kaiser von Rußland, der oberste Kriegsherr der größten Land-
armee der Gegenwart, den ernsten Vorschlag zur allgemeinen Ab-
rüstung und zur Einberufung einer dahin zielenden Konferenz
gemacht. Andererseits wird von außergewöhnlichen Rüstungen
Großbritanniens, der größten Seemacht der Welt, berichtet, deren
Spitze sich gegen das benachbarte Frankreich richten soll. Wie
steht es nun mit der Stärke der Armeen und Flotten? Wir
brauchen nur die Artikel Heerwesen Europas, Deutsches Herr-
wesen, Oesterreich-Ungarisches, Italienisches, Französisches, Rus-
sisches, Großbritannisches Heerwesen im neuesten Brockhaus auf-
zuschlagen. In allen finden wir durchgehends die neuesten bekannt
gegebenen Angaben, den Stand der Jahre 1896/97, bei den An-
gaben über die Flotten Großbritanniens, Italiens und des Deutschen
 
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