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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1898 - 30. September 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0301

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^°nntags ausgenommen.

Preis
Familienblättern

. monatlich 50 Pf.
.ltei in's Haus gebracht.
"rch die Post bezogen
d Vierteljahr!. 1.25
^schließlich Zustellgebühr.

!^VHon-A»schl«tz Nr. 82.
221.


KiMkstis, de« 22. Zcplemder

Insertionsgeoühr
15 Pf( für dm Ispaltige
Pctitzefie oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatfäule«.
Telephon-Anschluß Nr. 82.


Bestellungen
V die Heidelberger Zeitung für das IV. Quartal
»/wen bet allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Mten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
kpediticn, Untere Neckarstraße Nr. 21, angenommen.
, Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
Fracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich
"N Zustellgebühr Mk. 1.65.
.Neu eintretenden Abonnenten liefern wir das Blatt
Wunsch bis Ende dieses Monats gratis.
2.ÄW" Diejenigen Abonnenten, die die Heidelberger
Mung durch die Post beziehen, ersuchen wir, ihre Be-
^llung schon jetzt bei derselben oder beim Briefträger
^fzugeben, damit die Zustellung pünktlich vom 1. k. M.
? erfolgen kann und die bei verspäteter Bestellung cin-
^enden Störungen vermieden werden._
Politische Umschar».
Heidelberg, 22. September.
-Die Hamburger Nachrichten schreiben: Die Busch'-
,?en Publikationen können, abgesthen von beglau-
^gten Aktenstücken, als Geschichtsquellen nicht gelten, da
Stenographiren am Theetisch ausgeschlossen war und
^..Notizen nur nach dem Gedächtniß hergestellt sind.
, lßverständnisse waren wahrscheinlich, da Busch immer
^iverhörig war. Schon der saloppe Stil beweist, daß
einer wortgetreuen Wiedergabe keine Rede ist. Das
N enthält erhebliche Jrrthümer und muß als
wuchtig bezeichnet werden. Wenn Busch beim gelegentlichen
kdnen Bismarck'scher Papiere Abschriften angefertigt hat,
ci fit dies ohne Wissen des Fürsten geschehen und als
E'dizkretion anzusehen. — Das Urtheil der Hamburger
schlichten wird man bei der Lektüre des Buches von
,Nch oder von Auszügen aus demselben zu berücksichtigen
?ven. Viel ist übrigens durch diese Auslassung der Ham-
Nachrichten nicht dementirt. In der Form, in der
^Mttirung ist Busch nicht immer genau; auch einzelne
'^Verständnisse sind ihm passirt. Man darf nicht an-
Mn, daß Bismarck sich wörtlich so ausgedrückt hat,
y? Busch es wiedergibt; im Wesentlichen, in der Sache
i»^ ^sprechen die Veröffentlichungen des etwas stark
"Mieten Herrn Busch der Wirklichkeit.
Dl Besetzung Faschodas durch die Expedition
Mchand läßt eine kurze Rekapitulation der Vorgeschichte
/^r französischen Trnppe nicht ohne Interesse erscheinen,
re^f Monat Juni 1896 erfolgte der Aufbruch aus Frank-
Kapitän Marchand halte mehrere Offiziere und ein
Atzend Unteroffiziere der französischen Armee für seinen
^8 angeworben, ihn begleiteten außerdem noch ein Linien-
^sisfähnrich, der den Auftrag hatte, ein Kanonenboot der
^Mottille in das Flußbecken des Bahr-cl-Ghazal zu
"^ortiren. Zu gleicher Zeit mit der Expedition Mar-
welche das ganze Flußgebiet des Bahr-el-Ghazal
Plüschen und für Frankreich in Besitz nehmen sollte, war
i« ^"^re Expedition von Abessyuien aufgebrochen, welche
V der Richtung des Weißen Nils Vordringen und ihre
remigung mit der Expedition Marchand zu bewerkstelli-
ti suchen sollte. Bekanntlich war dieser zweiten Expedi-
Erfolg nicht beschieden. Auch die Expedition
es "d wurde mehr als einmal todt gesagt, doch gelang
tvink E in den Weg gelegten Schwierigkeiten zu über-
Die letzten direkten Nachrichten über die Expe-
Marchand datiren vom Juni. Damals war die
Kn?« Meschra-er-Reck angekommen, einem wichtigen
vienpnnkt, der an dem Zusammenflüsse des Bahr-el-
des Bahr-el-Hurr und der Souet gelegen ist. Ein

Theil der Truppe hatte eine Recognoszirungsfahrt auf dem
Landsee No unternommen und man wartete nur noch auf
die Meldung über den Verlauf derselben, um sofort den
Marsch auf Faschoda anzutreteu. Es ist daher mit an-
nähernder Gewißheit zu vermuthen, daß die aus Faschoda
fignalisirte Ankunft einer weißen Truppe thatsächlich auf
die Expedition Marchand bezogen werden muß. In Eng-
land hat die Anwesenheit einer französischen Expedition in
Faschoda außerordentlich starkes Unbehagen hervorgerufen.
Die englischen Blätter sind einig darin, daß die Franzosen
Faschoda wieder räumen müssen, weil England sich den
Weg weiter nach Süden zu seinen Besitzungen im afrika-
nischen Seengebiet nicht verlegen lassen dürfe. Ein Blatt
verkündet die frohe Mär, die Franzosen wollten Faschoda
gar nicht behalten, der französische Minister des Aeußern
hab- gesagt, es handle sich nur um geographische Interessen.
Rechten Glauben findet aber diese vom Wunsche eingege-
bene Verkündigung nicht. Die Franzosen wären auch sehr
thöricht, wenn sie ohne Weiteres die Position bei Faschoda
aufgebeu wollten, zum Mindesten werden sie dafür doch
von England irgend welche Entschädigungen verlangen.

Deutsches Reich.
Berlin, 21. September.
— Die Arbeiten an der deutschen Abtheilung der
Pariser Weltausstellung 1900 werden im Reichs-
kommissariat eifrig weiter gefördert. Der Reichskommissar
Geh. Regierungsrath Dr. Richter steht gegenwärtig in
Unterhandlung mit den französischen Behörden über den
Deutschland zuzuweisenden Platz für die Ausstellung in
Vincennes. Hier beabsichtigen nämlich die Franzosen, eine
bewegliche Ausstellung zu veranstalten, auf welcher Eisen-
bahnzüge, Fahrräder, automobile Wagen u. s. w. auch
erprobt werden sollen. Die deutsche Eisenbahn-Abtheilung,
ebeyso wie die Fahrrad- und Motor-Wagen-Abtheilung
werden nach Vincennes gelegt werden. Es handelt sich jetzt
nur noch darum, den nöthigen Platz zu erhalten. Des
Weiteren ist eine genaue Zuteilung des Platzes für die
Kunst-, für die Hygiene- und für die Handelsmarine-Ab-
theilung noch nicht erfolgt. In allen drei Punkten vertritt
Deutschland große Interessen. Nach den Aeußcrungen
französischer Blätter ist der Kunst im Ganzen wohl nicht
diejenige Berücksichtigung bezüglich des Platzes zu Theil
geworden, die man für sie hätte wünschen müssen. Was
die Handelsmarine betrifft, so wird Deutschland schon auf
dem Zuweise eines würdigen Platzes bestehen müssen, weil
es die größten Gesellschaften der Welt auf diesem Gebiete
besitzt. Dem Vernehmen nach wird sich der Reichskommissar
Anfangs Oktober wieder nach Paris begeben, nm auch die
letzten Verhandlungen wegen der Platzfragcn zum Abschluß
zu bringen.
— Von einem Ohnmachtsanfall betroffen wurde am Sonntag
in Potsdam infolge Belästigung durch einen Betrunkenen die
Prinzessin Karl Anton von Hoh enzollern. Die Prin-
zessin, welche demnächst ihrer Entbindung entgegensieht, fuhr in
einer offenen Equipage am Vormittag zum Gottesdienst nach der
katholischen Kirche. Vor dem Portal der Kirche drängte sich ein
Betrunkener, der dem Wagen schon einige Zeit gefolgt war, an
die Prinzessin heran, sprang dann bei Seite und warf das Gitter-
thor des Vorgartens der Kirche zu, um es dann mit einem tiefen
Diener wieder aufzureißen. Die Prinzessin mußte wohl glauben,
daß der Mann etwas Böses beabsichtigte, denn sie erschrack heftig
und wurde ohnmächtig. Nach einer Weile erholte sie sich wieder
und betrat die Kirche, während der Lakei einen Schutzmann be-
nachrichtigte, dem es jedoch nicht gelang, den nun entfliehenden
Mann zu ergreifen. In Potsdam waren infolge dieser Affäre
Gerüchte von einem Attentat verbreitet.
Baden. Karlsruhe, 20. Sept. Die Klage des Präsidiums des
Badischen Militärvereinsverbandes gegen den Abg. Wacker ist
nun auch gegen den damaligen stellvertretenden Redakteur des

Bad. Beobachters, Vincenz Häfner in Ettlingen, ausgedehnt
worden. Es handelt sich um die scharfen Erwiderungen Wacker's
auf die Ausführungen im Bad. Militärvereinsblatt. Die Privat-
beleidigungsklage gegen Wacker und Häfner ist zusammen vom
Abg. Rechtsanwalt Dr. Binz beim hiesigen Amtsgericht einge-
reicht, während die Bad. Landpost separat verklagt wird. Als
Privatkläger treten auf General z. D. v. Röder, Oberst a. D.
Rheinau und Oberstlieutenant a. D. Platz; die Anklage bezieht
sich auf nur einen der vom Abg. Wacker in dieser Sache er-
schienen Artikel. Die 12 Seiten umfassende Privatklage sagt u. a.,
der mitangeklagte Redakteur Häfner hätte sich des beleidigenden
Inhalts des Artikels bewußt sein müssen, weßhalb er als Mit-
beleidiger gleichfalls strafbar sei.
Württemberg. Rottenburg, 21. Sept. Der vor
kurzem zum Bischof von Rottenburg gewählte Dr. Xaver
v. Linsenmann, dessen Wahl vor wenigen Tagen vom
Papst bestätigt wurde, ist heute Vormittag im Curort
Lauterbach gestorben. Er war noch nicht konsckrirt.
Elsaß-Lothringen. Straßburg, 21. Sept. Der
Großherzog von Baden traf heute Nachmittag um
1,7 Uhr, von Donaueschingen kommend, hier ein. Mit
dem 4 Uhrzug fuhr der Grotzherzog, der in seiner Eigen-
schaft als Armee-Inspekteur der V. Armee-Inspektion den
Manövern des XVI. Armeekorps in Lothringen anwohnen
wird, nach Sierck.
Preuße«. Dortmund, 20. Sept. Die Kündi-
gung von italienischen Bergarbeitern erfolgt
gegenwärtig auf vielen Zechen. So ist laut Anschlag
sämmtlichen italienischen Arbeitern der Zeche „Präsident"
bei Bochum gekündigt worden. Wie verlautet, wird dies
auf sämmtlichen Zechen des Oberbergamtsbezirks Dortmund
geschehen.

»Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben dem
Königlich Preußischen Major und Bataillons-Kommandeur im
Infanterie-Regiment Prinz Louis Ferdinand von Preußen (2.
Magdeburgischen) Nr. 27 vonLindenau, bisher General-
stabsoffizier beim Generalkommando des 14. Armeekorps, das
Ritterkreuz des Ordens Berthold des Ersten verliehen. — Dem
Amtsrevidenten Ludwig Schmitt iu Bühl wurde die etatmäßige
Stelle eines Revisors, dem Aktuar Karl Müller in Kehl die
etatmäßige Stelle eine Amtsrevidenten übertragen. Gerichts-
schreiber Eugen Reich beim Amtsgericht Waldshut wurde in
gleicher Eigenschaft zum Amtsgericht Wolfach versetzt, Registrator
Martin Hierholzer beim Amtsgericht Waldshut zum Gerichts-
schreiber bei diesem Gerichte ernannt, Registrator Georg Maurer
beim Amtsgericht Schwetzingen in gleicher Eigenschaft zum Amts-
gericht Waldshnt versetzt und Aktuar Karl Dentz beim Amts-
gericht Karlsruhe zum Registrator daselbst ernannt.
Karlsruhe, 21. Sept. Der Großherzog ist am
Sonntag Abend in Donaueschingen eingetroffen, um der
Angriffsübung des 14. Armeecorps anzuwohnen. Seine
Königliche Hoheit nahm wieder wie in der vergangenen
Woche im Fürstlichen Schlosse Quartier. Am 19. früh
8 Uhr fuhr der Großherzog mit dem Fürsten zu Fürsten-
berg nach der Wutachmühle, um den Durchmarsch von
Theilen der kriegsstark formirtcn 28. Division (General-
lieutenant von Grone) zu beobachten. Bei Behla, wo
Seine Königliche Hoheit im weiteren Verlauf des Vor-
mittags das Pferd bestieg, war unterdessen die Avantgarde
der Division eingetroffen und suchte nach vorwärts Raum
zu gewinnen. Der Großherzog blieb bei der 28. Division,
bis sie sich völlig entwickelt und im Vorgehen die Wald-
stücke an der Straße Döggingen—Hüfingen gewonnen hatte.
Danach besichtigte derselbe die befestigte Stellung der Gegen-
partei bei Döggingen, welche am nächsten Morgen ange-
griffen werden sollte und kehrte gegen 5 Uhr Abends nach
Donaueschingen zurück. Um 6 Uhr ertheilte Seine König-
liche Hoheit einigen Beamten in Donaueschingen Audienz
und nahm später an einem großen Diner theil, das der
Fürst zu Fürstenberg zu Ehren Seiner Königlichen Hoheit
veranstaltet hatte. Anschließend an das Diner brachten die

7)

Mein Ludchen.
Erzählung von F. Arnefeldt.
(Fortsetzung.)
L/t, " hast ja immer der Erwerbsfähigkeit der Frau das
!l,»„ beredet!" Dr. Mühlenbruch stieß einen recht drollig
dies? Seufzer aus. „Grau ist alle Theorie. Als ich
Hst geprüfte Lehrerin hier so leibhaftig am Tische vor
äuiwsh mir vergegenwärtigte, welche ausgctrocknete alte
sie in fünfzehn bis zwanzig Jahren sein wird, er-
cd ein grenzenloses Mitleid und ich brachte der ganzen
"Mewe.aung und ihren Trägern ein Pereat."
die 'würdig, und ich fürchtete, Du seiest ungehalten über
Mwandlung."
eine ist ja keine Ovidsche!" lachte der Doktor, „sondern
einktl-?selbst schuld sind. Im Grunde kann's uns
dumn ob wir ein männliches oder weibliches Jndivi-
die herausfüttern, und ich gönne dem armen Dinge
Mte Zelt recht von Herzen."
d>ar . uw der Mutter hastiger als sie es sonst gewohnt
sch^LUte Nacht und entfernte sich. Mit leichtem Kopfschütteln
dytz L >w chm nach. Er kam ihr heute so anders vor, ohne
ünde^.l. weht zu fragen vermocht hätte, worin diese Ver-
«zMu bestand, wodurch sie bewirkt sein konnte.
dez Mnk ° ^ffen batte Ludovica noch lange am Fenster
l>vn iVUnziminers gestanden, das geöffnet war, obwohl eine
dlich- n ^cke herabhängende Schirmlampe brannte. Sie
^llnds^riuus auf die zauberhaft im Mondlicht daliegende
das nsin le aufragenden Berge, den schimmernden Fluß,
biße Ig-s chwm Nebel erfüllte Thal, und eine unbeschreiblich
sandele Uwulh zog in ihr Herz. Sie kommt sich ganz ver-
H«er » . , ; Ihr, bie bisher in der engen Straße einer in
dieser n» Gegend belesenen kleinen Stadt gelebt, war
bch ? Ausblick über Berg und Thal gegönnt, sie, die
b°lstn ^er Mutter kümmerlich in einer engen Wohnung be-
8oblacht r I" ^ei entzückend eingerichteten Zimmern unter-

bind diejenigen, die ihr das alles gewährten, waren Leute,
die sie nicht gekannt, die sich von ihrer Person eine ganz
andere Vorstellung gemacht hatten! Glich das nickt alles
einem Abenteuer, wie sie es in ihrem bisher so alltäglichen
Leben nie zu hoffen gewagt hätte?
Zum erstenmale schlief sie ein mit einer freudig gespannten
Erwartung auf das, was der nächste Tag bringen werde.
III.
Sechs Wochen sind vergangen, die Morgen sind kühler,
die Abende länger geworden, und noch immer weilt Ludovica
Petermann auf Schloß Wildenstein, aber ihr Aufenthalt da-
selbst naht seinem Ende, muß seinem Ende nahen, obwohl ihr
Herz sich krampfhaft zusammenziedt bei dem Gedanken, daß
sie bald und wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen den Ort
verlassen muß, an dem sie so unbeschreiblich glücklich gewesen ist.
Ja, sie war glücklich, und würde es vollkommen gewesen
sein, hätte der Gedanke, daß es ihr hier so wohl erging,
während ihr Mütterchen in der beschränkten Weise weiter
lebte, nicht zuweilen einen Schatten über ihre Seele geworfen
und wäre es ihr nicht öfter vorgekommen, als sei sie in einem
Traum befangen, aus dem sie unsanft erwachen müsse.
Mit ihren Hausgenossen und Gastfreunden hatte ihr Leben
sich in der angenehmsten Weise gestaltet. Die Frau Bürger-
meisterin begegnete ihr in liebevoller, mütterlicher Weise und
auch der Doktor war mehr und mehr aus der anfänglich ihr
gegenüber beobachteten Zurückhaltung herausgetreten und
verkehrte freundlich und brüderlich mit ihr, wenn auch wieder
Tage und Stunden kamen, wo er in eine steife Haltung ver-
fiel und sich des großen Abstandes, der zwischen ihm und ihr
herrschte, besonders bewußt zu werden schien.
Ach, Ludovica vergaß ihn ja niemals, und die Erinnerung
daran ließ ihr Herz besonders in den Augenblicken heftig
schlagen, wo sie sich dem Wohlbehagen an seiner Gesellschaft
am freudigsten und rückhaltlosesten hingegeben hatte.
Zn ihrer und nicht minder zu seiner Verwunderung zeigte
sich zwischen beiden eine Uebereinstimmung, wie sie bei Per-
sonen, die so verschiedenen Lebenskreisen angehörten, deren
Erziehung, deren Bildungsgang ein so ganz anderer gewesen,

nicht zu vermuthen war- Allerdings lag bei Ludovica vieles
im Keim und in der Knospe, was bei Ernst schon zur vollen
Entwickelung und Reife gelangt war, aber gerade in diesem
Verhältniß bestand für ihn ein großer, unwiderstehlicher Reiz.
Sie hatte bisher lernen und arbeiten müssen, um sich auf
ihren Beruf vorzubereiten, denn sie hatte neben dem Examen
als wissenschaftliche Lehrerin, auch das als Handarbeils- und
Zeichenlehrerin abzulegen gehabt, da war nicht viel Zeit zur an-
regenden Lektüre, nicht viel Zeit geblieben, etwas anderes zu
spielen als die für den etwa künftig zu ertheilenden Musik-
unterricht erforderlichen Hebungen, und doch war in dem
jungen Mädchen ein wahrer Heißhunger nach den Schätzen
der Literatur und Kunst.
Ernst Mühlenbruch war ihr behilflich, aus diesen lebendig
sprudelnden Quellen zu schöpfen und zu trinken, und er em-
pfand dabei selbst einen Genuß, den sie ihm bisher noch nicht
gewährt hatten. Ludovicas Auffassung war so ursprünglich,
so neu, io überratchend, er glaubte zuweilen das durch ihre
klaren, sinnenden Augen Erschaute jetzt erst wirklich zu sehen.
(Fortsetzung folgt.)
Kaiserin Elisabeth.
Von Dr. Carl Neger.
Wie«, den 18. September.
Es war ein sinniger Wunsch, den man der jugendlichen
Königin von Holland auf deu Krönungsweg mitgegeben:
„Möchte Dir die Krone leicht sein!"
Das Diadem ist für den starken, thatkräftigen Monarchen ein
tiefernster Schmuck; auf dem zierlichen Haupt einer Frau mögen
immerhin Rosen und Myrtheu spielen, die goldene Last der Krone
darauf zu sehen berührt fast immer mit Wehmuth.
Eine der eigenartigsten Frauen, deren Scheitel zwei Kronen
— eine Kaiser- und eine Köuigstrone — beschwert haben, ist in
diesen Tagen von uns gegangen: Elisabeth, Kaiserin von Oester-
reich, Königin von Ungarn.
Es gibt Gesichter, dis man nie wieder vergißt, wenn man
einmal mit fühlendem Auge hineingeschaut; ein solches Antlitz
 
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