Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 150 - 175 (1. Juli 1898 - 30. Juli 1898)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0075

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erscheint täglich,
«onntags ausgenommen.
Preis
Mit Familienblättern
, monatlich 50 Pf.
irei m's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
>' jvierteljährl. 1.25
ausschließlich Zustellgebühr.
Tel^hon-Anschluß Nr. 82.
Xi. 188.

KkiSÄkM ZkltllU

JusertionSgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- :nd
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr- 82.

Mittmch, -kl 20. Juli

18S8.

Der Pelikan auf dem Gimpelfang.
Der seinerzeit viel genannte, am Jesuitenherd zu Feld-
kirch im Vorarlberg erscheinende Pelikan wendet sich an
sein Publikum mit der Reklame, die so einzig in ihrer
Art ist, daß auch wir sie unfern Lesern nicht vorenthalten
wollen. Das genannte Blatt schreibt nämlich:
„Vertrag mit dem heiligen Joseph. —
In den Danksagungen, die wir zuweilen bringen, sehen
unsere lieben Leser, daß kein Heiliger so gern und so
schnell hilft, wie der heilige Joseph. Der Pelikan hat
schon oft die Macht desselben an sich selbst erfahren.
Im ersten Jahre versprach der jetzige Redakteur, damals
Pfarrer in Amden in der Schweiz, 50 Josephsbücher
zu verschenken, wenn der Pelikan 2000 Abonnenten
erhalte. Im selben Jahre erhielt er 2500. Im fol-
genden Jahre sagten wir: „Lieber, heiliger Joseph,
wenn du es Heuer auf 8000 Abonnenten bringst, will
ich hundert solcher Josephsbücher verschenken". Am
Ende des Jahres waren es 12 000 Abonnenten. Im
nächsten Jahre hofften wir 30 000, vor Ende des Jahres
waren es 30 000. Dies Jahr waren wir so kühn,
mit dem heiligen Joseph von 50 000 Exemplaren zu
sprechen, und erklärten uns bereit, eine größere Anzahl
von Josephsbüchlein zu verschenken. Jetzt sind 90 000
Abonnenten da".
„280 Priester segnen täglich die Pelikan-
leser. 280 Priester haben bis jetzt uns schriftlich ver-
sprochen: 1. Täglich bei der hl. Messe alle Leser des
Pelikan und deren Kinder und deren Anliegen einzu-
schließen. 2. Bei der Ertheilung des Schlußsegens
nochmals alle diese in den Segen einzuschließen. 3.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen allen nochmals
den hl. Segen zu ertheilen. Die Erfahrung lehrt, daß
der Segen eines einzigen Priesters oft hilft, wenn der
Hilfesuchende mit Vertrauen auf die Macht und Güte
Jesu Christi diesen Segen verlangt. Wie viel wird
erst der Segen von 280 Priestern vermögen!"
Noch ist, s» bemerkt die Kraichg. Ztg. mit Recht zu
diesem ekelhaften Geschreibsel des Pelikan, unsere Bevöl-
kerung nicht mürbe genug, um sich durch einen so plum-
pen und verwerflichen Schwindel, wie er hier vor
Er Welt verübt wird, ins Garn locken zu lassen. Oester-
bich und Oberbayern liegen aber nicht gar zu sehr ent-
kernt von hier, als daß nicht der energische Mahnruf am
Platze wäre: dahin steuern auch wir! Auch bei uns muß
zu gleicher Versumpfung und Verdummung kommen,
we«n unser Volk sich nicht aufrafft und der auf Unkosten
der Religion betriebenen systematischen Bearbeitung, die es
der Sozialdemokratie in die Arme treibt und den Frieden
den Gemeinden untergräbt, einen kräftigen Damm ent-
gegensetzt.

Deutsches Reich.
Berlin, 19. Juli.
— Aus Drontheim, 19. Juli, wird berichtet: Sonn-
kag Abends um 8 Uhr begab sich der Kaiser zum Diner
E das englische Flaggschiff „Raleigh". Das Schiff war
seich decorirt. Der Kaiser brachte einen Toast aus Ihre
Majestät die Königin Victoria aus. Kommandeur Poe
drachte einen Trinkspruch auf den Kaiser aus. Der Kaiser
?egab sich dann zur Besichtigung des Drontheimer Domes
w die Stadt. Zum Frühstück war der Generalconsul mit
seiner Gemahlin eingeladen. Um 3 Uhr ging die „Hohen-
AErn" bei schönem Wetter nach Diger Mule in See.—
P o d oe, 19. Juli. Nach guter Fahrt bei immer mehr

aufklärendcm Wetter passirte heute Vormittag kurz nach 11
Uhr die „Hohenzollern" bei herrlichstem Sonnenschein
den nördlichen Polarkreis. Die Ankunft in Diger-
mulen erfolgt voraussichtlich heute Abend gegen 10 Uhr.
An Bord ist Alles wohl.
— Nachdem jetzt wieder in Berlin drei neue pol-
nische Vereine, nämlich ein Mrgerverein, ein polnisch-
katholischer St. Josephs-Verein und ein polnischer Rad-
fahrklub entstanden sind, besitzt Berlin mit Umgebung
nunmehr 41 polnische Vereine.
— Eine sehr auffallende Mittheilung bringt die
Würzburger Neue bayerische Landesztg., deren Redakteur
die Nachricht jedenfalls bei seinem jüngsten längeren Auf-
enthalt in Bad Kissingen erhielt. Danach hätte der
Kaiser an den Regenten vonLippe Folgendes telegraphirt:
„An den Regenten von Lippe-Detmold. Mein General hatte
Befehl: dem Regenten, was dem Regenten gebührt, sonst weiter
nichts; im Uebrigen verbitte ich mir den Ton, den Sie sich in
Ihrem Briefe erlauben. Wilhelm I. U."
Der Grund zu dem Telegramm war laut Franks. Ztg.
eine Beschwerde des Regenten von Lippe, dessen Söhne
und Töchter von den Offizieren der Garnison nicht ge-
grüßt (!) wurden. Als der Regent den General zu sich
beschied und ihm deßhalb Vorhaltungen machte, gab dieser
zu verstehen, daß er seine Befehle vom obersten Kriegs-
herrn in Berlin, und nicht vom Landesfürsten zu em-
pfangen habe. Darauf wandte sich der gekränkte Fürst
nach Berlin und erhielt das mitgetheilte Telegramm. Der
Regent theilte die Angelegenheit den übrigen Bundes-
fürsten mit und beauftragte den Vertreter des Fürsten-
thums, seine Beschwerde gegen den Kaiser im deutschen
Bundesrathe vorzutragen.
Die Lippesche Landesztg., die immer für die Rechte
der Biesterfelder Linie des Fürstenhauses eingetretcn ist,
sieht das Erbrecht des gegenwärtigen Regenten allem An-
schein nach auch heute noch als nicht gesichert an. Sie
schreibt: „Das Legitimitätsprinzip, welches für das Haus
Biesterfeld in dem Schiedsspruch mit Begründung seine
Bestätigung gefunden, ist die unantastbare Grundlage des
Thrones; wer daran rüttelt, zerstört die Wurzeln, auf
denen die Throne der deutschen Fürsten aufgebaut sind.
Das werden die deutschen Fürsten bedenken, wenn ihnen
ein Eingriff in die Rechte eines deutschen Bundesfürsten
zugcmuthet werden sollte. Die Verfassung des Deutschen
Reiches, wie sie der greise Kaiser und sein heldenmüthiger
Sohn mit dem Eisernen Kanzler geschaffen, ist des Reiches
fester Grund. Wer sie erschütterte, wer für das Reich
Rechte in Anspruch nehmen will, die einem Bundesstaate
zukommen, zerstört diesen Grund. Dem Reiche, was des
Reiches, den Bundesstaaten was ihnen und ihren Fürsten
gebührt. Die deutschen Fürsten werden an sich und ihre
Nachkommen denken, wenn ihnen zugemuthet werden sollte,
sich in die inneren Angelegenheiten eines deutschen Bundes-
staates zu mischen. Sie werden einmüthig auftreten, wenn
Uebergriffe gegenüber einem deutschen Bundesfürsten ge-
macht werden. Heute mir! morgen dir!"
Der Eindruck, den man aus diesen Veröffentlichungen
empfängt, ist ein sehr peinlicher. Deutschland kann, so
wie es jetzt dasteht, viel aushalten; selbst eine socialdemo-
kratische Rcichstagsmehrheit würde es ertragen können, in
Lebensgefahr aber käme das Reich, wenn die Bundes-
fürsten nicht mehr so fest und aufrichtig zu einander halten
würden, wie das bis jetzt der Fall war. Wenn diese bei der
Gründung des Reichs von ihrer Souveränität etwas auf-
gegeben haben, so hatten sie bis jetzt andererseits an dem
Reich eine feste Stütze ihrer Macht und ihres Rechtes.
Es wäre verhängnißvoll für das Reich, wenn die Fürsten
das Gefühl beschleichen sollte, diese Stütze am Reich nicht

mehr zu haben. Fürst Bismarck hat sorgfältigst die
Stellung der Bundesfürsten geachtet. Man wird sich er-
innern, in welchen Zorn und in welche Besorgniß er ge-
riet h, als Prof. Geffcken aus alten Tagebuchblättern mit-
theilte, daß der nachmalige Kaiser Friedrich im Jahre
1870 sich dem Gedanken geneigt zeigte, die Bayern even-
tuell mit Gewalt in das neue deutsche Reich hinein-
zuzwiugen. Bismarck sah in der Veröffentlichung Geffckens
eine Gefährdung des Reiches und ließ den indiskreten
Professor wegen Hochverrates anklagen. Wie wird Bis-
marck den Kopf schütteln, wenn er erfährt, was in Lippe
vorgeht!
Aus der Karlsruher Zeitüngs
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
pensionirten Briefträger Johann Georg Lei sing er in Walds-
hut die silberne Verdienstmedaille verliehen.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben den
Landgerichtsrath Adolf Birkenm eher in Waldshut in gleicher
Eigenschaft nach Freiburg versetzt, den Oberamtsrichter Robert
For ster in Waldshut zum Landgerichtsrath daselbst und den
Referendär Dr. Bernhard Ladenburger aus Mosbach zum
Amtsrichter in Waldshut ernannt, ferner den Landgerichtsrath
Rudolf Obkircher in Mosbach in gleicher Eigenschaft nach Frei-
bürg versetzt, den Oberamtsrichter Raimnnd Sch c r er in Säckingen
zum Landgerichtsrath in Mosbach ernannt, den Landgerichtsrath
Dr. Ernst Heyd weill er in Konstanz in gleicher Eigenschaft
nach Karlsruhe versetzt, den Oberamtsrichter Dr. Karl Reichardt
in Heidelberg zum Landgerichtsrath in Konstanz ernannt, den
Oberamtsrichter Karl Mittermaier in Mannheim in gleicher
Eigenschaft nach Heidelberg, den Amtsrichter Robert Müller in
Philippsburg in gleicher Eigenschaft nach Mannheim versetzt und
den Referendär Justus Bender aus Tauberbischofsheim zum
Amtsrichter in Philippsburg ernannt, sowie den Oberamtsrichter
Ludwig Mainhard in Karlsruhe zum Landgerichtsrath daselbst
ernannt, den Oberamtsrichter Leopold Neckel in Mannheim in
gleicher Eigenschaft nach Karlsruhe versetzt und den Notar Friedrich
Trolle in Gernsbach zum Amtsrichter in Mannheim ernannt.
— Die Uebertragung einer bei der Kaiserlichen Oberpost-
direktion in Konstanz erledigten Postrathsstelle an den Postrath'
Litzrodt aus Berlin hat die landesherrliche Bestätigung er-
halten.

Ausland
Oesterreich-Ungarn. Wien, 18. Juli. Bahnarbeiter
geriethen im Orte Bursztyn (Galizien) mit jüdischen
Metzgern in Streit, der bald in Thätlichkeiten ausartete.
Die Bahnarbeiter drangen in die Fleischgewölbe, zerstörten
die Geschäftseinrichtung und zogen dann zur Wohnung
des Ortsrabbiners, wo sie alle Fensterscheiben zertrümmerten,
und oie gesammte Wohnungseinrichtung zerstörten. Dem
sich zur Wehr setzenden Rabbiner wurde ein Arm gebrochen.
Jn Re szieszow drangen plötzlich Bauern in die Wohn-
ungen der Juden und demolirten diese.
Frankreich. Aus dem langen Anklageartikel Zolas
waren für die Verhandlung in Versailles nur folgende
Worte herausgegriffen, die dazu noch nicht einmal einen
vollständigen Satz bilden: „Daß ein Kriegsgericht auf
Befehl einen Esterhazy frcigesprochen, ein Schlag ins Ge-
sicht jeder Wahrheit und Gerechtigkeit." Wenn nun be-
hauptet wird, Zola habe sich um die Verhandlung herum-
gedrückt, so bemerkt der Siscle sehr richtig dazu, die sich
drücken, seien nur diejenigen, die aus seinem langen Briefe
nur drei Zeilen und aus diesen drei Zeilen nur drei
Worte herausgreifen. Zola und sein Vertheidiger haben
begreiflicher Weise das größte Interesse daran, daß nicht
ein halber Satz aus dem langen Schreiben Zolas heraus-
gerissen und unter Anklage gestellt, sondern daß
das Schreiben als Ganzes genommen werde. In diesem
Sinne beantragten sie, daß der Gerichtshof den Zusammen-
hang des incriminirten Satzes mit den übrigen Ausfüh-
rungen anerkenne. Als der Gerichtshof diesen Antrag
ablehnte, kündigten sie Berufung gegen diesen Beschluß an

8)

Sklaverei der Schönheit.
Novelle von M. Zmmisch.
(Fortsetzung.)
, Was batte er denn? Starr, ohne zu grüßen, sah er zu
Vr hinüber, beinahe entsetzt, als wäre sie ein Gespenst oder
!?nst eine ungeheuerliche Erscheinung. Ah, das brauchte sie
Pch nicht bieten zu lassen! Sie war jetzt eine erwachsene
4wme und konnte Höflichkeit beanspruchen.
Zornig warf sich Käthe in einen Sessel. Das Köpfchen
Mrückgeworfen und mit den zierlichen Fingern die Blumen s
asrpfluckend, die in ihrem Gürtel steckten, that sie, als bemerkte >
ne den Ankömmling gar nicht. Sicher waren eS ihre rothen !
^?are, die den Herrn Maler störten; aber sie wollte ihm i
Agen, daß es ihr sehr gleichgültig war, ob sie ihm gefiel -
°der nicht.
Fräulein Heinig, Frau von Sentens Gesellschaftsdame,
U anscheinend ganz vertieft war in das Ordnen eines
soiumenstraußes für den Frühstückstisch, verzog ein wenig
Mtisch die Lippen. Ihren sanften Madonnenaugen entging
Uten etwas und so hatte sie wohl bemerkt, wie bei dem
Mjarnen Benehmen Professor Dellings eine jähe Röthc über
»rau von Sentens Züge glitt.
-. Ueberhaupt kam ihr Frau von Senken verändert vor,
mt der Ankunft des Professors und mit ihrer scharfen
^bachtungsgabe hatte sie sich mancherlei darüber zusammen-
.. Fritz Delling war fast täglicher Gast in der Villa Senten,
o>e seitdem noch mehr als sonst der Sammelpunkt für alles
^ar. was zwei Stunden im Umkreise zur feinen Gesellschaft
Worte und nicht zufälligerweise in irgend einem eleganten
<tade weilte. Sein Name war sehr bekannt und einige Zei-
tungen der benachbarten Großstadt benutzten die günstige
Gelegenheit, um einige interessante Artikel über ihn in ihre
^Palten aufzunehmeu. I

Die sensationslustige Menge ist immer bereit, an dem
Nimbus einer Berühmtheit ihr eigenes mattes Flämmchen
Heller strahlen zu lassen, und so war Fritz Delling ein ganz
besonderer Anziehungspunkt für eine ganze Anzahl Leute,
sehr zum Unbehagen Frau von Senters, welcher der Trubel
bald zu viel wurde. Er langweilte und ermüdete.sie. Die
Vergötterung, die Fritz Delling von Leuten ward,:: die seine
Werke kaum vom Hörensagen kannten, widerte sie an und
reizte ihren Widerspruch. Sie begriff jetzt, daß ein Mann,
der es ernst mit der Kunst nahm und sich selber nie genügen
konnte, von solch oberflächlichen, oft recht urtheilslosen Hul-
digungen unbefriedigt bleiben mußte.
Und um solch äußeren Firlefanzes willen war er einsam
und glücklos durch das Leben gegangen, in dem Wahn, daß
er nur durch die volle Hingabe seines ganzen Selbst den
ersehnten Gipfel ersteigen könne.
Jetzt stand er oben, ein freudloser, müder Mann und
blickte sehnsüchtig zurück nach dem erquickenden Schatten, den
sein Ehrgeiz einst verschmäht. Das Herz that ihr weh, wenn
sie den sonnigen Jüngling von einst mit dem Manne von
heute verglich.
Umsonst sagte sie sich: „er ist ein Egoist und erntet nur,
was er gesäet." Ein zärtliches Mitleid, die sanfte Zwillings-
schwester der Liebe, überfluthetc ihr Herz und raunte ihr zu:
„um eines großen Zweckes willen aufgegeben zu werden, ist
keine Schande."
Mit seltsamen, sich widerstreitenden Empfindungen be-
obachtete Frau von Senten den Eindruck, den der Anblick
Käthes auf Fritz Delling hervorrief; sie konnte sich denken»
was ihn bewegte-
Gestern hatte sie Käthe in D.abgeholt und
sie war selbst erstaunt gewesen über die Aehnlichkeit des
Mädchens mit einem Bilde, das, aus ihrer eigenen Jugend-
zeit stammend, in ihrem Wohnzimmer hing. Trotz der gold-
rothen Haare und der dunkleren Augen Käthes war der erste
flüchtige Anblick geradezu überraschend ähnlich, namentlich in
diesem Augenblick, wo sie das Köpf chen genau in der über-

mütdig trotzigen Manier zurückwarf, die einst der jugendlichen
Hedwig eigen gewesen.
Fritz Delling seufzte tief auf und strich sich wiederholt
über Stirn und Augen, als wollte er eine Vision verscheuchen.
Dann schritt er langsam auf die Veranda zu.
Es dauerte keine Viertelstunde, so hatte Käthe ihren an-
fänglichen Groll überwunden. Er war doch nicht so übel
der Onkel! Mit welcher Aufmerksamkeit er ihr zuhörte und
wenn er lächelte, sah er beinahe hübsch aus.
Sie plapperte von allen möglichen kleinen Erlebnissen und
kam sich dabei so ungeheuer klug und erwachsen vor.
Manchmal warf er ein Wort dazwischen, im großen
ganzen achtete er aber gar nicht auf den Sinn ihrer weisen
Reden, die wie Vogelgezwitscher an ihm vorüber schwirrten.
Seine ganze Seele lag in seinen Augen, diesen schönheits-
durstigen Maleraugen, die nur dann und wann vergleichend
zu der schönen Mutter hinüberschweiften.
Eine seltsame Wandlung ging mit ihm vor.
In den letzten vierzehn Tagen batte sein Herz beim An-
blick Hedwigs oft schneller und unruhiger gepocht, als es
seit langer Zeit der Fall gewesen, und er hatte sich gern dem
Gedanken überlassen, daß der einst kraftvoll unterdrückte
Jugendtraum wieder aufleben könne; aber diese eine Stunde
vernichtete dies vollständig. Herz und Verstand unterlagen
gänzlich der thaufrischen, blüthenhaften Schönheit dieses Kindes,
das ihm wie ein holdes Wunder erschien.
Zwanzig Jahre kühler Vernunft, ehrgeizigen Strebens
versanken für ihn und sein Herz knüpfte unwillkürlich da an,
wo es vor zwanzig Jahren durch gewaltige Willensan-
strengung sich losgerissen. Ihm war, als sehe er die schöne
Hedwig vor sich, nur viel schöner, viel sinnbethörender, als
sie je gewesen, und sein Herz, das durch die Einsamkeit müde
geworden, daS durch die vielen Kämpfe seine Widerstands-
kraft eingebützt, öffnete sich weit dem süßen, berückenden
Zauber, und Liebe und Leidenschaft vereinten sich, um ihn
m ihren unsichtbaren, gewaltigen Bann zu ziehen.
(Fortsetzung folgt.)
 
Annotationen